Immer unterwegs
Predigt am 11. November 2007 (Besonderer Gottesdienst) zu Kolosser 2,12-15
Im Gottesdienst gab es zu Beginn eine Szene zum Thema „Immer unterwegs“.
12 Als ihr getauft wurdet, seid ihr mit Christus begraben worden, und durch die Taufe seid ihr auch mit ihm zusammen auferweckt worden. Denn als ihr euch taufen ließt, habt ihr euch ja im Glauben der Macht Gottes anvertraut, der Christus vom Tod auferweckt hat. 13 Einst wart ihr tot, denn ihr wart unbeschnitten, das heißt in ein Leben voller Schuld verstrickt. Aber Gott hat euch mit Christus zusammen lebendig gemacht. Er hat uns unsere ganze Schuld vergeben.
14 Den Schuldschein, der uns wegen der nicht befolgten Gesetzesvorschriften belastete, hat er für ungültig erklärt. Er hat ihn ans Kreuz genagelt und damit für immer beseitigt. 15 Die Mächte und Gewalten, die diesen Schuldschein gegen uns geltend machen wollten, hat er entwaffnet und vor aller Welt zur Schau gestellt, er hat sie in seinem Triumphzug mitgeführt – und das alles in und durch Christus.
Warum tun Menschen sich das an? Stunden im Auto sitzen, im Stau stehen, mit auf den Rücksitz gefesselten Kindern, die völlig zu Recht signalisieren, dass sie sich schrecklich langweilen. Sich der Gefahr aussetzen, durch einen Unfall verstümmelt oder sogar getötet zu werden.
Und: wieso nehmen Menschen das hin, dass durch unsere Orte ein Strom von Fahrzeugen fließt, der uns Tag und Nacht beschallt, so dass wir uns hinter Schallschutzfenstern und Schallschutzwänden verkriechen müssen? Wieso nehmen wir es hin, dass wir auf Straßen mit viel Autoverkehr dreckige Luft atmen müssen? Noch vor 60 Jahren gehörten die Straßen allen Verkehrsteilnehmern. Heute sind wir als Fußgänger vom größten Teil der Straße ausgesperrt, und für Kinder ist sie ein hoch gefährlicher Ort.
Schließlich: der Energieverbrauch unserer Fahrten. Der Verkehr gehört zu den großen Energieverbrauchern, und im Verkehr entsteht ein großer Teil der Umweltprobleme. Das Kohlendioxid, das unsere Atmosphäre aufheizt, entsteht zu einem erheblichen Teil durch den Verkehr. Und die Ölimporte machen uns abhängig von einigen der politisch instabilsten Gebiete der Erde. Wir sind dadurch angewiesen auf sehr unsympathische Regimes. Saudi-Arabien, dessen König gerade Berlin besucht hat, ist eine Brutstätte des neueren Terrorismus gewesen. Man kann vermuten, dass der Anschlag auf das World Trade Center am 11. September 2001 letztlich mit Erlösen aus dem Ölgeschäft finanziert worden ist.
Ich könnte das noch lange fortsetzen – mit dem Luftverkehr habe ich noch gar nicht angefangen. Aber ich möchte lieber fragen: wieso machen das mit? Wieso haben wir uns da schon so sehr dran gewöhnt, dass uns gar nicht mehr auffällt, welche Opfer an Lebensqualität unsere Art der Fortbewegung verursacht.
Das Vertrackte ist ja, dass es für den Einzelnen kaum möglich ist, da auszusteigen. Es ist heute nicht ungewöhnlich, dass man 50 oder 100 km zur Arbeit fahren muss. Früher, als hier bei uns die Hütte in Betrieb war, wäre das noch gar nicht gegangen. Und deshalb wohnten die Arbeiter im Umkreis von ein paar Kilometern um das Werk und kamen mit dem Fahrrad zur Arbeit. Und wer nach Peine wollte, der fuhr mit der Werksbahn. Deshalb hat die Hütte hier auch überall Werkswohnungen für ihre Leute gebaut, damit die in der Nähe wohnen konnten. Aber wenn es erst einmal möglich ist, so weit zur Arbeit zu fahren, dann wird auch der Zwang dazu immer größer. Und wenn erstmal alles so eingerichtet ist, dass wir vom Auto abhängig sind, dann ist es unfair, die Leute mit Parkgebühren und Maut zu quälen und ihnen die Fahrt zur Arbeitsstelle bei der Steuererklärung nicht mehr als Unkosten anzuerkennen.
Denn unsere Welt ist inzwischen so eingerichtet, dass Menschen kaum noch Alternativen haben. Jedes Mal, wenn wir trotzdem langsamer fahren oder das Auto mal stehen lassen und zu Fuß gehen oder das Fahrrad nehmen, dann wissen wir, dass das die Welt nicht retten wird, weil das ganze System trotzdem bestehen bleibt. Vielleicht ist das das Schlimmste, dass durch diese Gesamtkonstellation unsere persönliche Entscheidung scheinbar so abgewertet wird, als ob sie unbedeutend sei, als ob es darauf gar nicht ankäme.
Besser als viele andere Theorien beschreibt die Bibel diese Konstellation, indem sie immer wieder von den Mächten und Gewalten redet, auch vorhin in der Lesung kam das ja vor. Diese biblische Sichtweise gibt uns Worte und Gedanken, um unsere Situation zu verstehen. Übrigens nicht nur beim Thema Verkehr.
Das biblische Bild von den Mächten und Gewalten drückt aus, dass wir uns nicht unabhängig entscheiden können, wie wir leben wollen, sondern da gibt es immer schon große Mächte, die uns den Rahmen für unser Leben setzen wollen. Damals in der Zeit von Paulus war es das römische Imperium mit seinem Gesellschaftssystem, in das die Menschen eingefangen waren, und keiner konnte eben mal schnell beschließen: da steige ich jetzt aus.
Genau darauf stoßen wir immer wieder, wenn wir unsere heutige Situation anschauen. Es ist als ob wir in einem Zug sitzen, aus dem wir nicht aussteigen können, und den Lokführer zu beeinflussen scheint auch ziemlich unmöglich zu sein. Und wir haben das dumme Gefühl, dass die Fahrt unseres Zivilisationszuges außer Kontrolle gekommen ist und es am Ende vielleicht einen großen Crash geben könnte, so ähnlich wie die Lokomotive auf dem Bild ungebremst gegen die Wand gefahren ist. Bloß diesmal könnte der Schaden nicht nur eine Bahnhofsmauer kaputtmachen, sondern unsere ganzen Lebensgrundlagen.
Andererseits sind diese Mächte aber auch irgendwie von uns abhängig. Sie leben von unserer Kraft, von unserem Mitmachen, von unserer Anerkennung, auch wenn es eine resignierte Anerkennung ist in dem Sinn: man kann ja doch nichts machen, uns bleibt keine Wahl.
Paulus entwickelt hier im Kolosserbrief eine neue Art,über diese Mächte nachzudenken. Er sagt, dass Gott diese Mächte, die die Kontrolle in unserem Leben übernehmen möchten, besiegt hat. In Christus hat er über sie triumphiert, weil durch Jesus die Kraft der Auferstehung in die Welt gekommen ist.
Wenn wir nicht diese Macht der Auferstehung Jesu in der Welt und in unserem Leben in Betracht ziehen, dann bleiben uns nur zwei unbefriedigende Möglichkeiten: entweder wir ignorieren all diese Zusammenhänge und sagen »das ist doch alles herbeigeredet und übertrieben, und die Menschheit hat schon so viel überstanden, es wird schon nicht so schlimm kommen«.
Die andere Möglichkeit ist, dass wir die Probleme zwar sehen, aber davor kapitulieren und sagen: »da komme ich sowieso nicht gegen an, das ist jetzt alles schon schiefgelaufen, man kann gar nichts mehr machen, und im Übrigen: nach mir die Sintflut, wenn die Probleme erst so richtig kommen, lebe ich zum Glück schon längst nicht mehr.«. Das Bemerkenswerte ist, dass es oft dieselben Menschen sind, die zwischen diesen beiden Haltungen hin und her schwanken und einmal sagen: es wird schon alles nicht so schlimm werden, und andererseits: man kann doch nichts dagegen machen.
Die Bibel führt uns aus dieser hoffnungslosen Alternative heraus. Gott hat die Mächte und Gewalten besiegt, sagt Paulus. Und er sagt das in einer Welt, in der die Macht der römischen Cäsaren sehr real war. Aber, sagt Paulus, vergesst nicht, dass diese Macht Gottes durch die Auferstehung Jesu in die Welt gekommen ist, und in euer Leben gekommen ist.
Ich lese den Vers vor:
Als ihr getauft wurdet, seid ihr mit Christus begraben worden, und durch die Taufe seid ihr auch mit ihm zusammen auferweckt worden. Denn als ihr euch taufen ließt, habt ihr euch ja im Glauben der Macht Gottes anvertraut, der Christus vom Tod auferweckt hat.
Taufe heißt, dass wir Anteil bekommen am Leben Jesu: an seinem Weg durch die Welt, an seinem Tod und an seiner Auferstehung. Da kommt eine neue Kraft in unser Leben hinein. Sogar ein kleines Kind, das noch gar nichts davon versteht, wird in eine Beziehung gestellt zu dem Auferstehungsleben Jesu.
Und wenn wir uns im Glauben dieser Macht Gottes anvertrauen, dann hat es einen ganz anderen Hintergrund, wenn wir kleine und mittlere Dinge tun wie das Auto mal stehen zu lassen oder nicht um die halbe Welt in den Urlaub zu düsen, uns vielleicht auch zusammen mit anderen ein Auto zu teilen oder beim nächsten Mal ein Auto mit geringem Verbrauch anzuschaffen. Dann sind das nicht mehr lächerlich kleine, ohnmächtige Zeichen, sondern dann ist das, was wir tun, ein kleiner oder großer Teil von Gottes großem Weg durch diese Welt. Alles, was wir tun, bekommt eine weitreichende, ewige und epochale Bedeutung, wenn wir es in diesem Zusammenhang tun. Gott kann das Große sehr schnell klein machen, und er kann aus dem Kleinen etwas Großes und Wichtiges machen.
Dazu soll in unserem Leben etwas geschehen: es muss etwas sterben, damit wir frei werden zum neuen Leben aus der Kraft der Auferstehung. Solange das nicht passiert, werden wir die Fesseln nicht los, mit denen uns die Weltmächte und Gewalten an sich gebunden haben. Paulus spricht vom »Schuldschein«. Kommt ihnen das bekannt vor? Heute kriegen wir oft diese Schuldscheine präsentiert: du hast dich doch drauf eingelassen auf dieses ganze Wohlstandssystem, und da gehört nun mal Mobilität dazu. Wo willst du einen Arbeitsplatz finden, ohne zu pendeln? Willst du deinen Urlaub auf dem Zeltplatz in Elze verbringen? Wer A sagt, muss auch B sagen!
Dagegen sagt Paulus:
Die Mächte und Gewalten, die diesen Schuldschein gegen uns geltend machen wollten, hat er entwaffnet und vor aller Welt zur Schau gestellt, er hat sie in seinem Triumphzug mitgeführt – und das alles in und durch Christus.
Durch Christus ist eine andere Art zu leben in die Welt gekommen, und wenn wir dazu gehören, haben diese ganzen Mächte kein Recht mehr auf uns. Wir sind nicht mehr verpflichtet, ihnen Loyalität zu leisten. Wir sind frei von ihnen, selbst wenn sie immer noch großen Einfluss auf unser Leben haben. Diese innere Freiheit ist der wichtigste und entscheidende Schritt, damit diese Mächte auch äußerlich eines Tages ihre Macht einbüßen. Aber es fängt alles damit an, dass Menschen eine Entscheidung darüber fällen, wem ihre Loyalität gehört. Die Mächte und Gewalten leben von unserer Loyalität. Wenn wir sie ihnen entziehen, dann bekommen sie Probleme. Dann schalten sie Anzeigenkampagnen und kleben Plakate, um uns zurückzuholen.
Aber wenn wir diese Loyalität gekündigt haben, dann wird eben in unserem Kopf auch Raum frei für andere Überlegungen. Was ist denn eigentlich eine menschliche Geschwindigkeit? Wieviel Beschleunigung können wir eigentlich vertragen? Wieviel Zeit brauchen wir, damit unsere Seele mitkommen kann, wenn wir unterwegs sind, und unser Schutzengel ebenfalls?
Wenn man zurückdenkt an die Art, wie Jesus und seine Jünger gelebt haben – nicht um das jetzt 1:1 nachzumachen, sondern als Denkanstoß: die sind auch immer unterwegs gewesen, aber zu Fuß. Man hat an seinen Füßen etwas von dem Weg gespürt. Es gab viel Zeit, um unterwegs nachzudenken, miteinander zu reden, das Neue, das man erlebte, auch zu verarbeiten, Fragen zu stellen und die Schöpfung ganzheitlich wahrzunehmen, nicht nur die Verkehrsschilder und Leitplanken. Es ist kein Zufall, dass Menschen heute den alten Jakobs-Pilgerweg in Spanien gehen, um wieder ihr menschliches Maß zu spüren.
Wir haben so viel von diesem Gespür für Lebensqualität verloren, wir haben uns so an den alltäglichen Wahnsinn gewöhnt. Das muss ein Ende haben. Wir haben diese Kraft des Lebens, Sterbens und Auferstehens Jesu. Wenn wir ihr vertrauen, dann wird sie sich in unserem Leben entfalten. Wir kennen nicht den ganzen Plan Gottes, aber wir können wissen: Für die Zukunft unserer Erde ist es entscheidend, dass sich überall Menschen dieser Kraft der Auferstehung anvertrauen. Es ist tatsächlich ein individueller Schritt, den Sie und Sie und Du und Du jeder für sich tun muss. Aber wir werden dabei gleichzeitig Teil von etwas Größerem, das wir nicht völlig übersehen; aber Gott übersieht das Ganze. Und er wartet auf die bescheidene und mutige Antwort seiner Leute. Auf diese Antwort kommt es ihm an. Und diese Antwort ist lebenswichtig für die Zukunft der Welt.