Versöhnung mit Gottes Schöpfung
Predigt beim Artenreich-Seminar im Haus Sonneck (Marburg) am 14. Mai 2023 mit 2. Korinther 5,17-21
17 Wenn also jemand in Christus ist, dann ist er eine neue Schöpfung: Das Alte ist vergangen, siehe, Neues ist geworden. 18 Aber das alles kommt von Gott, der uns durch Christus mit sich versöhnt und uns den Dienst der Versöhnung aufgetragen hat. 19 Ja, Gott war es, der in Christus die Welt mit sich versöhnt hat, indem er ihnen ihre Verfehlungen nicht anrechnete und unter uns das Wort von der Versöhnung aufgerichtet hat. 20 Wir sind also Gesandte an Christi statt und Gott ist es, der durch uns mahnt. Wir bitten an Christi statt: Lasst euch mit Gott versöhnen! 21 Er hat den, der keine Sünde kannte, für uns zur Sünde gemacht, damit wir in ihm Gerechtigkeit Gottes würden.
Wenn Paulus den fundamentalen Wandel beschreiben soll, um den es geht, wenn Menschen zu Jesus Christus gehören, dann hat er dafür kein besseres Wort als „neue Schöpfung“. Billiger geht es nicht. Da fängt etwas grundlegend Neues an, und wer es weniger radikal beschreibt, der trifft die Sache nicht.
Nichts bleibt so, wie es war
„Neue Schöpfung“ – das heißt, es ist nichts mehr selbstverständlich. Alles, was früher mal gegolten hat, muss auf den Prüfstand, und viele Selbstverständlichkeiten, die früher für alle klar waren, gelten jetzt nicht mehr. Was wirklich wichtig ist, wonach man Menschen beurteilt, wovor man Angst hat, worauf man auf: alles ändert sich.
Natürlich ist Paulus klar, dass das nicht von einem Tag zum anderen kommt: es gibt keine Automatik, die einsetzt, wenn jemand getauft wird oder sich für Jesus Christus entschieden hat. Sondern das ist ein Weg, auf dem man Stück für Stück alle Selbstverständlichkeiten überprüft die bisher gegolten haben.
Ich vergleiche das mal damit, wie man einen Garten darauf umstellt die Artenvielfalt zu unterstützen: es reicht nicht, den grundlegenden Beschluss zu fassen, dass die Natur mehr Raum auf unserem Grundstück bekommen soll. Das ist der Staat, aber dann braucht es viele kleine Schritte, um aus einer gepflegten Rasenfläche eine Blühwiese und Bienenweide zu machen oder um das Totholz auf dem Grundstück zu lassen, damit Insekten sich dort ansiedeln können.
Und auch bei einem Garten müssen sich dabei unsere Vorstellungen von dem, was gut und richtig ist, ändern. Was ist eigentlich schön: ein gepflegter englischer Rasen, der sich wie Samt über die Hügel legt, der aber in puncto biologischer Vielfalt eine Wüste ist? Oder eine leicht unordentliche Wiese, die gar nicht regelmäßig von Menschen gepflegt wird aber dafür von vielen Hummeln und Käfern besucht wird?
Was man alles erklären soll …
Bei mir zu Hause machte sich eine Nachbargemeinde Sorgen um die schönen alten Bäume auf dem Kirchengrundstück, die nicht gut mit dem sinkenden Grundwasserspiegel zurechtkamen. Und als eine Maßnahme, um den Bäumen zu helfen, beschlossen sie, das Laub im Herbst nicht mehr abzufahren sondern es unter den Bäumen liegen zu lassen. Der Gärtner sollte es einfach unter dem Baumscheiben verteilen. Das bewahrt den Boden vor Austrocknung, es bietet Lebensraum für kleine Bodentiere, es gibt dem Boden die Nährstoffe zurück, die die Bäume brauchen, und es spart dem Gärtner Arbeit. Obendrein ist es auch noch billiger.
Aber als sie das dem Gärtner erklärten, sagte der: wenn ich das mache, dann werde ich von ganz vielen Leuten angesprochen, warum ich das Laub nicht ordentlich wegmache, und dass es auf dem Kirchengrundstück unordentlich aussieht. Ich kann das nur dann so machen, wenn ihr in den Gemeindebrief schreibt, dass es ein Kirchenvorstandsbeschluss ist und warum ihr das beschlossen habt. So haben sie es dann gemacht, und wir hoffen, dass es den Bäumen hilft.
Wenn es aber schon so mühsam ist, eine kleine Maßnahme im Garten umzusetzen, was für Widerstände wird es dann erst geben, wenn es darum geht, dass Menschen Neue Schöpfung werden?! „Das Alte ist vergangen, siehe, Neues ist geworden.“ Alles, was bisher gegolten hat, ist dann nicht mehr selbstverständlich. Was wird da alles noch im Gemeindebrief erklärt werden müssen!
Es geht um Versöhnung
Paulus beschreibt diesen grundlegenden Wandel mit den Worten, dass Menschen sich mit Gott versöhnen sollen. Menschen sollen raus aus ihrer Unversöhntheit, in der sie sich über alles Mögliche beklagen und beschweren und ihre Enttäuschungen nicht loslassen können.
Ich wohne ja in der Nähe von Braunschweig, und ich bin bei einer Gelegenheit in einen Mailwechsel mit einem hartnäckigen Atheisten aus Braunschweig geraten. Ich habe mich darauf eingelassen, weil ich wissen wollte, was den eigentlich bewegt. Das Gespräch drehte sich längere Zeit im Kreis, aber irgendwann habe ich verstanden: der war als junger Mann offenbar ein frommer Katholik. Irgendwann sprach er vom „Papst seiner Jugend“, und ich dachte: „Papst seiner Jugend“ ?? Ich komme ja aus der evangelischen Jugendarbeit, aber mir würde doch nie einfallen, vom „Landesbischof meiner Jugend“ zu sprechen. Der muss irgendwann mal viel katholischer gewesen sein, als ich evangelisch war, aber irgendwann ist das anscheinend gekippt. Irgendwann muss ihn etwas so enttäuscht haben, dass er nun eine tiefe Unversöhnlichkeit gegen alles, was christlich ist, in sich trägt und verbreitet.
Wenn das aber nur eine Sache der Religion wäre, wäre es noch vergleichsweise harmlos. Aber dieses tiefe Misstrauen, diese Unversöhntheit, hat sich tief hinein gefressen auch in unser aller Lebensgefühl. Das Grundgefühl, dass die Welt ein gefährlicher Ort ist, wo Mangel herrscht und jeder sehen muss, wie er für sich selbst sorgen kann, ein Grundgefühl, dass auf Gott kein Verlass ist, auf die Menschen auch nicht, und wir deshalb die Sache selbst in die Hand nehmen müssen, das prägt unsere Kultur. Das prägt unsere Kultur bis hinein in die Wirtschaftstheorie, die vom Mangel ausgeht anstatt von der Fülle; das prägt unser Bild vom Menschen, der sich angeblich in Konkurrenz zu allen anderen befindet und nicht in Solidarität mit den anderen. Dieses misstrauische und unversöhnte Grundgefühl spricht aus unseren Rechtsordnungen, und wenn irgendwo etwas Neues ausprobiert werden soll, zeigt es sich in der immer wiederkehrenden Frage: „Ist das auch versichert?“
Nicht Gott muss versöhnt werden
Paulus dagegen kommt hier mit seiner Einladung: lasst euch mit Gott versöhnen! Gott ist nicht euer Feind, so dass ihr ihn aus eurem Denken und aus eurem Weltbild möglichst tilgen solltet. Und seine Schöpfung ist nicht voller Feinde und Schädlinge, gegen die ihr mit Feuer und Gift einen Vernichtungsfeldzug führen müsstet.
Es ist noch nicht einmal Gott, der versöhnt werden müsste, ihr seid es! Es gibt ja tatsächlich die christliche Vorstellung, wir müssten irgendwie Gott versöhnen: Gott wäre gekränkt oder beleidigt, weil wir so viel falsch machen, und jetzt müssen wir irgendwie kommen und sagen: ach bitte, sei doch wieder lieb! Und dann kommt Jesus, weil der den besseren Draht zu Gott hat und erledigt das für uns.
Aber Paulus schreibt: nicht Gott muss versöhnt werden, als ob der eingeschnappt wäre, so eine beleidigte Leberwurst, nein! Ihr müsst euch mit Gott versöhnen, ihr müsst Vertrauen fassen in den Schöpfer und seine Welt, ihr müsst rauskommen aus der Schmollecke, in die ihr euch verzogen habt. Gott läuft euch hinterher und bittet euch durch Paulus und viele andere Christen: hört doch auf, immer nur eure schlechten Erfahrungen ins Feld zu führen, alle die Enttäuschungen mit der Welt, mit Menschen und mit christlichen Gemeinschaften, mit bösen Schädlingen und mit kribbel-krabbeligen Schleimekeln, die in unaufgeräumten Gartenecken lauern.
Biotope versöhnten Lebens
Lasst euch versöhnen mit Gott und mit seiner Schöpfung! Dann seid ihr wirklich die neue Schöpfung, der Vortrupp des Lebens, den Jesus auf den Weg gebracht hat. Und im Römerbrief (Kapitel 8) hat Paulus ja darauf hingewiesen, dass es nicht nur Menschen sind, die auf diese neue versöhnte Menschheit warten. Die ganze Schöpfung wartet sehnsüchtig darauf, dass die Menschen offenbar werden, die nicht mehr aus Angst und Misstrauen heraus denken und handeln.
Diese Menschen werden voll enthüllt werden, wenn Himmel und Erde neu geworden sind. Aber Paulus macht seinen Leuten klar, dass schon jetzt, mitten in der alten Welt, die neue Schöpfung begonnen hat: da, wo Jesus Einfluss gewonnen hat, wo Menschen „in Christus“ sind. Da kann man heute schon aufatmen, da kann man jetzt schon ein alternatives Miteinander erleben, das nicht mehr im Zeichen von Angst und Misstrauen steht. Jetzt schon gibt es dank Jesus Menschen und Gemeinschaften, die die Gerechtigkeit und Treue Gottes verkörpern. Und so entstehen nicht nur Biotope versöhnten Lebens unter den Menschen, sondern auch ganz buchstäblich Biotope, wo Mensch und Schöpfung versöhnt miteinander leben, schon jetzt.
In Christus sind wir neue Schöpfung, und das drückt sich auch aus in den Gärten, wo die menschlichen und die nicht menschlichen Bewohner dieses Planeten versöhnt miteinander auskommen und sich gegenseitig aneinander freuen können. Manches davon wird unseren Zeitgenossen merkwürdig und ungewohnt vorkommen, wir werden noch vieles in den Gemeindebriefen erklären müssen, aber das soll uns keine Sorge machen. Wir können uns mutig dazu bekennen, dass bei uns die neue Schöpfung begonnen hat.
„Neue Schöpfung“ ist kein Zustand
Man braucht Konsequenz und Nachdenken, um einen Garten allmählich zu einem Ort der Versöhnung von Mensch und Mitgeschöpfen zu machen. Genauso braucht man Konsequenz, um unsere Gedanken und Vorstellungen über die Welt zu revidieren, eine nach der anderen. Neue Schöpfung ist kein Zustand, sondern eine Bewegung, ein Prozess, ein Weg der Umkehr. Die Blühwiesen und die summenden Insekten brauchen ja auch ihre Zeit, um anzuwachsen und Wurzeln zu schlagen, um Vertrauen zu fassen und in ihre Räume hinein zu wachsen. Ein Gärtner braucht Geduld und Konsequenz, bis er nach Jahren die Früchte seiner Arbeit sehen kann.
Und so kann beides miteinander wachsen: neue Gemeinschaften unter den Menschen und ein neues Miteinander zwischen vielen Arten dieser sehr unterschiedlichen Bewohner unseres schönen Planeten.