Die Jünger und ihre Unterstützer
Predigt am 1. Juli 2007 zu Matthäus 10,34-42
34 Ihr sollt nicht meinen, dass ich gekommen bin, Frieden zu bringen auf die Erde. Ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert. 35 Denn ich bin gekommen, den Menschen zu entzweien mit seinem Vater und die Tochter mit ihrer Mutter und die Schwiegertochter mit ihrer Schwiegermutter. 36 Und des Menschen Feinde werden seine eigenen Hausgenossen sein. 37 Wer Vater oder Mutter mehr liebt als mich, der ist meiner nicht wert; und wer Sohn oder Tochter mehr liebt als mich, der ist meiner nicht wert. 38 Und wer nicht sein Kreuz auf sich nimmt und folgt mir nach, der ist meiner nicht wert. 39 Wer sein Leben findet, der wird’s verlieren; und wer sein Leben verliert um meinetwillen, der wird’s finden.
40 Wer euch aufnimmt, der nimmt mich auf; und wer mich aufnimmt, der nimmt den auf, der mich gesandt hat. 41 Wer einen Propheten aufnimmt, weil es ein Prophet ist, der wird den Lohn eines Propheten empfangen. Wer einen Gerechten aufnimmt, weil es ein Gerechter ist, der wird den Lohn eines Gerechten empfangen. 42 Und wer einem dieser Geringen auch nur einen Becher kalten Wassers zu trinken gibt, weil es ein Jünger ist, wahrlich, ich sage euch: Es wird ihm nicht unbelohnt bleiben.
Stellen Sie sich mal vor, dieser Teil der Reden Jesu wird zu Weihnachten vorgelesen: alle sind einträchtig um den Weihnachtsbaum versammelt, alle ordentlich herausgeputzt, und dann liest einer dies hier vor:
„Ich bin gekommen, um den Menschen zu entzweien mit seinem Vater und die Tochter mit ihrer Mutter und die Schwiegertochter mit ihrer Schwiegermutter.“
Da hört die Gemütlichkeit auf. Es ist ganz einsichtig, weshalb das Baby Jesus populärer ist als der erwachsene Jesus, der solche heftigen Dinge sagt wie
„Ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert.“
Jesus eignet sich nicht, um alle Konflikte zu übertünchen, damit wir sie endlich los sind. Sein Frieden war immer nur so etwas wie das Auge mitten im Sturm, die Ruhe im Zentrum des Hurrikan. Wir haben vorhin den Psalm 23 gehört, dieses Vertrauenslied Davids von der Versorgung und Behütung durch Gott. Aber schon da ist davon die Rede, dass Gott einen Tisch bereitet im Angesicht der Feinde. Und wenn man sich dazu an den Lebensweg Davids erinnert, der sich jahrelang in den Bergen verstecken musste auf der Flucht vor König Saul, dann bekommt das erst seine volle Bedeutung. Diese klassische Vertrauenserfahrung, die dann unzähligen Menschen zum Trost geworden ist, die ist mitten in Konflikten gewachsen, wo es auf Leben und Tod ging. Und genauso redet Jesus auch davon, dass sein Frieden nur zu finden ist, wenn man sich mitten in den Kampf hineinstellt, den Jesus begonnen hat. Du kannst nicht die Früchte haben wollen und den Konflikt anderen überlassen.
Warum hätten sie schließlich Jesus kreuzigen sollen, wenn er nur zu allen nett gewesen wäre? Jesus hat eine Alternative in die Welt gebracht, die da, wo sie hinkommt, lauter kleine Revolutionen auslöst. Auf einmal will der Sohn nicht mehr so werden wie sein Vater, die Tochter sagt zur Mutter: „deine Art zu leben kann ich mir für mich überhaupt nicht vorstellen“, und die Schwiegertochter sagt: „ich lass mich von dir nicht mehr schikanieren und rumkommandieren, bloß weil du die Mutter meines Mannes bist.“ Das Evangelium löst so etwas aus, weil Menschen da ein neues Gefühl für ihren Wert und ihre Würde bekommen, und das beißt sich mit einer Welt, die Menschen eher nach ihrem wirtschaftlichen Wert einstuft und ihre Würde oft mit Füßen tritt. Was Jesus da sagt, das wird erst wirklich klar, wenn man sich daran erinnert, dass damals ganz klar war, wer im Haus das Sagen hat, nämlich der Vater, und bei den Frauen war es die älteste Frau, und wenn eine Frau einheiratet in eine andere Familie, dann steht sie dort ganz unten in der Rangordnung, und die anderen lassen sie das spüren.
Und Jesus spricht davon, dass es die beabsichtigte Folge seines Kommens ist, wenn jeweils die am unteren Ende der Rangordnung in Konflikt geraten mit denen da oben. Die nehmen es nicht mehr hin, dass sie die Letzten von allen sind. Wenn die da unten ihre Rolle nicht mehr einfach akzeptieren, dann kommt der ganze Gesellschaftsaufbau ins Rutschen. Sie kennen ja sicher den Gedanken, dass die Familie die Keimzelle der Gesellschaft ist, dass man dort fürs Leben lernt, wie man mit Menschen umgeht. Wenn Jesus also in der Keimzelle der Gesellschaft kleine Revolutionen anzettelt, dann hat das Langzeitfolgen für die ganze Gesellschaft.
Es ist ja schon bemerkenswert, wie es uns gelingt, aus Kindern mit ihrem ganz besonderen Charme und ihrer Neugier und Lebenslust dann irgendwie doch immer wieder die gleichen Erwachsenen zu machen, denen die Fantasie abhanden gekommen ist und die ihre Träume runtergefahren haben auf das, was in der Gesellschaft realistisch erscheint. Jemand hat mal gesagt, dass Gott das einzige Kind im Universum ist, und wir sind alle alt und resigniert geworden. Jesus hat die Kinder ja immer besonders geschützt. Für ihn waren das nicht diejenigen, die möglichst bald richtige Erwachsene werden sollten, sondern bei den Kindern ist etwas zu sehen, von dem wir alle lernen sollen. Und anscheinend wünscht sich Jesus, dass durch sein Wirken die nächste Generation eben nicht so werden soll wie die vorige. Dass die Kinder eben nicht die Familientradition fortsetzen, nicht die gleichen Lebenseinstellungen haben wie die Generation vor ihnen, nicht die gleichen Neurosen erben und am Ende ebenso resigniert und enttäuscht aussehen wie ihre Eltern.
Und die Folge ist, dass es Auseinandersetzungen gibt. Da zerbricht die Familiensolidarität, indem einerseits die Staatsgewalt zu Hilfe gerufen wird gegen die unfolgsamen Familienmitglieder, und andererseits sagt Jesus: die Bindung an mich ist stärker als die Bindung an die Familie, wer mehr an den Eltern oder den Kindern hängt als an mir, der ist meiner nicht wert. Es ist schon merkwürdig, dass aus dem Christentum dann später eine Religion geworden ist, die gerade mit den Familienfesten verbunden ist.
Und auf diesem Hintergrund sagt Jesus dann zwei bemerkenswerte Dinge:
Erstens: Wer euch, meine Nachfolger, bei sich aufnimmt, der nimmt mich auf. Auch hier wieder diese enge Verbindung, die Jesus zwischen sich und seinen Jüngern macht. Und wer Jesus aufnimmt, nimmt Gott auf, der Jesus gesandt hat. Wenn die Jünger irgendwo hinkommen, dann bringen sie Gott mit.
Aber nachdem Jesus erst so lange über die Auseinandersetzungen geredet hat, die er hervorruft, dann bedeutet das, wenn man es zusammen nimmt: wenn du in dieser Welt Gott haben willst, dann holst du dir die Auseinandersetzungen ins Haus. Gott streitet mit denen, die hier das Sagen haben, und wenn du zu ihm gehören willst, dann wirst du in diesen Streit hineingezogen. Der Streit ist nicht das Ziel (das unterscheidet die Nachfolger Jesu von Rebellen, die einfach aus Unzufriedenheit Streit anfangen), aber er kommt irgendwann von selbst, wenn einer das Evangelium lebt.
Das zweite, was Jesus seinen Nachfolgern sagt, ist: wenn euch dabei aber jemand unterstützt, dann hat er damit Anteil an dem, was ihr tut.
„Wer einen Propheten aufnimmt, weil es ein Prophet ist, wird den Lohn eines Propheten empfangen. Wer einen Gerechten aufnimmt, weil es ein Gerechter ist, wird den Lohn eines Gerechten empfangen.“
Das ist ein wirklich aufregender Gedanke. Da ist an die Situation gedacht, dass jemand die Jünger Jesu in sein Haus aufnimmt, und dass dieses Haus sozusagen ihre Operationsbasis wird. Das ist ein Sympathisant, der selber nicht als Jünger Jesu durch die Welt zieht, sondern seine Arbeit hat, sein Haus, seine Stellung im Leben, aber er findet das gut, was die herumziehenden Jünger tun, und er stellt ihnen seine Möglichkeiten zur Verfügung.
Und dann sagt Jesus: damit hat er Anteil an eurem Werk, und er wird auch euren Lohn erhalten. In Jesu Augen gibt es eine Einheit zwischen denen, die in großer Entschiedenheit ein Leben in der Nachfolge Jesu führen, und denen, die sesshaft bleiben, ein Leben innerhalb der Gesellschaft führen, aber diese Jünger unterstützen. Beide ziehen am selben Strang, sie gehören in ihren unterschiedlichen Rollen zusammen und tun ein gemeinsames Werk, und Gott wird sie auch gemeinsam belohnen.
Es hat in der ganzen Geschichte der Kirche diese beiden Typen von Menschen gegeben: die einen haben ihr ganzes Leben in den Dienst Jesu gestellt, sie sind oft viel unterwegs gewesen, haben Gemeinden gegründet und bestehenden Gemeinden Impulse gegeben, haben eine intensive Nähe zu Gott entwickelt. Das waren zuerst die Jünger Jesu und herumziehende Propheten, später die Mönche und Missionare, und immer wieder auch Leute, die als eine Art Wanderbischof verfolgte Gemeinden betreut haben. Aber eben auch Menschen, die in den Gemeinden vollzeitlich gearbeitet haben.
Andererseits hat es immer Menschen gegeben, die an einem Ort lebten, in einem Beruf gearbeitet haben wie alle anderen, ein Haus hatten und dieses ganze Potential in den Dienst Jesu gestellt haben.
Und Jesus sagt: wenn die wissen, was sie tun, dann sind sie an dem Werk des Propheten oder Apostels beteiligt und werden wie er belohnt. Aber damit das nicht einfach eine billige Nachfolge zweiter Klasse wird, deshalb redet Jesus vorher so ausführlich über die Konflikte, die er bringt, und natürlich wird jemand, der einen Jünger in sein Haus aufnimmt, in diese Konflikte hineingezogen.
Jesus hat sogar den Fall vor Augen, dass jemand einem Jünger als Unterstützung und Zeichen der Sympathie nur ein Glas mit erfrischendem Wasser gibt. Vielleicht hat er nichts anderes, vielleicht tut er es sogar nur heimlich. Aber Jesus sagt: wenn einer das als Zeichen der Sympathie für die Jünger Jesus tut, dann wird auch das nicht unbelohnt blieben. Mit diesem Glas kalten Wassers hat er die Linie überschritten und sich auf die richtige Seite gestellt. Er hat in diesem Konflikt Stellung bezogen. Natürlich würde man sich wünschen, dass sich das entwickelt und da noch mehr draus wird. Aber Gott wird schon das Glas Wasser genau registrieren.
Wir haben nun vier Wochen lang auf das 10. Kapitel des Matthäusevangeliums gehört, die große Rede Jesu an seine Jünger. Jesus rückt sich und seine Jünger ganz nahe zusammen. Sie setzen sein Werk fort. Sie bekommen die gleiche Vollmacht wie er. Sie bringen Gott dorthin mit, wo sie hinkommen. Sie geraten in die gleichen Konflikte wie Jesus. Und Gott wird für sie sorgen mitten in Streit und Gefahr.
So stellen die Jünger eine gelebte Alternative dar, eine gelebte neue Welt, in der Gerechtigkeit wohnt. Wir müssen heute neu herausfinden, wie das für uns aussieht. Wir können nicht einfach die alten Lösungen von vor 1700 Jahren übernehmen, aber von können von ihnen lernen, unsere eigenen Antworten für unsere Zeit zu geben. Wenn es da einen neuen Weg gibt, dann wird das eine echte Erneuerung der Christenheit bedeuten.
Wie auch immer sie dann aussehen mag, diese neue Welt existiert schon sozusagen in den Rissen und Winkeln der alten, im Abseits, im Untergrund, schwer zu greifen, aber doch real. Aber schon so übt Jesus seine Herrschaft aus: indem er dafür sorgt, dass es eine Alternative gibt. Insgeheim steht diese Alternative schon jetzt im Mittelpunkt der Welt: die einen ersehnen sie und werden von ihr angezogen, die anderen wollen sie um jeden Preis verhindern, oder jedenfalls verfälschen. Schon jetzt sind die Jünger Jesu das Salz der Erde – sie sorgen dafür, dass Fäulnis und Korruption sich nicht unbegrenzt ausbreiten können. Sie bewegen die Herzen der Menschen. Und sie geben vielen anderen die Gelegenheit, Anteil zu bekommen am Weg Jesu durch unsere Welt. Die Jünger Jesu sind durch nichts zu ersetzen. Die Gemeinde, die Kirche wird erneuert, wenn neu entdeckt wird, wie man lebt als Nachfolger und Nachfolgerinnen Jesu, und wenn Menschen sich auf diesen Weg machen.