Lange habe ich immer nur begrenzte Zugänge zur Bergpredigt gefunden. Ja, es stehen enorm dichte und beeindruckende Sätze drin. Ja, ich sehe im Rückblick, dass sie mich schon lange in der Tiefe begleitet haben. Und es gibt diesen rätselhaften Satz Bonhoeffers in einem Brief an seinen Bruder, dass es die Bergpredigt sei, die das Regime Hitlers in die Luft sprengen könne. Mein Problem dabei war, dass mir der Aufbau der Bergpredigt fremd blieb. Perlen neben langen Strecken mit Themen, die mich eher nicht bewegten, wie z.B. die Frage nach dem Schwören. Andere Stellen (wie z.B. die Selegpreisungen am Anfang) wiederum klingen gut – aber die Begründungszusammenhänge habe ich eher nur geahnt. Vielleicht hat ja Matthäus doch nur gesammelte Aussprüche Jesu irgendwie assoziativ zusammengestellt, ohne innere Logik? Auch das wäre ja nicht schlecht, aber in der Regel habe ich es doch meistens so gefunden, dass die Evangelisten eine gute, zusammenhängende Geschichte erzählen, weil sie auf ein gutes Geschehen mit einer sinnvollen inneren Logik schauen.
Gott oder Mammon?
Als wir jetzt in unserer Gemeinschaft ein halbes Jahr lang die Bergpredigt studiert haben, ist das für mich endlich klarer geworden. Es gibt tatsächlich so etwas wie ein Zentrum, das die vielen Sätze von Matthäus 5-7 zusammen bindet. Dieses Zentrum ist Matthäus 6,24-34: die Aufforderung, sich zwischen Gott und Mammon zu entscheiden und auf die Versorgung Gottes zu vertrauen. Jesus beschreibt Gott als den Vater, der seine Geschöpfe ernährt – die Vögel und die Blumen und erst recht seine Menschen. Jesus sieht die Welt als durchflossen von den Segensströmen Gottes. Und die Kernfrage ist, ob jemand mit dieser Sicht lebt, oder ob er sich stattdessen sorgenvoll auf den Mangel konzentriert und dann – mit mehr oder weniger Konsequenz – auf den Mammon-Weg des Vorsorgens und Sicherns gerät. Dieser Mammons-Weg ist der Weg der Kontrolle in jeder Form. Er geht gewaltsam und ausbeuterisch mit der Welt und den Menschen um. Auch wenn es natürlich sympathischere und hässlichere Formen der Kontrolle gibt und nicht jeder den Weg bis zur letzten Konsequenz geht. Der Dienst des Mammon ist die aktualisierte Form des Sündenfalls aus 1. Mose 3 – und er ist für so ziemlich alle Scheußlichkeiten im Leben verantwortlich. Wer die Segensströme Gottes kanalisiert, aufstauen will und sie auf die eigenen Mühlen leitet, trägt dazu bei, dass sie versiegen.
Natürlich erhebt sich an dieser Stelle der Einspruch aller selbsternannter Realisten: vom Verweis auf grausame Phänomene im Tierreich bis hin zum Diktum, man könne „mit der Bergpredigt keine Politik machen“. Und natürlich ist die Sicht der Bergpredigt auf die Welt eine höchst gewagte. Kaum jemand teilt sie wirklich. So gut wie jeder von uns lebt mit Sorge und Vorsorge über den heutigen Tag hinaus. Die übliche kirchliche Auslegung ist ein Kompromiss: vorsorgen dürfe man schon in vernünftigem Maß, solange es nicht übertrieben wird. Wobei natürlich auch das in vernünftigem Maß angelegte Kapital schon für Krisen jeder Art gut ist.
Der Realismus der Bergpredigt
Es geht aber nicht bloß um Geld. Jesus identifiziert diese kontrollierende bis ausbeuterische Art, mit der Welt umzugehen, in allen möglichen Lebensbereichen. Nicht zuletzt in der Religion. In einer durch und durch religiös geprägten Welt unterwandert das Sicherheitsdenken auch die religiösen Überzeugungen und Praktiken. Gebet wird zum Statussymbol, Geben zur kalkulierten PR-Aktion. Und ebenso die Beziehungen: durch die Scheidungsdrohung ist der (in diesem Fall: weibliche) Ehepartner stets kontrollierbar. Demgegenüber enthält die Bergpredigt durchgehend die Aufforderung, die Kontrolle aufzugeben und auf die verborgene Segensstruktur der Welt zu vertrauen. Das ist der Realismus der Bergpredigt.
Das Interessante ist aber, dass erst relativ spät in der Bergpredigt die Karten so offen auf den Tisch gelegt werden. Vom Umfang her ist bis 6,24-34 der größte Teil schon gesagt worden. Anscheinend müssen die Zuhörer erst eine Weile in ihrer Sicht der Welt verunsichert werden. Da wechseln Passagen, die den Hörern nicht allzu problematisch vorgekommen sein dürften (wie die Betonung der Kontinuität zur Schrift in 5,17-20) mit eher herausfordernden Anweisungen (wie dem Gebot der Feindesliebe 5,44). Es ist ein Anmarschweg, der irgendwie faszinierend ist, aber doch immer wieder die Frage auftauchen lässt: wie soll das gehen? Und darauf antwortet dann endlich die Passage 6,24-34. Nicht ohne den Hörer mit noch mehr Fragen zurückzulassen. Da endlich wird klar, was die Voraussetzung für die ganze Bergpredigt (und darüber hinaus auch für die anderen Worte und Taten Jesu) ist. Es passt zusammen – und entlässt den Hörer bzw. Leser erst recht mit Fragen. Aber wenigstens mit besseren, weiterbringenden Fragen.
Danke für den Beitrag. Ich hab die Bergpredigt gleich mal ganz durchgelesen. Beim Lesen des Blogs fielen mir meine Geschwistern ein, die sich in der kommenden Woche separat in kleinem Kreis treffen um „Gemeindeverletzungen“ aus den Jahren in der vorigen Gemeinde aufzuarbeiten. Ich hab das nicht so, weil ich dort nicht lange war, hab mich Jahre später mit Kind in der Landeskirche taufen lassen und dort bleib ich auch, auch wenn sich andere Wege auftun. Vielleicht kann man irgendwann etwas Gutes dorthin zurücktragen. Ich würde nicht sagen, dass das was mich damals aus dieser einen Gemeinde weggehen lies eine Verletzung in mir hinterlassen hat, einfach weil ich wusste dass Gott mit mir war in der Situation. Es prägte mich eher hinsichtlich meines Umgangs mit anderen Menschen. Ich provozierte und provoziere immer gerne Antworten aber ich verurteile seither kaum einen Menschen im Herzen. Ich kann nicht einsehen, welche Motive ein Mensch für sein Tun hat, welche seiner Verletzungen mit einfließen, kann es nicht „be“urteilen. Ich wurde einmal kritisiert, weil ich im Chat schrieb etwas „dort“ geben zu wollen bzw. „dort“ gegeben zu haben und vom Zehnten schrieb ich. Mein Motiv war es, den Blick der Anderen auch auf diesen wunden Punkt zu richten um ggf. zu helfen. Da wurde ich mit dem entsprechenden Vers der Bergpredigt konfrontiert und war dann auch gleich stille. Heimlichkeit beim Geben von Zeit und Geld ist ein Lebensprinzip, nicht einmal aus biblischem, eher aus ganz praktischem Grund. Das mulmige Gefühl blieb. Die größte Gefahr im Umgang mit Bibelworten liegt meines Erachtens darin, dass wir nicht ausschließlich uns selbst prüfen sondern vergleichend prüfen. Das Motiv fürs vergleichende Prüfen ist Angst. Wenn mein Mann eine andere Frau begehrlich ansieht kann ich ihn nicht verurteilen, weil ich einen Anteil an der Situation hab, sonst wäre die Situation anders. Das ist die Kehrseite. Matth.5.6 war mir ganz neu. Den hab ich nie so wahrgenommen.
Ich denke, zwischen Urteilen und Verurteilen ist ein ganz großer Unterschied. Wenn man glaubt, nicht mehr Urteilen zu dürfen, wird man dumm und wehrlos. Das wird leider oft (in vielen Fraktionen der Christenheit) durcheinandergeworfen. Der Schaden ist groß.