Gerade hab ich ein paar Tweets zum Thema „Übernahme von Internet-Predigten“ rausgehauen und merkte, dass das auf Resonanz stieß. Deswegen will ich es noch mal im Zusammenhang schreiben (und nicht im Twitterformat). Darf man fremde Texte in Predigten einbauen, und das auch noch ohne Quellenangabe?
Das erste, was man dazu sagen muss, ist: das hat es schon immer gegeben. In Zeiten, als es noch kein Internet gab, hatte man – auch als Theologe – gedruckte Predigtsammlungen. Es gab angeblich auch Sammlungen mit Beispielgeschichten für Predigten. Nach dem Vikariat habe ich noch lange mit geschätzten Kollegen kopierte Predigten ausgetauscht (per Snail Mail) und dabei manches sowohl gelernt als auch übernommen. Ich habe die Ordner immer noch und benutze sie manchmal. Manche, die sich zur Übernahme von Predigten äußern, sehen das als Problem des Internet („Verführung durchs Internet?“). Aber wenn ich von einem Kollegen zum fünften Mal mit großem Pathos höre, dass „Christus keine Hände hat, nur unsere Hände“, dann ist das kein Problem des Internet. Oder zu Weihnachten Angelus Silesius. Oder die „kleinen Dinge“, an denen sich zu freuen man wieder lernen muss. Das ist ein Problem mit nicht zu Ende gedachter Theologie. Oder mit dem kleinbürgerlichen Horizont. Da stellen sich mir manchmal wirklich die Nackenhaare hoch, aber das liegt nicht am bösen Internet.
Das zweite ist: Wer den Gottesdienst hält, ist dafür verantwortlich, dass es ein guter, erfüllter, starker Gottesdienst wird (vorsichtshalber für alle Lutheraner das Mantra: WIR können das nicht machen und so). Wie er das hinkriegt, ist sein Problem. Wenn sie irgendwo abkupfert, soll es mir recht sein, wenn es denn am Ende ein Gottesdienst wird, in dem etwas Starkes … passiert. Gut auswählen ist auch eine Kunst. Wenn du etwas öffentlich vorträgst, ist es dein Text, egal, wo er her ist. Punkt. Ich bin tatsächlich öfter mal erschrocken, wie wenig Hoffnung und Leidenschaft sich für manche mit ihrer Ortsgemeinde verbinden, aber das ist ein anderes Thema. Manchmal wäre es nicht schlecht, wenn man da wenigstens eine kluge Predigt aus dem Internet vorgelesen bekäme.
Drittens: Predigten sind Open Source. Wer was von Software versteht, weiß, warum Open Source oft besser ist als proprietäre (nicht nachvollziehbare) Programme. Wenn einer auf dem anderen aufbaut, wächst die Qualität. Warum nicht tolle Formulierungen übernehmen, die man selbst so nicht hingekriegt hätte? Ich hab viel gelernt von Theologen und Theologinnen, mit deren Büchern ich eine Zeit lang vertrauten Umgang gepflegt habe. Irgendwann war dann ein anderer dran, aber sie alle begleiten mich bis heute. Die unterschwellige Vorstellung, Predigten müssten etwas Originelles und Einmaliges sein, ist daneben. Predigten sind Gebrauchstexte. Predigten sind auch keine Doktorarbeiten. Schon Paulus hat sich bei allen möglichen anderen bedient, ganz ohne Quellenangabe. Wenn du Texte von einer anderen übernimmst, würdigst du sie. Du machst dir ihr Anliegen zu eigen. Was kann ihr Besseres passieren?
Viertens: Wer fremde Texte ganz oder teilweise übernimmt, muss sie sich trotzdem erst aneignen. Auch das ist ein kreativer Prozess. Wer nicht merkt, wenn die fremde Sprache (oder Theologie) in ihrem Mund blechern klingt, muss noch viel lernen. Sich am Sonntagmorgen schnell was auszudrucken und vorzulesen, geht vermutlich daneben. Ich weiß aber von niemandem, der das macht (was nicht heißt, dass es das nicht gibt). Aber wenn doch: Kriterium ist, was am Ende dabei rauskommt. Siehe oben Punkt 2.
Fünftens: Gegen Internet-Ressourcen fürs Predigen sprechen allerdings zwei ganz andere Punkte. Einmal finde ich es zu anstrengend, mich durch eine Unzahl mittelmäßiger Predigten durchzulesen. Ich weiß nicht, ob andere das auch so erleben, oder ob das bloß mein Problem ist, aber mir ist das meiste, was ich im Netz finde, nicht gut genug. Ich hab mal ein bisschen in den großen Portalen geschnuppert und hatte dann keine Lust mehr. Die eine Perle darunter zu suchen, die dann auch noch zu mir passt, ist mir schlicht zu aufwändig. Es gibt ein paar Leute, von denen ich gern was lese, aber dann ist es auch gut. Der ganze Mainstream frustriert mich einfach zu sehr. Ich weiß, so was sagt man nicht. Nennt mich arrogant.
Sechstens: Der zweite Grund gegen die Übernahme von theologischen Internet-Produkten ist ein kirchenstrategischer. Ich halte viel von dezentralen Strukturen und hoffe sehr, dass es nicht irgendwann dazu kommt, dass überall die Predigten von Bischof/Oberkirchenrat X, Professorin Y oder landeskirchlicher Arbeitsstelle Z verlesen werden (Freikirchler mögen entsprechendes einsetzen). Wir brauchen an der Basis Gemeinde, wo selbständig theologisch gedacht wird. Mit oder ohne Internet. Ich erlebe das Internet da eher als hilfreich. Aber das soll jede so halten, wie es für sie passt.
Summa: Wer seinen Kopf gebraucht, hat nichts zu fürchten.
In zwei Punkten widerspreche ich Ihnen, allerdings ist mein Kontext nicht der des Predigens, aber im Hinblick auf die Erarbeitung eines Textes ist es eine teilweise vergleichbare Situation – nämlich Stadtführungen oder Bibliologe. Übrigens kommen mehr als 80 Prozent derer, die über Suchmaschinen auf mein Weblog kommen über das Suchwort B.ibliolog und die Angabe einer Bibelstelle.
„Schon Paulus hat sich bei allen möglichen anderen bedient, ganz ohne Quellenangabe. Wenn du Texte von einer anderen übernimmst, würdigst du sie. Du machst dir ihr Anliegen zu eigen. Was kann ihr Besseres passieren?“
Dieses Argument finde ich insofern als „schief“ als zu damaligen Zeiten das Verständnis von Urheberschaft ein ganz anderes war als unseres heute und sogar umgekehrt zu unserem gewesen sein dürfte: So wurden ihm Texte zugeschrieben, die nicht von ihm sind. Paulus dürfte es nicht darum gegangen sein, etwas von jemand abzuschreiben und den Autor zu verschleiern, aber mit dessen Gedanken zu glänzen.
„Wenn du etwas öffentlich vorträgst, ist es dein Text, egal, wo er her ist. Punkt.“
Dem entspreche ich ganz entschieden. Nur weil ich etwas öffentlich verbreite, ist es nicht meine Erarbeitung oder mein geistiges Eigentum. Für Sie als Pfarrer mag das egal sein, aber ich als Freiberufler finde es nicht lustig, wenn ich ein paar hundert Stunden Vorarbeit für eine Stadtführung habe und dann Leute locker vom Hocker mitschreiben oder mit versteckten Mikros aufnehmen (alles schon gehabt), um das dann ein paar Wochen später als „eigene Erarbeitung“ auszugeben und öffentlich zu präsentieren. Deshalb erlauben inzwischen in meinem Wohnort die Agenturen, die gute Qualität anbieten, das Mitschreiben bei Stadtführungen nicht mehr.
In jüdischen Kontexten ist es überhaupt kein Problem – auch bei Predigten – darauf Bezug zu nehmen, daß einem ein Gedanke von jemand anderem wichtig geworden ist. Es wird sogar erwartet, daß man das, was man von anderen hat, als solches benennt und läuft unter dem Stichwort „seinen Lehrern die Ehre erweisen, die ihnen zusteht“. Es gilt als Diebstahl, wenn man das nicht tut.
Hallo IWe, ich wollte hier wirklich nur was zum Predigen sagen. Weil ich da – im Gegensatz zu einer Freiberuflerin – mein Geld schon vor der Arbeit bekommen habe, sehe ich es als selbstverständlich an, das Produkt dann auch wieder zur Verfügung zu stellen und nicht als geistiges Eigentum zu reklamieren. Das erwarte ich dann auch von anderen bezahlten Predigern.
Und auch bei den Quellenangaben denke ich ans Predigen: interessiert es die Gemeinde wirklich jedes Mal, dass diese Formulierung jetzt von Iwand, Bonhoeffer oder wem sonst war? Ich hab kein Problem damit, meine Quellen offenzulegen, aber eine Predigt mit Fußnoten ist albern. In anderen Texten sind mir solche Hinweise kein Problem, solange das Zusammentragen der Nachweise nicht ähnlich viel Aufwand macht wie das Verfassen des Textes selbst …
Und dass es dann „mein Text“ sei, war in dem Sinn gemeint, dass ich die eindeutige Verantwortung trage für das, was ich predige. Ich finde das wichtiger als die Frage, woher ich den Gedanken habe. Dass ein Gedanke von Luther stammt, macht meinen Text nicht besser oder schlechter. Auch dann kann er daneben sein (und ist es häufig).
Man muss doch ehrlich zugeben, dass wir alle bei geistiger Tätigkeit überwiegend die Gedanken von anderen (manchmal wörtlich, manchmal sinngemäß) neu arrangieren, ohne dass uns das immer bewusst ist. Ob wir wollen oder nicht, wir sind de facto vor allem Remixer. Und das ist eine sehr kreative Sache. Die „Schöpfungshöhe“ ist dabei natürlich durchaus unterschiedlich.
Ich verstehe, dass es da – außerhalb der Predigtsituation – Wege geben muss, um selbständige DenkarbeiterInnen mit den nötigen Ressourcen zu versorgen. Ich wäre aber froh, wenn das so geregelt werden könnte, dass man den Schatz menschlicher Kreativität, den das Internet erschließt und vermehrt, einfach nutzen könnte, ohne dauernd über Copyrightprobleme nachdenken zu müssen. Zum Glück ist in der speziellen Predigtsituation diese ökonomische Frage nicht berührt.
Herzliche Grüße nach Berlin – Sie merken, langsam lasse ich den Weihnachtsstress hinter mir und habe Raum für anderes.
Ich hatte bei meinem Beitrag keine „Predigt mit Fußnoten“ im Sinn. Ich denke, ich bin mit Ihnen insofern einig, als ich es wichtig finde, verantwortlich mit den Dingen umzugehen. Und von diesem Leitwert her würde ich dann in der konkreten Situation entscheiden, ob und in welchem Umfang Quellenangaben sinnvoll sind.
Zustimmung!