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Im Mai bin ich aus der Spur gekommen. Ich habe die Übungen nur noch unregelmäßig gemacht. Auch meine Aufzeichnungen werden spärlicher. Arbeitsbelastung, eine Zeit mit Handwerkern im Haus und Aktionen wie eine Vorkonfirmandenfreizeit bringen meinen Rhythmus durcheinander. Auf der anderen Seite erlebe ich immer wieder bei mir eine neue Tiefe, die mir viele Aufgaben leichter machte. Beim EmergentCamp in Bremen am 2. Mai habe ich erstmals anderen von meinen Erfahrungen berichtet. Und die Gruppe zu den Übungen, die ich in unserer Gemeinschaft anbiete, entwickelt sich gut.
In der Anleitung von Franz Jalics folgt jetzt die Verlängerung auf Einheiten von einer halben Stunde. Weiterhin in die Hände lauschen, aber länger. Das bereitete mir zum Glück keine Probleme.
9. Mai
Auf Vorkonfirmandenfreizeit bei Bad Sachsa/Harz. Ich erlebe bei mir eine größere Offenheit für unerwartete Impulse. Wir werfen das Programm ein wenig über den Haufen und fahren mit den Kindern (Vorkonfirmandenunterricht findet bei uns in der 4. Klasse statt, im Alter von 9-10 Jahren) zum Kloster Walkenried. Ich erzähle von den Zisterziensern, die bewusst in solche unwirtlichen Gegenden gegangen sind wie den damals kaum erschlossenen Harz. Wir gehen durch die Ruine der Klosterkirche, und ich halte innerlich den Atem an, als die Kids auf den alten Mauerresten herumklettern. Zum Glück bleibt alles gerade noch im grünen Bereich, ich muss nicht eingreifen. Hinterher erzählt mir eine Mutter aus dem Mitarbeiterteam, dass sie mitbekommen hat, wie vier Mädchen sich in einem separaten Teil der Ruine hingekniet und gemeinsam das Vaterunser gesprochen haben.
Aber das bleibende Erlebnis dieses Nachmittags ist ein Bach auf dem Gelände (Zisterzienser haben auf fließendes Wasser im Klosterbereich Wert gelegt). So weit wie möglich dort hineinzuwaten, alte Kacheln herauszufischen und alles Mögliche schwimmen zu lassen, das entpuppt sich als Spitzenerlebnis. Dazu noch Fußballspielen auf der Wiese, wir haben Kekse und Saft dabei, außerdem Gitarre und Liederbücher. Auch wir Betreuer genießen einen wunderschönen, entspannten Nachmittag. Die Kinder spielen ganz ohne Gezanke oder Probleme miteinander, entdecken aneinander neue Stärken.
Wieder zu Hause im Freizeithaus gibt es dafür sofort um so mehr Aufregung: auf einmal sind alle total dünnhäutig, es werden „böse Worte“ übereinander gesagt, Tränen fließen. Wir Betreuer kommen kaum nach mit dem Beschwichtigen.
Am Ende holen wir alle zur Abendandacht zusammen. Eine Kerze kommt in die Mitte und ich erzähle von dem Orts-Fiesling Zachäus, der von Jesus nicht gesagt bekam, was er verdient hätte, weil das nicht geholfen hätte. Am Ende bitte ich sie, in der Stille einem anderen (den sie sich aussuchen dürfen) Frieden zu wünschen, diesen Wunsch aufzuschreiben und an einem Kreuz abzulegen. Und tatsächlich, sie tun das mit großem Ernst. Und anschließend gehen alle ins Bett und schlafen.
Was hat das mit den Übungen zu tun? Ich könnte es nicht beweisen, aber ich bin überzeugt, dass ich viele Entscheidungen an diesem Tag ohne die Übungen anders getroffen hätte. Ich habe oft genug solche Freizeiten gemacht, um mein Verhalten in ähnlichen Situationen zu kennen. Ich wäre unsicherer gewesen, hätte weniger Abstand gehabt, hätte mich mehr aufgeregt, wäre manchen Impulsen nicht nachgegangen. Ich hätte vieles mit weniger Stimmigkeit gemacht. Ich bin kein ganz anderer geworden, ich habe nicht das Konzept unserer Konfirmandenarbeit revidiert, aber ich tue die Dinge mit mehr innerer Stimmigkeit und Klarheit. Und das hat Wirkungen bei Konfirmanden und Mitarbeitern. Ich verstehe immer noch nicht wirklich, wie das kommt, aber für mich ist es ganz klar, dass es mit den Übungen zusammenhängt.
Wieder zurück in Ilsede, beobachte ich bei mir und anderen, wie sehr es von einer guten Zeiteinteilung abhängt, ob jemand die Übungen durchhält.
Zeitplanung wiederum hat mit Prioritätensetzung zu tun. Wovon erwarte ich, dass es mein Leben entscheidend voranbringt? Oder erwarte ich überhaupt, dass es eine durchgreifende Veränderung geben könnte? Gibt es diese Hoffnung? Und wird sie absorbiert von den gewöhnlichen kleinen Hoffnungsträgern, oder gibt es Raum für Wege, die ganz aus dem Rahmen fallen? Vielleicht müssen in Zukunft diese Themen mit dazugehören, wenn ich wieder eine Gruppe zu den Übungen anbiete.
In der Gruppe erleben wir viele erfreuliche und auch spannende Entwicklungen. Im Gedächtnis bleiben natürlich die Spitzenmomente. An einem Abend bitte ich die Teilnehmer nach einer Aufmerksamkeitsübung, sich gegenseitig zu segnen. Zu unserem Erstaunen ist Segen tatsächlich deutlich spürbar. Und gerade die zierlichste von uns allen entwickelt dabei eine ungeahnte Kraft. Wieder einmal fällt mir die Parallele zu charismatischen Erfahrungen auf. Trotzdem, es geht im Kern um die langfristige Sicht, nicht um den einen oder anderen Spezialeffekt.
Ende Mai wird mir klar, dass ich mich um einen neuen Tagesrhythmus für mich selbst kümmern muss.
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