Trennende Unterschiede werden überwunden (Das einfache Evangelium II)
Predigt am 5. Februar 2006 mit Galater 3,28
Als Gott die Welt schuf, da machte er sie vielfältig und bunt. Er schuf einen Haufen verschiedener Tiere und Pflanzen, er schuf die Menschen als Männer und Frauen, und er schuf auch die Menschen in einer bunten Vielfalt von Hautfarben und Kulturen. Gott hat Freude an einem bunten Mix.
Aber nachdem die Menschen sich von Gott abgewandt hatten, hörte diese Vielfalt auf, für sie eine Bereicherung z sein – zum Glück nicht völlig. Aber der Unterschied von Mann und Frau wurde vom Thema der Beherrschung belastet. Und das Herr-sein-Wollen schlich sich in alle Beziehungen unter Menschen ein und verdarb sie. Die verschiedenen Hautfarben und die unterschiedlichen Kulturen wurden zu Grenzlinien, die markierten, wer gegen wen kämpft. Ganze Völker wurden ausgelöscht oder in eine gedemütigte und benachteiligte Gruppe von Menschen verwandelt, wie das etwa die weiße Zivilisation mit fast allen Ureinwohnern getan hat, denen sie begegnete.
Zum Kernbereich des christlichen Glaubens hat es von Anfang an gehört, dass er diese Unterschiede zwischen Menschen überwindet und eine neue Menschheit hervor bringt, die nicht mehr zerrissen und zerteilt ist in die verschiedensten Gruppen. So wie unter im Einflussbereich Jesu Krankheiten geheilt wurden, so heilte dort auch der Riss zwischen Menschen aus unterschiedlichen Gruppen.
Jesus hat seine Jünger ganz bewusst aus allen politischen und gesellschaftlichen Gruppen seines Volkes berufen. Wenn er mit den zwölf Jüngern in einen Ort kam, dann sahen die Menschen in ihnen ein erneuertes Israel im Kleinen: da war Levi, ein Zöllner, der den römischen Besatzern und ihrem Ausbeutungssystem gedient hatte, und neben ihm Simon, der zu den Zeloten gehört hatte, eine Terrorgruppe, die Leuten wie Levi mal kurz einen Dolch zwischen die Rippen bohrte. Aber bei Jesus kam diese bunte Mischung gut miteinander aus. Außerdem herrschte dort ein freier, partnerschaftlicher Umgang zwischen Männern und Frauen.
Und Jesus selbst unternahm immer wieder unbekümmerte Grenzüberschreitungen, so dass sich sogar seinen Jüngern manchmal die Nackenhaare hochstellten. Einmal kamen sie vom Einkaufen zu ihm zurück und überraschten ihn tatsächlich im intensiven Gespräch mit einer Frau, und dann war es noch eine aus der verachteten Gruppe der Samaritaner, und er hatte aus ihrer Hand etwas zu trinken angenommen. Jesus handelte sich dauernd Ärger ein, weil er die falschen Leute besuchte und mit ihnen aß. Unbekümmert umarmte er Aussätzige und aß genauso mit Synagogenvorstehern. Und als die ersten Griechen auf ihn aufmerksam wurden (Joh 12,20-26), da sah er das als Zeichen an, dass sein Werk nahezu zum Ziel gekommen war. Nach seiner Auferstehung schließlich betreibt Gott einen riesigen Aufwand, damit Petrus ins Haus des Römers Kornelius kommt und die ersten Heiden den Heiligen Geist empfangen und getauft werden – davon haben wir ja schon letzte Woche gehört.
Paulus wird es schließlich auf den Punkt bringen, indem er sagt (Gal. 3,28):
Hier ist nicht Jude noch Grieche, hier ist nicht Sklave noch Freier, hier ist nicht Mann noch Frau; denn ihr seid allesamt einer in Christus Jesus.
Die Bindung an Jesus überwand all diese Unterschiede. Die revolutionäre Erfahrung der christlichen Gemeinden war, dass diese Unterschiede wurden, was sie ursprünglich sein sollten: eine Bereicherung und kein Anlass zu Abgrenzung und Unterdrückung. So wie Jesus immer wieder Grenzen überwand, so überschritt auch die Gemeinde die Grenzen zwischen Rassen und Kulturen. Das ging nicht immer ohne Spannungen ab, aber diese Fähigkeit der Gemeinden, sich in den verschiedensten Milieus zu bewegen, war die Voraussetzung dafür, dass sie allmählich das ganze römische Reich unterwanderten.
Und es gehört bis heute zu den beglückendsten und bereicherndsten Erfahrungen, wenn man als Christ eine ganz direkte Verbindung findet zu Menschen, von denen man eigentlich durch einen breiten kulturellen Graben getrennt wäre. Es ist kein Zufall, dass man die bunteste Mischung von Menschen auf internationalen Kirchenversammlungen erlebt. Oder dass einer wie Dietrich Bonhoeffer viel in der Welt herumgereist ist, viele internationale Kontakte hatte und während seiner Zeit in Amerika in einer schwarzen Gemeinde in New York den Gottesdienst besucht hat. Und genauso war es für den Großbürgersohn Bonhoeffer eine beglückende Erfahrung, in einem Berliner Arbeiterbezirk Konfirmandenunterricht zu geben, mit Jugendarbeit zu beginnen und sich mit seiner ganzen Person auf diese Jugendlichen einzulassen.
Ich bin überzeugt, dass einer Gemeinde geradezu etwas entgeht, wenn sie sich nur aus Menschen eines Milieus zusammensetzt. Das beraubt uns der kraftvollen Erfahrung dieser Grenzüberwindung, die für Christen und Nichtchristen ein deutliches Zeichen der Wirklichkeit Gottes ist. Christliche Gemeinden sind immer in Gefahr, dass sie mehr durch eine gemeinsame Kultur und ein gemeinsames Milieu verbunden sind als durch Christus. Wenn aber Menschen aus unterschiedlichen Kulturen in der Gemeinde zusammenkommen, dann ist es nicht zu übersehen, dass sie durch Jesus verbunden sind und nicht durch den Stallgeruch eines Milieus.
Dass gerade Christen manchmal Angst vor fremden Kulturen haben, etwa vor dem Islam und vor Muslimen, die in Europa ihre Moscheen bauen, das wäre zum Lachen, wenn es nicht so traurig wäre. Der Glaube an Jesus hat sich verbreitet in der extrem multikulturellen Gesellschaft des römischen Reiches, er ist da prächtig gediehen und konnte besser als alle anderen Religionen mit der kulturellen Vielfalt umgehen. Wir steuern heute weltweit wieder auf so eine multikulturelle Mischung zu, dafür sorgt der weltweite Kapitalismus mit seiner Globalisierung. Und das ist gleichzeitig Gottes Weg, wie er uns freundlich, aber bestimmt darauf hinweist, wo seine Potentiale liegen, die Quellen der Kraft, die er uns geben will. Denn wenn wir uns mit den kulturellen, sozialen und geschlechtsspezifischen Trennungslinien auseinandersetzen müssen, dann brauchen wir wirklich den Heiligen Geist, wir werden gezwungen, um ihn zu bitten, und dann wird er gerne kommen.
Man sieht das sogar im nichtchristlichen Bereich: die großen Kulturleistungen entstehen meistens an den Grenzlinien zwischen den Kulturen, nicht da, wo Rasse und Kultur besonders rein sind. Wenn Menschen sich mit dem Fremden auseinandersetzen müssen, wenn sie in einer bunten Vielfalt von Wirklichkeit leben, dann werden sie herausgefordert, etwas Neues entstehen zu lassen. Und so hatte Gott es gewollt, er liebt die Vielfalt und hat sie geschaffen, das spürt man auch bei denen, die nicht an ihn glauben.
Diese Liebe Gottes zur vollen und ganzen Wirklichkeit irritiert immer wieder alle, die sich lieber durch sichere Grenzen schützen möchten. Es ist beruhigend, wenn man für alles eine Schublade hat und die Guten ins Töpfchen und die Schlechten ins Kröpfchen sortieren kann. Aber wer so denkt, wird mit Jesus immer ein Problem haben. Er war darauf spezialisiert, diese Einteilungen durcheinander zu bringen. Das liegt an der ansteckenden Gesundheit, die er verbreitete. Bis dahin haben sich die Menschen vor dem Bösen geschützt, indem sie das Schlechte, das Kaputte und Schmutzige ausgegrenzt haben, so wie man auch die Aussätzigen isoliert hat, damit sie nicht noch die anderen ansteckten. Pech für die Leute, die es traf, aber es ging nicht anders.
Man sollte nicht zu schnell Leuten vorwerfen, dass sie andere „ausgrenzen“. Vor Jesus war das manchmal eine notwendige Strategie. Das Böse soll man nicht unterschätzen, und bevor man ihm freie Bahn gewährt, ist es besser, man hält es draußen. Es kann viel Unheil passieren, wenn Menschen vorschnell solche Schranken niederlegen. Erst durch Jesus ist das anders geworden.
Zu Jesu Zeiten waren die Pharisäer die Vertreter dieses Konzepts. Sie wollten Israel durch Abgrenzung beschützen vor den Heiden, vor den Sündern und überhaupt vor der Befleckung durch das Gottlose. In ihrer Sicht ging es darum, das Saubere wie in einem Wäscheschrank zu schützen und den Dreck draußen zu lassen.
Jesus hatte ein völlig anders Konzept. Während die Pharisäer Israel als sicheren Schrank ansahen, in den nur die saubere Wäsche hineindurfte, sah Jesus sich und seine Gemeinde als Waschmaschine. Um im Bild zu bleiben: er suchte in den Ecken und unter dem Sofa die ganze dreckige Wäsche zusammen, die da herumlag, denn er hatte die Waschmaschine dafür. Deswegen setzte er sich über die gesellschaftlichen Schutzgrenzen hinweg, die damals sehr genau eingehalten wurden. Er isst mit den Sündern, er riskiert es, mit ihnen in eine Topf geworfen zu werden, weil er sie nur so erreichen kann. Er berührt Tote, um sie zum Leben zu erwecken. Immer wieder macht er deutlich, dass wir durch Berührung mit etwas Gottwidrigem nicht automatisch selbst schmutzig werden. Dieses Konzept, dass man sich gegenüber dem Bösen durch Isolation schützen muss, das lässt er hinter sich.
Der große Unterschied zwischen diesen beiden Konzepten des Wäscheschranks und der Waschmaschine besteht darin, dass auf diese Weise jeder ohne Vorbedingungen zu Jesus kommen kann. Niemand muss erst ein bestimmtes Maß an Anständigkeit und Zivilisation erreicht haben, bevor er bei Jesus willkommen ist. Der Leib Christi ist der Ort, zu dem schmutzige Menschen kommen sollen, um gereinigt zu werden, nicht der Ort, zu dem die Sauberen kommen, um Zuflucht vor dem Schmutz zu finden.
Jesus hat die trennenden Gräben zu den Sündern und zu den kulturell Fremden überwunden, weil der die ganze Wirklichkeit geliebt hat, die ganze Schöpfung seines Vaters. Er hat in der Vielfalt der Schöpfung nicht die Bedrohung und das Fremde gesehen, wie wir es tun, weil wir unter dem Einfluss der Sünde der Welt entfremdet sind. Er ist in der Kraft der Liebe Gottes unbefangen auf das Fremde zugegangen – und siehe da, die Welt hat reagiert, wie Gott es geplant hat. Diese Art zu leben hat er uns hinterlassen, und wir sollen seine Liebe zur Wirklichkeit in uns wachsen lassen. Das geht manchmal nur auf die harte Tour, indem man sich einer Realität stellt, vor der man am liebsten weglaufen würde und dann entdeckt, dass es ja nicht so schlimm ist und vielleicht sogar am Ende bereichernd. Man muss natürlich im Einzelnen mit viel Weisheit sehen, was für einen auf dem Programm steht, aber manchmal ist wirklich ein Crashkurs im Fach Wirklichkeit dran.
Dabei geht es nicht nur um Menschen aus anderen Kulturen, sondern auch um neue Gedanken, kulturelle Neuentdeckungen, Kunstwerke, exotische Speisen und vieles mehr. Nebeneffekt ist, dass unser Gehirn so beweglich bleibt. Aber es geht im Kern darum, dass Christen in der Nachfolge Jesu seine Liebe zur ganzen Wirklichkeit teilen sollen. Dass wir den Reichtum entdecken, von dem die Schöpfung immer noch voll ist. Wir werden durch Jesus zu wirklichen Realisten, zu Liebhabern der Wirklichkeit, weil wir in allem und jedem die freundliche Hand des reichen Schöpfers entdecken. Damit wir uns das trauen, dafür brauchen wir den Heiligen Geist, und dann kommt er gerne, weil er diese Liebe zur Erde teilt.