Wir bitten im Namen Jesu: lasst euch mit Gott versöhnen!
Predigt am 9. April 2004 (Karfreitag) zu 2. Korinther 5,14-21
5,14 Denn die Liebe Christi drängt uns, zumal wir überzeugt sind, dass, wenn einer für alle gestorben ist, so sind sie alle gestorben. 5,15 Und er ist darum für alle gestorben, damit, die da leben, hinfort nicht sich selbst leben, sondern dem, der für sie gestorben und auferstanden ist. 5,16 Darum kennen wir von nun an niemanden mehr nach dem Fleisch; und auch wenn wir Christus gekannt haben nach dem Fleisch, so kennen wir ihn doch jetzt so nicht mehr. 5,17 Darum: Ist jemand in Christus, so ist er eine neue Kreatur; das Alte ist vergangen, siehe, Neues ist geworden. 5,18 Aber das alles von Gott, der uns mit sich selber versöhnt hat durch Christus und uns das Amt gegeben, das die Versöhnung predigt. 5,19 Denn Gott war in Christus und versöhnte die Welt mit sich selber und rechnete ihnen ihre Sünden nicht zu und hat unter uns aufgerichtet das Wort von der Versöhnung. 5,20 So sind wir nun Botschafter an Christi Statt, denn Gott ermahnt durch uns; so bitten wir nun an Christi Statt: Lasst euch versöhnen mit Gott! 5,21 Denn er hat den, der von keiner Sünde wusste, für uns zur Sünde gemacht, damit wir in ihm die Gerechtigkeit würden, die vor Gott gilt.
Ein Text, in dem unheimlich viel drinsteckt – ich kann nicht alles erklären, aber ich möchte drei Hauptlinien herausheben:
1. Das Ziel Gottes ist Versöhnung,
2. sein Weg dazu ist das Kreuz Jesu, und
3. er hat Menschen wie z.B. Paulus damit beauftragt, Botschafter der Versöhnung zu sein.
1. Gottes Ziel ist Versöhnung,
und zwar die Versöhnung zwischen ihm und der Welt. Wir können uns etwas vorstellen unter Versöhnung, wenn es um Menschen geht. Aber aller Streit zwischen Menschen hat seinen Ursprung im Bruch zwischen Menschen und Gott.
Was »Versöhnung mit Gott« bedeutet, können wir am besten verstehen von der Redewendung her, dass sich »jemand wieder mit seinem Schicksal versöhnt«. Das Wort Schicksal ist ja ein Ersatzbegriff für das, was sonst Gott heißt, eine Art Joker für Leute, die es nicht so gern religiös sagen möchten. Wenn jemand sich nicht mit seinem Schicksal versöhnt hat, das heißt: er ist unzufrieden und rennt an gegen sein Leben und sein Los und alles mögliche. Er hat das Gefühl, dass er eigentlich zu kurz kommt und deswegen selbst für sich sorgen muss, weil sich sowieso niemand für ihn interessiert. Und daraus entstehen die bösen Taten. Man kann sich das so vorstellen, dass wir uns vorkommen wie ein Mitarbeiter in einem Unternehmen, der sich schlecht behandelt und unterbezahlt fühlt und sagt: wenn ich hier lange Pausen mache und mal was mitgehen lasse, das ist mein gutes Recht, sonst komme ich in diesem Laden ja nie zu was.
Wir haben am letzten Sonntag über den Text aus dem Philipperbrief nachgedacht, wo Paulus schreibt: Jesus hielt seine Göttlichkeit nicht wie eine Beute fest. Jesus konnte darauf verzichten und Mensch werden. Ein unversöhnter Mensch sieht die Welt als Beute an, von der er sich so viel wie möglich zusammenraffen muss. Und das führt dann zu den Umweltkatastrophen: den großen im Boden, im Wasser und in der Luft, und den kleinen in der mitmenschlichen Umwelt. Je unversöhnter ein Mensch ist, um so schwieriger ist der Umgang mit ihm.
Menschen brauchen Versöhnung, weil sie sonst ein Leben lang immer nur an ihrem Schicksal herummeckern – und damit an Gott, der ja hinter allem steht, egal, ob wir es erkennen oder nicht. Trägheit und Traurigkeit gehören übrigens genauso zu den bitteren Früchten aus der Wurzel der Unversöhntheit wie Maulen und Meckern.
Es ist interessant, dass alle Religionen etwas von diesem Bruch zwischen Gott, Mensch und Welt wissen. Nirgendwo sagt eine Religion: es ist alles in Ordnung. Aber ihre Diagnose ist: Gott ist böse auf uns. Wir müssen ihn versöhnen. Und sie schlagen dann verschiedene Therapien vor: opfere den Göttern etwas auf dem Altar, ein Tier oder auch einen Menschen, und das wird sie versöhnlich stimmen. Vollziehe bestimmte Rituale. Lebe nach bestimmten ethischen Geboten, dann wirst du dir damit Gottes Gunst erwerben, du wirst ihn versöhnen. Gott muss beruhigt werden, man muss ihm etwas anbieten, sonst ist er böse und macht uns Probleme.
Die Bibel sagt an dieser Stelle etwas völlig anderes als alle anderen religiösen Überlieferungen: nicht Gott ist sauer und wir müssen irgendwas tun, damit er sich wieder abregt. Im Gegenteil – Gott hat uns längst die Hand zur Versöhnung hingehalten. Bloß wir nehmen sie nicht. Nicht der wütende Gott, den man beruhigen muss, ist das Problem, sondern Menschen, die nicht loskommen davon, Gott zu misstrauen und immer wieder gegen ihn anzurennen.
Gott hat die Sache schon längst in die Hand genommen, als er Jesus zu uns sandte. Wir sollen jetzt unser Kontra gegen Gott lassen, damit wir nicht mehr unversöhnt durch die Welt laufen müssen und überall Scherben hinterlassen.
Und Paulus sagt: Mein Auftrag ist es, Menschen aus dieser Sackgasse herauszuholen. Gott hat mich dazu in aller Form berufen. Deshalb sieht mein Leben so aus, dass ich bitte und den Menschen zurede und sie einlade mit aller Intensität und Fantasie: lauft nicht mehr unversöhnt durch die Welt, streut nicht mehr Vorwürfe und Unwillen, versucht nicht, auf eigene Faust so viel wie möglich aus der Welt herauszuholen, gebt das Gefühl auf, dass euch Unrecht getan wird und ihr zu kurz kommt, versteckt euch nicht mehr hinter allen möglichen Mauern und Gedankengebäuden: lasst euch mit Gott versöhnen! Lasst euch mit eurem Leben versöhnen! Gott ist kein Feind und auch kein knauseriger oder launischer Chef, sondern euer Verbündeter. Wenn ihr aufhören würdet, gegen ihn anzugehen und euch über ihn zu beschweren, dann könntet ihr euch endlich an ihm freuen.
Wenn ihr darüber nachdenkt, was da auf Golgatha mit Jesus passiert ist, dann habt ihr keinen Grund mehr, Gott auf die Anklagebank zu setzen.
2. Gottes Weg zur Versöhnung ist das Kreuz Jesu
Lasst mich etwas sagen, was sich beinahe wie Hohn anhört: Dieser schreckliche qualvolle Tod Jesu war ein versöhntes Sterben. Lasst mich das erklären: Gott will nicht diese Welt mit ihrer Gewalt und ihrem Unrecht, er will nicht diese Welt mit lauter unversöhnten Menschen. Er will nicht, dass Menschen gekreuzigt werden oder anders grausam zu Tode kommen. Aber nachdem dies alles sich hier bei uns eingebürgert hat, da ist die Art, wie Jesus diesen Tod auf sich genommen hat, richtig. Es war ein Sterben nach dem Willen Gottes. In der Welt, wie sie jetzt ist, sieht versöhntes Leben und Sterben so aus, wie Jesus gelebt hat und gestorben ist.
Man kann in dieser Welt nicht einfach mal so ein gutes Leben führen und in Freundschaft mit Gott leben. Das konnte man im Paradies. Aber das ist lange her. Inzwischen ist so viel anderes geschehen, so viel Blut vergossen, so viel Unrecht geschehen – keiner kann mehr bei Null anfangen. Auf uns allen lastet dieses böse Erbe aus Generationen, es schiebt uns immer weiter voran auf dem Weg der Unversöhntheit, und wer da ausbricht, der bekommt es zu spüren. Man kann nicht so einfach sagen: ich mache alles anders.
Deshalb wurde Jesus wurde immer wieder angegriffen, am Ende zu Tode gefoltert, er war Objekt von Hass und Lüge und Verrat, sein Leben war nicht friedlich, – aber es war vom Anfang bis zum Ende tatsächlich ein mit Gott versöhntes Leben. Davon hat ihn niemand abgebracht. Dieses ganze Gerangel und Gezerre und das Beschuldigen und der Ruf nach Strafe und die Angst, zu kurz zu kommen, die uns nach Beute suchen lässt – nichts davon finden wir bei ihm. In seiner souveränen und liebevollen Art, in der festen Orientierung am Vater im Himmel ist er seinen Weg bis zum Ende gegangen.
Versöhnung kommt nicht aus den äußeren Lebensumständen, sondern Versöhnung zeigt sich daran, wie einer auf seine Lebensumstände reagiert.
Jesu letzten Worte: »Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?« – war das
ein Protestieren gegen Gott,
ein Resignieren oder
ein Anrennen gegen Gott?
Nein, es war ein Anklopfen.
Jesus stellte Gott eine völlig berechtigte Frage: warum? Aber er fragte noch nicht einmal: warum muss ich das alles aushalten? Sondern er fragte nach dem, was für ihn am allerschlimmsten war: warum es so aussah, als ob Gott fern von ihm wäre und völlig aus seiner Welt verschwunden. Er klopfte bei Gott an und bat ihn um eine Antwort auf diese Frage. Und er bekam keine. Und er befahl sich in Gottes Hände und starb.
Keine Anklage.
Versöhntes Sterben.
Versteht ihr, was das heißt? Noch nicht mal mit diesem ganzen Druck der Schmerzen und des völligen Alleinseins hat es der Feind geschafft, Jesus auf Linie zu bringen, zurück in das unversöhnte Leben. So wie er gelebt hat, so ist Jesus auch gestorben. Versöhnt mit Gott.
Keiner von uns könnte das.
Aber, sagt uns Paulus, das braucht auch keiner mehr. Das hat ja Jesus getan. Er hat dieses ganze böse Erbe auf sich genommen, und wir können tatsächlich wieder bei Null anfangen. Jesus steht als Repräsentant der ganzen Menschheit vor Gott und schließt den Bund neu. Der Vater im Himmel, der alle Schmerzen selbst fühlt und erleidet, und sein Sohn, der bis zum letzten Atemzug an ihm festhält, nicht mit Blick auf Belohnung und Endsieg, sondern weil er diesen Vater liebt und gar nicht anders kann, als ihn zu lieben, egal, was es ihn kostet. Die beiden schließen dort am Kreuz neu den Versöhnungsbund. In seinem Sterben, mit seinem Blut, schließt Jesus diesen Bund. Er allein.
Aber er macht das in Vertretung für uns. »Wenn einer für alle gestorben ist, so sind sie alle gestorben« schreibt Paulus dazu. Jesus schließt Frieden für uns.
Und dann hat Gott auch noch Menschen beauftragt, die uns das erklären sollen, damit wir da mit hineinkommen. Denn das ist kein Naturereignis, so wie die Sonne für alle Menschen aufgeht, egal, was sie darüber denken. Es ist ein Bund, der unabhängig von uns geschlossen wurde, aber er ist für uns offen, und wir sollen
3. Die Botschafter der Versöhnung
Wenn Paulus zurückblickt auf sein Leben, dann stößt er da auf viel Unversöhnlichkeit im frommen Gewand. Er wollte als junger Mann ein Leben streng nach der Bibel führen. Aber wenn einer das mit unversöhntem Herzen tut, dann wird da Besserwisserei und Wichtigtuerei draus. Und als er dann den Anhängern Jesu begegnete, da rannte er an gegen diesen neuen Weg, er protestierte und eiferte, er rief nach der Todesstrafe, kurz: er reagierte ganz unversöhnlich. Bis ihn Gott aus dieser Sackgasse herausholte und gerade ihn zum Botschafter der Versöhnung machte.
Deshalb weiß Paulus, was für ein Unterschied das ist, ob man aus dem Protest und der Anklage und dem Beleidigtsein heraus lebt oder aus Gottes Versöhnung in Jesus Christus. Er sagt: das ist eine so andere Art zu leben, dass man es nur eine Neuschöpfung nennen kann. Und ich bitte alle, die in meiner alten Sackgasse noch drinstecken: haltet euren Protest nicht fest. Lasst euch da rausholen, ihr schadet euch selbst, ihr verletzt andere, ihr bekümmert Gott. Glaubt ihr wirklich, davon wird das Leben besser?
Der Welt wird geholfen durch versöhnte Menschen, die auch durch das Erleben von Leid und Ungerechtigkeit nicht bitter oder hart werden, sondern um sich herum Frieden verbreiten. Menschen, die im Versöhnungsbund Jesu verankert sind, die können etwas wirklich verbessern.
Was sich am Kreuz bewährt hat, wird das dann nicht tragfähig sein für alle anderen Lebenslagen? Nicht dass wir jetzt gleich so würden wie Jesus. Aber wenn wir von ihm her leben, dann ist die Grundlage neu, und das ist ein Riesenunterschied.
Gott ist vertrauenswürdig, weil er bereit war, jeden Preis zu zahlen, um diese Grundlage zu legen. Er hat Jesus erleiden lassen, was wir verdienen, die Strafe eines Sünders, damit dort am Kreuz für uns der neue Weg der Versöhnung beginnen kann. Er hat seinen Sohn das Dunkel erleiden lassen, damit wir im Licht leben können.
Nutzt diesen Neuanfang. Er ist wirklich für uns da. Er wird uns angeboten. Ich biete ihn euch an, sagt Paulus. Jesus hat das böse Erbe auf sich genommen, damit ihr ohne dieses Erbe ein neues Leben beginnen könnt. Jetzt ist es an euch. Lasst euch mit Gott versöhnen!