Der zündende Moment
Predigt am 24. Mai 2015 (Pfingstsonntag) zu Apostelgeschichte 2,1-18
5 ´Wegen des Pfingstfestes` hielten sich damals fromme Juden aus aller Welt in Jerusalem auf. 6 Als nun jenes mächtige Brausen vom Himmel einsetzte, strömten sie in Scharen zusammen. Sie waren zutiefst verwirrt, denn jeder hörte die Apostel und die, die bei ihnen waren, in seiner eigenen Sprache reden.
7 Fassungslos riefen sie: »Sind das nicht alles Galiläer, die hier reden? 8 Wie kommt es dann, dass jeder von uns sie in seiner Muttersprache reden hört? 9 Wir sind Parther, Meder und Elamiter; wir kommen aus Mesopotamien und aus Judäa, aus Kappadozien, aus Pontus und aus der Provinz Asien, 10 aus Phrygien und Pamphylien, aus Ägypten und aus der Gegend von Zyrene in Libyen. Sogar aus Rom sind Besucher hier, 11 sowohl solche, die von Geburt Juden sind, als auch Nichtjuden, die den jüdischen Glauben angenommen haben. Auch Kreter und Araber befinden sich unter uns. Und wir alle hören sie in unseren eigenen Sprachen von den wunderbaren Dingen reden, die Gott getan hat!«
12 Alle waren außer sich vor Staunen. »Was hat das zu bedeuten?«, fragte einer den anderen, aber keiner hatte eine Erklärung dafür. 13 Es gab allerdings auch einige, die sich darüber lustig machten. »Die haben zu viel süßen Wein getrunken!«, spotteten sie.
14 Jetzt trat Petrus zusammen mit den elf anderen Aposteln vor die Menge. Mit lauter Stimme erklärte er: »Ihr Leute von Judäa und ihr alle, die ihr zur Zeit hier in Jerusalem seid! Ich habe euch etwas zu sagen, was ihr unbedingt wissen müsst. Hört mir zu! 15 Diese Leute hier sind nicht betrunken, wie ihr vermutet. Es ist ja erst neun Uhr morgens. 16 Nein, was hier geschieht, ist nichts anderes als die Erfüllung dessen, was Gott durch den Propheten Joel angekündigt hat.
17 ›Am Ende der Zeit‹, so sagt Gott, ›werde ich meinen Geist über alle Menschen ausgießen. Dann werden eure Söhne und eure Töchter prophetisch reden; die Jüngeren unter euch werden Visionen haben und die Älteren prophetische Träume. 18 Sogar über die Diener und Dienerinnen, die an mich glauben, werde ich in jener Zeit meinen Geist ausgießen, und auch sie werden prophetisch reden.
Diese Geschichte möchte erklären, wie es dazu kam, dass eine überschaubare Gruppe von Männern und Frauen zu einer Bewegung wurde, die es schaffte, der Weltgeschichte eine neue Wendung zu geben, deren Konsequenzen wir bis heute nicht voll überblicken. Und sie schafften das, obwohl sie eine eingeschüchterte Minderheit waren, ohne offizielle Anerkennung, nicht besonders gut gebildet, Angehörige eines unterworfenen und ausgebeuteten Volkes, ein bunter Querschnitt der einfachen Bevölkerung.
Eine Geschichte, die der Erklärung harrt
Innerhalb von drei Jahrhunderten schaffte es diese Bewegung, die gewaltigste Machtmaschine, die die Welt bis dahin gekannt hatte, erfolgreich zu unterwandern und von innen her zu durchdringen: das römische Imperium. Es gibt ja viele Leute, die nicht glauben mögen, dass Jesus Wunder getan hat oder auferstanden ist oder überhaupt gelebt hat, oder die den Heiligen Geist für die Einbildung der Jünger halten, aber wer so denkt, verschiebt sein Problem nur, denn dann braucht er eine plausible Erklärung für diesen unglaublichen Aufstieg des Christentums.
Und diese unaufhaltsame Ausbreitung des christlichen Glaubens geschah gerade nicht durch viel Geld, denn das hatten sie damals gar nicht, es passierte auch nicht durch finstere Machenschaften der päpstlichen Kurie, denn die gab es damals noch nicht, sondern es geschah durch ganz normale Menschen wie dich und mich, Arbeiter, Sklaven, ein paar Gebildete und Wohlhabende waren auch dabei, eine bunte Mischung durchschnittlicher Leute.
Ein geplanter Brandherd
Aber sie waren durch Jesus drei Jahre lang vorbereitet worden, sie hatten die tiefe Depression nach seinem Tod durchgemacht, ebenso wie die unglaubliche Freude, dass er auferstanden war und ihre Geschichte mit ihm weiterging, sie hatten schließlich miterlebt, wie er wieder auf die verborgene Seite der Welt wechselte, in Gottes Himmel, und jetzt war sozusagen alles bereit, sie waren wie ein Haufen trockenes Holz, das über längere Zeit zusammengetragen worden ist, und zu Pfingsten hält Gott sein Streichholz daran, und der Haufen flammt auf.
Wenn man genau hinschaut, dann sieht man, dass Gott schon sehr lange geduldig diesen Brennstoff vorbereitet hat. Der Heilige Geist kam zu den Jüngern am Schawuot-Fest, dem jüdischen Wochenfest. Das ist einmal eine Art Erntedank-Fest, wo man in Israel schon die ersten Früchte der Getreideernte darbrachte und Gott um gutes Gelingen der ganzen Ernte bat. Und es ist gleichzeitig eine Erinnerung an die Gesetzgebung vom Sinai. Kreuzigung und Auferstehung Jesu geschahen ja beim Passafest, wo man die Befreiung aus der ägyptischen Sklaverei feierte. Und nun 50 Tage später die Erinnerung an den Moment, wo die Befreiten am Berg Sinai von Gott die Lebensordnung eines freien Volkes bekamen.
Von langer Hand vorbereitet
Sehen Sie, wie sich das Muster da wiederholt? Zuerst die Befreiung aus Unterdrückung und Tod, und dann die neue Lebensordnung für ein freies Volk. Der Heilige Geist ist die Energie, mit der der Sieg über Tod und Zerstörung, den Jesus errungen hat, nun in das Leben der Nachfolger Jesu transformiert wird. Und das geschieht mit dem Paukenschlag, dass der Fluch der unterschiedlichen Sprachen überwunden wird.
Wir kennen, denke ich, alle die Geschichte vom Turmbau zu Babel, wo die Verwirrung der menschlichen Kommunikation begonnen hat. Was uns nicht so präsent ist, das ist die gleich darauf folgende Geschichte von der Berufung Abrahams. Gott verspricht ihm, dass er ihn zu einem großen Volk macht, durch das der Segen Abrahams zu allen Völkern kommt. Da geht dann die Geschichte des jüdischen Volkes los. Über viele Wendungen, Wege und Umwege kommt dieser Weg schließlich bei Jesus an. Und jetzt, wo die ganze Jesusgeschichte abgeschlossen ist, da wird auch der Fluch von Babel überwunden. Der lange Spezialweg von Abraham und seiner Familie ist ans Ziel gekommen, und jetzt breitet sich das wieder über die ganze Welt aus. Und diese bunte Mischung von Völkern und Weltgegenden, die da aufgezählt werden, und die allen, die das vorlesen müssen, immer so viel Mühe machen, die steht schon für die beginnende weltweite Ausbreitung von Gottes Volk.
So tief reichen die Wurzeln der Pfingstgeschichte hinab in den Ursprung des Gottesvolkes. Und dann kommt das Fest der ersten Feldfrüchte, und da zeigen sich die ersten Menschen, in deren Leben die neue Welt anbricht. Und so wie die Erstlingsfrüchte ein Zeichen für die ganze Ernte sind, so sind diese ersten vom Heiligen Geist erfüllten Jünger Jesu das Zeichen dafür, dass Gott jetzt beginnt, die Ernte der ganzen Welt einzufahren. Diese Menschen hatte er im Sinn, als er die Welt schuf, die waren sein Ziel, als er das Leben auf der Erde säte.
Gottes aktueller Wille
Er hat sie durch Jesus aus der Knechtschaft der Todesmächte befreit, und jetzt gibt er ihnen die Lebensordnung, in der sie verbunden sein sollen, nämlich die Gegenwart des Heiligen Geistes. »Heiliger Geist« bedeutet ein lebendiges Gespür für Gottes Absichten und seine Wege. Das geht noch über die Offenbarung von Gottes Willen am Sinai hinaus. So sinnvoll und richtig die Gebote sind, ein lebendiges Gespür für Gottes aktuellen Willen ist mehr. Das hat es Jesus erlaubt, mit den alten Geboten kreativ umzugehen und das in ihnen verborgene Feuer zu hellem Glanz zu bringen. Und vorhin in der Lesung haben wir gehört (Johannes 14,26), dass Jesus es dem Heiligen Geist überlässt, uns die ganze Fülle der Wahrheit aufzuschließen, die er gebracht hat. Sogar seine eigenen Worte kommen erst durch den Heiligen Geist zu ihrer ganzen Fülle.
Was es konkret heißt, seine Feinde zu lieben, nach Gerechtigkeit zu hungern und zu dürsten und ein Friedenstifter zu sein, das ist nicht ein für allemal klar. Das muss man immer wieder herausfinden, man muss es sich zeigen lassen, man muss sich auf den Weg machen, und unterwegs wird sich herausstellen, wie das aussieht. Man weiß das vorher nicht. Wir können nur darauf vertrauen, dass der Geist es uns zeigen wird, wenn wir ihn hören wollen.
Oft unauffällig, aber nicht zu übersehen
Und das wird manchmal aufsehenerregende Folgen haben wie damals beim Schawuot-Fest in Jerusalem, und manchmal wird es für Außenstehende nur gelegentlich sichtbar werden. Damals haben sich die Gemeinden meistens unauffällig in den Nischen des Imperiums ausgebreitet, da, wo keiner groß hinschaute. Aber immer mal wieder haben die Menschen auch gemerkt, dass sich da etwas ausbreitete, das sie nicht verstanden. Sie hatten einfach keine Schublade, in das sie das einordnen konnten, und machten sich ihren eigenen Reim darauf. So wie einigen für die Begleiterscheinungen des Heiligen Geistes am Pfingsttag keine bessere Erklärung einfiel als ein kräftiger Rausch. Manche Leute müssen eben immer an Alkohol denken.
Und es sieht für den durchschnittlichen Betrachter immer ein wenig verrückt aus, wenn Gottes Geist in Aktion ist. Es ist eine andere Logik dahinter als die normalen Selbstverständlichkeiten der Gesellschaft. Menschen gehen dann scheinbar unnötige Risiken ein, oder ihnen sind andere Dinge wichtig; sie können Heilung bringen für Verwerfungen, die die Gesellschaft sonst irgendwo tief im Keller weggeschlossen hat. Sie bringen Frieden, wo die anderen unlösbare Konflikte sehen und sie beharren auf Problemen, die sonst niemand sehen will. Und immer tragen sie in sich den Kompass des Heiligen Geistes, der ihnen auch in unübersichtlichen Lagen den Weg zeigt. Es gibt schon genug Gelegenheiten, wo man auf diese Gemeinschaft des Heiligen Geistes aufmerksam werden kann.
Aber wer sich davon nicht von seinem Weg abbringen lassen will, der hat die Wahl, das Ganze zu ignorieren, es falsch zu verstehen oder es zu bekämpfen. Und all das passiert, immer wieder. Deshalb gibt es auch immer wieder die Zeiten, wo das trockene Holz erst gesammelt und aufgehäuft wird. Wir selbst sind ja auch Leute, die sich nicht unbedingt in ihrem Lebenskonzept stören lassen wollen. Da muss erst einiges zusammen kommen, bis wir reif sind für das göttliche Streichholz.
Hoffnungsvolle Außenseiter
Die Jünger und Jüngerinnen damals in Jerusalem waren nach der Himmelfahrt Jesu 10 Tage beieinander und warteten auf ihn. Können Sie sich vorstellen, dass das heute Menschen tun? Sich 10 Tage ausstrecken nach etwas, was man noch nie erlebt hat? Nicht zwischendurch zur Arbeit gehen oder die Küche renovieren oder Besuche machen oder was auch immer an wichtigen und guten Dingen sich aufdrängt?
Aber sie waren sich sicher, dass Gott durch sie etwas tun würde, nicht durch die Priester, die Gelehrten oder die Terroristen. Können Sie sich vorstellen, dass Menschen so viel Hoffnung mit einer Gruppe verbinden, zu der nur sie selbst und ein paar andere ähnliche Menschen gehören – eine Gruppe ohne offiziellen Namen, ohne Geld, ohne Werbung, ohne Dachorganisation, nur in einem Privathaus, angewiesen allein auf die persönliche Kraft, die sich unter ihnen entfaltet – oder vielleicht auch nicht entfaltet?
So blieben sie beieinander, auch als das Fest begann und draußen das Leben tobte. Spätestens der Tod Jesu hatte sie entwurzelt, hatte sie an den Rand der Gesellschaft verpflanzt. Sie konnten nicht mehr einfach mit allen anderen zusammen feiern, die noch vor ein paar Wochen geschrien hatten »Kreuzige ihn!«. Sie waren sozusagen heimatlos geworden in ihrer Gesellschaft, es war ihnen alles fraglich geworden. Können Sie sich vorstellen, dass Menschen sich freiwillig in so eine Position am Rande der Gesellschaft begeben, sich verabschieden von all den großen Dingen, hinter denen sonst alle her sind? Und erwarten, dass gerade da etwas Unvergleichliches passieren wird, was den Lauf der Geschichte ändert? Aber nur wer anders ist, kann neue Wege gehen, die am Ende alle weiterbringen.
Vor Überraschungen ist keiner sicher
Verstehen Sie: da muss erst einiges zusammen kommen bis das göttliche Feuer fallen kann. Deshalb ist es oft zu denen gekommen, die sowieso schon irgendwie am Rande der Gesellschaft standen. Die nicht mehr viel zu verlieren hatten.
Aber Gott lässt überall seine verführerische Stimme hören, und manchmal überfällt er uns, wenn es keiner erwartet. Niemand ist davor sicher. Hinterher haben es alle immer kommen sehen, aber vorher hat es kaum einer geahnt. Deshalb: es ist richtig, in Erwartung zu leben und auf die Stimme des Windes und des Feuers zu lauschen. Es ist richtig, die Sehnsucht lebendig zu halten. Wir wissen nie, ob wir in Zeiten des Holzsammelns oder in Zeiten der hellen Flamme hineingehen. Ausschau zu halten nach dem guten Geist Gottes ist immer richtig. Egal, ob wir es mit der schwachen Glut zu tun bekommen oder mit der hellen Flamme: wir haben immer Anteil am ganzen Weg Gottes durch seine Welt, und wir sollen auf der Wegstrecke, die uns zugewiesen ist, mutig vorangehen.