Dem Bösen keinen Raum geben
Predigt im Besonderen Gottesdienst am 3. Juli 2005 mit Epheser 6,10-20
Der Gottesdienst begann mit einer Theaterszene, die die Auseinandersetzung Luthers mit dem Teufel auf der Wartburg zum Thema hatte. Im weiteren Verlauf folgten zwei Taufen.
10 Seid stark in dem Herrn und in der Macht seiner Stärke. 11 Zieht an die Waffenrüstung Gottes, damit ihr bestehen könnt gegen die listigen Anschläge des Teufels. 12 Denn wir haben nicht mit Fleisch und Blut zu kämpfen, sondern mit Mächtigen und Gewaltigen, nämlich mit den Herren der Welt, die in dieser Finsternis herrschen, mit den bösen Geistern unter dem Himmel.
13 Deshalb ergreift die Waffenrüstung Gottes, damit ihr an dem bösen Tag Widerstand leisten und alles überwinden und das Feld behalten könnt. 14 So steht nun fest, umgürtet an euren Lenden mit Wahrheit und angetan mit dem Panzer der Gerechtigkeit, 15 und an den Beinen gestiefelt, bereit, einzutreten für das Evangelium des Friedens. 16 Vor allen Dingen aber ergreift den Schild des Glaubens, mit dem ihr auslöschen könnt alle feurigen Pfeile des Bösen, 17 und nehmt den Helm des Heils und das Schwert des Geistes, welches ist das Wort Gottes.
18 Betet allezeit mit Bitten und Flehen im Geist und wacht dazu mit aller Beharrlichkeit im Gebet für alle Heiligen 19 und für mich, dass mir das Wort gegeben werde, wenn ich meinen Mund auftue, freimütig das Geheimnis des Evangeliums zu verkündigen, 20 dessen Bote ich bin in Ketten, dass ich mit Freimut davon rede, wie ich es muss.
Mit dem Thema »Dem Bösen keinen Raum geben« ist uns die Grundfrage gestellt, ob wir uns der biblischen Sicht, die dann Martin Luther geteilt hat, anschließen wollen, dass sich durch die Schöpfung von Anfang an ein Konflikt zieht: ein Konflikt zwischen dem Gott des Lebens und seinen lebensfeindlichen Widersachern.
Schon wenn man nur die beiden Taufsprüche anschaut, die wir vorhin bei den Taufen gehört haben, schon in solchen Sprüchen steckt etwas drin von Gefahr und Konflikt: Gott hat seinen Engeln befohlen, dich zu behüten – da muss es also eine Gefahr geben. Und dann: Fürchte dich nicht, sondern rede und schweige nicht! Da ist jemand in Gefahr, sich einschüchtern zu lassen. Also muss es einen Konflikt geben!
Aber auch, wenn wir den Horizont ganz weit strecken: schon bei der Schöpfung gab es zuerst das Chaos, die lebensfeindliche Urflut, über der der Geist Gottes schwebte, und Gott musste diesem tödlichen Universum erst den Raum für das Leben abringen, unsere Welt, eine Oase des Lebens, mitten in einem tödlichen Weltall, nach kosmischen Maßstäben erbärmlich winzig, ein Nichts in einem riesigen leeren Raum, in dem es nur Staub, tödliche Strahlung und eisige Kälte gibt.
Aber der Gott des Lebens behütet diese Oase und schafft dort sogar sein Ebenbild – uns. Aber dann wieder: Gewalt, Mord, Totschlag. Eine ganze Geschichte voller Zerstörung. Und als Gott eine Alternative in die Welt setzt, sein Volk, das anders leben soll, Abraham und seine Nachkommen, da fangen Tod und Gewalt an, auch diese Alternative zu unterwandern. Und als schließlich Jesus kommt, der Mensch nach Gottes Herzen, auch da tritt ein Gegner auf, der erst versucht, ihn von seinem Weg abzubringen und dann seinen Tod inszeniert. Und als Gott ihn zu neuem Leben erweckt, da versucht dieser Gegner auch seine Anhänger erst einzuschüchtern und dann zu unterwandern.
Können wir diese Sicht akzeptieren, dass die Welt von einem grundlegenden Konflikt durchzogen ist? Ich sage es mal etwas weniger vornehm: Wir leben im Krieg. Finden Sie das übertrieben, oder ist da was dran? Könnte es sein, dass das einige Dinge erklärt, die uns sonst wie widersinnige Rätsel vorkommen?
Wenn ich mit Leuten spreche, dann begegnen mir immer mal wieder einige, die etwa sagen: »ich verstehe diese Welt nicht. Es könnte doch so einfach sein. Die Politiker müssten sich nur mal zusammensetzen und auf vernünftige Vorschläge hören, die Leute überhaupt müssten nur ein bisschen Vernunft annehmen und nicht so verrückte Sachen machen, alle müssten etwas mehr nachdenken – und mit ein bisschen gutem Willen wäre alles kein Problem mehr. Warum tun sie das nicht? Ich verstehe die Welt nicht mehr!« Anscheinend haben sie etwas Wichtiges übersehen!
Oder da gibt es Menschen, da fragt man sich: warum stößt denen immer wieder Unglück zu? Das ist doch nicht gerecht! Kaum haben sie die Scheidung hinter sich, da bekommt einer in der Familie Krebs und der andere fährt das Auto zu Schrott und dann passiert das nächste Unglück. Ist das gerecht? Wieso passiert das?
Und wenn wir weiter in die Welt hineinschauen, in viel weniger freundliche Gegenden als unser Land, wo es Krieg und Gewalt gibt, wo man nicht zur Polizei oder zum Gericht gehen kann, wenn einem Unrecht geschieht, wo Menschen sterben, weil Arzt und Krankenhaus zu teuer sind, und andere stopfen sich die Taschen voll – wie kann das sein? Wie passt das zusammen? Da muss doch irgendwer dafür sorgen, dass die Dinge so schlecht laufen!
Können Sie sich so was erklären? Ich habe nur eine Erklärung, die mir einleuchtet: wir leben mitten im Krieg. In einem erbarmungslosen Kampf gegen das Leben, gegen das Heile, Gute und Segensreiche. Wir halten das vielleicht für übertrieben, aber die Filme und Bücher erzählen dauernd solche Geschichten vom Bösen, das die Welt im Großen oder Kleinen beherrschen oder zerstören will: vom Herrn der Ringe über James Bond zur Matrix und noch viele, viele andere. Bloß die vernünftigen Leute trauen sich nicht mehr, vom Teufel zu reden.
Sehen Sie, viele Leute denken, Gott wäre so ein freundlicher Opa, der die Welt mal toll geschaffen hat, aber irgendwie haben sich auch ein paar Fehler eingeschlichen, und nun müssen wir halt selbst das Beste daraus machen, und mit ein bisschen Vernunft kriegen wir das schon hin.
Ich finde diese Sicht ziemlich harmlos und völlig unangemessen für die Katastrophen, die überall passieren, im Großen wie im Kleinen. Wenn man da immer noch behaupten will: die Welt ist doch gut, und es ist alles unter Kontrolle, dann muss man schon ziemlich viele Sachen ausblenden, die Augen zu machen und hoffen, dass es einen nicht selbst erwischt.
Ich finde das andere Bild viel plausibler: da ist ein Gott, der kämpft erst darum, dass es überhaupt Leben gibt, und dann kämpft er darum, dass dieses Leben auch gedeiht und sich nicht gleich wieder selbst ausrottet und aus dieser schönen Erde vorher noch eine Wüste macht. Und wir stecken irgendwo zwischen den Fronten und wundern uns, wenn auf uns geschossen wird.
Wenn Sie an die Szene mit Martin Luther vorhin zurückdenken, dann sehen Sie auch, was das bevorzugte Ziel solcher Angriffe ist: das menschliche Herz. Die Strategie des Feindes ist es, den Menschen das Herz mutlos zu machen, es mit Vorwürfen zu belasten und es am Ende aus dem Verkehr zu ziehen. Die Geschichte mit dem Tintenfass, das Martin Luther angeblich nach dem Teufel geworfen hat, das kann durchaus eine Legende sein, ich weiß nicht, ob das passiert ist. Aber Luther ist einer gewesen, der wusste: ich muss gut auf mein Herz aufpassen, denn da ist einer, der will es mir rauben, er will mich einschüchtern, damit ich in schwierigen Situationen nicht mehr be-herzt handeln kann. Das ist kein Zufall, sondern das hat System.
Oder, um ein moderneres Beispiel zu nehmen, ich habe ein Interview (Frankfurter Rundschau vom 2.7.2005, Magazin S.4-5) gelesen mit einem Mann, dessen Auftrag es zwanzig Jahre lang war, Länder der Dritten Welt in ökonomische Abhängigkeit von den USA zu bringen (Buch: John Perkins, Bekenntnisse eines Economic Hit Man, Riemann Verlag). Der hat mit den jeweiligen Machthabern verhandelt und hat ihnen teure Kredite für Staudämme und Straßen aufgeschwatzt, die sie gar nicht brauchten. Er hat alle möglichen Tricks angewandt, um die Herrschenden zu korrumpieren, hat gut überlegt, wie er das am besten hinkriegt, hat sie bestochen und bedroht, und fast alle haben am Ende unterschrieben auf Kosten ihrer Länder und Völker. Er hat den entscheidenden Leuten planmäßig das Herz geraubt, und dann waren die ihnen anvertrauten Menschen schutzlos.
Das, was wir denken, hat meistens nicht so weitreichende Folgen, aber unser Herz wird genauso angegriffen. Nur wenige Menschen machen sich das klar. Am Morgen rappelt der Wecker, sie drehen sich noch mal zur Seite, stehen auf, trinken schnell eine Tasse Kaffee, und los geht es. Und sie wundern sich, weshalb es alles so mühsam ist, warum die Leute so viel Schwierigkeiten machen, und vielleicht wundern sie sich manchmal auch über sich selbst. Am Abend schalten sie den Fernseher an oder sind ein bisschen im Internet, gehen noch mal mit dem Hund raus und wissen nicht, was sie eigentlich den ganzen Tag über getan haben.
Und was ist der Effekt davon? So wird man ungefährlich in dem Kampf um die Bewahrung des vollen, reichen Lebens. So wird man aus dem Verkehr gezogen, erschöpft und benebelt. Und unser Herz kommt kaum noch ins Spiel, es verkümmert in all den ermüdenden Alltäglichkeiten. Und nimmt man noch die anderen Angriffe dazu, all die entmutigenden und verletzenden Sätze, die wir immer wieder zu hören bekommen und gegen die wir uns kaum wehren – das Fazit am Ende ist: ich kann sowieso nichts machen. Auf mich kommt es nicht an.
Dagegen sagt der Epheserbrief – wir haben es vorhin gehört: Gott hat uns Waffen gegeben, geistliche Waffen. Die sind nicht dazu da, um Menschen umzulegen, sondern um unser Herz zu schützen und andere Herzen zu befreien. Da gibt es den Helm der Hoffnung auf das Heil. Der schützt uns davor, dass uns der Kopf dröhnt von Schlägen den Nackenschlägen, die man so einstecken muss. Die Hoffnung sagt: sieh es im Zusammenhang! Gott ist stärker und wird am Ende gewinnen, also mach weiter! Oder der Schild des Glaubens, die die feurigen Pfeile des Bösen abwehrt. All die spitzen Bemerkungen, die genau dahin zielen, wo wir besonders verletzlich sind; all die Versuchungen, die auf unsere schwachen Punkte zielen und sich mit unserer Bequemlichkeit verbünden. Irgendwann lässt du den Gedanken in deinen Kopf »ich bin ja so blöd« und anschließend hast du monatelang mit Minderwertigkeitsgefühlen zu kämpfen. Oder du sagst dir: »ich brauche so dringend eine Pause, ich habe sie schließlich verdient, und außerdem bin ich sowieso schon völlig erschöpft« und du wunderst dich, weshalb du nichts mehr auf die Reihe kriegst. Aber wer glaubt, wer Gott liebt, mit ihm lebt und ihm vertraut, in dessen Leben ist ein Gegengewicht dazu. Ein Schutzschild, das die Pfeile nicht durchlässt.
Und schließlich das Schwert des Geistes, das Wort Gottes. Das vertreibt den Nebel, die Sicht wird klar und realistisch, und vor allem kann man damit auch andere befreien. Wir sollen ja nicht nur uns schützen, wir sollen aktiv eintreten in den Kampf, der um die Zukunft dieser Welt tobt.
Gott hat uns dazu berufen, nicht irgendwie unsere Lebenszeit hinter uns zu bringen, sondern an einer entscheidenden Stelle in der Welt einzutreten in diesen Kampf gegen die Verödung und Zerstörung des Lebens. Die entscheidende Stelle ist dein Leben, niemand sonst kann dich da ersetzen, niemand kann das tun, was nur du tun kannst. Und um das zu verhindern, vernebeln alle möglichen Faktoren unser Hirn, damit wir eingelullt und ungefährlich bleiben. Wir werden ermüdet, entmutigt und mit Nebensächlichkeiten beschäftigt. Es wird Zeit, dass wir aufwachen.
Wenn wir noch einmal an die Szene vorhin denken: klar, das mit dem Tintenfass sieht lustig aus, weil wir alle wissen, dass man mit dem Werfen von Gegenständen keine geistigen Kräfte vertreibt. Aber wenn man es als Zeichen für die Entschlossenheit ansieht, auf jeden Fall zu widerstehen, zu kämpfen und sich nicht auf irgendwelche Verhandlungen und Kompromisse einzulassen, dann bekommt es seinen Sinn.
Im ersten Petrusbrief heißt es: »Euer Widersacher, der Teufel, geht umher wie ein brüllender Löwe und sucht, wen er verschlinge (5,8).« Wir sind Zielobjekte, ein grausamer Wille hat sich aufgemacht, uns zu zerstören, wenn es irgend möglich ist. Und was ist da zu tun? »Dem widersteht, fest im Glauben« heißt es (5,9). Wir sind nicht wehrlos, im Gegenteil! Wenn wir uns den Durchblick und den Mut nicht nehmen lassen, dann muss er gehen. Wenn wir uns nicht von Gott trennen lassen, ist seine Siegeskraft mit uns.