Ein Licht an einem dunklen Ort
Predigt am 13. Januar 2008 zu 1. Petrus 1,16-19
16 Wir haben uns keineswegs auf geschickt erfundene Märchen gestützt, als wir euch ankündigten, dass Jesus Christus, unser Herr, wiederkommen wird, ausgestattet mit Macht. Vielmehr haben wir ihn mit eigenen Augen in der hohen Würde gesehen, in der er künftig offenbar werden soll. 17 Denn er empfing von Gott, seinem Vater, Ehre und Herrlichkeit – damals, als Gott, der die höchste Macht hat, das Wort an ihn ergehen ließ: »Dies ist mein Sohn, ihm gilt meine Liebe, ihn habe ich erwählt.« 18 Als wir mit ihm auf dem heiligen Berg waren, haben wir diese Stimme vom Himmel gehört. 19 Dadurch wissen wir nun noch sicherer, dass die Voraussagen der Propheten zuverlässig sind, und ihr tut gut daran, auf sie zu achten. Ihre Botschaft ist für euch wie eine Lampe, die an einem finsteren Ort brennt, bis der Tag anbricht und das Licht des Morgensterns eure Herzen hell macht.
Dies ist die Lagebeschreibung, die der alte Petrus uns hier gibt: wir sind an einem finsteren Ort. Man muss da an so etwas denken wie an einen Kerker oder ein Flüchtlingslager, wo Menschen eingesperrt sind, ohne ihr Schicksal in der Hand zu haben und immer wieder passieren neue schreckliche Sachen. So beschreibt Petrus die Welt.
Und ob wir seine Botschaft verstehen, das liegt ganz stark daran, ob wir diese Lagebeurteilung nachvollziehen können. Ob wir dazu einen Zugang finden, dass einer sagt: wir leben an einem Ort der Dunkelheit, und wir müssen schauen, wo es Licht für uns gibt. Ist das korrekt, oder ist das eine Übertreibung? Ludwig van Beethoven hat in seinem Leben eine einzige Oper geschrieben, und diese Oper spielt in einem Kerker und im Haus des Kerkermeisters. Aber wie viele Opern spielen an solchen Orten?
Und immer, wenn mal wieder etwas sichtbar wird von der Finsternis dieser Welt, dann sind unsere Medien für eine Zeit heftig damit beschäftigt: wenn tote Kinder gefunden werden, oder wenn Leute zusammengeschlagen werden, oder wenn neue unbekannte Krankheiten auftauchen, oder wenn wieder mal irgendwo ertrunkene Flüchtlinge an Land gespült werden, oder wenn sichtbar wird, was unserem Klima noch blühen kann. Und das ist ja nicht falsch, was da berichtet wird, es ist gut, dass da zwischen den neuesten Affären von Sternchen XY immer wieder die Realität sichtbar wird, man fragt sich nur: ja, wusstet ihr das denn noch nicht? Das ist doch nichts Neues! Wer wollte, konnte das schon immer wissen. Warum gerade jetzt dieser Lärm darum? Und warum ist in vier Wochen nichts mehr davon zu hören?
Die eigentliche Frage ist aber: macht ihr euch eigentlich klar, was das über die Welt aussagt? Welche Schlüsse zieht ihr aus diesen ganzen Nachrichten? Ist uns das wirklich klar, dass wir an einem finsteren Ort leben, und dass es dringend nötig wäre, sich zu überlegen, wo man Licht her bekommt?
Wer sich diese Frage nicht stellt, wer an diesem Punkt kein dringendes Interesse hat, der wird auch keinen Zugang zur Antwort finden, die Petrus gibt.
Ich habe mal einen Film über ersten Wochen der nationalsozialistischen Herrschaft hier in Deutschland gesehen, als Menschen willkürlich verhaftet und oft grausam geschlagen wurden, und da war so eine ganze Gruppe von Leuten im Keller des Berliner Polizeipräsidiums eingesperrt, und die hatten nur so Lichtschächte nach oben zur Straße. Und sie konnten die Füße der Menschen sehen, die dort oben entlang gingen. Und sie standen da und fragten sich: das kann doch nicht sein, dass dort oben das Leben einfach so weitergeht, die Leute machen ihre Besorgungen und gehen ihre Wege, als ob nichts geschehen wäre! Aber es war so. Deutschland war ein finsterer Ort geworden, aber die wenigsten wollten es wissen. Wirklich verstanden haben es die Leute dort im Polizeikeller und sicher auch eine ganze Menge anderer, aber die meisten haben die Augen zugemacht. Erst 10 oder 12 Jahre später, als alles in Trümmern lag, da haben sie die Finsternis wahrgenommen, die in Wirklichkeit schon seit 1933 in diesem Land herrschte, seit Hitlers Machtantritt, und wohl auch schon davor.
Und wie ist es mit uns: sind wir auch solche Leute, die eilig durch die Straßen laufen und nicht wissen wollen, was sich da im Keller abspielt? Wer will sich das klarmachen, dass dies eine Welt voller finsterer und gefährlicher Orte ist? Lieber hofft man insgeheim, dass man selbst nicht in einen der Keller gerät.
Aber wenn wir uns von Petrus helfen lassen, die ganzen Puzzleteile aus Nachrichten, die wir ja alle kennen, richtig zusammenzusetzen, dann können wir etwas anfangen mit dem, was er schreibt. Erst, wenn wir bereit sind, die Finsternis der Welt wahrzunehmen, sie nicht für eine dramatische Übertreibung zu halten, dann kommt auch die Hoffnung zu uns, von der er schreibt. Dann verstehen wir dieses Wunder, dass mitten in der Dunkelheit ein Licht angezündet ist, das prophetische Wort, das Wort der Verheißung, das von Gott kommt und uns zu anderen Menschen macht, die die Welt in einem anderen Licht sehen. Wenn im Dunkel ein Licht angezündet wird, dann sieht alles anders aus, und dann können Menschen anders leben.
Von Hans Lilje, dem Bischof der Hannoverschen Landeskirche in den Jahren nach dem zweiten Weltkrieg, habe ich auch so eine Erinnerung aus einem der Keller des nationalsozialistischen Deutschland gelesen: er war von der Gestapo festgenommen worden, er fand sich allein in einer Gefängniszelle vor, man hatte ihm alle seine Sachen abgenommen. Aber er hatte noch irgendwo in einer Tasche einen Bleistiftstummel und einen Fetzen Papier, den sie bei der Durchsuchung nicht wichtig genommen hatten. Und dann nahm er den Stift und schrieb auf den Papierfetzen den 23. Psalm: Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln, und das Wort »nichts« hat er noch mal ganz besonders unterstrichen. Und immer, wenn die Finsternis und die Sorgen und die Angst ihn zu überwältigen drohten, dann hat er den Zettel rausgeholt und sich das wieder angeschaut. Und der Zettel hat ihn durch diese ganze Zeit begleitet und ihn das durchstehen lassen. Natürlich kannte Lilje den 23. Psalm auswendig, aber er hat ihn sich auf diesem Papierfetzen noch einmal vor Augen geführt, damit er das auf keinen Fall übersieht, damit ihn das auch dann erreichen konnte, wenn seine Gedanken von dieser ganzen äußeren Situation besetzt und geblockt waren.
Man muss nicht erst ins Gefängnis kommen, um mit solchen Bibelworten etwas anfangen zu können. Aber wenn man sich zu diesen Worten des Petrus ein Bild merken will, dann wäre es wohl ein Mensch, der in einem bedrückenden Kerker so einen Fetzen Papier aus Tasche holt und in sich immer wieder die Hoffnung aufbaut, die dort aufgeschrieben ist.
Und Petrus sagt: das ist nicht das Pfeifen eines Menschen im dunklen Keller, der sich mit seinen eigenen Tönen Mut macht, sondern das ist alles in der Realität verankert. Ich war doch selbst dabei, als Jesus auf den Berg ging und dort verklärt wurde, als er dort in göttlichem, überirdischem Licht erschien, als Gott vom Himmel aus Jesus bestätigte und sagte: »das ist mein Sohn, dem meine Liebe gilt«.
Auf diesem Berg der Verklärung, da ist für einen Moment sichtbar geworden, wer Jesus wirklich ist: der Sohn Gottes, sein endgültiger Gesandter, Gottes endgültiges Wort zu seiner Schöpfung. Und da war ja nicht nur Jesus, sondern auch Mose und Elia, die beiden Großen des Alten Testaments: Mose, der sein Volk befreit hat aus der Sklaverei in Ägypten und ihm Gesetze gegeben hat für das Leben als freies Volk. Und Elia, ein Mann wie ein Feuer, der sich dem König Ahab in den Weg stellte, als der dieses freie Volk wieder seiner Herrschaft und dem Gott Baal unterwerfen wollte. Und da war es deutlich, wie Jesus hineingehört in diese Freiheitsgeschichte, wie er sie bestätigt und vollendet hat, und wie Gott zu dieser ganzen roten Linie in der Geschichte Ja sagt, indem er zu Jesus Ja sagt. Und Petrus sagt: wie haben uns das doch nicht aus den Fingern gesogen, so wie sich heute die Bestsellerautoren immer mal wieder 10 Punkte, wie man reich, glücklich, jung und schön wird, aus den Fingern saugen, sondern wir sind da selbst dabei gewesen, das ist Realität.
Petrus könnte auch davon reden, dass er Jesus nach der Auferstehung gesehen hat, aber an dieser Geschichte auf dem Berg konnte er deutlich machen, wie wichtig das Reden Gottes ist. Die ganze Geschichte der Prophetie ist mit diesem Ereignis bestätigt worden. Seit so langer Zeit haben Menschen schon darauf hingedeutet, was einmal passieren wird von Gott her, und nun ist es gekommen in Jesus, und Gott hat es bestätigt, und das zeigt uns, wie zuverlässig Gottes Verheißungen sind. All die Propheten des Alten Testaments haben nicht falsch gelegen, sondern sie hatten Recht. Und also können wir auch in Zukunft ihren Verheißungen vertrauen. Da ist eine lange, jahrtausendealte Geschichte des Redens Gottes, und diese Geschichte ist so deutlich bestätigt worden, und deshalb können wir uns in Zukunft noch viel fester darauf verlassen.
Dieser rote Faden in der Weltgeschichte, da geht es nicht um Spekulationen, die sich einer mal schnell zusammengereimt hat, sondern um jahrtausendealte, bestätigte Realität, und wir dürfen mit dazugehören zu diesem Weg Gottes durch die Welt. Und dann scheint uns dieses Licht der Hoffnung, und dann müssen wir nicht gewaltsam die Augen verschließen vor all der Dunkelheit in der Welt und müssen uns nicht ablenken mit seichter Unterhaltung oder Geschäftigkeit, sondern wir können eine gelebte Hoffnung werden.
Hoffnung besteht ja nicht darin, dass jemand steif und fest behauptet, dass Jesus wiederkommt. Das ist keine lebendige, gelebte Hoffnung. Sondern lebendige Hoffnung ist da, wo einer jetzt schon von dieser Erwartung her handelt, sich weder deprimieren lässt noch wegschaut, hineingeht in die Dunkelheiten der Welt, weil er das Licht der Verheißung kennt, in die Gefängnisse und Keller und Lager hineingeht, die Hungernden und Armen versorgt, die Kranken und Gefangenen besucht, die Toten verabschiedet, für die Kranken betet und den geängstigten Herzen Raum schafft, die Fremden willkommen heißt, den Lügen widersteht, barmherzig umgeht mit der Umwelt und den Mitgeschöpfen, die Verwirrungen der Propaganda aufdeckt, seinen Horizont weit spannt, und sich bei all dem nicht auf verlorenem Posten fühlt, weil er weiß, dass Gott im richtigen Moment Verstärkung schicken wird; und am Ende wird der Tag anbrechen und wir werden nicht mehr in dieser Finsternis leben müssen, sondern es wird hell werden in der Welt und auch aus unserem Herzen werden all die dunklen Schatten endgültig verschwinden.
Aber genau das Licht dieses kommenden Tages, das scheint jetzt schon im prophetischen Wort, das unter uns lebt. Es ist genau dasselbe Licht, das eines Tages von Gott her die ganze Welt erleuchten und erfüllen wird, und wir haben es schon jetzt.
Ein bisschen später im Brief redet Petrus von Leuten, die sich über die Jünger Jesu lustig machen und sagen: wo bleibt er denn, euer Jesus? Seit 50 Jahren wartet ihr schon darauf, dass er wiederkommt. Solltet ihr nicht endlich mal einsehen, dass ihr euch getäuscht habt? Und Petrus sagt: und wenn ich bis zum Jahr 2000 warten müsste, ich werde nicht aufhören, mich auf diesen festen Grund der Hoffnung zu stellen, den ich selbst erlebt habe. Egal, wann Jesus kommt, bis dahin ist noch so viel zu tun, es ist noch so viel gefüllte Zeit, in der uns das Licht des Wortes leuchtet, und wo wir noch so viel zu tun haben. Wenn einer nichts zu tun hat und sich langweilt, dann fängt er vielleicht an, über die Zeit nachzudenken und auszurechnen, ob und wann Jesus wiederkommt, aber ich habe Wichtigeres zu tun!
Und so sagen wir mit ihm: die gelebte Hoffnung bestätigt immer wieder das prophetische Wort. Das lässt die Erwartung wachsen, dass zu dem Zeitpunkt, den Gott bestimmt, der neue Tag anbricht für die ganze Welt. Gott hat seine Verheißungen immer wieder eingelöst, zuletzt in der Auferstehung Jesu, und deshalb wird er auch das, was noch aussteht, einlösen. Und wir haben bis dahin gefüllte Zeit, in der wir ausreichend beschäftigt sind, wenn wir in den Kellern der Welt die gelebte Hoffnung sind, zu der wir berufen sind.