Keine Tragik, keine Dramen!

Predigt am 5. Januar 2025 mit 1. Johannes 5,11-13

11 Und das ist das Zeugnis, dass uns Gott das ewige Leben gegeben hat, und dieses Leben ist in seinem Sohn. 12 Wer den Sohn hat, der hat das Leben; wer den Sohn Gottes nicht hat, der hat das Leben nicht. 13 Das habe ich euch geschrieben, damit ihr wisst, dass ihr das ewige Leben habt, die ihr glaubt an den Namen des Sohnes Gottes.

Über so ein kurzes Stück aus dem 1. Johannesbrief zu predigen ist eine spezielle Aufgabe. Alle Texte aus der Schule des Johannes zeichnen sich dadurch aus, dass derselbe Sachverhalt immer wieder aus einer neuen Perspektive angeschaut wird. Es gibt Stichworte, die immer wieder auftauchen und weiterentwickelt werden, aber nicht wirklich mit einem logisch aufgebauten Gedankengang wie bei Paulus, sondern kreisend, assoziativ, in immer neuen Wendungen. Und wenn dann so ein Wort wie »ewiges Leben« auftaucht, dann stecken da ganz viele Gedanken drin, über denen die Schule des Johannes lange gebrütet hat. Die klingen in diesen wenigen Versen alle mit, und ich muss jetzt versuchen, euch Stück für Stück die Ober- und Untertöne hören zu lassen, die in diesen kurzen Versen mit ertönen.

Die Schule des Johannes
Eine Hand hält im Dunkeln eine hell leuchtende Lichtquelle
Bild von Daniel Reche auf Pixabay

Diese Schule des Johannes ist sowieso ziemlich rätselhaft. Keiner weiß genau, ob es sie tatsächlich gegeben hat, wer sie gegründet hat und wo sie angesiedelt war. Irgendwo zwischen Jerusalem und Kleinasien, also da, wo heute die Türkei ist, muss es wohl gewesen sein. Vielleicht geht sie auf den Jesusjünger Johannes zurück, vielleicht aber auch auf einen anderen Johannes. Das Einzige, was wir wirklich haben, sind vier Schriften des Neuen Testaments, nämlich das Johannesevangelium und die drei Johannesbriefe. Die sind in diesem typischen Johannes-Stil verfasst, mit bestimmten Schlüsselworten, die nach und nach mit immer mehr Gedanken aufgeladen werden. Es scheint da eine Gruppe von Theologen gegeben zu haben, die sich bei einem Johannes trafen, miteinander überlegten und ihre Zentralbegriffe mit immer neuen Gedanken verbanden. Eins von diesen Schlüsselworten ist »Leben« bzw. »Ewiges Leben«. Und diese Worte kommen auch beide in unserem kurzen Text an zentraler Stelle vor.

Was also denkt ihr, wenn ihr hört, dass Gott uns das ewige Leben gibt, und zwar in seinem Sohn? Ich vermute, dass wir alle dann automatisch an ein Leben denken, das beginnt, nachdem wir tot sind. Die einen malen sich das sogar irgendwie aus, einen Himmel, wo wir uns dann alle versammeln und Menschen wiedersehen, die vor uns gestorben sind. Andere denken eher abstrakt und sagen: wir sind dann bei Gott, aber wirklich vorstellen, wie das ist, können wir uns das jetzt noch gar nicht.

Der berühmte Theologieprofessor Karl Barth wurde einmal gefragt: »Herr Professor, werde ich im Himmel alle meine Lieben wiedersehen?« Und er antwortete: »Ja – die andern aber auch.«

Leben nach dem Tod wollen alle

Das zeigt, wie sich in einer langen christlichen Geschichte diese Vorstellung eines nicht endenden Lebens nach dem Tod mit dem Begriff des »ewigen Lebens« verbunden hat. Und wenn wir dann dieses Wort in der Bibel lesen oder in einer Predigt hören, dann ist diese Vorstellung sofort da, und wir hören gar nicht mehr richtig hin, was die Bibel wirklich sagt – z.B. in diesen Versen des ersten Johannesbriefes.

Wenn man aber genauer hinschaut, dann merkt man, dass da etwas klemmt. Dieses ewige Leben ist ja nichts, was erst in der Zukunft kommen soll, sondern es ist in der Gegenwart präsent. Wer den Sohn hat, also Jesus, der hat damit das ewige Leben, sagt Johannes. Er hat nicht bloß eine Anwartschaft auf dieses Leben für eine ferne Zukunft, sondern er hat jetzt schon dieses Leben selbst. Das hat vermutlich auch Folgen für die Zeit, nachdem man uns ins Grab gelegt hat, aber darüber redet Johannes gar nicht so oft.
Es geht Johannes um die Gegenwart. Und das macht die Sache kompliziert. Denn das Eigentliche am christlichen Glauben ist nicht das, was nach dem Tod kommt, sondern die Veränderung in der Gegenwart.

Dass mit dem Tod nicht alles aus sein soll, das ist nichts Besonderes. Das glauben so ziemlich alle bis auf die paar ganz hartgesottenen Atheisten. Das glaubten die Germanen ebenso wie die alten Griechen und Ägypter. Deswegen hat man den Toten manchmal auch lauter Dinge mit ins Grab gegeben, die ihnen im Jenseits vielleicht nützlich sein könnten: Schmuck, Waffen, Wagen, das Lieblingspferd, den Lieblingshund oder die Lieblingsfrau, das Fußballtrikot und das Handy, eben alles, was das Leben auch im Jenseits möglichst angenehm macht. Natürlich bekamen die Reichen nur das neueste iPhone mit, die Armen dagegen nur ein billiges Schrotthandy.

Das spezifisch Christliche

Nur die Juden haben schon verstanden, dass das Jenseits keine einfache Fortsetzung unseres irdischen Lebens sein kann, weil sonst die Armen und Unterdrückten nie Gerechtigkeit finden würden. Das kann doch nicht sein! Die Juden kannten den Gott, der das Unterste zuoberst kehrt. Und die ersten Christen waren ja Juden und teilten den jüdischen Glauben, dass Gott einen neuen Himmel und eine neue Erde schafft, wo Gerechtigkeit wohnt. Also keine Fortsetzung der alten Hierarchien im Himmel!

Das war schon ziemlich gut, aber die Christen setzten noch einen drauf. Sie sagten: das hat im Verborgenen schon begonnen. Mit Jesus. Und das ist der eigentlich christliche Punkt. Wenn du in der Gegenwart keinen Anteil am ewigen Leben hast, dann wirst du auch nach dem Tod in die Röhre gucken.

Was bei Johannes unter dem Stichwort »Ewiges Leben« läuft, das erinnert ein bisschen an Sätze Jesu, die man in den anderen Evangelien findet, wo er sagt: das Reich Gottes ist nahe herbeigekommen. Das Reich Gottes ist keine Sache einer näheren oder ferneren Zukunft, sondern es ist hier bei mir, da, wo ich bin.

Menschen die sich nicht einschüchtern lassen

Bei Johannes wird nicht konkret beschrieben, wie das aussieht. Bei Jesus ist es konkreter. Aber Johannes zeigt immerhin die grobe Richtung an, was damit gemeint ist. Da geht es um Liebe, zuerst zu den anderen Christinnen und Christen, und dann zu den Menschen überhaupt. Aber dieses Wort »Liebe« ist für uns heute mit so einem Gefühlsmatsch verbunden, dass man es besser mit »Solidarität« übersetzen sollte. Es geht um konkretes Verhalten, nicht um warme Gefühle.

Aber schon damals gab es Menschen die sagten: ich möchte ja gerne im Sinn Jesu leben, aber da draußen ist die böse Welt, da gelten ganz andere Gesetze, da muss man mit den Wölfen heulen. Die Welt ist nun mal kein Ponyhof. Man muss Kompromisse machen. Eigentlich bin ich ja ganz anders, ich habe nur so selten Zeit und Gelegenheit dafür. Aber da sagt Johannes: nein, so nicht. Wenn du aus Gott geboren bist, dann siegst du über die Welt. Wenn du glaubst, dann bist du kein Getriebener, für den sich die Welt so, wie sie ist, alternativlos anfühlt. Das sagt er ein paar Verse früher, hier in unserem Kapitel. Und etwas früher: Wenn du glaubst, hast du keine Angst.

Diese ganzen Zwänge, in denen viele Menschen drinzustecken glauben, sind ja in Wirklichkeit aus Steinen gebaut, die in der Angstfabrik gebrannt worden sind. Das typische Beispiel ist der Beamte, der sagt: das geht nicht, ich habe meine Vorschriften. Wenn du mit seinem Chef sprichst, geht meistens sehr viel mehr, und zum Glück hat er oft sogar Kollegen, die mit den Vorschriften so jonglieren, dass auf einmal vieles geht, was vorher unmöglich war. Aber ein Einziger, dessen Horizont aus lauter Respekt vor seinen Vorschriften nur bis zur Nasenspitze reicht, kann vielen anderen das Leben schwer machen. Und es braucht mutige, unabhängige Leute, die diese Angstmechanismen austricksen. Also: es braucht Christen.

Die Welt der wiedergefundenen Einheit

Dietrich Bonhoeffer hat in einer seiner letzten Schriften von der »Welt der wiedergefundenen Einheit« gesprochen, der wir in Christus begegnen. Jesus war nie und her gerissen zwischen guten Vorsätzen und der schwierigen Wirklichkeit. Er war nie in Zeitnot. Er hat alles im richtigen Moment gemacht. Kurz bevor er verhaftet wurde, hat er noch seinen Jüngern gezeigt, wie sie in Zukunft das Abendmahl feiern sollten. Nicht zu früh und nicht zu spät, genau im richtigen Moment.

Bei Jesus begegnen wir auch keiner Tragik, wie in den griechischen Theaterstücken seiner Zeit, wo die Menschen in ihr Verderben laufen, obwohl sie es eigentlich gar nicht wollen. Jesus hat auch nie gesagt: im Familienkreis bin ich nett, aber wenn ich mit den Pharisäern zu tun habe, dann reißt mir schon mal der Geduldsfaden. Jesus hat harte Dinge über seine Gegner gesagt, aber nicht, „weil das einfach mal rausmusste“. Jesus hatte kein leichtes Leben, seine Welt war sowieso viel härter als unsere, er hatte viele Feinde und am Ende haben sie ihn ermordet, aber er hat nie gesagt: ich würde es ja gern anders machen, aber es geht nun mal nicht. Nein, was er tat, war immer genau das Richtige.

Jesus war kein Supermann, für den die normalen Gesetze des Lebens nicht gelten. Er hat nicht die Sklaverei abgeschafft, nicht sämtliche Kranke auf der Welt geheilt oder alle Kriege beendet. Aber er hat alles Nötige getan, um eine Bewegung ins Leben zu rufen, die seit 2000 Jahren überall auf der Welt zerstörerischen Mächten jeden Kalibers entgegentritt. Manchmal formiert sich diese Bewegung als Kirche, und manchmal sind es Menschen, die einfach so von der Ausstrahlung Jesu erreicht und bewegt worden sind. Jesus hat mitten in dieser beschädigten und vergifteten Welt, wo alle denken, dass man in Zwängen gefangen ist, eine Alternative angeschoben. Und diese Alternative ist gekommen, um zu bleiben. Das ist die Alternative, die manchmal »Reich Gottes« und bei Johannes »Ewiges Leben« heißt.

Ihr sollt euch sicher sein

Und Johannes schreibt: ihr sollt wissen und sicher sein, dass ihr dieses Leben jetzt habt. Ich möchte, dass ihr nicht zweifelt und euch von den Angstmächten dieser Welt ins Bockshorn jagen lasst. Leute wie Johannes sehen sehr klar, dass die Welt ein gefährlicher und schwieriger Ort ist, wo Angst eine riesige Rolle spielt. Aber Leute wie er haben deshalb nicht die Hose voll. Sie fügen sich nicht in das angeblich Unvermeidliche oder Alternativlose. Diese Haltung soll sich ausbreiten. Deshalb schreibt er seinen Brief. Deswegen predige ich heute mit diesen Versen. Dazu ist Jesus gekommen, damit wir ewiges Leben haben, damit wir keine Fatalisten und Schisser sind, sondern Menschen, die aktiv mitmachen, wenn er die Welt bewegt.

Ich will, dass ihr sicher seid, schreibt Johannes. Ihr sollt nicht daran zweifeln, dass es immer und überall Gottes Alternative gibt. Vielleicht habt ihr sie noch nicht gefunden, aber sie ist da. Und wenn ihr euch da sicher seid und betet und die Schrift lest und andere Christen fragt, dann werdet ihr diese göttlichen Möglichkeiten in der Welt finden. Vor allem werdet ihr dann nicht zu den Leuten gehören, die anderen mit ihrer Ängstlichkeit das Leben schwerer machen, als es sein müsste. Die hin und her gerissenen Zweifler machen mit bestem Gewissen alles mühsam und schlimm.

Sucht diese Sicherheit nicht im fernen Jenseits. Was ihr hier nicht sucht und findet, werdet ihr auch jenseits des Todes nicht bekommen. Dann sitzt da vor der himmlischen Außengrenze bloß wieder dieser Beamte, der sagt: leider habe ich meine Vorschriften, und im Himmel sind sie jetzt mit den vielen, die da rein wollen, überfordert. Das Boot ist voll. Der vor Ihnen war der letzte, den ich noch reinlassen durfte.

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