Ein ziemlich buntes Durcheinander
Predigt am 26. August 2007 zu Apostelgeschichte 14,6-18
In dieser Geschichte erleben wir Paulus und Barnabas so richtig mitten in einem religiös-weltanschaulichen Durcheinander. Das ist ihre erste Missionsreise, und schon passiert so ziemlich alles, was da dazugehört. In den Kapiteln vorher fliehen sie buchstäblich von einer Stadt in die nächste, werden auch da bedroht und müssen weiter fliehen, und nach dieser Geschichte geht es genauso weiter. Aber mittendrin steht diese verrückte Begebenheit:
6 Paulus und Barnabas entflohen in die Städte Lykaoniens, nach Lystra und Derbe, und in deren Umgebung 7 und predigten dort das Evangelium. 8 Und es war ein Mann in Lystra, der hatte schwache Füße und konnte nur sitzen; er war gelähmt von Mutterleib an und hatte noch nie gehen können.9 Der hörte Paulus reden. Und als dieser ihn ansah und merkte, dass er glaubte, ihm könne geholfen werden, 10 sprach er mit lauter Stimme: Stell dich aufrecht auf deine Füße! Und er sprang auf und ging umher.
11 Als aber das Volk sah, was Paulus getan hatte, erhoben sie ihre Stimme und riefen auf Lykaonisch: Die Götter sind den Menschen gleich geworden und zu uns herab gekommen. 12 Und sie nannten Barnabas Zeus und Paulus Hermes, weil er das Wort führte. 13 Und der Priester des Zeus aus dem Tempel vor ihrer Stadt brachte Stiere und Kränze vor das Tor und wollte opfern samt dem Volk.
14 Als das die Apostel Barnabas und Paulus hörten, zerrissen sie ihre Kleider und sprangen unter das Volk und schrien: 15 Ihr Männer, was macht ihr da? Wir sind auch sterbliche Menschen wie ihr und predigen euch das Evangelium, dass ihr euch bekehren sollt von diesen falschen Göttern zu dem lebendigen Gott, der Himmel und Erde und das Meer und alles, was darin ist, gemacht hat. 16 Zwar hat er in den vergangenen Zeiten alle Heiden ihre eigenen Wege gehen lassen; 17 und doch hat er sich selbst nicht unbezeugt gelassen, hat viel Gutes getan und euch vom Himmel Regen und fruchtbare Zeiten gegeben, hat euch ernährt und eure Herzen mit Freude erfüllt. –
18 Und obwohl sie das sagten, konnten sie kaum das Volk davon abbringen, ihnen zu opfern.
Diese Geschichte ist ein Beispiel dafür, wie sich Paulus und Barnabas unter Leuten verhalten, die von dem Gott Israels so gut wie gar nichts wissen. Sie sind vielleicht die ersten, die in Lystra je von ihm geredet haben. In anderen Städten gab es jüdische Gemeinden, und da wussten die Leute etwas von dem ganz anderen Gott Israels. Aber hier gibt es Null Vorkenntnisse.
Gibt es irgendetwas, woran Paulus und Barnabas anknüpfen können? Irgendetwas, das ihnen hilft, den Lykaoniern nahe zu bringen, worum es geht? Oder kommt Gott jetzt zum ersten Mal nach Lystra?
Die Art, wie die beiden über Gott reden zeigt: nein, Gott ist schon längst in Lystra gewesen, der kam nicht erst mit Paulus und Barnabas, die Leute haben es nur noch nicht gemerkt. »Was glaubt ihr wohl«, sagen Paulus und Barnabas, »wer hat sorgt dafür, dass es regnet und die Ernte gedeiht? Wer steht dahinter, wenn ihr genug zu essen habt? Wer beschenkt euch mit Freude? Versteht doch, das sind alles Signale von dem einen Gott, und wir erzählen euch seine ganze Geschichte.«
Merken Sie, was die beiden hier machen? Die schauen mit den Leuten aus Lystra in die Vergangenheit zurück und sagen: guckt mal, da war Gott schon, und hier war er, und dort war er auch. Wollt ihr ihn jetzt nicht richtig kennenlernen und nicht nur inkognito wie bisher?
Natürlich haben alle Menschen schon Erfahrungen mit Gott gemacht. Das Leben selber ist so eine Erfahrung: dass es uns gibt, dass wir atmen können, dass wir uns an Schönheit freuen, dass wir genug haben, und vieles andere, das weite Meer und die Sterne über uns und ein neugeborenes Kind und das Gefühl von Freude und Überwältigtsein in unserem Herzen, das alles erfüllt viele Menschen spontan mit Dankbarkeit, oder mit Ehrfurcht und Verehrung, selbst wenn sie es nie so nennen würden. Das erlebt eigentlich jeder Mensch irgendwie. Aber die Frage ist: Mit wem bekommt man es da zu tun? wie wird ein Mensch sich diese Erfahrung erklären? welches Etikett wird er drankleben? Wen wird er dafür verantwortlich machen? Wird er das mit dem Vater Jesu Christi in Verbindung bringen?
Denn die Menschen haben für diese Erfahrung Gottes natürlich auch schon Deutungsmuster zur Hand. Es ist ja nicht so, dass da noch niemand drüber nachgedacht hätte. Jede Religion ist so ein Deutungsmuster. Religionen, Weltanschauungen, Alltagssätze versuchen das zu deuten, auch der Atheismus ist so eine Deutung, der sagt eben: solche Gefühle produzierst du selber, sie haben nichts mit Realität zu tun.
Und auch damals in Lystra hatten sie ein Deutungsmuster: nämlich die altgriechische Religion, die allerdings damals schon ziemlich im Umbau begriffen war. Aber hier funktionierte sie noch, und es gab einen Priester mit seinem Tempel, der war für Religion zuständig.
Zeus war der oberste griechische Gott, und von ihm gibt es einige Geschichten, wie er in Menschengestalt auf der Erde ist, meistens allerdings, weil er ein Auge auf eine menschliche Frau geworfen hat. Hermes war auch ein Gott, der Gott der Händler und der Diebe, er kann besonders gut reden und begleitet Zeus manchmal. Und da schlossen die Leute von Lystra messerscharf: Paulus und Barnabas sind in Wirklichkeit diese beiden Götter. Paulus war anscheinend so wortgewandt, dass den Leuten sofort Hermes einfiel. Und die Leute sahen sich in die Zeiten der alten Sagen versetzt, als die Götter noch Götter waren und man noch richtige Geschichten mit ihnen erleben konnte.
Und das Verrückte ist: so fest stecken die Lykaonier in ihren Deutungsmustern, dass selbst die angeblichen Götter große Mühe haben, die irgendwie aufzuknacken. Die Götter sagen: hört auf, wir sind keine Götter, aber die Leute glauben es ihnen nicht. So geht man eigentlich nicht mit Göttern um. Aber die Deutungsmuster, mit denen Menschen so lange gelebt haben, an denen halten sie fest, so lange es irgendwie geht. Erst wenn sie neue Erfahrungen machen, die nicht mehr in das alte Muster hineinpassen, dann gibt es eine Chance, dass sich etwas bewegt.
Die Lykaonier haben solche ungewöhnlichen Erfahrungen gemacht, nämlich die Heilung des behinderten Mannes, der nicht gehen konnte und im Rollstuhl saß (ok, Sie haben Recht, damals gab es noch keine Rollstühle). Und jetzt arbeiten sie daran, diese ungewöhnliche Erfahrung wieder einzufangen und irgendwie so in ihr Weltbild zu integrieren, dass sich nichts ändern muss. Und Paulus und Barnabas versuchen genau das zu verhindern. Sie versuchen den Leuten eine neue Lesart nahezubringen, das Evangelium.
Aber es klappt nicht so richtig, man merkt das der Geschichte immer noch an. Sie fangen noch mal bei Adam und Eva an: Gott hat alles gemacht, die ganze Welt und die Menschen, er hat lange Zeit nur indirekte Botschaften geschickt, aber er hat seine Spuren in eurem Leben hinterlassen, und das war auch in Ordnung, aber jetzt – und wo eigentlich das Kernstück des Evangeliums kommen müsste: jetzt ist er gekommen, um durch Jesus Christus allen Menschen seinen authentischen Willen zu zeigen und alles neu zu machen, und die Heilung dieses Behinderten ist ein Zeichen dafür, dass Gott schon damit angefangen hat – genau an der Stelle bricht die Predigt ab. Es ist einfach zu viel Konfusion, zu viel Tumult, es geht alles durcheinander.
So ist das, wenn Menschen zum ersten Mal dem Evangelium begegnen: da gibt es jede Menge Missverständnisse, das Alte und Neue geht bunt durcheinander, die Menschen sind aufgeregt, sie hören nicht ruhig zu, sondern sie haben schon genug zu tun mit dem einen Happen, den sie gerade aufgeschnappt haben. Auch ein Paulus hat da nur Teilerfolge.
Aber das sind gleichzeitig verheißungsvolle Augenblicke, weil da endlich mal alles in Bewegung gerät, alle Selbstverständlichkeiten werden neu durchdacht und auf den Prüfstand gestellt. In den ruhigen Zeiten, wo das Leben sicher dahin fließt, da muss man nicht groß nachdenken, da ist alles selbstverständlich, das Glück sowieso und Unglück genauso. Erst wenn es mit dieser Ruhe vorbei ist, entweder aus persönlichen Gründen, oder weil die ganze Gesellschaft in Bewegung geraten ist, dann fangen Menschen an zu fragen und nachzudenken.
Und Paulus und Barnabas versuchen ihnen dabei zu helfen, das Puzzle ihrer Erfahrungen neu zu ordnen. Sie sagen nicht: das müsst ihr alles in die Tonne treten, jetzt kommt was ganz neues, sondern: lasst uns die Wahrheit in euren bisherigen Erfahrungen entdecken, und sie trennen von den falschen Deutungsmustern.
Es ist ja die Stärke des Evangeliums, dass es keine Wirklichkeit ausblenden muss, sondern uns einen besseren, tieferen Zugang zur ganzen Wirklichkeit verschafft. Mit dem Evangelium verstehen wir die Welt erst richtig.
Deshalb: wenn ein Einzelner oder viele sich dem Evangelium öffnen, dann geschieht immer dieser Prozess, wo alles an seinen richtigen Platz kommt. Wo einer durch sein Leben geht und staunt und sagt: Gott, du warst ja schon die ganze Zeit dabei, und ich habe es nicht gewusst! Du hast mich damals bewahrt, als ich um ein Haar in dem Auto mitgefahren wäre, das dann diesen schrecklichen Unfall hatte. Und als ich so krank war, und mittendrin auf einmal wusste: jetzt geht es wieder bergauf, und mein Leben geht weiter, das warst du – jetzt ist mir das klar.
Und als ich klein war und damals meine Oma immer mit mir gebetet hat, es war irgendwie komisch, aber da habe ich ja schon etwas von dir verstanden. Und als ich danach mal eine Zeit lang von diesen James Bond-Filmen so begeistert war und mir Poster aufgehängt habe und sogar in solcher Bettwäsche geschlafen habe – da habe ich tatsächlich eine Ahnung davon gehabt, dass einer kommen muss, um die Welt vor dem Bösen zu retten, und ich habe manchmal heimlich geträumt, dass ich auch so sein könnte; aber erst heute sehe ich, dass Jesu mich tatsächlich beruft, mit dabei zu sein,wenn er die Welt rettet, aber natürlich auf eine ganz andere Art.
Und als ich dann um ein Haar in schlechte Gesellschaft gekommen wäre, aber zum Glück hat das immer irgendwie nicht geklappt, und ich war damals ganz frustriert, dass ich an diese Leute, die ich so toll fand, nicht richtig ran kam – aber jetzt weiß ich, du hast mich davor bewahrt.
Und als es mir damals so schlecht ging und ich dachte, ich bin ganz allein und keiner kümmert sich um mich, da bist du in Wirklichkeit dabei gewesen und hast gewusst, was in meinem Herzen los ist, und wenn ich auch so zu war, dass du mir nicht viel helfen konntest, du hast doch dafür gesorgt, dass ich da lebend durchgekommen bin. Jetzt sehe ich es, das warst du!
Und noch weiter zurück: ich habe schon immer so eine Ahnung gehabt, dass dies eine gute Welt ist, irgendwie habe ich immer so ein Zutrauen gehabt, dass es gut ausgeht, das merke ich im Rückblick, und wahrscheinlich ist das der Rest von einer Erinnerung daran, dass du mich mal ins Leben gerufen hast, und das war so überzeugend, dass ich auch wirklich dieses Leben wollte.
Wenn wir als Einzelne oder in Gesellschaft zum Glauben an Jesus kommen, dann schreiben wir auf irgendeine Weise unsere Lebensgeschichte neu. Dann sehen wir Zusammenhänge, die wir vorher nicht gesehen haben, dann gibt vieles einen Sinn, was uns früher ein Rätsel war, und dann ordnen sich die Puzzleteile zu einem sinnvollen neuen Gesamtbild. Manchmal dauert das eine ganze Zeit, bis alles an seinen Platz kommt.
Und wir sehen dann, wie Gott schon längst drin war in unserem Leben. Wir sehen, dass alles Gute von ihm kommt, und wie er auch bei Schlechtem und Bösem nicht hilflos wird. Wie er uns in kritischen Situationen geholfen hat und uns die richtigen Menschen über den Weg geschickt hat. Wenn man sich ein Menschenleben genau anschaut, dann findet man eigentlich immer solche Spuren, und man findet auch die Momente, wo ein Mensch reagiert hat auf diese Spuren Gottes und ihm positiv geantwortet hat. Denn im Grunde unseres Herzens wissen wir, was gut für uns ist.
Deshalb ist das Evangelium auch nicht etwas völlig Neues und Fremdes, sondern es passt zu den Ahnungen und Sehnsüchten unseres Herzens. Gott hat uns auf Jesus Christus hin geschaffen, wir sind darauf vorbereitet, ihm zu begegnen, und Gott hat auch immer wieder Hinweise auf ihn in das Leben jedes Menschen eingebaut. Und wenn wir dann dem Evangelium von Jesus tatsächlich begegnen, dann hat es immer schon einen Vorlauf gegeben.
Deswegen ist es so wichtig, dass wir gut auf die Menschen hören, damit wir diese Spuren Gottes bei ihnen erkennen und dann darauf eingehen können. In jeder Kultur, in jeder Lebensgeschichte gibt es verstreute Puzzleteile der Wahrheit, und sie gehören Jesus, weil er die Wahrheit ist. Und wir müssen sie finden und für Jesu reklamieren. Alles was gut und schön und tüchtig und passend und gerecht und freundlich ist und noch viel mehr, das gehört Jesus. Das sind Geschenke, die er allen Menschen macht, und gleichzeitig kann einer wie Paulus, der ins wilde Lykaonien vordringt, sich darauf verlassen, dass Gott da für ihn schon solche Puzzleteile versteckt hat, mit denen er arbeiten kann.
Wie viel mehr ist das so in einem Land wie unserem, wo Jesus schon über tausend Jahre präsent ist! Da wartet so viel darauf, dass es aus dem Tiefschlaf aufgeweckt wird. Aber das Signal muss laut werden, die Mitte muss wieder klar werden, damit sich all die verstreuten Funken der Wahrheit wieder ordnen können auf Jesus hin, der die Wahrheit ist.