Über den Jordan: Ein Fluss als Symbol des Neuanfangs
Predigt am 22. Januar 2012 mit 2. Könige 5
Der Gottesdienst begann mit Bildern vom heutigen Jordan; anschließend war eine Theaterszene zum Predigttext 2. Könige 5 zu sehen
1 Naaman, der Feldherr des Königs von Aram, galt viel bei seinem Herrn und war angesehen; denn durch ihn hatte der Herr den Aramäern den Sieg verliehen. Der Mann war tapfer, aber an Aussatz erkrankt. 2 Nun hatten die Aramäer bei einem Streifzug ein junges Mädchen aus dem Land Israel verschleppt. Es war in den Dienst der Frau Naamans gekommen. 3 Es sagte zu seiner Herrin: Wäre mein Herr doch bei dem Propheten in Samaria! Er würde seinen Aussatz heilen. … 9 So kam Naaman mit seinen Pferden und Wagen und hielt vor dem Haus Elisas. 10 Dieser schickte einen Boten zu ihm hinaus und ließ ihm sagen: Geh und wasch dich siebenmal im Jordan! Dann wird dein Leib wieder gesund, und du wirst rein. 11 Doch Naaman wurde zornig. Er ging weg und sagte: Ich dachte, er würde herauskommen, vor mich hintreten, den Namen Jahwes, seines Gottes, anrufen, seine Hand über die kranke Stelle bewegen und so den Aussatz heilen. 12 Sind nicht der Abana und der Parpar, die Flüsse von Damaskus, besser als alle Gewässer Israels? Kann ich nicht dort mich waschen, um rein zu werden? Voll Zorn wandte er sich ab und ging weg. 13 Doch seine Diener traten an ihn heran und redeten ihm zu: Wenn der Prophet etwas Schweres von dir verlangt hätte, würdest du es tun; wie viel mehr jetzt, da er zu dir nur gesagt hat: Wasch dich und du wirst rein. 14 So ging er also zum Jordan hinab und tauchte siebenmal unter, wie ihm der Gottesmann befohlen hatte. Da wurde sein Leib gesund wie der Leib eines Kindes und er war rein. 15 Nun kehrte er mit seinem ganzen Gefolge zum Gottesmann zurück, trat vor ihn hin und sagte: Jetzt weiß ich, dass es nirgends auf der Erde einen Gott gibt außer in Israel. So nimm jetzt von deinem Knecht ein Dankgeschenk an! 16 Elisa antwortete: So wahr der Herr lebt, in dessen Dienst ich stehe: Ich nehme nichts an. Auch als Naaman ihn dringend bat, es zu nehmen, lehnte er ab. … 19 Elisa antwortete: Geh in Frieden!
Was ist am Jordanwasser so anders als am Wasser des Abana oder des Parpar? Hat das irgendeine besondere Zusammensetzung, so dass es die Haut gesund macht, so wie heute Menschen mit schweren Hautkrankheiten ans Tote Meer fahren?
Nein, auch wenn der Jordan ins Tote Meer mündet – er hat keine besondere Zusammensetzung. Aber er hat eine besondere Geschichte. Und die begann noch ein paar Jahrhunderte vor den Zeiten des Propheten Elisa. Das war in der Zeit, als Gott das Volk Israel aus der ägyptischen Sklaverei befreite. Viele von uns kennen die Geschichte wahrscheinlich: Mose führt das Volk Israel durch die Wüste ans Schilfmeer, und hinter ihnen kommt der Pharao mit seinen Soldaten und Streitwagen und will die entlaufenen Sklaven in der Wüste niedermetzeln. Vor sich haben sie das Wasser des Meeres, und hinter ihnen sehen sie schon die Staubwolke des herankommenden Heeres. Sie sitzen in der Falle. Wie gelähmt stehen sie dazwischen und machen Mose Vorwürfe. Und dann geschieht das große Wunder: Gott teilt das Meer und sie können trockenen Fußes hindurch und sind entkommen. Das ist das eigentliche Gründungserlebnis des Volkes Israel: In Gefahr und höchster Not hat Gott uns gerettet! Wenn du vor dir und hinter dir den Tod hast, dann vertrau auf Gott und geh mutig voran. Du wirst Leben finden.
Über 1000 Jahre später, schon im Neuen Testament, schreibt Paulus im 1. Korintherbrief (10,2), dass sie damals »getauft« worden sind. Ein merkwürdiger Gedanke, aber halten Sie ihn fest, wir brauchen ihn nachher noch. Sie ziehen dann weiter durch die Wüste zum Sinai, sie bekommen die 10 Gebote, aber sie beten dort auch das Goldene Kalb an, weil sie noch so in der ägyptischen Sklavenmentalität drin stecken. Und deswegen müssen sie 40 Jahre in der Wüste bleiben, bis alle tot sind, die noch diese Sklavenmentalität in sich tragen, und dann zieht die frei geborene Generation in das verheißene Land. In der Wüste geschieht Reinigung und Erneuerung. Die gefährliche, tödliche Wüste – das ist der Ort für Umkehr und Neuanfang.
Und dann ist es so weit: sie kommen an … den Jordan. Und wieder sorgt Gott dafür, dass sie trockenen Fußes durchs Wasser gehen können: das Wasser staut sich, der Boden des Jordans fällt trocken, und das Volk geht hindurch, hinein in das verheißene Land. Genau an dieser Stelle richten sie 12 Felsbrocken aus dem Jordan an Land auf, damit keiner das vergisst. Und am Ende der Geschichte (Josua 4,23) heißt es ausdrücklich: erinnert euch daran, ihr seid genau so durch den Jordan gekommen wie 40 Jahre vorher durch das Schilfmeer.
Das heißt: in der Bibel ist der Jordan gekoppelt mit dem Wunder am Schilfmeer und der Befreiung aus Ägypten. Das Schilfmeer ist weit weg von Israel, aber der Jordan ist gleich nebenan. Und die ägyptische Versuchung, die Sklavenmentalität, die ist auch immer gleich nebenan, auch im Land der Verheißung. Und deswegen bleibt der Jordan – gleich nebenan – das Symbol dafür, dass Gott durch Gefahr und Tod hindurch rettet. Der Jordan als Mini-Ausgabe des Schilfmeeres erinnert daran, dass Gott Wege öffnet, wo wir nur Angst haben und wie gelähmt vor Gefahren zurückschrecken.
Aber das geht nicht einfach so nach dem Motto: Problem erkannt, Gott hilft, alles wird gut, und es geht weiter wie vorher. Immer wieder geschieht Rettung so, dass Menschen sich erst in einer scheinbar ausweglosen Situation, mitten in Angst und Schrecken erinnern: ja, Moment, da war doch noch was … genau, da war noch Gott. Und wenn der in der Situation mit drin ist, das verändert alles. Und so sollen Menschen ihre Sklavenmentalität verlieren. Dass sie nicht mehr diese Heiden-Angst vor den Herren der Welt haben. Dass sie nicht mehr denken: wie schön war es doch bei den Fleischtöpfen Ägyptens, wo andere die Verantwortung hatten, wo unsere Herren uns die Entscheidungen abgenommen haben – wie praktisch. Und sie sollen verstehen: unser Gott ist der Gott der freien Menschen, und er will freie Menschen, die nicht von außen und nicht von innen versklavt sind.
Verstehen Sie: das ist die Grundgeschichte Israels und der Christenheit, die Grundgeschichte der Bibel, dass da, wo wir Gefahr, Tod und Probleme vor uns sehen und am liebsten ratlos stehen bleiben würden, dass genau da, irgendwo dazwischen, Gottes Rettung verborgen liegt. Aber wir sehen das nicht. Wir sehen die Rettung erst, wenn wir mutig vorangehen.
Auch als Israel über den Jordan zog, da war der Jordan nicht schon trocken, als sie kamen. Der war voller Wasser. Und die Priester mit der Bundeslade, die mussten vorneweg ins Wasser, ohne Garantie, dass es klappt, und erst als sie drin waren und schon nasse Füße hatten, da ging das Wasser weg. Dietrich Bonhoeffer hat mal gesagt: Gott gibt seine Hilfe nicht vorab, nicht auf Vorrat, sondern erst dann, wenn es so weit ist. Wenn wir sie wirklich brauchen.
Denn diese Situationen voll Angst und Zittern und manchmal auch nur voll Sorgen und Grämen, die sind dazu da, dass unser Sklavenweltbild zerbrochen wird, dass wir neu hinschauen, und dass wir trotz allem lernen, voranzugehen, und dann finden wir mitten in Ängsten Leben, Gottes Leben.
Das passiert auch in ganz unreligiösen Zusammenhängen, dass Menschen die Kraft ausgeht, oder dass ihr Leben irgendwie aus dem Ruder läuft, dass sie krank werden, dass ein Pfeiler ihres Lebensgebäudes wegbricht. Und wenn es gut geht, dann fangen sie in dem Moment endlich an zu überlegen: soll das schon alles gewesen sein? Wofür tue ich das alles? Ist das das Leben, zu dem ich berufen bin? Wofür brauche ich das ganze Zeug eigentlich, das ich mir immer kaufe? Und dann kann es sein, dass für sie mitten in Bedrohung und Angst ein neues Leben beginnt, dass sie Gottes Weg finden, und manchmal auch einen Weg, der noch nicht so ganz Gottes Weg ist, aber immerhin viel besser als der alte. Und das, wovor sich eigentlich alle fürchten, wird zum Tor des Lebens, wenn man nur mutig hindurchgeht.
Der Prophet Elisa hatte das erlebt bei seinem Vorgänger und Meister Elia. Als dessen Zeit auf der Erde abgelaufen war, da ging er noch einmal durch das ganze Land, dem er gedient hatte, und dann kam er an den Jordan und er ging hinüber, er „ging über den Jordan“, aber in die andere Richtung, in die Wüste. Er ging in die tödliche Wüste, wo Israel von Gott geprüft und gereinigt worden war. Und sein Schüler Elisa ging mit ihm, obwohl er wusste, dass sein Meister diesen Weg nicht wieder zurück gehen würde.
So gingen die beiden miteinander, und dann kam ein feuriger Wagen und Elia fuhr im Sturm gen Himmel. Vielleicht kennen Sie dieses Gospel, »Swing low, sweet chariot«, da geht es um diese Geschichte. Damals hat Elisa gelernt, dass man vor manchen Dingen keine Angst haben muss. Und er ging zurück über den Jordan, zurück ins Leben, und diente fortan dem Land so, wie es sein Meister getan hatte.
Verstehen Sie, warum Elisa den Syrer Naaman zum Jordan schickt? Verstehen Sie, warum er ihn nicht zu irgendeinem Fluss schicken kann?
Naaman muss in Berührung kommen mit der Kraft des befreienden Gottes. Gottes Freiheit ist es, die gesund macht. Naaman muss in Berührung kommen mit der Kraft des Lebens, die mitten im Tod zu finden ist. Er muss in Berührung kommen mit der Wende, die auf jeden wartet, der sich auf diesen Weg einlässt. Umkehr, Reinigung, Neuanfang, darin kommt die heilende Kraft Gottes bei uns an. Wir hätten es lieber, wenn wir einfach nur eine Extraportion Segen bekämen (und manchmal passiert das ja auch), aber an den entscheidenden Punkten müssen wir durch Bruch und Neuanfang hindurch, da werden wir nicht einfach bestätigt, da muss erst etwas sterben, bevor das Neue aufwachsen kann. Der Naaman voller Arroganz und Macht und Gewalt muss sterben, damit der richtige Naaman eine Chance bekommt. Und am Ende der Geschichte merkt man, wie tatsächlich dieser Heide Naaman versteht, dass es einen Gott gibt, der freie Menschen will, und er lässt seine Götter hinter sich und geht im Frieden Gottes in ein neues Leben.
Die Geschichte vom Jordan ist damit aber immer noch nicht zu Ende. Noch mal viele Jahrhunderte später kommt ein gewisser Johannes, ein wilder Mann aus der Wüste, an den Jordan. Wir haben in der Lesung vorhin gehört, wie auch Jesus da hinkommt (Matth. 3,13-17). Und was macht Johannes da? Er tauft. Er tauft auch Jesus. Deshalb heißt er Johannes der Täufer.
Erinnern Sie sich? Taufe! Schilfmeer! Paulus im 1. Korintherbrief: ihr seid damals beim Durchzug durchs Schilfmeer getauft worden. Schilfmeer, Jordan, Taufe, das gehört alles zusammen. Diese ganze jahrtausendealte Bewegung durchs Wasser hindurch, durch den Tod hindurch zum Leben, die läuft auf diesen Moment zu, als Jesus im Jordan getauft wird. Danach kommt der Fluss in der Bibel kaum noch vor. Aber die Bewegung geht weiter bis zu dem Moment, als Jesus freiwillig auf seinen Tod zugeht, und wenn er auf seinen Tod vorausblickt, nennt er ihn auch eine »Taufe«, denn er vertraut darauf, dass er mitten im Tod das Leben Gottes finden wird. Und er wird auferweckt in ein neues Leben. Und diese ganze Linie von Abraham über Mose und Elia und Elisa und all die anderen bis zu Johannes dem Täufer – die ist in Jesus präsent und mit ihm kommt sie endlich da an, wo sie schon immer hingehen sollte: bei der Auferstehung der Toten.
Und dann wird die Christenheit geboren und mit der Christenheit fließt etwas vom Jordan durch die ganze Welt. Wenn wir getauft werden, dann werden wir immer mit Jordanwasser getauft, auch wenn das Wasser aus der Leitung kommt. Die Taufe ist der Jordan gleich nebenan. Die Taufe ist das Schilfmeer gleich nebenan. Die Taufe ist der Tod Jesu, der von nebenan in unser Leben kommt, damit wir auch Anteil haben an der Auferstehung Jesu, die sich bei uns niederschlägt in einem neuen Leben schon hier und schon jetzt. Und das geht nicht ohne Abbruch, ohne Krise, ohne Angst, es geht nicht ohne Schmerzen, es geht nicht ohne – Sterben.
Das Leben liegt immer wieder da verborgen, wo wir nur Abbruch, Ende, Gefahr und Zerstörung sehen. Und manchmal entpuppt sich das, was wir für das Schlimmste halten, am Ende als Tür zum neuen Leben: wenn es nämlich unser Weltbild demontiert, unser falsches Lebensgefühl zerbricht und uns frei werden lässt von dem, was uns von außen und von innen zu Sklaven macht.
Wie Naaman würden wir viel lieber mit dem vertrauten Wasser des Abana und des Parpar getauft werden, oder mit Fuhsewasser, wie es bei uns heißt. Aber getauft wird man immer mit Jordanwasser. Da kommt keiner drumherum. Auch der große Naaman muss das lernen. Heilung kommt durch Umkehr und Erneuerung, nicht dadurch, dass alles noch ein bisschen verbessert und gestärkt und geliftet wird. Dafür steht der Jordan, und damit muss die Welt mindestens in Berührung kommen, um geheilt zu werden.
Nirgendwo ist die Welt alternativlos. Niemand muss auf ausgetretenen Pfaden ins Verderben laufen. Mitten in der Unsicherheit und Gefahr ist Gott verborgen, und deswegen müssen wir nicht wie gelähmt davor stehen und nach Sicherheit schreien. Überall wartet das Wasser des Jordan darauf, dass wir mutig hineingehen, nasse Füße bekommen und dann erleben, wie sich vor uns der Weg des Lebens öffnet.
Ich sehe gerade, dass Peter gestern auch die Verbindung von Auszug, Jordan und Taufe gezogen hat. Er bindet auch noch die Paradiesflüsse mit ein.