Sorgen sind vom Teufel
Predigt am 12. September 2010 zu 1. Petrus 5,5-14
5 Alle aber miteinander haltet fest an der Demut; denn Gott widersteht den Hochmütigen, aber den Demütigen gibt er Gnade. 6 So demütigt euch nun unter die gewaltige Hand Gottes, damit er euch erhöhe zu seiner Zeit. 7 Alle eure Sorge werft auf ihn; denn er sorgt für euch. 8 Seid nüchtern und wacht; denn euer Widersacher, der Teufel, geht umher wie ein brüllender Löwe und sucht, wen er verschlinge. 9 Dem widersteht, fest im Glauben, und wisst, dass ebendieselben Leiden über eure Brüder in der Welt gehen.
10 Der Gott aller Gnade aber, der euch berufen hat zu seiner ewigen Herrlichkeit in Christus Jesus, der wird euch, die ihr eine kleine Zeit leidet, aufrichten, stärken, kräftigen, gründen. 11 Ihm sei die Macht von Ewigkeit zu Ewigkeit! Amen.
12 Durch Silvanus, den treuen Bruder, wie ich meine, habe ich euch wenige Worte geschrieben, zu ermahnen und zu bezeugen, dass das die rechte Gnade Gottes ist, in der ihr steht. 13 Es grüßt euch aus Babylon die Gemeinde, die mit euch auserwählt ist, und mein Sohn Markus. 14 Grüßt euch untereinander mit dem Kuss der Liebe. Friede sei mit euch allen, die ihr in Christus seid!
Sorgen sind ein Thema, das sich durch das ganze Neue Testament zieht – vorhin in der Lesung (Matthäus 6,25-34) hörten wir schon: macht euch keine Sorgen um Essen und Trinken um eure Kleidung! Und jetzt wieder: alle eure Sorge werft auf Gott! Und wenn man weiter liest, dann könnte man es zugespitzt formulieren: Sorgen sind vom Teufel! Der schleicht rum und versucht es hinzukriegen, dass du dir Sorgen machst. Und wenn er das schafft, wird er sich Stück für Stück in dich hineinfressen, er ist hungrig, und Leute voller Sorgen sind leichte Beute. Deswegen sagt man auch: die Sorgen fressen mich auf! Nicht: ich habe Sorgen, sondern: die Sorgen haben mich! Die lassen mich nicht zur Ruhe kommen, die lassen mich nachts aufwachen, die trüben meinen ganzen Tag ein.
Als ich klein war, begleitete ich meine Vater manchmal, wenn er zur Arbeit ging, und am Weg lag ein Hotel. Manchmal stand der Besitzer davor und sprach mit meinem Vater, aber mein Vater mochte das gar nicht so gern, manchmal gingen wir schnell vorbei, und mein Vater sagte: der klagt immer so! Der erzählt immer nur von seinen Sorgen! Ich weiß nicht, ob das nun ein besonderes Kennzeichen von Hoteliers ist, dass sie sich Sorgen machen, und wenn ja, ob es ihnen geholfen hat, dass die FDP ihnen jetzt eine niedrigere Mehrwertsteuer beschert hat. Aber ich habe damals geahnt, dass es Menschen gibt, von denen so ein Hauch von Schwermut und Gram ausgeht, so ein depressiver Sog, der ihnen nicht gut tut und auch nicht denen, die damit in Berührung kommen.
Ob jemand Sorgen hat, das scheint viel mehr von dem Menschen abzuhängen, als von der Lage, in der er ist. Es gibt Menschen, die machen sich kaum Sorgen, obwohl sie bis zum Hals in Problemen stecken, und andere können schon nicht schlafen, wenn sie den Eindruck haben, dass der Nachbar sie irgendwie schief angeguckt haben könnte.
Ich weiß nicht, ob ihr schon mal bewusst Menschen mit Sorgen erlebt habt, ob Sie das schon mal richtig beobachtet haben, wie Menschen sich Sorgen machen. Da sagt einer: das macht mich ganz fertig, wenn ich daran denke, wie ich das alles noch schaffen soll! Ich muss noch zum Elternabend und ich muss noch zum Geburtstag und der Rasen muss auch gemäht werden! Und wenn man dann sagt: lass doch den Rasen noch bis nächste Woche leben, und vielleicht fällt dir ja eine gute Ausrede wegen dem Geburtstag ein! dann kriegt man zu hören: ja, aber dass ich noch die Steuererklärung machen muss, das sieht natürlich keiner! Und man hat den Eindruck: da ist einer richtig ärgerlich, wenn man ihm Lösungen vorschlägt, er fühlt sich richtig angegriffen, und eigentlich hängt er richtig an seinen Sorgen und mag sie gar nicht loslassen.
Ja, Sorgen können einen richtig festhalten, aber man kann auch selbst die Sorgen festhalten. Deswegen schreibt Petrus: alle eure Sorgen werft auf Gott! Verabschiedet euch von euren Sorgen! Sagt ihnen, dass ihre Besuchszeit jetzt vorbei ist und sie gehen müssen. Sorgen sind nie gut. Bei vielen anderen Dingen ist es ja so, dass sie im richtigen Maß o.k. sind, nur wenn man es übertreibt, werden sie schlecht. Aber bei Sorgen ist das einzige richtige Maß: gar keine Sorgen.
Warum ist das so?
Sorgen sind der christlichen Grunderfahrung genau entgegengesetzt. Man muss sich vorstellen: die Leute, an die Petrus schreibt, die lebten damals sowieso schon unter viel schwierigeren Bedingungen als wir. Da gab es kein Grundgesetz, in dem die Menschenwürde verankert war, sondern der römische Staat ging ziemlich willkürlich und gewaltsam mit seinen Leuten um. Wenn du nicht gerade römischer Bürger warst, dann konntest du schnell mal ausgepeitscht werden, wenn du zur falschen Zeit am falschen Ort warst. Wenn eine Stadt erobert wurde, dann wurde die Bevölkerung in die Sklaverei verkauft, und es gab Städte, die im Schnitt alle 15 Jahre erobert wurden. Ein total unsicheres Leben im Vergleich zu uns! Und dazu kam speziell bei diesen Christen, dass sie auch als Christen noch diskriminiert und schikaniert wurden.
Und ausgerechnet an die schreibt Petrus hier: macht euch keine Sorgen! Die habt ihr doch hinter euch gelassen, als ihr Christen wurdet. Lasst euch vom Teufel nicht wieder in die Sorgen locken! Die christliche Grunderfahrung ist: Gott findet Wege. Als Jesus starb, war die Lage hoffnungslos, so hoffnungslos wie nur jemals, aber Gott hat einen Weg gefunden, er hat Jesus auferstehen lassen. Wenn Gott das kann, was könnte ihm dann noch zu schwer sein?
Und deswegen feierten mitten in dieser gewaltsamen und harten Welt des römischen Imperiums die kleinen Gruppen von Christen den Sieg Gottes über alle dunklen Gewalten des Bösen. Obwohl der Zerstörer immer noch täglich seine Runde machte von Jerusalem bis Gibraltar und wieder zurück. Und trotzdem sprachen sie nicht davon, dass es irgendwann im Himmel anders werden würde, sondern hier und jetzt, Tag für Tag feierten sie den Sieg Gottes über das Böse und sie erlebten ihn auch: dass sie Zellen der Solidarität bildeten, dass sie immer wieder neu mit Freude und Zuversicht erfüllt wurden, dass Gott sie versorgte, dass sie frei waren von den grausamen Götzen, die den Menschen das Leben stehlen. Dass sie ein Leben geschenkt bekamen, das sie um keinen Preis wieder hergeben wollten.
Und ihnen schreibt Petrus: lasst euch das nicht rauben, indem ihr euch Sorgen einpflanzen lasst. Ihr seid dem Teufel ein Dorn im Auge, und deswegen versucht er, bei euch wieder einen Fuß in die Tür zu kriegen, und am einfachsten ist das für ihn, wenn er euch zu Sorgen verleitet.
Das ist ja beinahe wie eine Automatik: da zeichnen sich irgendwelche Probleme am Horizont ab, und was machst du? Du fängst an zu grübeln. Das ist so verführerisch, es scheint das Natürlichste von der Welt zu sein. Aber das stimmt nicht. Sorgen sind nichts Natürliches. Sorgen sind eine mögliche Reaktion auf Probleme, aber sie sind nicht die einzig mögliche Reaktion. Probleme, die in der Zukunft kommen könnten und Sorgen, die ich mir heute mache, was haben die eigentlich miteinander zu tun? Es kann mir doch keiner erzählen, er würde seine Schwierigkeiten besser in den Griff kriegen, wenn er sich Sorgen macht. So nach dem Motto: wenn ich nachts wachliege und mir Gedanken mache, dann kann ich tagsüber besser Probleme lösen, weil mir der Schlaf fehlt? Sorgen sind völlig kontraproduktiv, und zu Christen passen sie sowieso nicht.
Ich würde ja nie behaupten, dass Menschen es eigentlich leicht haben und dass das Leben mühelos zu bewältigen wäre. Nein, das Leben ist schwierig genug, und genau deshalb sollte man vermeiden, sich Sorgen zu machen. Tu, was du kannst, tu das mit Entschlossenheit und im richtigen Moment, aber mach dir vorher keine Sorgen!
Es gibt von Petrus eine Geschichte, da war er im Gefängnis, er war zum Tode verurteilt und wartete nur noch auf den Tag der Hinrichtung, und dann wird er in der Nacht unerwartet befreit. Und das Frappierende ist: er muss mühsam wachgerüttelt werden, weil er in dieser Nacht kurz vor seiner Hinrichtung tief und fest schläft. Das ist Sorglosigkeit. Petrus weiß, wovon er schreibt.
Mit solchen Erfahrungen im Rücken analysiert Petrus hier in unserem Brief die Sorge und sagt: Sorgen sind in Wirklichkeit Selbstüberschätzung. Du glaubst, du könntest mit Sorgen deine Probleme lösen, aber in Wirklichkeit kriegst du die Welt sowieso nicht in den Griff. Stattdessen behindern dich die Sorgen auch noch bei den Problemen, die du lösen kannst.
Auch wenn es für dich hart klingt: wer sich Sorgen macht, ist in Wirklichkeit so eine Art Kontrollfreak, der vergessen hat, dass nur Gott alles übersieht, und der dann glaubt: wenn ich nur lange genug grübele, dann bekomme ich die Dinge schon in den Griff. Und manche Leute setzen damit dann noch andere unter Druck. Sie kennen vielleicht diese Leute, die alles 100%ig machen wollen und irgendwann klappen sie zusammen und kriegen gar nichts mehr auf die Reihe. Das sind nicht unbedingt nur solche Hausmeister-Typen, bei denen die Stühle zentimetergenau am richtigen Platz stehen müssen, sondern das sind durchaus liebenswerte Menschen, die sich um alles kümmern, weil sie glauben, dass ohne sie in der Welt das Chaos ausbrechen würde. Das Problem ist nur: je verzweifelter sie darum kämpfen, dass sie die Dinge unter Kontrolle bekommen, um so mehr Chaos richten sie an.
Ich krieg immer die Krise, wenn einer kommt und sagt: das muss jetzt mal ganz richtig gemacht werden. Das bedeutet nämlich meistens: mehr Arbeit, und am Ende wird es auch nicht besser. Einfach deswegen, weil die Welt nicht so eingerichtet ist, dass man sie 100%ig hinkriegt. Und wer es doch versucht, der schafft bloß neue Probleme.
Petrus nennt solche Leute hochmütig. Hochmut ist nicht, wenn jemand die Nase hoch trägt und sagt: ich bin was Besseres! Sondern wenn Menschen glauben, sie könnten die Last der Welt auf ihre Schultern laden, sie könnten ihre Sache 100%ig machen. Wenn Menschen darum kämpfen, die Kontrolle zu behalten.
Und wenn Petrus sagt: Gott wendet seine Gnade den Demütigen zu, dann meint er Menschen, die nicht glauben, dass man aus dieser Welt einen ungefährlichen Ort machen könnte. Er denkt an Menschen, die genau wissen, wie gefährlich und unsicher diese Welt ist, chaotisch und hart, aber die Demütigen rechnen damit, dass auch an den unsichersten Orten der Sieg Gottes aufblühen kann. Demütig sein heißt: wenn ich sowieso darauf angewiesen bin, dass Gott mir im richtigen Moment zur Seite steht, dann kann ich auch mit einer gewissen Leichtigkeit und Sorglosigkeit durch die Welt gehen. Ich muss nicht leichtsinnig sein, aber ich kann die Dinge auf mich zukommen lassen. Gott wird die Lösung finden, und ich kann bis dahin schlafen, tief und unbesorgt. Den Seinen gibt’s der Herr im Schlaf.
Demut heißt auch: ich muss nicht darum kämpfen, dass ich der Größte bin und das Sagen habe. Die meisten Rivalitäten und Streitigkeiten entstehen aus Angst: wenn ich die anderen nicht kontrolliere, dann falle ich hinten runter, dann wird mich keiner beachten, dann wird mir keiner mehr Wertschätzung zeigen. Die Sorge, ich könnte zu kurz kommen, an allen möglichen Punkten, steckt tief in uns drin. Auch hier wieder: manchmal muss man kämpfen, keine Frage, und dann wird man auch von Gott Rückenwind bekommen, aber erst dann, wenn es so weit ist, und nicht schon vorsorglich. Petrus hat kurz vorher darüber geschrieben, dass wir uns gegenseitig unterstützen sollen. Und auch das nennt er Demut, dass man anderen hilft und darüber gar keine Zeit für Sorgen hat. Das ist die Normalität unter den Jüngern Jesu. Und das hat Christen von Anfang an geholfen, sich den tatsächlichen Herausforderungen zu stellen, anstatt sich Sorgen zu machen.
Sie haben gewusst: dieser Sieg über alles Böse, als Gott den ermordeten Jesus auferstehen ließ, dieser Sieg wartet jetzt darauf, dass er sich in unserem Leben wiederholt. Manchmal in dramatischen Situationen, in Wundern und überraschenden Wendungen, aber normalerweise eher im alltägliche Stress und in einem solidarischen Zusammenleben, das nicht vom üblichen Hickhack geprägt ist. Diese Starterfahrung des Christentums, dass Gott sogar die äußerste Dunkelheit des Kreuzes überwinden kann, die verändert auch alle viel weniger dunklen Augenblicke. Von der Auferstehung Jesu her strömt Kraft in unser Leben, und die wird uns stark machen, so dass wir die Dinge bestehen können, die uns sonst große Sorge machen würden.
Die Dunkelheiten und Stresszonen unseres normalen Lebens hier auf der Erde, die sind der Ort, wo die Kraft der Auferstehung sichtbar wird. Petrus sagt: ich schreibe euch, um euch sicher zu machen, dass das die wahre Gnade ist, in der ihr steht. Ihr müsst euch keine Sorgen machen, wenn die Zeiten stürmisch werden. Das geht allen Christen so. Aber dann lasst das eure entscheidende Sorge sein, dass ihr euch keine Sorgen macht. Denkt daran, dass die Kraft der Auferstehung Jesu in der Welt ist. Und Gottes Potential ist unbegrenzt.