Der Sachsenkrieg Karls des Großen und die Folgen
Predigt am 23. Januar 2005 mit Lukas 9,51-56 (Wie die Deutschen Christen wurden III)
- Die dunklen Jahre und die Mission der Iren
- Bonifatius und die Organisation der deutschen Kirche
- Der Sachsenkrieg Karls des Großen und die Folgen
51 Als die von Gott bestimmte Zeit da war und der Tag näher kam, an dem Jesus in den Himmel aufgenommen werden sollte, machte er sich stark und fasste den Entschluss, nach Jerusalem zu gehen. 52 Jesus schickte Boten vor sich her. Die kamen in ein Dorf in Samarien und wollten eine Unterkunft für ihn bereitmachen. 53 Aber die Dorfbewohner weigerten sich, Jesus aufzunehmen, weil er auf dem Weg nach Jerusalem war. 54 Als seine Jünger Jakobus und Johannes das hörten, sagten sie zu Jesus: »Herr, sollen wir befehlen, dass Feuer vom Himmel fällt und sie vernichtet?« 55 Jesus wandte sich nach ihnen um und wies sie zurecht. 56 So zogen sie in ein anderes Dorf.
Aus der Zeit, in der die Deutschen Christen wurden, gibt es vor allem zwei Ereignisse, die verhältnismäßig vielen Menschen noch irgendwie bekannt sind: das ist einmal die Geschichte, wie Bonifatius die Donar-Eiche im hessischen Geismar fällt – von Bonifatius habe ich am letzten Sonntag erzählt. Das andere Ereignis liegt uns geografisch näher. Die Geschichte ist aber viel trauriger, und es ist kein Zufall, dass sie bekannt ist. Denn in dieser Geschichte ist wie in einem Bild etwas eingefangen von dem traurigen Erstkontakt zwischen dem Christentum und den Sachsen, die damals hier in unserer Gegend wohnten. Im Jahre 782 ließ Karl der Große bei Verden an der Aller 4500 Sachsen hinrichten. Wohlgemerkt, es war keine Kampfhandlung im Krieg, sondern 4500 Gefangene, die keine Waffen trugen, wurden an einem Tag – ja, man muss wohl sagen: abgeschlachtet. Das sind mehr Menschen, als 2001 bei dem Anschlag auf das World Trade Center starben. Aber damals gab es ja viel weniger Menschen. Wahrscheinlich hat damals so ziemlich jede sächsische Sippe mindestens ein Opfer zu beklagen gehabt.
Wie ist es zu diesem schrecklichen Töten gekommen?
Das Reich der Franken war nach und nach zur entscheidenden Großmacht in Westeuropa geworden. Es reichte von der spanischen Grenze im Südwesten bis zu den Alpen, es umfasste das heutige Frankreich, die Schweiz und Teile Österreichs, Süddeutschland, auch Hessen und Thüringen, aber hier im Norden gehörten die Friesen und die Sachsen nicht dazu. Sie widersetzten sich beharrlich der Expansion des fränkischen Reiches und dem Christentum – und wahrscheinlich war aus ihrer Sicht zwischen beiden kein großer Unterschied.
Viele Jahre lang gab es an der sächsisch-fränkischen Grenze Überfälle, Scharmützel, Raub und Brandschatzung. So ging das bis in die Zeit von Karl dem Großen. Er wurde 768 gemeinsam mit seinem Bruder fränkischer König. Er hatte zunächst in Südfrankreich mit abtrünnigen Lehensherren zu kämpfen. 772 wurde er nach dem Tod seines Bruders alleiniger Herrscher über das ganze Frankenreich. Und sogleich begann er einen Feldzug gegen die Sachsen an der nordöstlichen Grenze des Reiches.
Damit beginnt ein dreißigjähriger Krieg, der ungefähr nach folgendem Schema abläuft: Die Franken marschieren ins Sachsenland ein, sie besiegen die sächsischen Truppen, die Sachsen schließen Frieden. Karl zieht sich mit seinem Heer zurück, aber sobald er an einer der anderen Grenzen seines Reiches beschäftigt ist, machen die Sachsen wieder einen Aufstand. Sie zerstören christliche Kirchen und Klöster, sie belagern sächsische Burgen und nehmen sie manchmal ein, und sie dringen auch tief ins Frankenreich ein, einmal sogar bis zum Rhein. Und dann gibt es wieder fränkische Vergeltungsangriffe, Karl marschiert ins ins sächsische Territorium ein, seinem Heer können die Sachsen nichts entgegensetzen, aber sobald er wieder weg ist, geht es von vorne los. Nach zehn Jahren ist die Verbitterung auf beiden Seiten immer größer geworden: die Franken halten die Sachsen für treulos und eidbrüchig, und die Sachsen sind durch all ihre Verluste und die Kriegszerstörungen nur noch erbitterter geworden. In dem jungen Adligen Widukind haben sie inzwischen auch einen anerkannten Führer. Seine Leute kämpfen nach Guerillataktik und verstecken sich in den Wäldern, wenn die fränkischen Truppen kommen.
Wahrscheinlich hat es auch bei den Sachsen Leute gegeben, die diesen Widerstand nicht mitgetragen haben. Der sächsische Adel z.B. hatte durchaus ein Interesse an Verbindungen zum fränkischen Reich, Interesse an seiner Kultur und wahrscheinlich auch Interesse an der neuen Weltreligion des Christentums. Es war ja nicht so, dass die Sachsen gar nichts davon wussten. Es gab Adelsgeschlechter, die sich durch Heirat mit den Franken verbunden hatten, und vielleicht hätten sie gar nicht so ungern im Heer des großen Königs mitgekämpft und Ruhm und Beute erworben. Wahrscheinlich waren es nur Teile des Adels und die kleinen Leute, die Mittel- und Unterschicht, die je länger, um so zäher an der alten Religion und der Sitte der Väter festhielten.
782, zehn Jahre nach Beginn des Krieges, nach einem großen sächsischen Aufstand, scheint sich Karl zu unnachgiebiger Härte entschlossen zu haben. Es kam zu der Massenhinrichtung von Verden an der Aller. Aber auch dieses Blutbad hat den Widerstandswillen nicht gebrochen, im Gegenteil, jetzt waren der Hass und die Erbitterung nur noch größer. Vergeltungsmaßnahmen machen normalerweise alles nur noch schlimmer, aber das haben viele bis heute nicht verstanden.
789 flammte der Aufstand wieder auf. Bischöfe und Priester wurden vertrieben oder getötet, Kirchen und Klöster niedergebrannt. Aber letztlich wurde der Krieg jetzt fast nur noch auf sächsischem Gebiet geführt, immer wieder werden die Dörfer zerstört und geplündert. Langsam gehen den Sachsen die Lebensmittel aus. Schließlich lässt Karl, der inzwischen zum Kaiser gekrönt ist, 10.000 Sachsen aus dem Elbegebiet nach West- und Süddeutschland sowie nach Frankreich umsiedeln, dort werden sie in kleinen Gruppen auf die Dörfer verteilt. Das war 804, und danach war Ruhe. Bei den Sachsen galt fränkisches Recht, und das Land wurde auf fränkische Weise verwaltet.
Man kann ein Volk besiegen, aber kein Friedensvertrag ist imstande, es zu gewinnen, wenn es nicht will. Es waren zuerst nur die sächsischen Adligen, die sich jetzt nach dem Ende der Kämpfe offen zu der neuen Religion des Christentums bekannten. Ob das persönliche Überzeugung war oder ob es da mehr um handfeste Vorteile ging, lässt sich heute nicht mehr genau sagen. Wahrscheinlich war es beides. Es kommt zu großen Schenkungen und Stiftungen, Klöster werden gebaut und Kirchen eingerichtet. Junge Sachsen werden zu Missionaren ausgebildet, damit die Sachsen durch ihre eigenen Leute für das Christentum gewonnen werden. Sächsische Adlige werden Bischöfe, im Kloster Corvey schreibt ein sächsischer Mönch die Geschichte seines Volkes auf. Jetzt soll nachgeholt werden, was vorher nicht gelungen ist: die Menschen für den christlichen Glauben zu gewinnen.
Aber was ist das für ein Unterschied im Vergleich etwa zur Mission in Süddeutschland oder gar zur Christenheit im Römischen Reich! In der frühen Christenheit im Römischen Reich gab es Gemeinden, die für ihren Glauben einstanden und trotz Bedrohung durch den Staat daran festhielten und zum Martyrium bereit waren. Die irischen Mönche kamen als kleine geistliche Gemeinschaften mit großer persönlicher und geistlicher Kraft auf den Kontinent. Bonifatius war eine Jahrhundertpersönlichkeit, die ihre Kraft – auch im Konflikt mit dem fränkischen Kaiser und seinen Bischöfen – aus dem Glauben zog. Er gründete immerhin noch seine Bistümer im Auftrag des Papstes, und dadurch kam es mindestens zu einem Gegenüber von Staat und Kirche.
Aber in Sachsen war alles anders. Dort gründete Kaiser Karl, also der Staat, die Bistümer. Auf Karls Befehl wurde das Netz der fränkischen Kirchenverwaltung über das besiegte Land geworfen, die Sachsen wurden äußerlich in die Kirche eingefügt, aber sie waren nicht gewonnen. Christentum in Sachsen blieb vor allem eine Sache des Adels. Der Adel richtete auch die örtlichen Kirchen ein, die sogenannten »Eigenkirchen«, die dem örtlichen Grundherren gehörten, und wo er auch den Priester anstellte. So wurde das Christentum nicht zur Sache der Menschen, sondern es blieb etwas, das von oben aufgedrückt wurde, erst von den Feinden und dann von den eigenen Grundherren. Kirche nach Gutsherrenart sozusagen.
Dazu kam noch das System der Pfründen und Domstifte: an den Bischofskirchen lebten die Domherren, die Priester der Zentralkirchen. Ihnen wurden Pfründen im Umland zugeteilt, Kirchenbezirke, von deren Einkünften sie lebten. Theoretisch mussten sie dafür dort die pastorale Versorgung sicherstellen, praktisch überließen sie das schlecht bezahlten, halbgebildeten Hilfsgeistlichen und strichen die Einkünfte trotzdem ein. Auf die Weise mussten die Gemeinden im Umland die Geistlichkeit der Bischofskirchen bezahlen, ohne dass sie einen Mehrwert dafür bekamen.
Kann man es den Sachsen verdenken, dass sie unter diesen Umständen Abstand vom Christentum hielten? Erst der Krieg mit all dem Blutvergießen, der Massenhinrichtung von Verden und den Deportationen. Dann das Christentum als eine Sache des Adels, für die man auch noch bezahlen musste, ohne viel dafür zu kriegen.
Im Lauf der Jahrhunderte ist natürlich viel getan worden, um den Sachsen die Kirche schmackhaft zu machen. Auch jetzt wurden wieder unter großer Anteilnahme der Bevölkerung Reliquien nach Niedersachsen überführt. Klöster wurden als Missionszentren gegründet, wenn auch wohl nicht so viele wie im Süden. Später kamen die Zisterzienser auch zu uns, eine geistliche Bewegung in den Klöstern, die da noch einmal einen mutigen Neuanfang machte.
Aber der Schaden war geschehen, und auch all diese nachträglichen Bemühungen haben nicht wirklich wiedergutmachen können, was am Anfang falsch gelaufen ist. Das ist wie beim Zuknöpfen: wenn du den ersten Knopf falsch knöpfst, dann stimmen alle weiteren nicht. Die erste Erfahrung, die ein Volk am Anfang seiner Begegnung mit dem Christentum gemacht hat, die bestimmt für lange Zeit seine religiöse Grundhaltung. Dieses Grundverständnis, was Christentum ist und was man von ihm erwarten kann, das wird weitergegeben durch alle Generationen. Und man kann es in der Regel nicht durch Worte und Erklärungen ändern, sondern da müssen erst ganz neue Erfahrungen gemacht werden, bevor es einen Neuanfang geben kann.
Und nach meinem Eindruck hat es den bis heute nicht wirklich gegeben. Bis heute ist in der Sicht vieler Menschen die Kirche nicht ihre eigene Sache: sie ist eine Behörde mit heute durchaus menschlichen Zügen, aber die Menschen haben innerlich Distanz dazu. Das ist gar kein böser Wille, sondern die Menschen können sich wirklich nicht vorstellen, dass die Gemeinde eine Gruppe von Menschen ist, die von Jesus begeistert sind, in seinem Namen leben und sein Leben und seine Freiheit weitergeben. Die Erfahrungen, die die Menschen mit der Kirche gemacht haben und das, was in der Bibel über die christliche Gemeinde zu lesen ist, das ist so ein Unterschied, das kriegen die Menschen in ihrem Kopf einfach nicht zusammen. Und man muss bedenken, dass in den ersten Jahrhunderten ja sowieso keiner die Bibel selbst lesen konnte, sondern die Menschen hörten das Evangelium nur gefiltert durch die kirchliche Tradition. Das änderte sich erst durch Martin Luther.
Aber selbst in der Reformationszeit, als ganz Deutschland sich leidenschaftlich in religiösen Fragen engagierte, ist es bei uns in Niedersachsen ziemlich ruhig geblieben. Natürlich hat es in den Jahrhunderten auch geistliche Aufbrüche gegeben. Aber es fällt auf, dass sie ziemlich begrenzt blieben, und sich in der Fläche nicht durchsetzen konnten.
Manchmal wurden sie auch von der Obrigkeit schnell wieder ausgelöscht. Die Obrigkeit hatte ja die Kirchen gegründet, und so übte sie auch die Kontrolle über die Kirchen aus und schritt ein, wenn es ihr zu lebendig wurde. Und die Kultur einer Behördenkirche breitete sich aus: mit Vorschriften und Genehmigungen, Kirchenaufsicht über die Pfarrer und Kontrollen, also mit Mechanismen und einer Mentalität, wie sie eben bei staatlichen Behörden üblich sind. Weil keine lebendigen Gemeinden da waren, trat an ihre Stelle die Behördenkirche. Und gleichzeitig verhinderte sie, dass lebendige Gemeinden entstehen konnten.
Ich habe am Anfang eine traurige Geschichte erzählt, und leider hat es auch weiterhin viele traurige Fortsetzungen gegeben. Der Sachsenkrieg Karls des Großen war der einzige große Krieg, den es in Deutschland zwischen Heidentum und Christentum gegeben hat. Aber an den Folgen leiden wir immer noch. Erinnern Sie sich an die Lesung vorhin? Jesus weist seine Jünger streng zurecht, als sie vorschlagen, man könnte doch mal auf das Dorf, wo sie nicht willkommen waren, Feuer vom Himmel fallen lassen. Jesus antwortet auf die Ablehnung in dem Samariterdorf ganz undramatisch: er geht einfach in ein anderes Dorf. Wenn Menschen noch nicht so weit sind, das Evangelium anzunehmen, dann muss man nicht kämpfen und erzwingen. Dann muss man einfach warten. Irgendwann wird es soweit sein, und bis dahin geht man eben zu anderen Menschen.
Aber staatliche Macht kann nie ein Weg sein, um das Christentum zu verbreiten. Es ist eine Versuchung, sich der Hilfe der Macht zu bedienen: würde das nicht die Gewinnung von Menschen erleichtern, und wäre es nicht toll, wenn man christliche Werte durch staatliches Gesetz in der Gesellschaft durchsetzen könnte? Aber wir sehen an Karl dem Großen, dass der langfristige Schaden viel zu groß ist. Wenn der erste Knopf falsch geknöpft wird, dann werden auch alle anderen falsch. Vielleicht müssen wir mit dem Zuknöpfen noch einmal ganz von vorn anfangen. Aber dann hoffentlich nicht nach der Methode Karl, sondern nach der Methode Jesu.