Ich will dich segnen, und du sollst ein Segen sein
Predigt am 14. September 2008 zu 1. Mose 12,1-4
1 Und der HERR sprach zu Abram: Geh aus deinem Vaterland und von deiner Verwandtschaft und aus deines Vaters Hause in ein Land, das ich dir zeigen will. 2 Und ich will dich zum großen Volk machen und will dich segnen und dir einen großen Namen machen, und du sollst ein Segen sein. 3 Ich will segnen, die dich segnen, und verfluchen, die dich verfluchen; und in dir sollen gesegnet werden alle Geschlechter auf Erden. 4 Da zog Abram aus, wie der HERR zu ihm gesagt hatte, und Lot zog mit ihm. Abram aber war fünfundsiebzig Jahre alt, als er aus Haran zog.
Die Sätze aus dem 12. Kapitel des ersten Buches der Bibel, die wir vorhin als Lesung gehört haben, die gehören zu den entscheidenden Schaltstellen in der Bibel.
In den ersten 11 Kapiteln des 1. Buches Mose wird von der Schöpfung der Welt erzählt, von Adam und Eva im Paradies, und dann passiert es: die beiden wenden sich von Gott ab, sie gehen ihre eigenen Wege, sie essen vom verbotenen Baum, und schon ihre Kinder bringen einer den anderen um. Und dann geht es immer weiter bergab mit der Menschheit, bis hin vom Turm zu Babel und der Sprachenverwirrung, durch die die vielen verschiedenen Völker entstehen, die sich später gegenseitig bekriegen werden.
In 11 Kapiteln geht die Bibel den Weg vom Zauber des Neuanfangs auf der jungen Erde bis hin zu unserer Welt mit Großstädten, Krieg, Technik und vielen Bedrohungen. Aber nach Kapitel 11 gibt es einen Einschnitt. So als ob Gott sagen würde: Jetzt habt ihr genug angerichtet, ich will nicht mehr nur reagieren auf diese rasante Fahrt abwärts, ich werde die Initiative ergreifen. Bisher habe ich bloß versucht, das Schlimmste zu verhindern. Jetzt fange ich mit meiner eigenen Sache an. Ich werde den Samen für einen Neuanfang säen.
Und dann ist da auf einmal ein Mann namens Abram, dessen Vater schon einen weiten Weg hinter sich gebracht hat, und den spricht Gott an und sagt: Mach dich auf den Weg, setz die Reise deines Vaters fort, ich habe ein gutes Land für dich, ich will aus dir ein großes Volk machen, ich will dich segnen und in dir sollen alle Völker der Erde gesegnet werden. Glaube mir! Ich will dich segnen, und du wirst dadurch selbst zum Segen werden.
Das ist die Grundstruktur der biblischen Gedanken über den Segen: Gott spricht einen Menschen oder eine Gruppe von Menschen an und sagt: ich will dich segnen, ich will dir meine ganze Gnade und Güte zuwenden, und von dir aus soll das weitergehen zu den anderen.
Gott zeigt an einem Menschen, was er allen zugedacht hat und sagt dann: von dir aus soll sich das jetzt zu den anderen ausbreiten! Gott schafft ein Modell und rechnet damit, dass das eine solche Anziehungskraft entfaltet, dass auch viele andere sich da anschließen. Deswegen ist es besser, wenn man sagt: Gott sät einen Samen und rechnet damit, dass aus diesem Samen ein großer Baum wachsen wird, in dem viele Vögel ihre Nester bauen können.
Und tatsächlich ist ja aus Abraham ein großes Volk geworden, vor allem aber ein Volk, das ganz viele Impulse in seine Umwelt hinausgesandt hat. Die haben ja immer anders gelebt als all die anderen Völker. Die hatten Rechtsordnungen, die die Schwachen geschützt haben, sie hatten Propheten, die den Königen deutlich gesagt haben, wo sie diese Ordnungen übertreten. Dieser Gedanke, dass jeder Mensch seine Würde und seinen Wert hat, sogar die Sklaven, das ist einer der wichtigsten Gedanken, mit dem das Volk Abrahams die Menschheit gesegnet hat. Und sie haben eine Lebensweise gelernt, wo man nicht einfach so drauflos lebt und so wie es einem in den Sinn kommt, auf den Putz haut, sondern sie haben nachgedacht über das Leben, sie haben Gottes Willen zu ergründen versucht, und zwar nicht nur einzelne Gelehrte, sondern ein ganzes Volk. In Jesu Zeit konnten mindestens die Männer fast alle lesen, sie konnten über schwierige Texte nachdenken und diskutieren, es war ein Volk, das im Vergleich zu seinen Nachbarn eine unerhörte geistige Kraft entwickelt hat. Aus der diesem
Und immer wieder gab es Menschen, die merkten, dass dieses Volk etwas Besonderes war und überlegten, wie sie daran Anteil haben könnten. Ja, es gab auch die Menschen, die dieses Volk hassten, gerade weil sie spürten, dass das nicht irgendein Volk war. Aber kaum einer blieb gleichgültig. Viele verstanden: da ist etwas ganz Besonderes, was dieses Volk begleitet, und vielleicht gibt es ja einen Weg, wie ich auch etwas davon abbekommen kann.
Und dann wurde in diesem besonderen Volk ein besonderer Mensch geboren, Jesus von Nazareth, und in dem konzentrierte sich dieser ganze Weg, den Gott von Abraham an zwei Jahrtausende lang mit diesem Volk gegangen war. Und dann war es wirklich so weit, dass nicht nur Einzelne hier und da ein bisschen abbekamen von dem Segen Abrahams, sondern von jetzt an waren es viele Menschen aus allen Völkern, die durch die Nachfolger Jesu da hineingezogen wurden. In Jesus war dieser Samen, den Gott in Abraham gesät hatte, endlich voll erblüht, in Jesus war jetzt die Absicht Gottes ganz klar zu erkennen, und da war die Zeit reif, dass alle Völker ihren Anteil an diesem Segen bekommen konnten.
Einer dieser Nachfolger, Paulus, nimmt ganz deutlich Bezug auf diese lange Geschichte des Abrahamsvolkes und schreibt im Galaterbrief (3,14):
In dieser Rückschau merkt man deutlich, wie Segen kein Selbstzweck ist, nicht einfach ein schönes Geschenk für den, der ihn zufälligerweise bekommt. Sondern Gott will uns auf seine Seite ziehen, er will uns für seine Sache gewinnen, für die Erneuerung der Menschheit, die auf Wege des Unheils geraten ist und ihr Ziel aus den Augen verloren hat. Und dann soll der Segen wieder ungestört fließen, der Segen, mit dem Gott die Erde bei ihrer Erschaffung schon gesegnet hat.
Ich habe mit Absicht noch dieses Bild hier auf der Leinwand gelassen: es ist ein Ausschnitt aus dem großen Gemälde von Michelangelo »Die Erschaffung Adams«. Das ist einer der bekanntesten Bildausschnitte der ganzen Kunstgeschichte, er ist das Zentrum des Bildes. Gott streckt seine Hand aus und rührt Adams Hand an, damit der ein lebendiges Wesen wird. Und hier im Zentrum dieser Berührung sieht man, dass es einen kleinen Zwischenraum dazwischen gibt. Sie kommen nicht völlig zusammen, Adam bleibt Mensch und Gott bleibt Gott, sie verschmelzen nicht, sondern jeder bleibt er selbst, aber dieser kurze Zwischenraum ist eng genug, dass da etwas überspringen kann.
Michelangelo hat die Elektrizität noch nicht gekannt, aber er muss etwas davon geahnt haben, dass über so eine kurze Distanz ein Funke überspringen kann. Da fließt eine Kraft durch, die beide verbindet. Es ist ganz deutlich: die Hand rechts, das ist Gott, von ihm geht die Initiative und die Kraft aus, und der Finger Adams links, der ist demütig ein Stückchen nach unten gesenkt, der empfängt das Leben. Aber Adam empfängt wirklich das Leben Gottes, Gottes eigene Lebenskraft.
Das ist eine ganz tiefe Darstellung davon, wie Gott und Mensch sich begegnen: Gott gibt das Leben, aber er erlaubt uns, dass wir wir selbst sind, er respektiert unseren Lebensraum, er drängt sich nicht hinein, was er natürlich könnte, er möchte ja, dass wir wir selbst bleiben, aber wenn wir uns für ihn öffnen, wenn wir uns ihm entgegenstrecken, dann lässt er einen Funken überspringen: seinen Segen, sein Leben, seinen Geist.
Und das ist ja die revolutionäre Gleichsetzung, die Paulus hier macht. Er sagt: dieser Segen, der von Abraham zu allen Völkern kommen soll, das ist tatsächlich der Heilige Geist, den wir durch Jesus bekommen haben. Vorher haben die Menschen gedacht: der Segen besteht darin, dass die Ernte gut wächst und die Kühe fett werden und die Menschen viele Kinder haben und alle gesund sind und dass man im Krieg gewinnt, und das ist alles nicht falsch; aber seit Jesus wissen wir, dass der Kern dieses Segens, seine Innenseite sozusagen, der Heilige Geist ist. Die Innenseite des Segens besteht darin, dass sich Gottes eigenes Leben in uns entfalten kann und wir neu werden.
All diese guten Gaben des äußeren Lebens sind Begleiter dieser inneren Wirklichkeit, sie sind Begleiter des Heiligen Geistes. Ja, es kann sogar sein, dass diese äußeren Begleiter des Geistes Gottes noch gar nicht richtig zu erkennen sind, dass Menschen äußerlich in gar nicht so gesegneten Umständen leben, aber trotzdem ist der Heilige Geist bei ihnen und gibt ihnen seine Energie und wird dadurch dann über kurz oder lang auch äußerlich die Dinge wenden.
Zweitausend Jahre hat es gedauert, von Abraham zu Jesus, bis dieses Geheimnis aufgedeckt worden ist, diese Innenseite des Segens: die zarte Berührung Gottes, durch die wir seine Lebenskraft empfangen. Und obwohl dieses Bild eigentlich ein Bild von der ersten Erschaffung des Menschen ist, hat Michelangelo es so gemalt, dass man darin auch sehen kann, was passiert, wenn Gott einen Menschen durch den Heiligen Geist erneuert und quasi zum zweiten Mal erschafft.
Wir bleiben wir selber – aber wir kommen Gott so nahe, dass von ihm her etwas zu uns überspringt. Wir würden vielleicht sagen: wir öffnen unser Herz für Gott. Michelangelo hat es so dargestellt, dass wir unsere Hand ausstrecken, und dann kommt Gott und streckt sich unserer ausgestreckte Hand entgegen und antwortet auf unsere Sehnsucht nach dieser heilenden Berührung. Und dann springt etwas über – und tatsächlich erleben das Menschen ja nicht selten, wenn sie gesegnet werden, dass sie sagen: da ist etwas herüber geflossen zu mir.
Es ist ein ganz zarter und leicht zu störender Kontakt. Wenn wir in Hektik sind oder in Gedanken noch mit dem Ärger belastet sind, den wir gestern oder heute morgen hatten, oder innerlich schon bei dem, was nachher auf uns wartet, dann springt da nur schwer etwas über. Denn Gott respektiert uns, er respektiert unsere eigene Sphäre, er verschlingt uns nicht, sondern hält diesen kleinen Abstand ein, der uns davor bewahrt, von ihm überwältigt zu werden, er wartet darauf, dass seine Sehnsucht nach uns und unsere Sehnsucht nach ihm so weit sind, dass diese Brücke trägt, dass dieser minimale Abstand überbrückt werden kann durch den Funken seines Geistes. Und diese respektvolle Liebe ist in Wahrheit ein Modell für jede Begegnung zwischen Personen, wo man sich in Liebe begegnet und doch jeder dem andern erlaubt, er selbst zu bleiben.
Wenn wir uns so öffnen, wenn wir uns ausstrecken nach Gott, wenn wir all die Dinge aus der Hand geben, die uns belasten und anderswo festhalten, wenn wir in Demut und voller Erwartung seiner Hand entgegensehen, dann fließt etwas von ihm zu uns. Und es schlägt in uns Wurzeln und erneuert uns. Und es ist ganz Gottes Gabe, sein Leben, und trotzdem ist es ganz unseres, was da entsteht, nichts Fremdes, sondern ganz wir selbst. Das ist das Geheimnis der Gemeinschaft von Gott und Mensch, es ist seine Güte, deren Kern in Jesus enthüllt ist und die nun für alle Menschen zugänglich ist.