Zwei Wege – zwei Arten von Weisheit
Predigt am 15. Januar 2006 zu 1. Korinther 2,1-10
1 Auch ich, liebe Brüder, als ich zu euch kam, kam ich nicht mit hohen Worten und hoher Weisheit, euch das Geheimnis Gottes zu verkündigen. 2 Denn ich hielt es für richtig, unter euch nichts zu wissen als allein Jesus Christus, den Gekreuzigten. 3 Und ich war bei euch in Schwachheit und in Furcht und mit großem Zittern; 4 und mein Wort und meine Predigt geschahen nicht mit überredenden Worten menschlicher Weisheit, sondern in Erweisung des Geistes und der Kraft, 5 damit euer Glaube nicht stehe auf Menschenweisheit, sondern auf Gottes Kraft.
6 Wovon wir aber reden, das ist dennoch Weisheit bei den Vollkommenen; nicht eine Weisheit dieser Welt, auch nicht der Herrscher dieser Welt, die vergehen. 7 Sondern wir reden von der Weisheit Gottes, die im Geheimnis verborgen ist, die Gott vorherbestimmt hat vor aller Zeit zu unserer Herrlichkeit, 8 die keiner von den Herrschern dieser Welt erkannt hat; denn wenn sie die erkannt hätten, so hätten sie den Herrn der Herrlichkeit nicht gekreuzigt.
9 Sondern es ist gekommen, wie geschrieben steht (Jesaja 64,3): „Was kein Auge gesehen hat und kein Ohr gehört hat und in keines Menschen Herz gekommen ist, was Gott bereitet hat denen, die ihn lieben.“ 10 Uns aber hat es Gott offenbart durch seinen Geist; denn der Geist erforscht alle Dinge, auch die Tiefen der Gottheit.
Paulus versucht, seinen Leuten zu erklären, dass es bei Jesus um eine grundlegend andere Sicht geht, wie man die Dinge sieht und anfasst. Er nennt das beides Weisheit – es gibt also zwei verschiedene Weisheiten, die nicht zusammenpassen.
Weisheit bedeutet, man schaut sich die Dinge in Ruhe an, man ergründet, wie es funktioniert, man tauscht sich mit anderen darüber aus, und so bekommt man ein Gefühl für die Zusammenhänge in der Welt und kann danach handeln. Du saust nicht wie ein Flumiball durch die Gegend, sondern du überlegst erst und machst dir klar, was du anrichtest mit dem, was du machst, was das für Folgen hat. Eigentlich eine ganz sympathische Lebenseinstellung.
Aber Paulus sagt: es gibt eine Weisheit der Herrscher dieser Welt, und es gibt die Weisheit Gottes, die man an Jesus ablesen kann. Das sind unterschiedliche Arten, die Welt zu sehen, sie bauen nicht aufeinander auf, sondern sie gehen von ganz anderen Grundlagen aus. Die Herrscher dieser Welt können die Weisheit Gottes einfach nicht begreifen, die bleibt ihnen grundsätzlich versperrt.
Worum geht es bei der Weisheit Gottes? Ungefähr um das, was Jesus in der Bergpredigt beschreibt: eine Art zu leben, die freiwillig auf all die Sicherheiten verzichtet, die wir normalerweise zur Vorsicht in unsere Welt einbauen. Es geht darum, sich verletzlich zu machen, indem man liebt. Nicht handeln aus der Angst heraus, man könnte zu kurz kommen. Sich auch um die dunklen Winkel der Welt kümmern, um die man normalerweise einen großen Bogen macht.
Das ist genau das, wovor uns alle vernünftigen Leute warnen. Aber Jesus sagt: wer sein Leben erhalten will, wer alle Energie dahinein investiert, sich vor den Problemen zu schützen, der wird sich erst recht die Probleme ins Haus holen. Er wird sein Leben verlieren. Aber wer sein Leben dafür aufs Spiel setzt, Jesus nachzufolgen und diese Welt mit ihm zu verändern, der findet sein wirkliches Leben. Wer im Auftrag Jesu bereit ist, sein Leben aufzugeben (und das heißt auf jeden Fall: es auf eine neue Grundlage zu stellen), der findet es. Das ist die Weisheit Gottes, und die Herrscher dieser Welt werden sie nie verstehen. Deshalb haben sie auch Jesus getötet, ohne zu ahnen, dass Gott genau diesen Tod in einen Sieg verwandeln würde. Die Machthaber dieser Welt haben selbst an ihrer Entmachtung mitgearbeitet, denn Gott ließ Jesus auferstehen und bestätigte so seinen ganzen Lebensweg. Und jetzt gibt es nicht nur einen, der so lebt, sondern viele Menschen, die sich nicht mehr fürchten vor den Herrschern dieser Welt.
Und Paulus sagt: als ich zu euch nach Korinth kam, da habe ich mit fest vorgenommen, nichts anderes zu tun, als von dieser Weisheit, von diesem Grundmuster Gottes zu erzählen. Ich hätte lieber einen völligen Fehlschlag erlebt als euch eine andere Botschaft zu bringen. Paulus hatte keinen Plan B, sondern er war fest entschlossen alles auf diese eine Karte zu setzen: entweder ich finde Menschen, die sich auf ein Leben aus dieser göttlichen Weisheit einlassen, oder ich werde scheitern.
Das ist der Grund, weshalb Paulus mit schlotternden Knien in Korinth anfing. Kurz vorher in Athen hatte er einen grandiosen Fehlschlag erlebt, und natürlich hatte er Angst, dass sich das wiederholen könnte. In Athen gab es gebildete und zivilisierte Leute. Korinth war eine Hafenstadt mit zusammengewürfelten Menschenmassen aus aller Herren Länder. Wenn es damals schon einen Ort gab, wo man so etwas wie Globalisierung erleben konnte, dann war es Korinth. In diesen Großstadtdschungel kam Paulus mit der Weisheit Gottes – und die Sklaven und Hafenarbeiter, die Seeleute aus aller Herren Länder, die Händler und die Sexarbeiterinnen und die Invaliden, die Illegalen und die Diebe, all die Menschen, die sich im Dschungel dieser großen Hafenstadt durchschlugen – sie hörten ihm zu.
Diese Menschen, die in einer harten Welt lebten, in der man sich keinen Fehler erlauben durfte, die kaum noch etwas zu verlieren hatten, sie hörten, dass sich jede Lage verändert, wenn wir Gott mit hineinholen, und dass er trotz allem einen Weg findet. Das Grundmuster ist immer wieder die Auferstehung des gekreuzigten Jesus: Gott öffnet uns einen Weg, bei dem wir nicht gezwungen sind, unsere Sicherheit auf Kosten anderer zu suchen. Und dieser Weg bestand die Dschungelprobe von Korinth.
Tatsache ist ja, dass die Gier nach Sicherheit diese Welt zu einem höchst unsicheren Ort macht. Man muss nur mal an die Sicherung unserer Energieversorgung denken: wieviel Kriege und Gewalt gibt es, die eigentlich nur um Öl gehen, und um die Angst, dass es nicht reicht. Oder der Irak-Krieg: hat etwa der die Welt sicherer gemacht?
Und genauso wie im Großen leben wir auch im Kleinen mit dieser Angst, dass es für uns nicht reicht, mit dieser Angst, zu kurz zu kommen: zu kurz zu kommen in Beziehungen, zu kurz zu kommen bei der Verteilung von Geld, zu kurz zu kommen bei den Lebenschancen, zu kurz zu kommen und viel zu wenig Glück im Leben zu finden. Aus dieser Angst heraus entsteht der allermeiste Streit, der Ärger, die Gemeinheiten und das Unrecht in der Welt. Diese Angst macht niemanden glücklich, sondern diese Angst, zu kurz zu kommen, die produziert Sorge und frisst die Freude, die wir haben könnten. Sie treibt einen Keil zwischen die Menschen und macht den einen zum Konkurrenten und Feind des anderen.
Das ist das, was Paulus die Weisheit der Herrscher dieser Welt nennt: wie sichere ich mich so ab, dass ich keine Angst haben muss, zu kurz zu kommen? Wie wälze ich die Risiken des Lebens auf die anderen ab? Wie halte ich mich fern von den Orten, wo Schmerz, Leid und Gewalt an der Tagesordnung ist? Wie hole ich aus dem Leben das Maximum raus, koste es was es wolle?
Und das ist eben nicht nur die Weisheit der Herrschenden und Reichen, sondern das frisst sich auch in die Herzen der kleinen Leute. Und wer sich das Leben nicht mit teurem Champagner schön machen kann, der tut es dann eben mit billigem Fusel. Der Unterschied ist: die Mächtigen, Schönen und Reichen haben immerhin eine gewisse Erfolgschance, dass sie so ganz angenehm durchs Leben kommen, aber für normale oder angeschlagene Leute ist das katastrophal. Je weiter sich dieses Muster ausbreitet, dass jeder an den eigenen Vorteil denkt und keine Rücksicht nimmt, um so mehr kommen dabei unter die Räder.
Paulus brachte den armen Leuten von Korinth die alternative Weisheit Gottes, den Weg Jesu. Jesus sieht sehr klar den Preis, den wir für diese Angst, zu kurz zu kommen, bezahlen. Selbst wenn diese Sicherheitsstrategien funktionieren, verarmen wir dabei, weil unsere Fähigkeit zur Liebe dabei untergraben wird. Wir werden feige, gleichgültig, egozentrisch und missgelaunt. Wir können das Glück gar nicht mehr erleben, das wir uns mit aller Macht sichern wollten. Deshalb sagt Jesus: geh den anderen Weg! Geh mit mir! Mach dich verletzlich und riskiere etwas, wenn nötig, riskiere alles um der Liebe und der Gerechtigkeit willen. Aus der Entfernung sieht es aus, als ob da einer den Verstand verloren hätte. Aber dieses Leben wird von Gott unterstützt, und das ist das Entscheidende.
Eine ganze Menge von uns sind vermutlich schon mal dabeigewesen, wenn wir beim Kinder-Bibel-Morgen oder im Konfirmandenunterricht Fürbitten zusammentragen. Und ich bin immer wieder neu davon beeindruckt, wie die Kinder darum beten, dass ihre Welt heil bleibt – ihre Familie, ihre Freunde, auch die Tiere, die zu ihnen gehören. Ich glaube, man erlebt das als Kind sehr deutlich, wie leicht da etwas kaputt gehen kann. Aber sollen wir uns deshalb lieber nicht darauf einlassen, etwas zu lieben? Ja, liebe etwas, und sei es ein Tier, und es kann dir das Herz brechen. Und trotzdem gehört es zu uns und unserem vollen Leben, dieses Risiko der Liebe auf uns zu nehmen, und wenn wir es nicht tun, dann bringen wir uns um das Entscheidende. Deshalb ist es wirklich so wichtig, dass wir das Gott bringen – nicht im Sinn einer Garantie, dass nichts passieren kann, sondern im Vertrauen, dass er der Beschützer und Bewahrer des Lebens ist, auch gegen den Tod und noch im Tod.
Jesus hat es selbst vorgelebt: An Weihnachten haben wir uns an seine Verletzlichkeit erinnert: als zartes Baby unterwegs in einem Stall zur Welt zu kommen, das ist lebensgefährlich. Jesus hat nie Bodyguards gehabt, obwohl er sich ständig mit gefährlichen Leuten anlegte. Sein Leben hat er geliebt, aber nicht um jeden Preis. Er hat nicht einmal im Augenblick des Verrats und der Folter Zuflucht zu Groll und Zorn genommen. Genau dieses Leben hat Gott bestätigt, und dieses Leben hat Paulus nach Korinth gebracht, unter die Leute im Großstadtdschungel, wo jeder sich selbst der Nächste ist.
Und diese verrückte Weisheit veränderte sie. Vorher waren sie allein mit dem, was man ihnen antat und was sie sich auch gegenseitig antaten. Aber als die ersten sich vorsichtig darauf einließen, da merkten sie etwas von der Kraft der Auferstehung, ihr Leben verwandelte sich, und in die harte Welt des täglichen Überlebenskampfes kam Freude, kam Wärme und Solidarität. Und auch einige von den Bessergestellten kamen dazu, weil sie das auch haben wollten: ein Leben mit dem lebendigen, starken und nahen Gott. Und sie bekamen geschenkt, was sie vorher mit allen Tricks und mit List und Tücke nie erreicht hatten:
Verstehen Sie jetzt, warum das Christentum etwas anderes ist als eine Religion? Es gibt ja immer diese Leute, die sagen: da habe ich keine Ader dafür, das überlasse ich meiner Frau oder den Leuten, die dafür begabt sind. Weil es aber im christlichen Glauben vor allem um die alternative Weisheit Jesu geht, muss man keine religiöse Spezialbegabung haben. Unsere religiöse Seite braucht die Befreiung durch den Weg Jesu genauso wie die anderen Seiten unserer Persönlichkeit. Sonst bleiben wir religiös genauso selbstsüchtig und egozentrisch wie im Materiellen.
In Wirklichkeit geht es beim Weg Jesu um eine neue Art zu leben, voller Zuversicht und voller Liebe zum Leben und zur Welt, die Gott uns geschenkt hat. Wir haben nie nur die eine Möglichkeit, mit den Wölfen mitzuheulen. Gottes Alternative ist für jeden da. Wir müssen uns meist erst dareinfinden, die Weisheit der Herrscher dieser Welt sitzt auch in uns ziemlich fest. Den Korinthern ging es nicht anders. Aber je mehr wir die alte Weisheit gegen die neue austauschen, um so stärker werden wir und um so klarer wird uns, für welches Leben wir wirklich geschaffen sind.