Das Abendmahl – eine Mitmachgeschichte
Predigt am 23. Oktober 2016 zur Abendmahlszulassung der Konfirmandengruppe
Stellt euch vor, in 50 Jahren oder so trefft ihr euch alle wieder, bei einer Goldenen Konfirmation oder bei einem Klassentreffen oder wo auch immer. Ihr sitzt dann zusammen – man weiß noch nicht mal, was ihr dann essen und trinken werdet – und redet über die alten Zeiten. Also z.B. über heute. Gut, das ist jetzt noch ganz weit weg, und wir wissen natürlich nicht, wie die Welt dann aussieht. Aber stellt euch vor, ihr trefft euch, ihr wundert euch, wie die anderen dann aussehen, schon ziemlich zerknittert vom Leben, oder auch frisch geliftet, keiner weiß das heute. Aber sehr wahrscheinlich ist es, dass ihr dann Geschichten erzählt. Z.B. von der Konfirmandenfreizeit, die wir ja noch vor uns haben. Was verbindet Menschen, auch wenn sie sich lange nicht gesehen haben? Die alten Geschichten.
Geschichten verbinden Menschen
Das ist nicht nur bei Schulklassen und Konfirmandengruppen so. Familien erzählen sich die Geschichten vom Urgroßvater, der im Krieg war und von der Oma und ihrem Kuchen, den sie immer gebacken hat. Oder vom Urlaub, als die Kinder noch klein waren und Micha in den Gartenteich gefallen ist. Manchmal sind die Geschichten lustig, manchmal sind sie ziemlich ernst und werden nur selten erzählt, und oft nicht den Kindern. Aber Gemeinschaften jeder Art entstehen durch die Geschichten, die sie sich erzählen. Oft gibt es regelmäßige Gelegenheiten dazu: zu Weihnachten, wenn sich alle treffen, oder Klassentreffen, Konfirmationsjubiläen und für ganze Staaten den Nationalfeiertag.
Deswegen gibt es auch in der Bibel so viele Geschichten. Da wird der Weg des Volkes Israel erzählt, und das hat dazu beigetragen, dass dieses Volk auch ganz schreckliche Zeiten doch irgendwie überstanden hat: sie kannten ihre Geschichte, sie wussten, dass die eng mit Gott verbunden war, und sie fanden dort die Zuversicht, auch in bösen Zeiten auf Gott zu hoffen.
Feste erzählen Geschichten von Befreiung
Und diese Geschichten wurden bei Festen erzählt, z.B. beim Passafest: wir waren Sklaven in Ägypten, sie wollten uns auslöschen und hätten es fast geschafft, aber Gott hat uns geholfen. Er hat uns befreit und uns gezeigt, wie wir in Zukunft als freies Volk leben sollen. In jeder Generation wurde das wieder neu erzählt. Im Passafest wurde das richtig dargestellt mit ungesäuertem Brot, mit Wein und bitteren Kräutern als Erinnerung an die bittere Unterdrückung. Und wenn sie wieder mal von einem Imperium unterdrückt wurden, dann erinnerten sie sich: Gott ist unser Befreier. Er wird uns wieder helfen.
Und dann kam Jesus, und als er mit seinen Jüngern zum letzten Mal das Passafest feierte, am Abend vor seinem Tod, da schrieb er sozusagen die Fortsetzung in das Passafest hinein: sein Leben und seinen Tod. Das Brot und der Wein wurden zum Zeichen der Befreiung. Freiheit funktioniert ja inzwischen nicht mehr so, dass man aus einem Unterdrückerstaat in die Wüste flieht. Es gibt keine leeren Gebiete mehr. Gemeinschaften der Freiheit müssen mittendrin entstehen. So wie Jesus mitten in Jerusalem das Abendmahl feierte, als ihn draußen schon die Wachen suchten.
Geschichten für das Leben
Und so erzählt das Abendmahl in konzentrierter Form die Geschichte von Jesus, der die Freiheitsgeschichte Israels zusammenfasst und erneuert. Sogar sein Tod war nicht das Ende, sondern er ist auferstanden. Seine Art zu leben, aus den Segensquellen Gottes, die trotz allem immer noch in der Schöpfung zu finden sind, war stärker. Ohne Gewalt zu leben; nicht auf Kosten anderer zu leben; niemanden klein zu machen, damit man selbst groß wird; in Frieden mit der Schöpfung zu leben und in Freundschaft mit Menschen, das ist Jesu Weg, den Gott bestätigt hat. Und wir erzählen uns selbst und allen anderen mit jedem Abendmahl die Geschichte Jesu. Aber wir erinnern uns nicht nur. Wir sind nicht nur Zuschauer, sondern wenn wir wie die Jünger damals vom Brot essen und aus dem Kelch trinken, dann werden wir selbst ein Teil dieser Geschichte.
Denn die ist noch nicht zu Ende, sondern sie geht weiter und wir entdecken immer neue Bedeutungen darin. Die großen Machtzusammenballungen, die Menschen unter ihre Kontrolle bekommen wollen, verändern ja immer wieder ihr Gesicht. Heute ist der ganze Planet und die Zukunft der Menschheit bedroht, weil die unersättliche Gier nur noch von wenigen Fesseln gebremst wird. Diese Gier verzehrt heute schon unsere Zukunft, und erst recht eure. Deswegen ist es so dringend nötig, dass wir mit dem Abendmahl davon erzählen, dass für alle genug da ist, wenn wir teilen; dass Solidarität leben lässt und der Egoismus tötet. Wir erinnern an Jesus, der nicht geraubt und gerafft hat, sondern geschenkt. Jesus muss eine ganz besondere Art gehabt haben, wie er das Brot ausgeteilt hat. Wenn sie das sahen, erkannten sie in ihm Gott, wie er gibt und schenkt. Nach seiner Auferstehung haben manche ihn an dieser Geste wiedererkannt, und im Abendmahl wird sie immer noch weitergegeben. Schenken und Teilen wie Jesus bewahrt das Leben.
Geschichten, die dringend gebraucht werden
Wenn an so vielen Orten in der Welt Feindschaft herrscht und Menschen sich mit wutverzerrten Gesichtern gegenüberstehen, wenn viele Milliarden ausgegeben werden, um anderen den Tod zu bringen, dann braucht es viele solcher Abendmahlstische: Zellen, wo Versöhnung gefeiert wird, wo Vertrauen unter den Menschen herrscht und wo wir die Geschichte vom lebensspendenden Gott erzählen, der die Welt mit Segen beschenkt. Gott will unser Leben und unsere Freiheit, und er hat sogar den Tod besiegt. Daran wird immer wieder erinnert, wenn wir Abendmahl feiern.
Dazu muss man kein Staatsmann und keine Konzernchefin sein, sondern das können wir ganz normalen Leute tun, überall auf der Welt. Wenn wir in diesem Bund mit Gott stehen, den Jesus im Abendmahl erneuert hat, dann schreiben wir an der Weltgeschichte mit. Nicht mit Bomben und Gewehren, sondern durch Brot und Wein, durch Hoffnung und Versöhnung, durch ein menschliches Maß, das nicht von unersättlicher Gier entstellt ist. Heute wissen im Grunde alle, dass die Welt auf einem äußerst gefährlichen Weg ist. Aber gleichzeitig denken alle: was soll ich kleiner Mensch denn tun gegen all diese Mächte, die unsere Welt im Griff haben? Aber Jesus hat uns einen Weg gezeigt, den jeder gehen kann, wo jeder wenigstens signalisieren kann: das ist nicht meine Sache, ich trage diese ganze Raffen und Gieren nicht mit. Wenigstens das können wir tun, und mal sehen, was Gott dann von seiner Seite aus tut.
Eine Geschichte, die wir weiterschreiben
Jesus wollte, dass sich seine Geschichte mit unserer persönlichen Lebensgeschichte verbindet; dass die Freiheitsgeschichte Israels sich ausweitet auf ganz normale Menschen überall auf der Welt. Und wenn ihr dann tatsächlich in 50 Jahren wieder zusammensitzen solltet, dann hoffe ich, dass ihr auch davon erzählen könnt, wie die Geschichte Jesu sich unter euch und in eurem Leben fortgesetzt hat, und wie Gott auch durch euch seine Schöpfung bewahrt und Frieden geschaffen hat. Dazu ist jeder berufen, und Jesus hat am letzten Abend vor seinem Tod einen Weg gezeigt, wie wir normalen Leute Teil dieser Geschichte werden können.