Frieden schaffen – ohne Geld und Waffen
Predigt am 17. Juni 2007 zu Matthäus 10,9-15
Jesus sprach: »9 Beschafft euch kein Reisegeld, weder Goldstücke noch Silber- oder Kupfergeld! 10 Besorgt euch auch keine Vorratstasche, kein zweites Hemd, keine Schuhe und keinen Wanderstock! Denn wer arbeitet, hat ein Anrecht auf Unterhalt. 11 Wenn ihr in eine Stadt oder in ein Dorf kommt, dann findet heraus, wer es wert ist, euch in sein Haus aufzunehmen. Bleibt dort, bis ihr weiter zieht. 12 Wenn ihr das Haus betretet, dann wünscht allen, die darin wohnen, Frieden! 13 Wenn sie es wert sind, wird euer Friedenswunsch in Erfüllung gehen. Andernfalls bleibt er wirkungslos. 14 Wo sie euch nicht aufnehmen und nicht anhören wollen, da geht aus dem Haus oder der Stadt weg und schüttelt den Staub von den Füßen. 15 Ich versichere euch: Am Tag des Gerichts wird Gott mit den Leuten von Sodom und Gomorrha mehr Nachsicht haben als mit den Bewohnern einer solchen Stadt.«
Vor einer Woche haben wir uns vor Augen geführt, dass Jesus eine bevorzugte Methode hatte, wie er seine Botschaft verbreitet hat: er hat Jünger losgeschickt, Menschen, die die Botschaft vom Reich Gottes mit ihrem Leben verkörpern. Das ganze 10. Kapitel von Matthäus ist eine Anleitung für solche Jünger und Jüngerinnen Jesu.
Und die erste Anweisung, die Jesus ihnen gibt, lautet: nehmt kein Geld mit, nehmt kein Gepäck mit, nehmt keine Reserveausrüstung mit. Gott wird dafür sorgen, dass ihr auch ohne durchkommt.
Ja! Das steht da wirklich! Und Jesus meint, was er sagt!
Wissen Sie, manchmal höre ich, wie Leute sagen: ich bin ja kein Gelehrter, und für mich ist die Bibel das Wort Gottes, und ich nehme sie einfach wörtlich, wie sie da steht. Aber mit Blick auf diese Stelle habe ich das noch keinen sagen hören.
Dabei bin ich überzeugt, dass Jesus das hier nicht irgendwie symbolisch gesagt hat, sondern er hat wirklich gemeint, die Jünger sollten ohne einen Pfennig in der Tasche losgehen. Und wir sollten wenigstens verstehen, warum er ausgerechnet das als erstes zu seinen Jüngern sagt.
Warum schickt er die los mit nichts als dem, was sie auf dem Leib tragen? Ich versuche ein paar Antworten:
- Ohne Geld sind die Jünger auf die Menschen angewiesen, zu denen sie kommen. Und das bringt einen in ganz enorme Nähe zu den Menschen.
Einige von uns erinnern sich vielleicht an die Zeit, als man überhaupt noch viel stärker aufeinander angewiesen war und die Nachbarschaft viel enger war, einfach, weil man sich gegenseitig mehr brauchte. Erst als bei vielen der Wohlstand eingekehrt war, da wurde auch der Abstand zwischen den Menschen größer. Wenn ich genug im Haus habe, muss ich mir bei den Nachbarn nichts borgen; wenn ich einen Fernseher habe, bin ich nicht mehr auf die Geschichten angewiesen, die andere erzählen; wenn ich ein eigenes Auto habe, muss mich keiner mehr mitnehmen. Die Abstände zwischen den Menschen wachsen, je mehr sie besitzen. Ich sage damit nicht, dass wir in die 50er oder 60er Jahre des vorigen Jahrhunderts zurück sollten. Die Enge, mit der man da aufeinander saß, hat viel Kontrolle und Bevormundung bedeutet. Es geht mir jetzt nur um eins: wer auf andere echt angewiesen ist, der sieht sie mit ganz anderen Augen an. Die Jünger müssen sich sozusagen jeden Tag mit Predigen und Heilen ihr Abendessen verdienen. Sie dürfen keine Rechnungen schreiben, aber sie sollen davon leben, dass Menschen sie einladen. Ich glaube, dann ist man viel engagierter und erfindungsreicher darin, den Menschen wirklich etwas Starkes zu sagen. Die Menschen werden viel wichtiger, das ist einfach so. Und darum macht Jesus seine Jünger abhängig von der Freundlichkeit der Menschen, denen sie begegnen. - Aber durch die Menschen, von denen sie eingeladen werden, begegnet den Jüngern ja die Güte Gottes. Jesus sorgt dafür, dass sie Tag für Tag diese Güte erleben, er bringt sie in eine Lage, wo ihnen das dauernd passiert, einfach durch ihre Bedürftigkeit. Wenn wir Menschen von der Güte Gottes erzählen sollen, dann können wir das am besten, wenn wir diese Güte erst gerade wieder erlebt haben. Ohne Geld kommen die Jünger dauernd in diese Lage – ihr Gottvertrauen wird jeden Tag wieder neu bestätigt.
- Man kann es auch so sagen: die Jünger sind auf diese Weise der Realität einfach näher. Denn in Wirklichkeit sind wir natürlich alle auf die Güte Gottes angewiesen. Man muss nur mal dran denken, dass die Nahrungsmittelvoräte auf der Erde die Menschheit ohne die neue Ernte noch nicht mal ein Jahr lang ernähren könnten. Wenn nur einmal die Ernte ausbleibt, dann verhungern wir. Wir leben weltweit tatsächlich von der Hand in den Mund, oder eben von der beständigen Güte Gottes. Wir merken es nur nicht. Wir legen Vorräte an, und wir würden im Ernstfall natürlich den Armen die Nahrungsmittel weg kaufen, mit all solchen Mechanismen schützen wir uns vor der Erkenntnis, dass unser Leben überhaupt nicht gesichert ist. Es gibt keine Sicherheit auf der Welt. Aber es gibt die Güte Gottes, mit der er die Welt eingerichtet hat. Von der leben wir alle, aber nicht alle wissen es. Und Jesus schickt seine Jünger so in die Welt, dass sie diese Unsicherheit und genauso Gottes Güte dauernd spüren. Willkommen in der Realität!
- Damit führen die Jünger vor den Augen der Menschen ein wirklich alternatives Leben. Überall versuchen Menschen, sich Sicherheit zu schaffen, häufen Vorräte auf, erkämpfen sich Privilegien, lassen andere leiden, um sich selbst das Leben angenehmer machen. Die Jünger haben das nicht nötig. Sie leben nicht auf Kosten anderer Menschen, sondern von Gottes Güte. Franz von Assisi, einer von denen, der Jesus immer wörtlich genommen hat, wurde gefragt, warum er unbedingt wollte, dass er und seine Freunde besitzlos bleiben, und er antwortete: wenn wir Besitz hätten, dann brauchten wir auch Waffen, um ihn zu verteidigen! Egal, ob es Waffen sind oder Besitz oder Privilegien: all solche Sicherheiten fordern einen Preis. Sie machen die Welt oft nur noch unsicherer. So wie heute auch unser Energiekonsum das ganze Weltklima destabilisiert.
Die Jünger leben eine Alternative zu diesem Tanz ums Goldene Kalb: sie geben die Sicherheiten aus der Hand. Und das geht. Wo Menschen das getan haben, da funktioniert es. Ja, es kann auch sein, dass sie es schwer haben, dass sie Hunger und Durst leiden müssen. Auch das passiert, da muss man ehrlich sein, und einer wie Paulus z.B. hat davon auch deutlich gesprochen. Aber an den Jüngern werden Menschen sehen, dass es eine Alternative gibt. Nicht alle werden es ihnen nachmachen, aber sie werden ein unübersehbares Zeichen sein. An ihnen wird man sehen, wie ein versöhntes Leben aussehen kann mitten in einer Welt ohne Frieden. Das neue Leben muss sich gerade unter Belastung zeigen. Wenn alles im grünen Bereich ist, dann ist es kein Problem, vom neuen Leben zu reden. Aber ohne Geld nur von der Güte Gottes zu leben, da werden die Menschen aufmerksam. Da fangen sie an zu glauben, dass Gott Realität ist.
So bringen die Jünger Frieden in die Welt. Eine versöhnte Art zu leben. Und deswegen wird es immer wieder Leute geben, die sie einladen, weil sie spüren: das will ich auch haben. Auch wenn ich selbst mir nicht vorstellen kann, so zu leben, aber ich will etwas abbekommen von diesem Duft der Freiheit, den diese Leute verbreiten. Von ihrer Art soll etwas auf mich abfärben. Und wenn die Jünger in einem Haus Gastfreundschaft angeboten bekommen, dann sprechen sie es mit ihrem Gruß aus: Friede sei diesem Haus! Und es ist keine leere Formel, weil sie ja tatsächlich den Frieden mitgebracht haben. Sie verändern mit ihrer Lebensweise auch das Haus, in dem sie zu Gast sind.
Als wir neulich in Sehnde im Gefängnis waren – vielleicht haben Sie im Gemeindebrief davon gelesen – , da erzählte uns der Gefängnisseelsorger, wie wichtig das für die Gefangenen ist, wenn sie so einen Besuch von draußen bekommen. Sonst haben sie eine einzige Stunde Besuchszeit im Monat, und manche bekommen seit Jahren überhaupt keinen Besuch mehr. Die wissen kaum noch, wie es außerhalb dieser geschlossenen Anstalt ist. Und wenn dann eine Gruppe von draußen da zum Gottesdienst kommt und man hinterher noch ein bisschen miteinander redet, dann ist das eine Erinnerung: ja, es gibt auch noch diese Außenwelt, und an den Besuchern habe ich wieder gespürt, wie sich das wohl anfühlt, da draußen zu sein. Das hat nichts damit zu tun, dass wir besonders tolle Sachen gemacht hätten, sondern wir haben einfach einen Hauch von der Freiheit, in der wir leben können, mitgebracht. Einfach so, ohne uns irgendwie anzustrengen. Wir selbst merken das gar nicht, aber die Gefangenen nehmen das an uns wahr und erinnern sich: ja, es gibt wirklich diese Welt da draußen. Und einer hat dem Gefängnisseelsorger mal nach so einem Besuch (das war nicht unser Besuch) gesagt: das hat mir wieder Kraft für mehrere Wochen gegeben.
Ich möchte das als Bild nehmen für das, was mit einem Haus passiert, wenn dort die Jünger Jesu aufgenommen werden. Die bringen in dieses Haus die erlebbare Erinnerung daran, dass es ein anderes Leben gibt, im Frieden mit Gott, ohne den ganzen Tanz ums goldene Kalb von Wohlstand und Sicherheit, ohne Ausbeutung anderer. Ein Leben außerhalb dieses Weltsystems, das wir uns zusammengezimmert haben, und das uns doch nicht wirklich schützen kann, obwohl es so viele Opfer fordert. Die Jünger merken vielleicht gar nicht, was von ihnen ausgeht, aber sie werden die Hausbewohner ganz deutlich daran erinnern, dass es in dieser Welt voller Unfrieden eine Alternative gibt, das Reich Gottes. Es ist wie so ein Besuch im Gefängnis, die Jünger kommen von draußen und bringen den Geruch der Freiheit mit. Und auch wenn die Leute im Haus selbst nicht so leben können oder wollen wie die Jünger, sie sind wieder daran erinnert worden, dass man auch anders leben kann. Und sie werden dadurch wieder unabhängiger vom Weltsystem.
Paulus hat es auf den Punkt gebracht, als er sagte: wir sind die Armen, die viele reich machen. Jesus hat seine Jünger beauftragt, nach den Maßstäben der Welt arm zu sein, weil nur so der wirkliche Reichtum an ihnen erkennbar wird: das Leben aus der Güte Gottes. Jesus bringt seine Jünger in eine Lage, wo sie nach normalen Maßstäben dauernd im Ausnahmezustand sind. Aber was ist normal? Die Jünger Jesu lernen, Tag für Tag in diesem Ausnahmezustand zu leben. Es wird für sie normal, aus der Liebe Gottes zu leben. Ohne Sicherheit, einfach im Vertrauen, dass Gott für sie sorgen wird.
So zu leben, ist das nicht das eigentlich normale Leben? Ist nicht eigentlich unsere Art zu leben die eigentliche Verrücktheit, zu leben mit Waffen, Gift, Geld, Gefängnissen, Korruption, Umweltzerstörung, Kontrollen, Paragrafen und Casting-Shows? Was ist eigentlich normal? Die Jünger erinnern mit ihrem Leben die Menschen daran, dass bei Gott ein ganz anderes Leben normal ist, und allein diese Erinnerung schon macht die Welt gesünder.