Wenn alles neu zusammengesetzt wird
Predigt am 23. November 2008 (Ewigkeitssonntag) zu 2. Petrus 3,8-13
8 Meine Lieben, eines dürft ihr dabei nicht übersehen: Beim Herrn gilt ein anderes Zeitmaß als bei uns Menschen. Ein Tag ist für ihn wie tausend Jahre, und tausend Jahre wie ein einziger Tag. 9 Der Herr erfüllt seine Zusagen nicht zögernd, wie manche meinen. Im Gegenteil: Er hat Geduld mit euch, weil er nicht will, dass einige zugrunde gehen. Er möchte, dass alle Gelegenheit finden, von ihrem falschen Weg umzukehren.
10 Doch der Tag des Herrn kommt unvorhergesehen wie ein Dieb. Dann wird der Himmel prasselnd vergehen, die Elemente werden im Feuer aufgelöst, und die Erde und alles, was auf ihr ist, wird gefunden werden. 11 Wenn ihr bedenkt, dass alles auf diese Weise aufgelöst wird, was für ein Ansporn muss das für euch sein, ein heiliges Leben zu führen, das Gott gefällt! 12 Lebt in der Erwartung des großen Tages, den Gott heraufführen wird! Tut das Eure dazu, dass er bald kommen kann. Der Himmel wird dann in Flammen aufgelöst werden, und die Himmelskörper werden zerschmelzen. 13 Aber Gott hat uns einen neuen Himmel und eine neue Erde versprochen. Dort wird es kein Unrecht mehr geben, weil Gottes Wille regiert. Auf diese neue Welt warten wir.
Das sind drastische Bilder von der Vergänglichkeit aller Dinge, vom Ende der Wirklichkeit, die wir kennen, aber sie sind getragen von einer großen Hoffnung. Alles was hier über die Begrenzung unserer Wirklichkeit gesagt wird, das hat sein Fundament in der Erwartung einer neuen Welt, die kommen wird, einer Welt ohne Leid und Tod, wo nicht mehr geklagt und geweint werden muss.
Gottes neue Welt hat sich gezeigt, als Jesus von den Toten auferstand. Er ist schon ein Teil dieser neuen Wirklichkeit, die jenseits der Grenzen unserer Welt beginnt. Das ist der Angelpunkt, von dem Petrus her denkt: an diesem einen Punkt haben er und die anderen Freunde Jesu es schon erlebt, dass die kommende Welt Realität ist. Sie ist hineingekommen mitten in die alte Welt, und wir können jetzt schon zu ihr gehören. Wir können zum auferstandenen Jesus gehören, so dass sein Auferstehungsleben in uns wächst, und dann ist da etwas, was unzerstörbar ist, eine Quelle des Lebens, ein Weg, der die Grenzen unserer Welt überwindet und in der neuen Welt endet.
Und von dieser Hoffnung getragen sagt Petrus: dann kann die alte Welt, die wir kennen, auch zu Ende gehen mit all ihrem Schmerz und Leid und Unrecht. Wir müssen sie nicht festhalten, weil ja schon die neue Welt wartet, und sie wird endlich so sein, wie Gott sie schon immer gewollt hat. Da wird sein Plan verwirklicht. Da gibt es keine Zerstörung mehr, keine Enttäuschungen, keine abgeschnittenen Beziehungen. Keiner kann jetzt schon richtig beschreiben, was für eine Schönheit da auf uns wartet, keiner kann sich jetzt schon ausmalen, wie wir aufblühen werden, wenn unser Leben nicht mehr im Schatten des Todes steht.
Denn in jedem Tod erleben wir jetzt schon etwas von der Vergänglichkeit der Welt. Jeder menschliche Tod ist eine Erinnerung an die Begrenztheit der ganzen Welt. Deswegen überfällt uns der Tod immer als bedrohliche, erschreckende Macht, weil sich in jedem einzelnen Tod schon das Ende der ganzen Welt, wie wir sie kennen, ankündigt.
Aber Petrus arbeitet mit dem, was er schreibt, daran, dass wir das auf eine neue Weise sehen und verstehen. Nicht mehr als schwarze Bedrohung, sondern als einen schmerzhaften Riss in der Welt, hinter dem sich trotzdem schon etwas von der kommenden Welt ankündigt. Wenn wir wissen, dass da eine neue Welt voller Gerechtigkeit auf uns wartet, dann können wir auch ehrlich davon sprechen, wie sehr wir jetzt manchmal leiden an der Welt, in der wir jetzt noch leben.
Wenn ich mit Menschen zurückschaue auf das Leben eines verstorbenen Menschen, dann bin ich immer so dankbar, wenn sie offen auch von den Schwierigkeiten sprechen, die sie mit dem Verstorbenen hatten, und der wahrscheinlich auch mit ihnen. Klar, das muss dann nicht alles öffentlich ausgebreitet werden, aber es ist für uns alle so viel besser und einfacher, wenn wir die Wirklichkeit nicht um jeden Preis schön reden. Das gilt für jedes einzelne Menschenleben genauso wie für die Welt im Ganzen. Es gibt tatsächlich so viel Schwieriges und Schmerzhaftes, so viel Enttäuschungen und Verletzungen, so viel tolle Möglichkeiten, die ungenutzt verstrichen sind, so viel Leid und Barrieren zwischen Menschen, und am Ende steht der Abschied, und wie oft müsste eigentlich noch so viel gesagt werden, aber es ist nicht mehr dazu gekommen.
Das ist die Macht des Todes, und wir sind ihr ohne Schutz ausgeliefert, wenn wir nichts von der neuen Welt wissen, die nicht mehr im Schatten des Todes lebt. Und auch wenn wir das eigentlich wissen, dann müssen wir doch oft erst wieder daran erinnert werden, dass das Leben schon da ist und dem Tod die Herrschaft streitig macht. Gerade wenn wir plötzlich und ohne Vorbereitung ganz nah bei uns auf die Zerstörung stoßen, müssen wir erst wieder zurückfinden zum Vertrauen auf das Leben.
Ich hatte neulich wieder Dienst als Notfallseelsorger, und da wurde ich zum Bahnhof gerufen. Da hatte sich ein Mann auf die Schienen gelegt und von einem Zug überrollen lassen, und sie haben mich geholt, damit sich jemand um den Lokführer kümmert. Der Lokführer durfte auch jetzt seinen Führerstand nicht verlassen, bis seine Ablösung kam und die Polizei mit ihrer Arbeit zu Ende war. Und dann habe ich also da zum ersten Mal in meinem Leben im Führerstand einer Lokomotive gesessen, zusammen mit diesem jungen Mann, der von einem Augenblick zum anderen der Realität von Zerstörung und Tod begegnet ist, so plötzlich, wie das sonst nur wenige erleben müssen. Im Fernsehen haben wir schon ungezählte Tode gesehen, aber das ist etwas ganz anderes, wenn da auf einmal jemand merkt: das ist jetzt Ernst. Und es passiert mir. Und das erschüttert unsere Zuversicht, dass diese Welt ein guter und sicherer Ort zum Leben ist.
Wie hilft man einem Menschen, der das gerade erlebt hat? Klar, ich habe mit ihm darüber gesprochen, habe mir erzählen lassen, wie er das erlebt hat, und es war ganz deutlich, dass ein Lokführer gar keine Möglichkeit hat, den Zug noch zum Stehen zu bringen, wenn er in der Dunkelheit vor sich eine Bewegung an den Schienen sieht. Und er hat sich auch keine Vorwürfe gemacht. Und trotzdem ist das ein Angriff auf unser ganzes Vertrauen in die Welt, wenn wir so etwas von ganz nah miterleben müssen.
Ich habe dann mit ihm gebetet, damit er zurückfindet in das Vertrauen, dass der Tod eben nicht das letzte Wort hat. In solchen Situationen brauchen wir einen anderen, der uns erinnert an das, was wir eigentlich wissen, was aber in diesem Moment ganz weit weg ist. Auf dieser Lok mit ihren summenden Maschinen und Ventilatoren und den ganzen Rettungsdiensten und Leuten von der Bahn und der Polizei draußen haben wir uns daran erinnert, dass diese Welt des Todes zum Glück ihre Grenze hat und dass Gottes Leben stärker ist. Wir haben wieder Kontakt aufgenommen mit dem Vater des Lebens und der warme Strom von Gott her hat die Kälte des Todes vertrieben.
Wenn man sich gegen die Überwältigung durch solche Erlebnisse wehren muss, dann geht das am besten, indem man sich von neuem anschließt an Gottes Macht, der aufgestanden ist gegen alle Art von Zerstörung seiner Geschöpfe. Und die Worte und das Nachdenken und Reden öffnen einem den Weg, bis man dann selbst wieder das Licht Gottes sieht und sein Gegenüber spürt und in seine Gegenwart kommt.
Fast jeder Mensch ahnt etwas davon. Wahrscheinlich gar nicht so sehr von Natur aus, sondern weil unsere Kultur auch heute noch überall von der Auferstehung Jesu geprägt ist. Aber wir müssen daran erinnert werden, diese Ahnung muss erst wieder aufgeweckt werden, damit sie kein toter Satz bleibt, sondern zur lebendigen Hoffnung wird, aus der wir leben können.
Ich werde dem jungen Mann vermutlich in diesem Leben nie wieder begegnen. Ich werde nie erfahren, ob er schnell über dieses Ereignis weggekommen ist oder ob es ihn vielleicht noch lange bedrückt hat. Oder ob es für ihn sogar ein Anlass geworden ist, auch in Zukunft noch viel mehr nach Gottes Gegenwart Ausschau zu halten. Vielleicht werden wir irgendwann im gleichen Zug fahren, er auf der Lok und ich irgendwo in einem Wagen, und wir werden es nicht wissen. Und trotzdem teilen wir diesen Moment, in dem der kalte Hauch des Todes vertrieben wurde von dem Leben Gottes. Und dieser Moment gehört schon in die neue Welt hinein, er ist ein Teil des neuen Lebens und der neuen Schöpfung.
Bestimmt hätte ich es auch besser machen könne, bestimmt hätte ich auch noch bessere Worte finden können, aber in aller Vorläufigkeit war da mitten in diesem Leben schon etwas von der neuen Welt zu sehen, ein winziger Mosaikstein von dem Bild, das Gott uns eines Tages ganz zeigen wird. Und jetzt, wo ich es Ihnen erzählt habe, da gehört diese Geschichte auch zu Ihnen, und sie soll auch mit Ihnen durch die Welt gehen und in Ihrem Leben weitergehen.
Vielleicht haben Sie sich vorhin, als ich den Bibeltext vorgelesen habe, gewundert bei diesen ganzen Bildern vom Feuer und der Zerstörung der alten Welt. Aber wenn man genau hinsieht, dann steht da eigentlich immer wieder ein Ausdruck, der wörtlich übersetzt »auflösen« bedeutet. Gott wird seine Welt nicht zunichte machen, sondern er wird die Verbindung, in dem die Einzelteile jetzt stehen, auflösen und alles ganz neu zusammensetzen. Das ganze Mosaik wird noch einmal zu einem neuen Bild. Das ist dann tatsächlich das Ende der Welt, wie wir sie kennen. Und für jeden, der nichts anderes kennt als die Welt, wie sie jetzt ist, wird das die ultimative Katastrophe sein.
Aber es wird die Dinge geben, die bleiben. Es gibt mitten in der Welt des Todes schon ewiges Leben, das dem Tod und seiner Macht trotzt. Es gibt jetzt schon diese Momente, in denen Gott unser Leben berührt, und die er in seine neue Welt übernimmt. Sie bekommen dann einen neuen größeren Zusammenhang, sie werden dann im Licht Gottes ganz neu leuchten, aber sie werden nicht zerstört und nicht vergessen werden.
Und Gott gibt uns Zeit, damit wir in den Jahren unseres Lebens schon den Geschmack der neuen Welt kennenlernen und unser Leben aus dieser Hoffnung und Freude heraus gestalten. Damit wir unsere Bündnisse mit dem Tod in jeder Gestalt kündigen und dem Leben in uns und um uns herum Raum schaffen.
Wer davon weiß, dass Gott eine neue Welt schafft, der wird diesem Tag mit großer Hoffnung entgegensehen. Da werden wir endlich ganz erlöst werden von der Bedrohung durch den Tod, wir werden uns nicht mehr gegenseitig das Leben schwer machen, Leid und Abschied sind Vergangenheit, und wir werden in einer Schönheit leben, die wir jetzt vielleicht in Spitzenmomenten ein wenig ahnen können.
Unser Leben lang hat Gott uns zugeflüstert, dass er etwas unsagbar Gutes für uns bereithält. Er hat es uns zugeflüstert im Wind und im Lachen guter Freunde. Wir haben etwas von ihm geahnt, als wir unser erstes Kind im Arm gehalten haben oder als wir unter einem Himmel voller Sterne standen. Aber er spricht zu uns auch in Zeiten großen Leides und weckt in uns diese Sehnsucht nach Liebe, nach Heilsein, nach Schönheit und Freude. Vielleicht haben wir diese Stimme nicht verstanden oder nicht gewusst, dass es Gottes Stimme war, vielleicht haben wir sie überhört oder schnell wieder vergessen, weil sie nicht zu unserem Lebenskonzept passt, aber es ist die Stimme, die uns einmal ins Leben gerufen hat, die Stimme, die zu hören wir uns von jeher gesehnt haben. Und diese Stimme ist vertrauenswürdig. Bleiben Sie in Kontakt mit dieser Stimme. Gehen Sie dahin, wo diese Stimme zu hören ist. Lassen Sie das Schlimme, was Menschen erleben, nicht umsonst passiert sein! Denn in guten und schlechten Zeiten findet Gott Wege, um uns zu anzusprechen. Halten Sie das Geschenk fest, das da verborgen ist!