Eine Botschaft, die die Welt erschließt
Predigt am 17. September 2023 zu 1. Mose 15,1-6
1 Nach diesen Ereignissen erging das Wort des HERRN in einer Vision an Abram: Fürchte dich nicht, Abram, ich selbst bin dir ein Schild; dein Lohn wird sehr groß sein.
2 Abram antwortete: Herr und GOTT, was kannst du mir geben? Ich gehe kinderlos dahin und Erbe meines Hauses ist Eliëser aus Damaskus.
3 Und Abram sagte: Siehe, du hast mir keine Nachkommen gegeben; so wird mich mein Haussklave beerben.
4 Aber siehe, das Wort des HERRN erging an ihn: Nicht er wird dich beerben, sondern dein leiblicher Sohn wird dein Erbe sein.
5 Er führte ihn hinaus und sprach: Sieh doch zum Himmel hinauf und zähl die Sterne, wenn du sie zählen kannst! Und er sprach zu ihm: So zahlreich werden deine Nachkommen sein.
6 Und er glaubte dem HERRN und das rechnete er ihm als Gerechtigkeit an.
Einmal in der Woche bin ich in Groß Ilsede in der katholischen Kirche. Wir haben da eine Zukunftsandacht, wo wir eine halbe Stunde für die Zukunft unserer Erde beten. Und wenn ich in die große leere Kirche komme, dann sehe ich da am Altar das ewige Licht, eine kleine Flamme, die wohl Jesus als das Licht der Welt symbolisieren soll. Und ich bleibe stehen und erinnere mich daran, dass Jesus tatsächlich auf verborgene Weise in unserer Welt präsent ist, und widme ihm einen Augenblick und ein paar Gedanken.
Ich erzähle das nicht, weil ich meine, wir Evangelischen müssten jetzt auch in unseren Kirchen so ein ewiges Licht einführen. Ich glaube auch nicht, dass Kirchen irgendwie besonders heilige Orte sind. Aber als ich zur Vorbereitung auf den Gottesdienst heute diese Geschichte von Abraham las, da fiel mir gleich dieses Licht ein.
Abrahams Geschichte
Abraham, dessen Name damals noch Abram war, bekommt ja auch – nicht ein Licht, sondern – viele Lichter gezeigt. Und auch für ihn sind danach die Sterne nicht einfach nur Sterne, sondern diese Lichter bekommen eine Bedeutung: so unzählbar groß soll das Volk sein, das aus deiner Familie entstehen soll!
Abraham hat damals schon eine eindrucksvolle Geschichte hinter sich: seine Familie kommt aus Ur in Chaldäa, das ist im heutigen Irak. Aber schon seinen Vater Terach hat es dort nicht gehalten, und er ist weit nach Westen gewandert, ins Gebiet der heutigen Türkei, nach Haran, und hat da gewohnt. Und als Terach gestorben ist, ergeht Gottes Ruf zum Aufbruch an seinen Sohn Abram.
Das ist ein entscheidender Wendepunkt in der Bibel; nach all den Katastrophen der Menschheit am Anfang, nach dem Sündenfall, der Sintflut und dem Turm von Babel fängt Gott noch einmal neu mit den Menschen an. Er will ein neues Volk schaffen, als Alternative zu den anderen Völkern und ihren Herrschaftsordnungen und Götzen.
Die entscheidende Person dabei ist Abraham. Aus irgendeinem Grund fällt Gottes Wahl auf ihn. Er hört eine Stimme, die ihn auffordert: verlass deine Heimat und die Menschen, zu denen du gehörst und zieh mit deiner Familie in ein Land, das ich dir zeigen werde! Ich werde dich zum großen Volk machen, und durch dich und deine Nachkommen soll die ganze Menschheit gesegnet werden.
Eine Begegnung, die alles ändert
Wir wissen heute nicht wirklich, wie das war, als Abraham so von Gott angesprochen wurde. Die meisten Menschen und auch wir haben normalerweise nur die aufgeschriebene Erinnerung an solche Worte Gottes in der Bibel. Und das reicht auch völlig. Aber manchmal passiert es, dass Gott ganz direkt zu einem Menschen spricht, und das werden dann manchmal richtige Wendepunkte der Weltgeschichte.
Auf jeden Fall war die Berufung Abrahams so ein Wendepunkt der Geschichte. Abraham wurde der Stammvater des Volkes Gottes, der Juden, und weil Jesus Jude war, gehen auch wir Christen auf Abraham zurück. Und auch die Muslime sehen sich als Erben Abrahams.
Das Besondere an Abraham ist, dass er dieser Stimme Gottes, die zu ihm gekommen ist, so sehr vertraut, dass er tatsächlich alles hinter sich lässt und aufbricht in ein fremdes Land, wo er Ausländer ist und niemanden kennt. Und das in einer Zeit, als der einzige Schutz, den man hatte, die eigene Sippe und der eigene Stamm waren. Das war damals etwas ganz anderes, als wenn wir heute von einer Stadt in die andere umziehen. Und das kann ja immer noch sehr belastend sein.
Aber schon damals hat Gott Menschen zum Aufbrechen gerufen. Abraham sollte alles Vertraute und Gewohnte hinter sich lassen und ins Unbekannte ziehen. Das einzige, was er hatte, war das Versprechen Gottes, ihn zu segnen und aus ihm ein großes Volk zu machen. Und es war das ganz Besondere an Abraham, dass er diesem Versprechen glaubte.
Ein eindrucksvolles Bild
Aber, wie das so ist, im Lauf der Zeit verblasst dann doch die Erinnerung an solche großen Momente. Und bei Abraham und seiner Frau kam noch dazu, dass sie keine Kinder bekamen. Das ist natürlich ein Problem, wenn man eine große Nachkommenschaft versprochen bekommen hat. Und deshalb redet Gott eines Tages wieder zu Abraham und bekräftigt seine Verheißung: ja, es bleibt dabei, ich halte mein Versprechen, auch wenn das für dich unmöglich aussieht.
Und dieser Moment der Bekräftigung des Versprechens, das ist die Geschichte, die ich vorhin vorgelesen habe. Und was macht Gott, um Abraham wirklich in der Tiefe zu überzeugen? Er holt ihn raus aus seinem Zelt und stellt ihn unter den weiten Sternenhimmel. Und er sagt: schau dir die vielen Sterne an – es sind unzählbar viele. So zahlreich werden deine Nachkommen sein!
Warum macht Gott das? Reicht es nicht, Abraham einfach zu sagen: Ja, ich halte mein Versprechen, du wirst schon sehen? Aber offenbar sind wir Menschen so, dass die Dinge für uns plausibler werden, wenn sie mit so einem Bild oder so einem Erlebnis verbunden werden. Und unter dem weiten Sternenhimmel zu stehen, das ist ja bis heute eine eindrucksvolle Erfahrung. Wir erleben das nicht so oft, weil wir uns nachts eher in Häusern aufhalten, weil wir von so vielen Gebäuden umgeben sind, dass wir oft nur einen kleinen Ausschnitt des Himmels sehen, und dann überstrahlen auch noch viele andere Lichtquellen das Licht der Sterne. Aber wenn man nachts irgendwo draußen unter einem wolkenlosen Himmel steht, und alles ist still, und man hebt den Kopf und schaut nach oben in diese riesigen Räume mit den unzähligen großen und kleinen Lichtern – das ist auch für uns ein eindrucksvolles Erlebnis.
Die Botschaft des Himmels
Aber jetzt kommt der Punkt: Abraham sagt nicht: Ein toller Anblick! Den muss ich gleich mal fotografieren! Sondern für Abraham verbindet sich damit eine Botschaft: Gott konnte all diese Sterne machen, dann ist es für ihn doch auch möglich, mir so viele Nachkommen zu schenken. Und dieses eindrucksvolle Bild des Sternenhimmels bekommt für ihn eine tiefere Bedeutung. Abraham lernt, hinter den Dingen noch eine tiefere Botschaft zu erkennen. Er lernt, dass alles Sichtbare immer auch eine verborgene Seite hat.
Und damit komme ich auf meine kleine Erfahrung mit dem ewigen Licht in der katholischen Kirche zurück: das ist ja eigentlich nur eine Kerze oder ein Teelicht oder ein Öllämpchen, genau weiß ich es nicht. Da ist nichts Heiliges oder so dran. Aber es bekommt eine tiefere Bedeutung, und manchmal verstehen wir diese verborgene Botschaft.
Das gibt es aber beileibe nicht nur in Kirchen. Abraham hat ja unter dem weiten Himmelszelt gestanden. Genauso gibt es eindrucksvolle Sonnenuntergänge am Meer, die irgendetwas in uns anrühren. Du kannst alles physikalisch erklären, dass die Sonne wegen der Erddrehung aus unserem Blickfeld verschwindet und wegen der Lichtbrechung dabei viel röter aussieht als sonst usw. Aber trotzdem ist ein richtiger Sonnenuntergang immer noch ein großartiges Bild, und wenn du es auf dich wirken lässt, dann erinnerst du dich vielleicht noch nach Jahren daran. Und so etwas kann bei allen möglichen Gelegenheiten passieren.
Trost durch einen blühenden Baum
Jürgen Moltmann, ein großer deutscher Theologe, hat davon erzählt, wie er als Jugendlicher so etwas erlebt hat. Das war kurz nach dem Zweiten Weltkrieg. Er musste kurz vor Kriegsende mit 17 Jahren Soldat werden und hat nur mit knapper Not die Bombenangriffe auf Hamburg überlebt. Ein Schulfreund neben ihm wurde von Bombensplittern zerrissen. Er kam in englische Kriegsgefangenschaft und war – als halbes Kind noch – so weit von zu Hause weg, wie er es nie zuvor erlebt hatte. Jeden Tag mussten sie schwer arbeiten, die Verpflegung war damals nach Kriegsende in allen Ländern knapp, und er fühlte sich völlig allein und verlassen. Aber eines Tages, als sie von der Arbeit zurück ins Lager marschierten, sah er an der Straße einen blühenden Baum, voll mit Blüten. Und von diesem Baum kam eine so freundliche Botschaft zu ihm, sein kleines verzweifeltes Herz fühlte sich getröstet, irgendwie hat ihn das aufgerichtet, und er bekam wieder Lebensmut. Das sind solche Momente, in denen einem Menschen die Welt transparent wird für die tiefere Botschaft, die noch hinter den Dingen liegt.
Das Besondere ist: Moltmann hat dann angefangen, die Bibel zu lesen und hat sich dort wirklich verstanden gefühlt. Offenbar wollte er diese wortlose Botschaft, die er durch den blühenden Baum empfangen hat, noch klarer verstehen, und so ist er später erst Pastor und dann Theologieprofessor geworden. Vielleicht war am Ende sogar sein ganzes Leben der Versuch, diese Botschaft immer klarer und besser zu verstehen. Und dazu hilft es ja, wenn man sich mit den Botschaften beschäftigt, die andere schon früher empfangen haben – angefangen mit Abraham. Die Bibel ist so eine Sammlung von wichtigen Gottesbotschaften, die Menschen in vielen Jahrhunderten empfangen haben. Und wenn man die kennt, dann hilft einem das, eigene Eindrücke besser zu deuten. Man lernt dann Stück für Stück, offen zu sein für die verborgenen Tiefen der Welt und besser zu verstehen, was alles noch hinter den Dingen liegt.
Bilder sind erklärungsbedürftig
Denn diese Botschaften selber sind ja längst nicht immer klar. Abraham hätte beim Anblick des Sternenhimmels ja auch verstehen können: Gott ist groß und erhaben, aber er ist ganz weit weg und hat sicher wichtigere Dinge zu tun als sich ausgerechnet um mich kleinen Menschen zu kümmern. Er brauchte dieses Wort von Gott, das ihm die Botschaft hinter dem Bild erklärte.
Bilder und Symbole allein sind immer mehrdeutig. Es gibt genügend Bilder, die uns auf die falsche Spur setzen. Bei den Nazis waren es z.B. die großen Militärparaden, die sie inszeniert haben, und bei denen sicher Menschen auch so etwas wie einen heiligen Schauer empfunden haben. Aber diese Botschaften haben in den Tod geführt. Erst als dieser inszenierte Glanz verschwunden war, da hat dann ein blühender Baum den einsamen Jugendlichen Jürgen Moltmann zurück ins Leben geholt. Wir brauchen diesen Abgleich mit all denen, die vor uns schon Botschaften des lebendigen Gottes empfangen haben. Sonst können wir nicht gut unterscheiden zwischen dem Sog des Todes und den Botschaften des Lebens.
Schlüsselbotschaften erschließen die Welt
Wir sind zum Glück nicht mehr in der Pioniersituation, in der Abraham war. Bei ihm musste Gott mit sehr klaren Worten nachhelfen, damit er die Botschaft verstand. Sie waren so klar und eindrucksvoll, dass sie immer weiter überliefert wurden, bis heute. Und jetzt sind solche festgehaltenen Gottesbotschaften für uns ein Schlüssel, um hinter die Dinge zu schauen. Jesus benutzt ja auch Bilder und erklärt sie uns – das haben wir vorhin in der Lesung aus der Bergpredigt gehört: Gott ernährt die Vögel und lässt die Lilien wachsen – vertraut ihm doch, dass genug da ist und er auch für euch sorgen wird.
Wenn wir solche Schlüsselbotschaften gut verstehen, dann erleichtern sie es uns, auch bei anderen Gelegenheiten zu hören, was Gott uns sagen will: manchmal tut er es durch Bilder und Symbole wie z.B. durch ein ewiges Licht in einer Kirche. Manchmal in einer Situation, die uns zuruft: fass an und ändere da etwas! Und es ist letztlich Gott, von dem diese Botschaft stammt. Manchmal passiert das auch beim Nachdenken über die Welt und die Menschen. Und manchmal durch das, was Menschen einem sagen.
Denn die ganze Welt ist nicht nur einfach bewegte Materie, sondern alles hat noch tiefere Ebenen und Bedeutungen, und wir sollen sie verstehen und entschlüsseln als Botschaften, mit denen uns Gott erreichen will. Und es ist die Aufgabe unseres Lebens, diese Botschaften hinter der Oberfläche immer besser zu verstehen. Das hat man nicht ein für allemal gelernt, sondern das entwickelt sich durchs ganze Leben hindurch weiter, bis zum letzten Atemzug. Das wird auch uns in der Tiefe verändern, und wir werden dann immer klarer Teil der neuen Menschheit, die Gott ins Leben rief, als er Abraham berufen hat.
Sich auf diesen Weg wirklich einzulassen, auch wenn er uns auf unbekannte Wege führt, das ist Glaube. Glaube ist das Vertrauen, dass Gott uns nicht täuscht, sondern auf gute Wege führt. Und wenn einer oder eine dann auch wirklich aufbricht wie Abraham und diese Wege geht, dann rechnet Gott es ihm oder ihr als Gerechtigkeit an. Er sagt: du bist gerecht, weil du mit deiner Tat meiner Verheißung vertraust.