Seit 2015 ist auf dieser Seite nicht mehr viel passiert. Das hängt damit zusammen, dass die letzten fünf Jahre zu den anstrengendsten meines Lebens gehörten. Ich habe viele neue Dinge erlebt und gelernt, ich habe intensiv reflektiert, aber mir blieb weder die Kraft noch die Zeit, um darüber zu bloggen. Manchmal war es auch nicht möglich, weil es um Personen ging, die ich durch eine Veröffentlichung vielleicht beschädigt hätte. Jetzt habe ich es wenigstens geschafft, diese Webseite zu überarbeiten, sie zu einem anderen Provider zu transferieren und wieder in einen entwicklungsfähigen Zustand zu versetzen.
Um das alles nicht ganz so abstrakt zu lassen, will ich wenigstens im Überblick erzählen, was mich in den letzten Jahren beschäftigt hat.
Geflüchtete in unserer Gemeinde
Da war zunächst einmal die Erstaufnahmeeinrichtung für Geflüchtete, die im Oktober 2015 buchstäblich über Nacht in unserer Gemeinde entstanden ist. Mit einigen Nachbargemeinden haben wir uns dort von Anfang an engagiert (wenigstens darüber habe ich etwas geschrieben). Und auch nachdem die Einrichtung im Frühjahr 2016 auslief, beanspruchte mich die Arbeit mit den christlichen Iranern, die zu uns in die Gemeinde gekommen waren, zusätzlich zur normalen Gemeindearbeit. Verhandlungen mit Behörden und Kommunen, aber auch die Betreuung über Sprachbarrieren hinweg brauchten viel Zeit und Kraft.
Gleichzeitig waren die Iraner aber auch eine enorme Bereicherung: zunächst einmal für uns persönlich, aber auch für die Gemeinde. Von interkultureller Kompetenz habe ich nie gesprochen, aber die Präsenz so vieler Christen aus einem anderen Kulturkreis war für viele Menschen aus unsere Gemeinde eine prägende Erfahrung.
Als das dann langsam in einen Normalbetrieb übergegangen war, folgten die Anhörungen beim Bundesamt, vor allem 2017. Ich weiß nicht mehr, wie oft ich frühmorgens nach Braunschweig gefahren bin, nur um dann einen ganzen Vormittag in einem zugigen Warteraum zuzubringen, in der Hoffnung, dass es diesmal nicht so lange dauern würde, bis der betreute Flüchtling oder die betreute Familie an der Reihe wäre. In der Regel wurde diese Hoffnung enttäuscht, und wir kamen irgendwann am mehr oder weniger späten Nachmittag zurück. Ich erlebte mit, wie sehr es vom jeweiligen Interviewer und anderen Zufällen abhing, ob ein Flüchtling im ersten Anlauf anerkannt wurde oder nicht. Menschen, deren Geschichten mir äußerst windig und zweifelhaft erschienen, wurden anerkannt, und andere, deren christlichen Glauben ich als sehr persönlichkeitsprägend erlebt hatte, wurden als unglaubwürdig abgelehnt. Diese Zeit war körperlich wie emotional sehr belastend.
Im Anschluss daran kamen Gerichtstermine mit denen, die nicht anerkannt worden waren und dagegen klagten. Im Verwaltungsgericht waren die Räume angenehmer und die Richterinnen und Richter meistens sorgfältiger im Umgang mit dem Einzelfall. Aber bis heute sind einige Verfahren noch nicht zur Verhandlung gelangt.
Inzwischen sind viele unserer iranischen Freunde weitergezogen (meistens in größere Städte), aber immer noch sind in so gut wie jedem Gottesdienst in Groß Ilsede auch iranische Christen dabei.
Dienstende
Ende Mai 2019 bin ich aus dem Pfarrdienst ausgeschieden. Die Vorbereitungen und Vorüberlegungen dazu haben schon einige Jahre vorher begonnen. Da absehbar war, dass meine Stelle nach meinem Ausscheiden reduziert werden würde, haben wir in Zusammenarbeit mit drei Nachbargemeinden eine neue Struktur vorbereitet, die dann wenigstens zwei volle Pfarrstellen umfasste. Auch dafür war viel Überzeugungsarbeit zu leisten, die zeitweise ebenso anstrengend war wie die Anhörungen beim Bundesamt. Aber im Frühjahr 2019, kurz vor meinem Ausscheiden, war alles beschlossen und in Kraft.
Das Ende meines Berufstätigkeit habe ich weder als großen Verlust noch als große Befreiung erlebt. Zunächst absorbierten andere Dinge meine Aufmerksamkeit; und dann wird mir immer deutlicher, dass jetzt etwas Neues begonnen hat, das nur langsam Konturen annimmt (s.u.). Ich freue mich sehr darauf. Gelegentlich helfe ich in der Gemeinde aus, aber vor allem bin ich dabei, Neues anzugehen.
Persönliches
Schon lange hatten wir überlegt, wo wir wohl nach unserem Auszug aus dem Pfarrhaus wohnen würden. 2017 entschieden wir uns für ein älteres Haus in der Nähe unserer bisherigen Wohnung, deren Lage wir zu schätzen gelernt hatten. Wir wollten nicht auf die grüne Wiese ziehen, sondern möglichst im Zentrum des Ortes bleiben. Hätten wir aber vorher geahnt, wie aufwendig, zeitraubend und mühsam es sein würde, dieses Haus zu modernisieren, dann hätten wir uns vermutlich doch noch etwas anderes gesucht. Das wäre schade gewesen, denn das Haus ist bis heute genau das, was wir uns gewünscht haben. Aber erst die Planungen und dann die Bauarbeiten, die sich immer mehr in die Länge zogen, belasteten sehr. Bis heute ist das Haus noch nicht ganz fertig. Aber im Januar 2020, noch kurz vor der Corona-Zeit, konnten wir endlich in ein einigermaßen bewohnbares Haus umziehen.
Auch in der Familie haben wir in dieser Zeit viele Veränderungen erlebt: 2018 wurde unser erstes Enkelkind geboren, 2020 das zweite. Das hat meine Sicht auf die kommende Klimakatastrophe grundlegend verändert. Ich kenne jetzt Menschen, die meinem Herzen nahe sind und – nach heutigen Wahrscheinlichkeiten – gute Chancen haben, noch das 22. Jahrhundert zu erleben und dann in einer Welt leben zu müssen, die sich vielleicht um 3 Grad erwärmt hat. Das ist viel beunruhigender als alles, was ich bisher schon über die wahrscheinlichen Folgen unseres Raubbaus an der Schöpfung wusste. Ende 2018 erkrankte meine Mutter an Krebs. Sie starb, drei Wochen nach Beginn meines Ruhestands, im Juni 2019. Die Auflösung der Wohnung und die Regelung anderer Angelegenheiten beschäftigten meine Schwester und mich bis Anfang 2020; ganz abgeschlossen ist das alles bis heute nicht.
Das alles führte dazu, dass ich das Dienstende gar nicht als solches erlebte. An die Stelle der Arbeit im Pfarramt trat nun nahtlos die Arbeit am Haus: auf der Baustelle und in vielen Detailentscheidungen, deren Folgen meist schwer abzusehen waren. Im Rückblick kann ich wirklich nur sagen, dass Gott uns haarscharf an vielen möglichen Katastrophen vorbeigeleitet hat. Alle vorherigen Zukunftsplanungen waren zunächst Makulatur, weil die Arbeit mit dem Haus keinen anderen Spielraum zuließ. Bis heute ist das noch nicht vorbei. Allerdings komme ich jetzt langsam zu anderem, zB zur Arbeit an dieser Webseite.
Zukunftsperspektiven
Noch während meines aktiven Dienstes habe ich den Posten des Lektorenbeauftragten im Kirchenkreis übernommen, um auch in Zukunft ein kirchliches Praxisfeld zu haben, das zu meinen Schwerpunkten passt. Seit 2019 organisiere ich in diesem Rahmen eine regionale Lektorenausbildung. Es macht große Freude, mit Menschen zusammenzuarbeiten, die ein echtes Interesse an Inhalten haben und sich damit in ihren Gemeinden einbringen wollen.
Kurz nach unserem Umzug begann dann der Corona-Lockdown. Für mich selbst änderte sich nicht sehr viel: die Handwerker arbeiteten weiter, die Baumärkte wurden nur kurz geschlossen, und ich war sowieso den ganzen Tag am Haus beschäftigt und hätte keine Zeit gehabt, um unter Leute zu gehen. Nur mein zweites Enkelkind habe ich zum ersten Mal im Sommer gesehen, als es schon deutliche Krabbel-Ambitionen hatte. Durch den Wegfall fast aller kirchlichen Veranstaltungen hatten aber nun KollegInnen Zeit für etwas, was sonst im Pfarramt so gut wie unmöglich ist: regelmäßige Treffen mit Bibelarbeit und intensiven Gesprächen. Möglich wurde das durch die Videokonferenzen, die wir erst in der Corona-Zeit als einen guten Kommunikationskanal entdeckten. Nie, nie, nie wäre es vorher denkbar gewesen, dass wir uns viermal in der Woche ohne offiziellen Anlass sehen und sprechen.
Aus diesen Gesprächen erwuchs dann das Projekt der „WG-Gottesdienste“ . Wir stellen uns vor, dass wir uns sonntags um 12 Uhr am Küchentisch unserer Pfarrhaus-WG treffen und miteinander Gottesdienst feiern. So, wie wir selbst es gerne tun würden, ohne Rücksicht auf kirchliche oder liturgische Vorgaben. Wir tun es allerdings auf Zoom, die WG ist nur virtuell, und für alle, die gern dabei wären, streamen wir das ganze auf YouTube. Nach einigen technischen Pannen klappt das jetzt ziemlich reibungslos. In meinem ganzen Berufsleben habe ich solche intensiven Diskussionen mit Amtsgeschwistern immer vermisst, und jetzt ist das plötzlich möglich. Wir haben inzwischen den Hebräerbrief, Amos und Micha bearbeitet, danach eine Psalmenauswahl, und im Augenblick ist der Kolosserbrief dran. Es ist enorm bereichernd, und sicher werden auch Früchte unserer Diskussionen noch den Weg auf diese Webseite finden.
Damit bin ich in der Gegenwart angekommen. Ich hoffe, dass ich in Zukunft doch etwas mehr Zeit habe, um Theologie zu entwickeln und auch hier zu teilen.
Freue mich sehr, nach so langer Zeit wieder einen Beitrag im Feedreader angezeigt zu bekommen und zu lesen. Bin gespannt, wie es weitergeht. Ein entspanntes Wochenende und viele grüße aus Kreuzberg.
Ja, nach vielen offline-Abenteuern habe ich jetzt auch wieder mehr Zeit für online. Viele Grüße aus Ilsede!