Neulich habe ich bei Haso einen Vergleich gefunden, der mir ausgezeichnet gefallen hat: Die Bibel entspricht einer Notenpartitur. Noten sind wichtig, aber sie sind nicht die Musik. Gott will, dass wir in der Bibel die Musik seines Wortes hören – und in sein Lied einstimmen.
Dieser geniale Vergleich bringt das Verhältnis zwischen Bibel, Gottes Wort und Gottes Volk mit seiner Lebenspraxis anschaulich auf den Punkt. Ich nehme mir deshalb die Freiheit, das, was Haso ziemlich kurz geschrieben hat, noch ein bisschen weiterzuspinnen:
Aus Noten soll Musik werden
Noten wollen in lebendige Musik verwandelt werden. Dazu sind sie geschrieben. Natürlich kann man eine Partitur studieren, analysieren, interpretieren, mit ähnlichen Werken vergleichen und über verlorengegangene Passagen rätseln. Das alles macht seinen Sinn. Trotzdem: der Endzweck einer Partitur ist die lebendige Musik. Es gibt zwar Menschen, die Noten so gut lesen können, dass sie sich im Kopf dabei schon die Musik vorstellen können. Aber das sind die wenigsten, und auch solche musikalischen Menschen würden deshalb ja nicht auf das (elektro-)akustische Hören eines Konzertes oder anderer Musik verzichten.
Noten haben eine indirekte, dienende Funktion: sie stellen die Verbindung zwischen dem Komponisten und seinem Werk und der lebendigen Musik dar – auch wenn diese Musik erst viel später gespielt wird. Wer diese Noten spielt bzw. aufführt, der hat einen großen Spielraum in der Interpretation und kann ihnen trotzdem treu bleiben. Wahrscheinlich spielen keine zwei Menschen ein Stück ganz genau gleich (außer vielleicht im Klavierunterricht). Sie werden es sich immer ein bisschen anders vorstellen. Und der eine kann es besser, der andere muss noch viel üben. Schließlich spielen auch die Zeitumstände eine Rolle: welche Instrumente zur Verfügung stehen, wie gut sie sind, wie sie sich inzwischen weiterentwickelt haben, wie der Zeitgeschmack ist, in welchen Passagen die Menschen sich wiederfinden usw.
Die Geschichte der göttlichen Musik
Wenden wir das also auf die Bibel an! Da ist einmal die Musik des göttlichen Wortes erklungen. Menschen haben sie gehört und sich davon bewegen lassen: sie haben überwältigt zugehört, haben mitgesungen, haben getanzt, sind in den (natürlich geistlichen!) Kampf gezogen. Und einiges von dem, was sie da gehört haben, haben sie notiert. In der Bibel. Damit auch spätere Generationen diese Musik wiedererkennen und dazu tanzen können. Damit diese Musik von neuem aufgeführt werden kann. Und es ist gelungen. Immer neue Generationen haben diese Musik aufgeführt, sie immer wieder neu interpretiert. Auch völlig Neues kam dazu. Dann gab es um 30 n.Chr. eine unübertroffene Neuinterpretation und Neuschöpfung, und trotz aller Anfeindungen und Angriffe des musikalischen Establishments wurde die Aufführung bis zum Ende durchgehalten. Seit dieser revolutionären Aufführung versteht man erst wirklich, wie die Musik des göttlichen Wortes eigentlich von Anfang an gemeint war – was für eine Fülle darinsteckt.
Auf der Grundlage dieser Neuschöpfung gewann die göttliche Musik sehr viele Anhänger. Sie studierten die Partitur und sie spielten sie immer wieder neu: in großer und kleiner Besetzung, mit unterschiedlichen Temperamenten, laut und leise, manchmal grandios und ergreifend, manchmal stümperhaft und uninspiriert. Aber selbst dann konnte sie noch Menschen begeistern. Ja, die Musik wurde auch kopiert und plagiiert, sie wurde verfälscht und persifliert. Trotzdem, nichts kam auf die Dauer an die Originalpartitur heran.
Man begann nach dem Geheimnis dieser Musik zu suchen. Man analysierte die Partitur. Man las sie wieder und wieder voll Bewunderung. Man machte sich auf besonders gelungene Passagen aufmerksam. Man forschte nach ihrer Entstehungssituation. Schulen der Interpretation entwickelten sich. Irgendwann wurde es wichtiger, die richtige Interpretation zu kennen als das Werk zu spielen. Dazu kam, dass eines Tages nur noch staatlich anerkannte Musiker zu den Konzerten zugelassen waren. Und die spielten – abgesichert durch den Beamtenstatus – eher lahm. So begannen die Musikfreunde, sich in Notenzirkeln zu organisieren. Viele Abende verbrachten sie mit dem Studium der Partitur. Und sie kamen an kein Ende. So reich war noch die stumme Partitur. Wenn einer tanzen wollte, dann wurde er daran erinnert, dass man mit dem Studium noch nicht weit genug sei, um solche gefährlichen Experimente zu wagen.
Eines Tages fiel das Verbot. Jeder durfte wieder nach Herzenslust Musik machen, nur wenn es gar zu laut wurde, riefen die Nachbarn nach der Polizei. Aber keiner wusste jetzt mehr so richtig, wie die Musik eigentlich einmal geklungen hatte. Keiner hatte eine inspirierte Aufführung erlebt. „Wir müssen uns ganz genau an die Noten halten“ sagten die einen. Aber sie hatten so lange nur die Partitur studiert, dass sie ihre Instrumente kaum noch beherrschten. Sie hatten sich inzwischen sowieso mehr zu Musikgelehrten entwickelt. Sie konnten genau erkennen, wenn jemand die Partitur falsch spielte. Und dann protestierten sie heftig.
Andere, wenige, holten zwar ihre Instrumente heraus, aber sie waren sehr unsicher, und sie klangen mal ziemlich langweilig oder auch mal ziemlich gewagt. Auch in den alten Musiksälen spielte man noch, oft eher lahm, manchmal aber durchaus inspiriert. Und dann gab es noch die Straßenmusikanten, die gar keine Noten lesen konnten, improvisierten und trotzdem manchmal inuitiv eine Sequenz der ursprünglichen Musik trafen. Aber danach war es auch mal wieder nur Katzenmusik. Und trotzdem – die Partitur ist immer noch da, und irgendwann muss doch mal einer wieder herausfinden, wie sie kongenial gespielt werden kann …
Das Bild mit der Musik ist einfach genial! Einen besseren Vergleich kann ich mir nicht vorstellen!
Wenn ich Noten von Liedern sehe, kann ich mir so ungefähr vorstellen, wie es klingen könnte – aber eben auch nur ungefähr. Und beim Spielen der Noten gibt es auch Überraschungen!
Es ist so ähnlich wie mit Kochrezepten. Beim Lesen kann einem das Wasser im Munde zusammen laufen. Aber schmecken muss man das Gericht dann in der Realität, um es ganz erfassen zu können.
Klasse – vielen Dank.
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