Gottes Weg zur erneuerten Welt
Predigt am 14. August 2005 mit Jesaja 19,17-24
17 Wohlan, es ist noch eine kleine Weile, so soll der Libanon fruchtbares Land werden, und was jetzt fruchtbares Land ist, soll wie ein Wald werden. 18 Zu der Zeit werden die Tauben hören die Worte des Buches, und die Augen der Blinden werden aus Dunkel und Finsternis sehen; 19 und die Elenden werden wieder Freude haben am HERRN, und die Ärmsten unter den Menschen werden fröhlich sein in dem Heiligen Israels.
20 Denn es wird ein Ende haben mit den Tyrannen und mit den Spöttern aus sein, und es werden vertilgt werden alle, die darauf aus sind, Unheil anzurichten, 21 welche die Leute schuldig sprechen vor Gericht und stellen dem nach, der sie zurechtweist im Tor, und beugen durch Lügen das Recht des Unschuldigen.
22 Darum spricht der HERR, der Abraham erlöst hat, zum Hause Jakob: Jakob soll nicht mehr beschämt dastehen, und sein Antlitz soll nicht mehr erblassen.
23 Denn wenn sie sehen werden die Werke meiner Hände – seine Kinder – in ihrer Mitte, werden sie meinen Namen heiligen; sie werden den Heiligen Jakobs heiligen und den Gott Israels fürchten.
24 Und die, welche irren in ihrem Geist, werden Verstand annehmen, und die, welche murren, werden sich belehren lassen.
Wie muss man sich das vorstellen, wie soll das geschehen, wenn die jahrhundertealten Träume des Volkes Gottes endlich realisiert werden und die Unterdrückten aufatmen, alle, die unter Menschen gelitten haben, die den Unheilstiftern wehrlos ausgeliefert gewesen sind, alle die ausgeschlossen waren vom gesellschaftlichen Reichtum und bei Ämtern und Gerichten vergeblich auf Gerechtigkeit gehofft haben? In jedem Jahrhundert wieder neu werden diese Hoffnungen lebendig gehalten, dass Gott es nicht zulassen wird, dass sich auf Dauer die Ungerechtigkeit und das Unheil einnisten unter uns. Das ist der Stoff, mit dem dann auch Jesus seine Verheißungen gestaltet hat: »selig seid ihr Armen« z.B. hat er gesagt, und er hat angekündigt, dass mit ihm ein Gnadenjahr des Herrn kommen wird, in dem die Blinden wieder sehen werden.
Durch die Jahrhunderte hindurch wurde in der Bibel diese Hoffnung wachgehalten und weiterentwickelt, aber keiner wusste, wie das gehen sollte. Im Alten Testament lässt uns Gott immer wieder Anteil nehmen an seinem Traum, wie er die Welt haben will. Gott malt Bilder: Der kahle Libanon, auf dessen Gipfel Schnee liegt, soll zum fruchtbaren Ackerland werden, und auf dem Ackerland sollen Bäume wachsen, so dass man dort gehen kann wie in einem schattigen Garten, einem Paradies. Alles Bilder für eine Zeit der Fülle, wo der Druck des Lebens von uns gewichen ist, vor allem aber, wo wir nicht mehr leiden müssen unter der Willkür von Menschen.
Aber: wie geht das? Es ist, als ob man im Alten Testament oft nur die Auswirkungen liest, wie Gott sich das Ergebnis vorstellt. Aber wie es dazu kommen soll, das bleibt ein Rätsel. Wird Gott ein großes Wunder tun – zack! – und alles ist gerecht und gut und heil? Sollen die Menschen das machen? Die Bilder des Alten Testaments beflügeln unsere Fantasie. Nirgendwo sonst lesen wir so konzentriert über Gottes Traum einer heilen, wiederhergestellten Erde, wo Armut, Krankheit und Unterdrückung Vergangenheit sind. Und wir wissen: es ist wahr, so soll die Erde sein, dazu ist sie geschaffen. Aber wie sieht die Innenansicht dieser Zukunft aus, wodurch kommt es dazu?
Wir wissen inzwischen, dass der Weg Gottes über Jesus läuft. Aber das macht es nicht unbedingt einfacher. Wie ist dann der Zusammenhang zwischen diesem einen Menschen und der Entwicklung der Welt im Großen? Für manche ist das so weit voneinander entfernt, dass sie gar keinen Zusammenhang sehen und sagen: das hat nichts miteinander zu tun, und Jesus ist nur gekommen, um uns hier aus dieser bösen Welt rauszuholen in den Himmel. Aber damit geben wir diese Hoffnungen von einem neuen Himmel und einer neuen Erde auf, obwohl sie fest in der biblischen Tradition verankert sind.
Bei Jesaja gibt es aber einen Hinweis, der uns weiterhilft, obwohl Jesaja Jesus noch nicht kennt. Nachdem wir dort die Verheißung gelesen haben, dass es ein Ende haben wird mit der Unterdrückung, heißt es: Denn wenn sie sehen werden die Werke meiner Hände (- seine Kinder -) in ihrer Mitte, werden sie meinen Namen heiligen; sie werden den Heiligen Jakobs heiligen und den Gott Israels fürchten.
Das heißt, die Erneuerung wird kommen, weil die Menschen Gottes Wirken wahrnehmen, sein Werk hier auf der Erde. Da wird etwas passieren, was die Menschen, wenn sie es sehen, bewegt und sie zurückholt in ein Leben nach Gottes Willen. Und da scheint schon früh jemand gedacht zu haben: das muss man erklären. Denn was ist das, was Gott tun wird? Womit kann er Menschen so beeindrucken, dass sie dann gegen all ihre Gewohnheiten zur Einsicht kommen? Und er hat hinter die Worte »die Werke meiner Hände« eine Erklärung eingefügt, nämlich »seine Kinder«. Das heißt, das entscheidende Werk Gottes, das die Welt zurückholen wird in die Freude des Vaterhauses, das sind die Kinder Gottes. Wie dann viel später Paulus schreibt: »die ganze Schöpfung wartet darauf, dass die Kinder Gottes sichtbar werden (Römer 8,19)«. Eigentlich gibt es ja nur ein Kind, einen Sohn Gottes, nämlich Jesus. Und bei ihm ist das ja dann passiert, dass Menschen zu Gott zurückfanden einfach unter dem Eindruck seiner Person und seines Lebens. Weil sie an ihm sahen, wie Gott wirklich ist. Das hat sie überzeugt.
Was Jesaja auch noch nicht wusste, das ist, dass Jesus nicht nur auf begeisterte Zustimmung gestoßen ist, sondern auch auf Hass und Feindschaft. Er wurde getötet, aber nach seiner Auferstehung lebt er weiter in denen, die zu ihm gehören, seine Jüngern. Und das sind nun tatsächlich die Kinder Gottes, von denen Jesaja schreibt.
Und immer, wenn es deutlich zu spüren war, dass Jesus in seinen Leuten wohnt, dann verändert sich die Welt, und zwar auch im Großen. Ein Beispiel ist, wie Christen im 19. Jahrhundert auch gegen große Widerstände die Abschaffung der Sklaverei erkämpft haben. Paulus nennt im Kolosserbrief: das Geheimnis, das jetzt nach so langer Zeit endlich enthüllt ist, zusammenfassend: »Christus in euch, die Hoffnung der Herrlichkeit«. Diese große Hoffnung, die Menschen von Jahrhundert zu Jahrhundert hat nach vorn schauen lassen, in Erwartung der Herrlichkeit Gottes unter uns, die ist jetzt enthüllt: Gott lebt in uns. Das ist es.
Und es ist wirklich so gemeint, dass es Gott ist. Natürlich gibt es das immer wieder, dass Menschen versuchen, so zu handeln, als ob Gott in ihnen wäre. Oder mit einer Beimischung göttlicher Klarheit zu menschlichem Tun. Das führt dann manchmal zu ganz vernünftigen Lösungen, wie z.B. unser Grundgesetz, manchmal aber auch nur zu Moral, Gesetzlichkeit und Tyrannei.
Aber der eigentliche Punkt ist, dass Jesu tatsächlich in uns lebt und durch uns hindurch sein Werk fortsetzt. In einer undurchschaubaren Verquickung hat er sich eingeschlichen in unser Herz und wohnt dort und handelt durch uns hindurch und gestaltet die Welt, und manchmal auch gegen das, was wir tun würden. Unter dem erdrückenden Eisberg unserer alten Persönlichkeit lebt Jesus, und er ist lebendig und wirkt, und er fängt an, diesen erdrückenden Eisblock abzuschmelzen. Risse zeigen sich, Verwerfungen und Brüche entstehen, und wir verstehen es nicht, und wir sind voll Unruhe und voll Hoffnung, aber Jesus arbeitet in uns. Und immer, wenn in Menschen sich nicht ihre problematischen Seiten gegenseitig bestätigen, sondern wenn sich das Göttliche in ihnen gegenseitig stärkt, dann geht es besonders gut voran. Wie nennt man das dann? Gemeinde. Dazu ist die Gemeinde da.
Liebe Freunde, ich könnte natürlich auch davon erzählen, wie schwach das alles ist, wie wenig Ehre wir Gott oft machen, wie auch Menschen, in denen Jesus wohnt, manchmal schreckliches Unheil anrichten. Leider ist es so. Aber ich erinnere daran nur nebenbei, weil das viel Größere und Wichtigere dies ist: wir sind dazu berufen, dass in unserem Leben die Dinge passieren, die Menschen dazu bringen, Gott zu ehren und zu respektieren und das Leben noch einmal neu anzuschauen. Aus unserem Mund sollen die Worte kommen, unter deren Einfluss sich die Welt zu Gottes Ziel bewegt. Unser Herz soll die Quelle sein, aus der den Menschen Lebenswasser zuströmt. Wenn wir Menschen begegnen, dann sollen sie Gott begegnen. Durch uns sollen sie etwas entdecken, das besser und größer ist als alle Sorgen und Freuden, die es sonst noch gibt. Wenn sie uns begegnen, dann sollen sie wenigstens für einen Moment ahnen, wie Gott ist, sie sollen seine Güte und seine Freude verstehen, davon berührt werden und merken, dass er es ist, der uns wirklich fehlt. Und das passiert, auch wenn Menschen und wir selbst es nicht immer einordnen können. Du warst berührt, du hast Kontakt mit etwas sehr Gutem gehabt, und es war der Heilige Geist. Menschen haben zum Glück inzwischen die Nase voll von Worthülsen und frommen Sprüchen, aber sie sind immer noch froh, wenn sie berührt werden vom Wehen des Heiligen Geistes und von Worten, die den Weg zu ihrem Herzen finden. Und sie werden sie hören, wenn wir darauf achten, was der Heilige Geist tun will. Er hat seine eigene Geschwindigkeit und seine eigenen Momente.
Das kann man alles auch moralisch missverstehen, so als ob wir uns immer noch ein bisschen mehr anstrengen müssten, und dann versuchen Menschen mit Gewalt gute Laune auszustrahlen, und gerade die Besten merken, dass es nicht echt ist. Aber das Bild ist nicht: reiß dich zusammen, damit du eine gute Visitenkarte für Gott bist, sondern das Bild ist eher: da will etwas in dir durchbrechen, was schon lange in dir wohnt. Du merkst erst jetzt, wie lange es dich schon begleitet hat. Es will eine Breche schlagen in dein hartes Herz, es will heraus aus der Kammer, wo du es bisher gut verwahrt hast. Gib deinen Widerstand dagegen auf, fürchte dich nicht mehr davor, geh ihm nicht aus dem Weg, vertraue Gottes Leben in dir, lass ihm sein eigenes Tempo, aber gib ihm alles, was es zum Wachsen braucht. Und wenn du dich mit einem Haufen Leuten anlegen musst und Dinge tun musst, die dir ganz gegen deine Gewohnheit gehen, aber vertrau dich der Bewegung an, die Gott in deinem Herzen begonnen hat. Nimm wahr, dass da schon etwas begonnen hat, groß oder klein, und heiße es willkommen. Mach das zum Wichtigsten in deinem Leben, dass Gott in dir den nötigen Raum bekommt! Dafür musst du manchmal meilenweit gehen, dafür musst du deinen Sonntagmorgen opfern, oder was auch immer, aber das ist die Investition, die sich immer lohnt, das ist der himmlische Schatz, der dir nicht geraubt werden kann: Christus in dir, die Hoffnung der Herrlichkeit. Lass es geschehen, was Gott in dir begonnen hat, und lass nicht zu, dass dir diese Perspektive schon heute nachmittag wieder aus dem Blickfeld geraten ist.
Versteht, normalerweise vermuten wir, dass es erstens darum geht, dass Jesus jetzt unser Leben äußerlich segnet und uns jedenfalls vor den schlimmsten Dingen beschützt. Und/oder dass er uns zweitens eine Zukunft im Himmel gibt. Und beides tut er ja auch gerne. Aber das, worum es ihm zentral geht, sein Herzensanliegen, das ist das Wachsen und Gedeihen des göttlichen Lebens in uns, damit wir ihn widerspiegeln und er unter den Menschen die Ehre bekommt, die Armen aufatmen und sich freuen und die ganze Welt zu ihrer Bestimmung findet. Das ist Gottes Wunsch und sein Traum für uns. In all den Jahrhunderten des Alten Testaments hat er diesen Traum unter uns entwickelt, bis es soweit war, dass wir einigermaßen verstehen konnten, worum es bei Jesus geht. Und auch jetzt noch sind wir immer wieder dabei, ihn zu missverstehen, seinen Traum auseinanderzureißen, und dann sieht man gar nicht mehr den ganzen Zusammenhang, von der verborgenen Bewegung des Herzens hin zur Gerechtigkeit für die Armen, die Gott vor aller Welt ehrt und in seinem Wesen sichtbar macht. Aber in diese Bewegung gehören wir hinein.
Und diese Bewegung wird in uns stärker, wenn wir sie in Worte gefasst hören oder aussprechen. Deshalb lasst uns jetzt zu Gott sprechen über das Leben Jesu in uns. Lasst uns jetzt zusammen beten:
Lieber Vater im Himmel,
du hast dein göttliches Leben in mich hineingelegt: Jesus Christus, die Hoffnung so vieler Generationen, die Hoffnung der Welt, die Hoffnung der Armen.
Ob groß oder klein, stark oder schwach: ich danke dir für diese unvergleichliche Gabe. Ich heiße dieses Leben in mir willkommen. Danke, dass du da bist und in mir lebst. Ich will mein Leben und meinen Weg davon bestimmen lassen.
Mach in mir die Sehnsucht nach dem neuen Leben so stark, dass ich mit weniger nicht mehr zufrieden bin. Leite meine Energie um, damit die unheilbringenden Seiten meines Wesens verkümmern und kraftlos werden.
Halte in mir all die Dinge lebendig, die mir jetzt klar sind und die ich doch so schnell schon wieder vergesse. Ich bitte dich um Gelegenheiten und Menschen in meinem Leben, die mich immer wieder erinnern und das neue Leben stärken, das sich in mir bewegt.
Vater, ich wünsche mir, dass diese Bewegung Raum gewinnt unter uns, in meinem Leben und in meiner Familie, in der Gemeinde und im Zusammenleben der Menschen in der ganzen Region und in der Welt. Ich will dir in meinem Bereich und in meinem Leben allen Raum zur Verfügung stellen, den du dafür brauchst.
Regiere mein Herz, meinen Verstand und meine Kraft. Wohin ich komme, dahin bringe ich dich mit, Jesus. Lehre mich auf deine Bewegung zu achten und deine Werke zu tun. Dein Reich komme, du sollst in mir wohnen und mein ganzes Leben bestimmen. Amen.