Teurer Segen – Gott fest halten
Predigt am 28. Januar 2007 zu 1. Mose 32,23-33
In diesem Gottesdienst gab es eine Zeit, in der jeder zu verschiedenen Stationen in der Kirche gehen konnte:
– an drei Stellen konnte man sich segnen und mit Öl salben lassen,
– an einem Tisch konnte man sich eine Karte mit einem persönlichen Satz zum Nachdenken geben lassen
– Gebetsanliegen für den Gebetsdienst konnten ausgefüllt werden
– der in der Predigt beschriebene Holzschnitt war zu sehen
– und in einer Black Box war eine Installation zu sehen: Wo ist Jesus zu finden?
23 Und Jakob stand auf in der Nacht und nahm seine beiden Frauen und die beiden Mägde und seine elf Söhne und zog an die Furt des Jabbok, 24 nahm sie und führte sie über das Wasser, sodass hinüberkam, was er hatte, 25 und blieb allein zurück. Da rang ein Mann mit ihm, bis die Morgenröte anbrach. 26 Und als er sah, dass er ihn nicht übermochte, schlug er ihn auf das Gelenk seiner Hüfte, und das Gelenk der Hüfte Jakobs wurde über dem Ringen mit ihm verrenkt. 27 Und er sprach: Lass mich gehen, denn die Morgenröte bricht an. Aber Jakob antwortete: Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn. 28 Er sprach: Wie heißt du? Er antwortete: Jakob. 29 Er sprach: Du sollst nicht mehr Jakob heißen, sondern Israel; denn du hast mit Gott und mit Menschen gekämpft und hast gewonnen. 30 Und Jakob fragte ihn und sprach: Sage doch, wie heißt du? Er aber sprach: Warum fragst du, wie ich heiße? Und er segnete ihn daselbst. 31 Und Jakob nannte die Stätte Pnuël; denn, sprach er, ich habe Gott von Angesicht gesehen, und doch wurde mein Leben gerettet. 32 Und als er an Pnuël vorüberkam, ging ihm die Sonne auf; und er hinkte an seiner Hüfte. 33 Daher essen die Israeliten nicht das Muskelstück auf dem Gelenk der Hüfte bis auf den heutigen Tag, weil er auf den Muskel am Gelenk der Hüfte Jakobs geschlagen hatte.
Das ist ja eine merkwürdige Segensgeschichte. Da kämpft jemand mit einem Unbekannten, und dann stellt es sich heraus, dass das in Wirklichkeit mindestens ein Engel war, vielleicht sogar Gott selbst. Und er bekommt zur Belohnung einen neuen Namen, »Israel« – Gottesstreiter. Aber das soll nicht bedeuten, dass er für Gott kämpfte, sondern dass er mit Gott gekämpft hat. Und schließlich bekommt er den Segen, den er unbedingt haben wollte.
Jakob, um den es in dieser Geschichte geht, war einer der Stammväter des Volkes Israel, und unter denen war er der schillerndste Charakter. Vielleicht kennen einige von uns die Geschichte, wie er seinen Bruder um den Segen brachte – den Segen, der in dieser Familie durch die Generationen vom Vater auf den ältesten Sohn weitergegeben wurde. Aber Jakob verkleidete sich und ließ sich vom Vater Isaak segnen, obwohl er der zweite Sohn war und nicht der älteste.
Das war kein schöner Zug von ihm – aber es zeigt, dass Jakob einen Segen zu schätzen wusste. Er wusste: der ist so wichtig – um diesen Segen zu kriegen, war ihm jedes Mittel recht.
Das Besondere an Jakob ist, dass er zwar nachträglich teuer für seinen Betrug bezahlen musste, dass er aber den Segen behielt. Auf krummen Wegen hatte er sich den erschlichen – aber Gott ließ sich nicht einfach auf der Nase rumtanzen. Jakob musste in die Fremde fliehen, er wurde selbst Opfer des Betruges durch seinen Onkel Laban. Der Segen hat es ihm nicht erspart, unter Mühe und Enttäuschungen erwachsen zu werden – so wie es für keinen von uns Abkürzungen dabei gibt. Der Segen war für ihn kein Ersatz für die Mühen der Reifung. Vielleicht kann man sagen, dass der Segen mehr eine Chance war, ein Raum, in dem Jakob vorübergehend geschützt war, aber am Ende musste er doch soweit wachsen, dass er diesen Raum auch ausfüllen konnte.
Denn am Ende, als er zurückkam, musste er sich doch der Begegnung mit seinem Bruder Esau stellen, den er damals ausgetrickst hatte. Und davor hatte er Angst. Aber es blieb ihm nicht erspart, diesmal die Sache direkt anzugehen, ohne Tricks.
Und kurz vorher passiert ihm diese Geschichte: ein unbekannter Mann überfällt ihn. Und es bleibt ihm nichts anders übrig als um sein Leben zu kämpfen. Verstehen Sie, das zeigt in einem Bild genau das, was mit Jakob passiert: er muss sich dem Leben stellen, direkt, persönlich, es ist ernst, es gibt keine Tricks, er muss zeigen, was in ihm steckt. Als Kind war er Mamas Liebling, die hat ihm alle Steine aus dem Weg geräumt. Jetzt kommt er nach zwanzig Jahren zurück von seiner langen Reise, er hat gelernt, auf eigenen Beinen zu stehen, jetzt soll Schluss sein mit den Abkürzungen, die keine Lösung sind. Nicht mehr weglaufen, sondern sich stellen.
Und seine ganze Geschichte spiegelt sich wieder in dieser Szene mit dem unbekannten Feind, der ihn angreift. Wir wissen: das ist Gott. Jakob weiß es nicht. Er versteht es erst am Ende des Kampfes. Wie soll man das auch verstehen, dass Gott sich manchmal anscheinend gegen uns stellt? Dass er uns das Leben schwerer macht und nicht leichter, dass er uns Hindernisse in den Weg legt, statt uns den Weg zu ebnen, dass er uns erschreckt oder ängstigt, dass er uns in Gefahr bringt, anstatt uns zu beschützen. Sollte ein anständiger Gott solche Dinge tun? Aber alles das passiert. Gott konfrontiert uns mit den Dingen, die wir unbedingt vermeiden wollen. Und wir verstehen nicht, warum das so ist. Vielleicht später mal. Vielleicht auch diesseits des Himmels nie. Auf jeden Fall nicht dann, wenn der Kampf gerade angefangen hat.
Und trotzdem ist das Gott. Jakob hat es gemerkt im Laufe des Kampfes. Und am Ende hält er den Feind fest und sagt: ich lasse dich nicht los, wenn du mich nicht segnest. Da hat er verstanden.
Ich möchte Ihnen ein Bild von dieser Szene zeigen. Es ist ein Holzschnitt, in dem ganz viel von der Doppeldeutigkeit der Geschichte eingefangen ist. Da sieht man im Vordergrund Jakob, der gegen diesen viel größeren Gegner kämpft. Von diesem Feind sieht man nur zwei Hände und einen Fuß. Alles andere ist einfach schwarz. Eine schwarze Gestalt, ein schwarzer Kopf. Aber wie die beiden kämpfen – das könnte auch eine Umarmung sein. Und die Hand auf Jakobs Kopf, die drückt ihn einerseits weg und andererseits segnet sie ihn. Und Jakob ringt mit dem Gegner – aber andererseits klammert er sich auch an ihn und will ihn nicht loslassen. Vielleicht ist das gerade der Moment, wo er anfängt zu ahnen, dass dies nicht einfach nur ein Feind ist, sondern dass dahinter noch etwas anderes stecken könnte, jemand anderes, der Gott, der den Segen für ihn hat, nach dem er sein Leben lang gesucht hat.
Jakob bekommt ja genau nach diesem Kampf einen neuen Namen: Israel, der Name des auserwählten Volkes.
Was sagt dieser Name also über die Menschen Gottes? Es geht um Menschen, die sich nicht mit der Welt, wie sie ist, zufrieden geben. Sie haben eine Ahnung davon, dass da noch mehr ist. Sie haben eine Verheißung. Und die ist ein Geschenk. Aber wer dieses Geschenk bekommt, dem wird nicht erlaubt, es sich einfach in die Tasche zu stecken, sondern dann beginnt es erst. Dann beginnt die Suche, dann beginnt ein Weg, dann beginnt ein Kampf. Ein Kampf darum, den Segen dort zu entdecken, wo es gar nicht nach Segen aussieht. Mit dem dunklen Schicksal zu ringen, bis man die Züge des segnenden Gottes erkennen kann.
Ist Ihnen schon einmal aufgefallen, dass es im Leben von ganz vielen Menschen der Bibel sozusagen zwei Durchgänge gibt? David wird am Anfang gesegnet und gesalbt vom Propheten Samuel – und danach ist er wieder Hirte. Erst viele Jahre später wird er König. Jesus selbst hat diese beeindruckende Geburtsgeschichte – und dann lebt er dreißig Jahre lang ziemlich unauffällig. Und dann wieder: seine Taufe, die Konfrontation mit dem Versucher – und danach erst beginnt seine Geschichte richtig, jedenfalls äußerlich. Paulus hat eine dramatische Bekehrungsgeschichte – aber dann schickt ihn Gott für viele Jahre in die Wüste, bevor es richtig losgeht mit ihm.
So ist, denke ich, auch der Segen, den wir heute in diesem Gottesdienst sprechen, so etwas wie eine Berufung, eine Einladung. Ja, er ist auch Stärkung und Wegzehrung. Jakob war schon einer, dem viele Dinge einfach gelungen sind, weil Gottes Segen auf ihm lag. Aber gleichzeitig war es eben der Start zu einem Weg, den Gott ihm nicht abgenommen hat. Er hat ihm den Kampf nicht erspart, er hat es ihm nicht erspart, auf die harte Tour erwachsen zu werden. Und der Segen hat es ihm nicht erspart, mit Gott zu kämpfen, damit hinter der dunklen Gestalt der segnende und freundliche Gott erkennbar werde.
Dies, so scheint mir, ist die Aufgabe aller, die schon einmal den Segen geschmeckt haben: mit Ausdauer darum zu ringen, dass in dieser dunklen Welt mehr sichtbar wird von Gottes wahrem Angesicht und von seinem Segen. Das will Gott von uns: dass wir voller Vertrauen auf ihn festhalten und nicht loslassen, bis der Segen sich zeigt. Bis aus dem erschreckenden Überfall die Begegnung mit dem lebendigen Gott wird, bis im dunklen, gesichtslosen Schicksal der Vater im Himmel erkennbar wird. Bis wir dem unbegreiflichen Schicksal den Segen abgerungen haben. Bis das Leben sich zeigt in dieser Todeswelt.
Natürlich ist auch hier das Vorbild Jesus. Der ist ja auch hineingegangen in diese dunkle Welt voller Gewalt, Intrigen und Gefahr. Aber wo er hin kam, da wurde es hell. Er hat darum gekämpft, das freundliche Angesicht Gottes sichtbar zu machen unter den Menschen, und das gelang ihm mit Leichtigkeit und Selbstverständlichkeit. Erst am Ende, als er sterben musste, da wurde sichtbar, dass auch er einen Preis dafür bezahlen musste.
Und so ruft er nun Menschen, die in seinem Namen hingehen in die dunklen Zonen der Welt und dort nicht locker lassen, bis sich der verheißene Segen zeigt. Manchmal muss man gar nicht gehen, sondern die Dunkelheit kommt zu uns. Aber in jedem Fall sucht Gott Menschen, die sich nicht damit zufrieden geben, dass die namenlose Dunkelheit das Letzte ist. Diese Menschen segnet er, er rüstet sie aus mit dem heiligen Geist, aber dann beginnt eine Reise, ein Weg, ein Kampf, damit sich die Früchte des Segens zeigen. Und wir werden das oft nicht sofort erkennen, wir werden nicht verstehen, warum Gott uns alles so schwer macht, wir werden uns fühlen wie im Kampf mit einem übermächtigen Gegner, aber wenn wir nicht aufgeben, sondern festhalten, dann wird der Segen gefunden werden. Und es wird auch die Augenblicke geben, wo wir zurückblicken und sagen: deswegen also! Und du warst das! Jetzt verstehe ich es!
Manchmal kann man solche Zusammenhänge ja auch bei anderen erkennen, in manchen Fällen ist das leichter, als es bei sich selbst zu begreifen. Aber worauf ich bisher eigentlich noch nie eine Antwort gefunden habe, das ist die Frage, warum Gott mit dem einen diesen Weg geht und mit dem andern einen anderen. Was wäre gewesen, wenn nicht Jakob den Segen erhalten hätte, sondern Esau? Wir wissen es nicht. Und wir wissen nicht, weshalb uns so viel zugemutet wird, oder weshalb wir so geschont werden. Wir wissen nicht, ob wir in Gottes Augen ein besonders einfacher oder ein besonders schwieriger Fall sind.
Aber in jedem Fall wissen wir genug, um verstehen, was unsere Aufgabe ist: festhalten, nach dem Segen fragen, nicht loslassen, bis aus dem bedrohlichen Kampf die Umarmung des Vaters im Himmel geworden ist. Und bis wir den neuen Namen bekommen haben, unseren wirklichen Namen, der sagt, wozu wir berufen sind, der das Geheimnis unseres Lebens enthält und den Gedanken Gottes, den er von Anfang an über uns hatte.