Ermüdend, andere zu motivieren
Predigt am 20. Mai 2018 (Pfingsten) mit 4. Mose 11,11-25
10 Als nun Mose das Volk weinen hörte, alle Geschlechter miteinander, einen jeden in der Tür seines Zeltes, da entbrannte der Zorn des HERRN sehr. Und auch Mose verdross es. 11 Und Mose sprach zu dem HERRN: Warum bekümmerst du deinen Knecht? Und warum finde ich keine Gnade vor deinen Augen, dass du die Last dieses ganzen Volks auf mich legst? 12 Hab ich denn all das Volk empfangen oder geboren, dass du zu mir sagen könntest: Trag es in deinen Armen, wie eine Amme ein Kind trägt, in das Land, das du ihren Vätern zugeschworen hast? 13 Woher soll ich Fleisch nehmen, um es all diesem Volk zu geben? Sie weinen vor mir und sprechen: Gib uns Fleisch zu essen. 14 Ich vermag all das Volk nicht allein zu tragen, denn es ist mir zu schwer. 15 Willst du aber doch so mit mir tun, so töte mich lieber, wenn anders ich Gnade vor deinen Augen gefunden habe, damit ich nicht mein Unglück sehen muss.
16 Und der HERR sprach zu Mose: Sammle mir siebzig Männer unter den Ältesten Israels, von denen du weißt, dass sie Älteste im Volk und seine Amtleute sind, und bringe sie vor die Stiftshütte und stelle sie dort vor dich, 17 so will ich herniederkommen und dort mit dir reden und von deinem Geist, der auf dir ist, nehmen und auf sie legen, damit sie mit dir die Last des Volks tragen und du nicht allein tragen musst. 18 Und zum Volk sollst du sagen: Heiligt euch für morgen, so sollt ihr Fleisch zu essen haben; denn euer Weinen ist vor die Ohren des HERRN gekommen, die ihr sprecht: »Wer gibt uns Fleisch zu essen? Denn es ging uns gut in Ägypten.« Darum wird euch der HERR Fleisch zu essen geben, 19 nicht nur einen Tag, nicht zwei, nicht fünf, nicht zehn, nicht zwanzig Tage lang, 20 sondern einen Monat lang, bis ihr’s nicht mehr riechen könnt und es euch zum Ekel wird, weil ihr den HERRN verworfen habt, der unter euch ist, und weil ihr vor ihm geweint und gesagt habt: Warum sind wir aus Ägypten gegangen? 21 Und Mose sprach: Sechshunderttausend Mann Fußvolk sind es, mit denen ich lebe, und du sprichst: Ich will ihnen Fleisch geben, dass sie einen Monat lang zu essen haben. 22 Kann man so viele Schafe und Rinder schlachten, dass es für sie genug sei? Oder kann man alle Fische des Meeres einfangen, dass es für sie genug sei?
23 Der HERR aber sprach zu Mose: Ist denn die Hand des HERRN zu kurz? Aber du sollst jetzt sehen, ob sich mein Wort an dir erfüllt oder nicht. 24 Und Mose ging heraus und sagte dem Volk die Worte des HERRN und versammelte siebzig Männer aus den Ältesten des Volks und stellte sie rings um die Stiftshütte. 25 Da kam der HERR hernieder in der Wolke und redete mit ihm und nahm von dem Geist, der auf ihm war, und legte ihn auf die siebzig Ältesten. Und als der Geist auf ihnen ruhte, gerieten sie in Verzückung wie Propheten und hörten nicht auf.
Das ist eine Geschichte aus der Wüstenzeit Israels, als sie aus der ägyptischen Sklaverei aufgebrochen waren und auf dem Weg in das Land waren, wo sie als freies Volk leben sollten. Es ist die Ursituation des Wegs in die Freiheit, und da haben sie im Prinzip alles schon einmal durchexerziert, was dann im Rest der Bibel immer wieder in neuer Gestalt begegnet: auf die Befreiung durch Gott folgt der lange Weg, auf dem sie dann auch wirklich selbst freie Menschen werden sollen. Und das ist eine ganz mühsame Angelegenheit.
Sehnsucht nach der guten alten Unfreiheit
Den ehemaligen Sklaven steckt die Sklaverei immer noch in den Knochen, und im Rückblick verklären sie die Zeit im Ägypten und sagen: eigentlich war das doch gar nicht so schlecht! Wenn man mal von der Arbeit absieht, hatten wir da wenigstens zu essen: Fische und Gurken und Melonen und Lauch und Zwiebeln und Knoblauch, ah, lecker war das, gar kein Vergleich zu dem eintönigen Manna hier in der Wüste. Dieses Manna ist eklig. Da breitet sich eine Stimmung aus, wie wenn auf der Klassenfahrt das Essen nicht schmeckt. Oder wie wenn manche Leute früher sagten: Hitler hat wenigstens die Autobahnen gebaut, und da herrschte noch Zucht und Ordnung! Wenn man mal vom verlorenen Krieg absieht, war das damals eine tolle Zeit!
Es ist eine erstaunliche Erfahrung, wie hartnäckig Menschen festhalten an der guten alten Unfreiheit, sobald der Weg in die Freiheit anstrengend oder unangenehm wird. Ein paar Jahrhunderte später wird das Volk sagen: wir wollen einen König wie die anderen Völker auch, wir wollen nicht immer diese Sonderrolle, anders sein zu müssen und anders zu leben als die anderen, wir wollen doch auch mal royal weddings haben, diese tollen Hochzeiten!
Und später bei Jesus verabschieden sich eine ganze Menge Jünger zwischendurch, weil es ihnen zu hart erscheint, was er von ihnen verlangt, zu anspruchsvoll, vor allem aber: zu weit weg von dem, was alle anderen denken. Oder aber sie wollen es einfach nicht begreifen, was Jesus vor hat, und er sagt dann: wie lange muss ich denn noch bei euch sein, bis ihr endlich versteht?
Ermüdendes Gemecker
Und da ist Jesus ganz nah bei Mose, der sich hier in der Geschichte bei Gott beklagt: womit habe ich das verdient, dass ich mich mit diesen Idioten herumschlagen muss, mit diesen Leuten, die so schnell vergessen, was sie dir verdanken? Ich habe die Nase voll von diesem ewigen Gemecker und Gejammer, das ist zu viel für mich, ich kündige! Und wahrscheinlich ist es so ziemlich jedem Verantwortlichen im Volk Gottes schon mal so gegangen, dass er Gott im Stillen gesagt hat: womit habe ich das verdient, dass ich diese Bande auf Kurs halten soll?
So, das war ein langer Anmarsch, vielleicht haben Sie schon gedacht, ich hätte vergessen, dass heute Pfingsten ist, das Fest des Heiligen Geistes. Aber wir mussten erst die Frage verstehen, auf die der Geist dann die Antwort ist.
Liebe zur Freiheit, Liebe zum Leben
Also: es geht darum, wie Gott es schafft, dass Menschen seine Freiheit als ihre eigene Sache ansehen, dass sie nicht immer wieder erst mühsam erinnert und überzeugt werden müssen, sondern dass sie für Gottes Freiheit um ihrer selbst willen eintreten, nicht weil die Freiheit profitabler oder bequemer wäre, sondern weil sie den befreienden Gott lieben, um seiner selbst willen, nicht weil er ihnen ein besseres Leben gibt, sondern weil Gott so ist, wie er ist. Wir wären doch auch irgendwie nicht zufrieden, wenn jemand zu uns sagt: ich liebe dich von ganzem Herzen, weil deine Bratkartoffeln immer so köstlich schmecken. Ok, Liebe geht bekanntlich durch den Magen, aber irgendwie würden wir uns doch unbehaglich fühlen, wenn wir nur deswegen geliebt würden, weil wir ein Händchen für Bratkartoffeln haben.
Und so möchte Gott eigentlich auch um seiner selbst willen geliebt werden, für das, was er im Herzen trägt, und nicht, weil er uns das Leben immer so schön leicht und mühelos macht oder uns mit anderen Prämien versorgt. Aber wie geht das? Wie soll er das schaffen? Das ist das Problem, auf das der Geist von Pfingsten die Antwort ist. Gott sendet seinen Geist. Gott zieht Menschen auf die andere Seite, auf seine Seite. Gott sorgt dafür, dass er hier auf der Erde Menschen hat, die auch diese Liebe zur Freiheit und die Liebe zum Leben entwickeln wie er.
Mit brennendem Herzen
Mose war so einer. Dem hat die Liebe zum Leben und zur Freiheit von Anfang an im Blut gesteckt. Das hat ihn am Anfang zum Terroristen gemacht, und Gott musste auch ihn erst für eine Zeit in die Wüste schicken, bis er so weit war, dass er sein Volk in die Freiheit führen konnte. Aber diese Liebe zur Freiheit war sein großes Plus. In der Wüste hat er schließlich verstanden, von wem diese Freiheit kommt. Aber dafür gebrannt hat er sein ganzes Leben lang. Das war der Geist, der auf Mose lag.
Aber selbst jemand mit diesem starken Geist kann irgendwann so weit sein, dass er alles hinschmeißen will. Irgendwann ist man es leid, wenn man immer wieder so einen Haufen auf Linie halten soll, dem die Sklavenmentalität hartnäckig in den Knochen sitzt. Und dann sagt Mose, mit vielen anderen Verantwortlichen im Volk Gottes: Gott, kümmer du dich drum, es war schließlich deine Idee und nicht meine. Du hast dieses Projekt Freiheit ins Leben gerufen, nicht ich.
Ausgebrannte Verantwortliche
So verschleißen im Volk Gottes viele Leiter, weil es so mühsam ist, die Motivation anderer mit der eigenen zu stützen.
Mose benutzt dafür zwei ganz zentrale Bilder: das vom Ernähren und vom Tragen. Die Menschen erscheinen ihm wie unmündige Babies, die immer nur versorgt werden wollen, haben wollen, und wenn sie es nicht bekommen, dann schreien sie. Und bis heute ist es ja so, dass Menschen im Volk Gottes dieses Bild benutzen und sagen: wir wollen geistlich ernährt werden! Und genauso dieses Bild vom Tragen: dass Menschen nicht selbst losgehen und sich auf den Weg in die Freiheit machen, sondern dass sie am liebsten jemanden haben möchten, der ihnen diese Mühe abnimmt und sie motiviert und ihnen gut zuredet, und sie immer wieder daran erinnert, worum es geht, so dass sie möglichst nicht selbst diese Energie der Entscheidung aufbringen müssen. Sie bedienen sich an der Energie der Gottesmänner und -frauen.
Und die Lösung Gottes für dieses Problem ist, dass er auch noch anderen von dem Geist des Mose gibt, siebzig Ältesten, die scheinbar schon gewohnt sind, Verantwortung zu tragen. Und dann ist Mose jedenfalls nicht mehr der Einzige, sondern er hat Verstärkung bekommen, andere, die seine Lage teilen. So wie Jesus seit Pfingsten die weltweite Christenheit hat, die er auf seine Seite gezogen hat, die seine Liebe zum Leben und zur Freiheit teilt, aber damit auch diese prekäre Situation, dass man andere mit viel gutem Zureden, mit Schieben und Ziehen in die Richtung bringt, die gut für sie ist, obwohl sie selbst es gar nicht unbedingt wollen.
Gottes Mühe teilen
Vielleicht ist das auch manchmal der tiefste Grund, weshalb Menschen zögern, sich auf ein Leben mit Jesus Christus einzulassen. Sie ahnen, dass sie dann auch diesen Teil seiner Rolle ein Stück weit auf sich nehmen müssen: andere Menschen zu tragen auf dem Weg in die Freiheit, ein Weg, den sie selbst eigentlich nicht wirklich wollen, wenn er mühsam wird.
Man kann sagen: Gott selbst leidet daran, dass Menschen so sind, wie sie sind. Manchmal scheint das auch in der Bibel auf, dass Gott selbst müde wird, weil er seinen Menschen den Weg freigemacht hat, und sie müssten ihn nur noch gehen, und dann sagen sie: ach nee, ich weiß nicht. Und so hat zum Leiden Jesu nicht nur das Kreuz gehört, sondern auch das hartnäckige Festhalten seiner Jünger an den allgemeinen Denkmustern.
Deswegen der Geist. Der Geist pflanzt die Motivation in Menschen ein, dass sie die Sehnsucht Gottes selbst im Herzen haben, dass sie aus eigenem Antrieb die Freiheit im Herzen tragen, und nicht, weil es ihnen jemand vorgeschrieben oder eingeredet hat. Das ist immer ein Wunder, wenn Gott Menschen auf seine Seite zieht, wenn er dafür sogt, dass sie selbst für seine Sache brennen und sich nicht bloß vom fremden Feuer wärmen lassen wollen.
Ein Umbau mit heftigen Nebenwirkungen
Und weil das Menschen so vom Kopf auf die Füße stellt, deshalb ist das manchmal mit heftigen Nebenwirkungen verbunden. Die 70 würdigen Ältesten »gerieten in Verzückung«, wie Luther es übersetzt. Sie gerieten in eine Art Ekstase, sie redeten in Zungen, sie tanzten oder sangen, sie ließen auf jede Art ihre Ehrwürdigkeit hinter sich, weil bei ihnen im Kopf alles durcheinander ging. So ähnlich wie in der Pubertät, wo ja auch vorm menschlichen Gehirn ein Schild hängt »Wegen Umbau außer Betrieb«, so war auch bei denen kurzfristig die Selbstkontrolle wegen Überlastung ausgefallen. Auch das finden wir in der Bibel immer wieder: je mehr Gottes Geist umbauen muss, um so heftiger sind die Reaktionen. Einen wie Paulus musste Gott erst brachial aus dem Verkehr ziehen – Bumm! Bei Maria Magdalena reichte ein kurzes Antippen, und alles war klar.
Kreative Minorität
Gott macht es bei jedem wieder anders, aber am Ende hat er dann Menschen, die sein Herz und seine Leidenschaft teilen. Menschen, die bereit sind, auch diese Last auf sich zu nehmen, die er trägt, die Last der ganzen Menschheit, die sich von ihm abgewandt hat und in ihr Verderben läuft. Gott beeinflusst die Welt durch seine kreativen Minderheiten, die nie die Mehrheit haben, aber von der Wahrheit bewegt sind. Die Wahrheit lässt uns leben, die Wahrheit öffnet uns die Augen dafür, wer wir sind und zu welcher Herrlichkeit wir berufen sind. Aber man kann sie nicht haben, ohne die Last Gottes zu teilen, seine Mühe, wenn er die Welt zurückholen will, und auch das Leid, mit dem Gott an Gewalt und Lüge in der Welt leidet.
Pfingsten ist es geschehen, dass Gott einen fulminanten Anfangspunkt gesetzt hat. Da hat er eine große Menge Menschen auf seine Seite gezogen, eine kritische Masse gebildet, die von nun an die Wahrheit und die Freiheit Gottes in ihre Umgebung hinein ausstrahlt. Menschen, in deren Herz ein Stück von Gottes Herzen gepflanzt war und die deshalb auch bereit sind, Gottes Last mit der Welt auf sich zu nehmen.
Das Menschen so auf eine andere Spur geraten, das können sie vorher nicht planen. Das können sie vorher noch nicht einmal wollen. Im Nachhinein sind wir froh darüber. Aber damit es soweit kommt, braucht es immer wenigstens ein klein bisschen Überwältigung. Im Rückblick sagen wir dann: das war der Heilige Geist. Ohne ihn wäre ich nicht da, wo er mich hingezogen hat.