Die Macht der Worte

Predigt im Besonderen Gottesdienst am 19. November 2006 zu Hebräer 1,1-3

Worte können auf ganz gemeine Weise Menschen die Freude am Leben nehmen. Sie können Selbstvertrauen untergraben und Schuldgefühle aufladen, sie können einen glauben lassen, dass man faul ist und dicke Finger hat, aber sie können auch schützen und Selbstvertrauen schenken, das Gefühl schenken, richtig zu sein und mit dem Leben zurechtzukommen. Worte können kostbare Geschenke sein; gute, wahre Worte sind das Wertvollste, was wir unseren Kindern mitgeben können. Aber Worte können auch ein heimtückisches Transportmittel für Gift sein, das unser Herz lähmt. Und genauso sind Worte der Weg, wie Gott hier in der Welt sein Ziel vorantreibt. Mit seinem Wort hat er die Welt geschaffen. In jedem Fall gilt: Worte sind mächtig. Und deshalb wollten wir in diesem Gottesdienst unsere Aufmerksamkeit richten auf die Macht der Worte.

Der Gottesdienst begann mit einer Theaterszene zum Thema.

1 In der Vergangenheit hat Gott in vielfältigster Weise durch die Propheten zu unseren Vorfahren gesprochen. 2 Aber jetzt, am Ende der Zeit, hat er zu uns gesprochen durch den Sohn. Ihn hat Gott dazu bestimmt, dass ihm am Ende alles als sein Erbbesitz gehören soll. Durch ihn hat er auch am Anfang die Welt geschaffen. 3 Die ganze Herrlichkeit Gottes leuchtet in ihm auf; in ihm hat Gott sein innerstes Wesen sichtbar gemacht. Durch sein machtvolles Wort sichert er den Bestand des Weltalls.


Worte kommen schwach und vergänglich daher, aber sie haben es in sich. Wir sollten uns von ihrer schwachen äußeren Gestalt nicht täuschen lassen. Jedes menschliche Wort trägt jedenfalls ein schwaches Echo von den machtvollen Schöpfungsworten Gottes in sich. Natürlich gibt es auch fruchtlose und wirkungslose Worte. »Wo man arbeitet, da ist Gewinn; wo man aber nur mit Worten umgeht, da ist Mangel« heißt es z.B. in den Sprüchen (14,23). Und genauso heißt es: »Der Worte sind genug gewechselt, lasst uns jetzt endlich Taten sehen«. Solch ein Denken ist ein Reflex auf die Erfahrung von folgenlosen, unentschlossenen Worten und man meint dann, Taten wären etwas viel Reelleres als schwache Worte. Aber dabei vergisst man, dass die Taten doch von Menschen kommen müssen, und wir Menschen sind in uns ganz stark von Worten und Gedanken geprägt. Wenn in uns die falschen Worte leben, dann kann das unsere Tatkraft enorm beeinträchtigen.

Wir haben ja vorhin in der Szene am Anfang gesehen, wie vergiftete Worte Menschen wirklich aus der Bahn werfen können, wenn da nicht jemand ist, der mit den richtigen Worten dagegenhält.

Alle verletzenden und zerstörerischen Worte zielen darauf, einen Menschen in seinem Kern so anzugreifen, dass er in seiner Wirkung und Tatkraft lahmgelegt wird. Wenn einer erstmal echt glaubt, dass seine Finger nicht kaninchengeeignet sind, dann wird er aufhören, Freude an seinen Tieren zu haben. Wenn einer immer wieder hört, dass seine Zeichnungen doof sind, dann wird sich sein Zeichentalent in den meisten Fällen nicht entwickeln. Wenn man Menschen einredet, sie seien zu dick oder überhaupt hässlich, kann man viel Geld an ihnen verdienen. Wenn man es schafft, einem Menschen einzureden, dass er nicht in der Lage ist, etwas Gutes und Sinnvolles zu tun, dann hat man ihn wirkungsvoller im Griff, als wenn man ihn mit eisernen Ketten gefesselt hätte.

Aber auf der anderen Seite sind es auch Worte, die Menschen immun machen können gegen die vergiftende Wirkung von solchen Einreden. Der Vater vorhin hat das so schön altersangemessen praktiziert. Und vielleicht hat der eine oder die andere gedacht: so jemanden hätte ich auch gebrauchen können, damals, als die anderen so mies mit mir umgegangen sind. Wenn mir einer doch mal so etwas gesagt hätte!

Ja, es gibt auch das, dass es gerade die Eltern sind, die ihren Kindern belastende Worte mit auf den Weg gegeben haben. Wer als Kind unter Angriff leben musste, wem zu verstehen gegeben worden ist, dass er zu nichts taugt, dass er eine Last ist, wessen Liebe immer wieder an Mauern von Kälte und Spott abgeprallt ist, der trägt ein schweres Erbe in sich.

Worte gestalten unser Leben. Worte entscheiden darüber, ob Glück oder Freude bis zu uns durchkommen. Wir können viel Schweres ertragen, wenn die richtigen Worte in uns leben. Dann bleiben wir trotz aller Bedrückung von außen in uns selbst stabil und reaktionsfähig, wir behalten das Zutrauen, dass wir unser Leben meistern werden, und unser Herz bleibt lebendig.

Deshalb hat Gott in erster Linie durch sein Wort in dieser Welt gehandelt. Er hat sich durch sein Wort sein Volk geschaffen, und wenn Jesus das »Wort Gottes« genant wird, dann heißt das: seine ganze Geschichte spricht auf machtvolle Weise zu uns. Sie hat die Kraft, aus uns neue Menschen zu machen. Und noch weiter zurück heißt es, dass Gott die Welt durch sein Wort hat entstehen lassen und dass er durch sein Wort die ganze Schöpfung trägt und erhält – wir haben es eben in der Lesung gehört.

Wir können nur ahnen, wie das gemeint ist – anscheinend ist auch die aus unserer Sicht tote Materie auf geheimnisvolle Weise ansprechbar für Gottes machtvolles Wort, und deshalb konnte es geschehen: als Jesus dem Wind und den Wellen befahl, da wurden sie ruhig und der Sturm legte sich. Immerhin hat auch die moderne Physik entdeckt, dass Information eine ganz wesentliche Zutat zur Welt ist.

Und auch wenn Gott die Schöpfung erneuert, wenn er aus einem Menschen eine neue Kreatur macht, tut er das mit seinem Wort. Durch die Bibel und die Worte von anderen Menschen kann einer so in den Einflussbereich Jesu hineinkommen, dass Jesus auf ihn wirkt und ihn in sein neues Leben hineinzieht. Und das geht nicht nur auf diese verstandesmäßige Weise, dass wir bestimmte Einsichten aus der Bibel herausdestillieren und die dann anwenden, sondern das geht auch so, dass das Evangelium auf eine schwer erklärbare Weise an uns und in uns arbeitet und wir nicht dieselben bleiben. Deswegen hat es in der christlichen Tradition immer auch diese vielen Wege gegeben, wie man das Wort Gottes in seinen Gedanken und in seinem Herzen behält, es hin und her bewegt und meditiert und es einfach auf sich wirken lässt. Und dann haben die Menschen erlebt, wie es in ihnen Wurzeln schlägt und lebt und wirkt.

Vielleicht kann man sagen, dass wir so immer stärker heimisch werden in der biblischen Denkweise, dass dann einfach ganz viele Gedanken bereitstehen, auf die wir sonst nicht kommen würden, und dass Gottes Geist diese Gedanken und Verbindungen aktivieren kann, wenn es so weit ist. Deswegen finden wir im Evangelium auch den Hinweis, dass wir uns vor schwierigen Situationen gar nicht zurechtlegen sollen, was wir sagen werden, sondern der Geist Gottes wird es uns sagen. Das ist nicht so gedacht, dass wir nicht über die Bibel nachdenken sollen, sondern das setzt voraus, dass wir das sowieso dauernd tun, und dann sollen wir es nicht extra tun, wenn der Stress kommt, sondern sollen darauf vertrauen, dass der Heilige Geist im Ernstfall auf das zurückgreifen wird, was im Lauf der Zeit in uns gewachsen ist. Als Jesus z.B. in der Wüste dem Teufel begegnete, da konnte er zurückgreifen auf viele Jahre, in denen er die Bibel studiert hatte, sie durchdacht und sich angeeignet hatte, und er konnte es alles sehr gut gebrauchen, als der Versucher ihn von seinem Weg abbringen wollte.

Denn irgendwie sucht sich das Evangelium seinen Weg, um mit unseren Grundüberzeugungen in Kontakt zu kommen, und es beeinflusst sie, es ordnet sie, es bringt sie in einen mehr schöpfungs­ange­messenen Zustand, mit dem wir besser leben können.

Ich habe den Eindruck, dass man so im Laufe der Zeit einfach viel übernimmt von den biblischen Selbstverständ­lich­kei­ten, wenn ich das mal so nennen kann. Solche Sätze Jesu wie »wer sein Leben liebt, der wird es verlieren, aber wer sein Leben verliert um meinetwillen, der wird es gewinnen«, die entfalten in uns ihre Wirkung. Am Anfang sagt einer vielleicht: wie soll denn das gehen?, aber nach und nach wird das immer einleuchtender, und am Ende ist es eine ganz belastbare Grundüberzeugung.

Die letzte Frage in der Szene am Anfang war ja: jetzt, wo der Vater alt und offensichtlich verwirrt ist, schon weit weg von den anderen Menschen, muss ich mir jetzt solche lebensbringenden Worte selbst sagen? Die Antwort ist, dass wir sowieso von dem leben, was uns andere gesagt haben, und im Grunde erinnern wir uns nur immer wieder an diese Worte. Aber die eigentliche Quelle all dieser wahren und ermutigenden Worte ist Gott, es ist sein lebensschaffendes Wort, das auf vielen Wegen zu uns kommt, manchmal in starker Konzentration und manchmal so verdünnt, dass wir es kaum wiedererkennen. Dieses Wort hat seinen Ursprung immer von woanders, egal ob es durch einen Menschen zu uns gesagt wird oder nicht. Das heißt aber auch, dass es nicht an bestimmte Menschen gebunden ist. Ja, manchmal gibt es Menschen, die gerade uns das Evangelium besonders gut und einleuchtend sagen können. Es ist gut, wenn es solche Menschen in unserem Leben gibt. Aber wenn die nicht mehr sind, dann wird Gott andere Wege finden.

Vielleicht ist es für die Tochter aus der ersten Szene jetzt an der Zeit, direkt zur Quelle des Lebens zu finden. Ihr Vater hat sie auf den Weg gebracht, er hat ihr gezeigt, welchen Segen und welchen Schutz Worte geben können, er hat sie »auf den Geschmack gebracht«, und jetzt ist sie dran, auf diesem Weg selbst weiterzugehen. Weiter können wir einem Menschen eigentlich nicht bringen, mehr können wir ihm nicht mitgeben.

Am Ende ist es die Eigenbewegung von Gottes Wort in uns und unter uns, die das Leben für uns schafft. Wir können diese Eigenbewegung unterstützen und fördern, wir sollen ihr Raum geben, damit sie ihr Werk tun kann. Und auch in diesem Gottesdienst soll das geschehen.