Du hast keine Chance – aber nutze sie !
Predigt im Besonderen Gottesdienst am 25. Januar 2004 mit 1. Samuel 17,1-58
Am Anfang dieses Besonderen Gottesdienstes war eine Szene zu sehen, in der jemand immer wieder Gelegenheit hatte, ungeschicktes Verhalten zu korrigieren.
Wie viele Chancen haben wir? Haben wir nur eine einzige Chance? Oder kann man wie in dem Stück am Anfang das Leben zurückdrehen, eine Fehlentscheidung revidieren und es dann besser machen?
Ich habe den Eindruck, dass wir unsere allermeisten Fehlentscheidungen noch korrigieren können. Es gibt nur sehr wenige Momente, wo man sich hinterher sagen muss: du hattest eine Chance, und du hast sie verspielt, oder auch: und die hast du genutzt. Wir haben meistens mehrere Möglichkeiten, bevor es endgültig daneben geht.
Vielleicht kennen einige von uns den Film »Und täglich grüßt das Murmeltier«. Da wird ein Reporter mit seinem Fernsehteam in einer Kleinstadt eingeschneit. Er muss in einem Hotel übernachten, und als er aufwacht beginnt der neue Tag genau so wie der vorige. Und er merkt zu seinem Schrecken, dass er diesen Tag nicht hinter sich lassen kann. Er ist in einer Zeitschleife gefangen, und jedesmal, wenn er aufwacht, hört er wieder die gleiche Musik im Radio und begegnet auf dem Flur wieder den gleichen Menschen.
Nun ist diese Reporter ein ziemliches Ekel, der die Menschen zynisch und arrogant behandelt. Dummerweise verliebt er sich in eine Frau aus seinem Fernsehteam. Wenn er die gewinnen will, dann muss er ein besserer und liebevollerer Mensch werden. Und dazu hat er ja nun genug Gelegenheit. So ähnlich wie der Johannes in der Anfangsszene vorhin fängt er immer wieder von vorne an, und nach einigen hundert Versuchen gelingt es ihm immer besser. Am Ende ist aus ihm ein gütiger und liebevoller Mensch geworden, und als er dann wirklich das Herz dieser Frau gewinnt, da wird er aus der Zeitschleife befreit. Und man kann hoffen, dass er jetzt ein neues Leben vor sich hat.img2.gif
Auch in diesem Film wird die Frage behandeln: kann ein Mensch sich wirklich ändern? Und die Antwort ist: ja, aber es ist mühsam, es geht nicht von einem Moment zum anderen, man braucht viele Anläufe, und man muss bereit sein, aus seinen Fehlern zu lernen. Ich glaube, dass dieser Film genauso wie unsere Szene am Anfang etwas davon beschreibt, wie Gott tatsächlich mit uns umgeht. Natürlich erleben wir das nicht so, das es plötzlich »Stop« heißt und der Film zurückgespult wird, damit wir es noch einmal versuchen können. So nicht. Aber Gott sorgt dafür, dass wir immer wieder in vergleichbare Situationen kommen und Gelegenheit haben, dazuzulernen und voranzukommen.
Übrigens ist das auch für Gott mühsam. Erinnern Sie sich, wie in der Geschichte, die wir vorhin als Lesung gehört haben, Jesus seufzt und sagt: Wie lange soll ich noch bei euch sein? Wann werdet ihr es endlich verstanden haben?
Warum tut Gott das sich selbst und uns an? Weil er mit unserem Leben ein Ziel verfolgt. Gott tut alles, damit wir die Menschen werden, zu denen er uns berufen hat. Als er uns ins Leben gerufen hat, da hatte er nicht den Menschen vor Augen, als den wir uns heute kennen: offen oder versteckt mit Unsicherheit behaftet; zufrieden, wenn der Alltag so einigermaßen klappt; gelegentlich auch mal mit Gott im Kontakt, wenn es gut geht; froh, wenn niemand hinter unsere Geheimnisse kommt. Als Gott uns schuf, da dachte er an Menschen, die mit königlicher Sicherheit allem entgegentreten, was ihnen begegnet. Er dachte an Menschen, die voller Weisheit mit ihrer Lebenszeit genau das Richtige tun. Er dachte an Menschen, die ein brennendes Herz voller Liebe haben und mit dieser Liebe die Welt erwärmen. Kurzum, er dachte an Menschen, die nach seinem Bild geschaffen sind und seine Herrlichkeit widerspiegeln, königliche Menschen, die hier mitten in der Schöpfung ihn vertreten und die nur wenig geringer sind als er selbst.
Und Gott wäre nicht Gott, wenn er diesen Plan aufgegeben wurden. Er hat Jesus Mensch werden lassen, damit wir Menschen befreit werden und am Ende doch noch die Herrlichkeit erreichen, zu der wir bestimmt sind. Der Grundstein ist gelegt, und jetzt ist die Zeit, in der Gott beharrlich daran arbeitet, dass wir auch tatsächlich hineinwachsen in unsere Berufung. Er wird sich einfach nicht damit abfinden, wenn wir glauben, dass das Endziel unseres Lebens darin besteht, heil das Rentenalter zu erreichen und dann noch ein paar schöne Jahre zu haben.
Immer wieder kommt er und stößt uns an und sagt: du, das kann doch noch nicht alles gewesen sein. Schau dir doch noch mal dein Herz an. Da ist noch etwas, was heil werden soll. Da ist noch eine Sünde, an der du leidest, und die Menschen um dich herum sowieso. Da ist ein Potenzial, dass du noch längst nicht ausgeschöpft hast. Da ist noch Raum für Liebe, die viel kräftiger, ausdauernder und wärmer ist, als du es bisher kennst. Da ist noch etwas in dir gefangen, was endlich frei werden soll.
Und, ich bin ehrlich, manchmal stößt er uns nicht nur sanft an, sondern er rüttelt uns richtig durch. Er verletzt uns genau an der Stelle, um die es ihm geht. Ist Ihnen das schon mal aufgefallen, die Menschen bestimmte Probleme geradezu anzuziehen scheinen? Ausgerechnet bei Onkel Hans, der immer so empfindlich ist, vergessen wir den Geburtstag. All den anderen, die das locker sehen, denen passiert das nicht, aber Hans erlebt das dauernd. Oder denken Sie an Grete, die immer wieder auf den gleichen Typ von Mann herein fällt. Oder es ist jemand mit der Gabe, sich wirklich mit jedem nach einiger Zeit zu überwerfen und mit niemand auf Dauer in Frieden leben zu können. Oder, schlimmer: dass man manchmal den Eindruck hat, bestimmte Menschen scheinen das Unglück geradezu anzuziehen. Manchmal ist es ganz deutlich, dass sie auch alles dafür tun. Aber manchmal versteht man es einfach nicht, warum es gerade Familie XY immer wieder trifft.
Vielleicht sollten wir so etwas einmal unter der Perspektive ansehen, dass Gott uns beharrlich auf etwas hinweisen will. Er liebt uns so sehr, dass er uns nicht einfach alle Steine aus dem Weg räumt und uns mit unserem kleinen und verschlossenen Herzen heil die Rente erreichen lässt. Und wenn er uns mit freundlichen Hinweisen nicht erreicht, dann schlägt er uns manchmal auch die falschen Stützen weg, mit denen wir uns bis dahin durchgemogelt haben. Er erinnert uns in manchen Zeiten sehrentschieden an die Aufgaben, die auf unser Herz noch warten.
Wir können uns selbst dafür entscheiden, diese Aufgaben anzupacken, oder wir können warten, bis Gott uns massiv darauf hinweist. Also, warum nicht gleich den Stier bei den Hörnern packen? Warum nicht selbst in eigener Initiative herausfinden, was uns und unsere Berufung blockiert? Die meisten von uns haben mindestens eine Ahnung, was das sein könnte, und wer das nicht hat, der hat doch vielleicht einen Menschen, den er fragen kann.
Ich habe mal mit einem Mann gesprochen, der ein sehr erfahrener Gruppenleiter war, und der sagte mir: ich habe inzwischen gelernt, dass jeder Mensch mindestens eine große Lebensaufgabe hat, der er sich stellen mussten. Ich nenne das seinen Goliath. Und meine Aufgabe als Gruppenleiter ist es, die Menschen zu ermutigen, dass sie den Kampf mit diesem Goliath aufnehmen. Ich kann Ihnen helfen und sie begleiten, aber sie müssen selbst in den Kampf. (So ist der Boxer auf das Bild zu unserem Gottesdienst gekommen).
Kennen Sie die Geschichte von Goliath? Zum Glück kennt die fast jeder. Goliath war ein Riese, ein starker Kämpfer, ein Philister, und als das Heer Israels und das Heer der Philister einander gegenüberstanden, da trat er vor und forderte Israels heraus: Schickt mir einen Mann, der gegen mich kämpft! Wir können uns die Schlacht sparen, ihr habt doch sicher irgendeinen Kämpfer, gegen den ich stellvertretend antreten kann.
Verstehen Sie, wenn es zur Schlacht gekommen wäre, dann wären die Israeliten voll Zuversicht gewesen, weil Gott ihnen schon in vielen Schlachten geholfen hatte. Und wer die Geschichte gut kennt, der weiß, dass es am Ende auch eine Schlacht gibt, die vom Heer Israels gewonnen wird. Aber der Weg dahin war blockiert. Goliath blockierte den Weg. Die Stärke Gottes konnte sich nicht entfalten, weil das ganze Heer Angst hatte, Angst vor Goliath. Sie waren das Volk Gottes, sie hatten einen von Gott gesalbten König, sie hatten Gottes Hilfe oft erfahren, aber das alles nützte ihnen nichts, solange sie nicht an Goliath vorbeikamen.
Und als dieser Gruppenleiter mir sagte: jeder Mensch hat seinen Goliath, da meinte er: die göttliche Berufung eines Menschen, seine Gaben und seine Stärke, die können sich nicht entfalten, solange er sich nicht traut, diesen Goliath anzugehen, diese zentrale Aufgabe, die wie ein Berg vor ihm steht und vor der er Angst hat.
Haben Sie eine Idee, was ihr ganz persönlicher Goliath sein könnte? Ist es eine Enttäuschung, die Sie nicht loslassen können? Ist es eine Angst, der Sie endlich ins Auge sehen sollten? Ist es ein Konflikt, dem Sie bisher immer ausgewichen sind? Ist es Ihre mangelnde Selbstachtung, die Sie immer wieder wehrlos macht? Ist es Disziplin, die Ihnen fehlt? Wenn ich über meinen Goliath nachdenke, dann erinnere ich mich immer an die Hausaufgaben, die in der Grundschule wie ein Berg vor mir standen. Ich habe alles Mögliche andere gemacht, weil ich da nicht rangehen wollte, und am Ende haben sie mir den ganzen Nachmittag kaputtgemacht. Ich hätte spielen können, ich hätte viele schöne Dinge tun können, aber es wurde nichts daraus, weil ich mich viel zu spät erst aufgerafft habe, den Kampf mit diesem Rechen-Kästchen-Goliath aufzunehmen.
Verstehen Sie, wenn wir uns unserer Herausforderung, unserem Goliath nicht stellen, dann macht er unser Leben kaputt. Da kann größerer Schaden entstehen als ein paar vertrödelte Nachmittage. Vor allem aber schlagen wir dann einen Weg ein, der Gottes Absichten genau entgegengesetzt ist und uns von ihm wegführt.
Aber niemand wird zufällig in die Richtung geführt, die Gott Ehre macht. Es wird nicht so sein, dass irgendwann einmal ein wunderschöne Tag kommt, und plötzlich ist der Goliath besiegt. Nein, Gott erinnert uns immer wieder an diese Herausforderung. Und dann ist es unserer Sache, ob wir im Vertrauen auf seinen Beistand den Stier bei den Hörnern packen. Das ist eine Entscheidung, die wir fällen müssen.
Wenn wir aber für andere Menschen verantwortlich sind – und die Allermeisten von uns sind wenigstens für einige Menschen mitverantwortlich – dann ist es unsere Aufgabe, sie zu ermutigen und ihnen zu helfen, ihren Goliath zu identifizieren und ihnen zur Seite zu stehen, wenn sie den Kampf aufnehmen. Neben der Hilfe Gottes ist nicht so hilfreich wie ein Mensch, der uns signalisiert: ich halte zu dir, und zwar auch dann, wenn du Wunden empfängst oder eine Niederlage erlebst. Trotzdem, wenn du so einen Menschen nicht hast, ist das natürlich kein Grund, den Kampf gar nicht erst aufzunehmen. Aber wenn wir für Menschen verantwortlich sind, dann sollten wir ihnen Mut machen, vor Goliath nicht länger auszuweichen.
Wir wissen alle, wie die Geschichte von Goliath ausgegangen ist: der kleine David kam und hat ihn besiegt durch sein Vertrauen auf Gottes Hilfe und mit einem Kieselstein aus seiner Schleuder. David gegen Goliath – das ist eigentlich die Geschichte in der Bibel, bei der man am allermeisten sagen kann: du hast keine Chance – aber nutze sie. Gott macht die unmöglichen Dinge wahr. Aber er braucht dazu die Menschen, die ihm das zutrauen. Und manchmal ist es leichter, ihm in der äußeren Welt etwas zuzutrauen, als Hoffnung zu haben für den Kampf mit dem Goliath in unserm Herzen.
Manchmal ist es leichter, Hoffnung zu haben für die ganze Welt oder auch für die zukünftige Welt, und viel schwerer ist es, heute und morgen in unserer persönlichen Welt praktische Schritte der Hoffnung zu gehen. Aber begründete Hoffnung beginnt in unserem kleinen Bereich, den wir überschauen und beeinflussen können. Was sich da bewährt, das lässt uns auch für den größeren Bereich hoffen.
Also lass dir von Gott ins Herz schauen. Er wird dir die Dinge zeigen, denen du dich mit seiner Hilfe stellen kannst. Und da ist das Leben.