Gott im Wohnzimmer (Gemeinschaft VI)
Predigt am 7. September 2008 zu Apostelgeschichte 18,1-11
1 Bald darauf verließ Paulus Athen und ging nach Korinth. 2 Dort lernte er Aquila kennen, einen Juden, der aus der Provinz Pontus stammte. Aquila und seine Frau Priszilla waren erst kurz zuvor aus Italien gekommen, weil ´Kaiser` Klaudius ein Edikt erlassen hatte, wonach alle Juden Rom verlassen mussten. Die beiden luden Paulus zu sich ein, 3 und weil er dasselbe Handwerk ausübte wie sie – sie waren Zeltmacher –, blieb er bei ihnen und arbeitete ´in ihrem Geschäft mit`.
4 Jeden Sabbat sprach Paulus in der Synagoge und versuchte, sowohl Juden als auch Griechen ´von der Wahrheit des Evangeliums` zu überzeugen. 5 Als dann Silas und Timotheus, von Mazedonien kommend, in Korinth eintrafen, konnte Paulus seine ganze Zeit für die Verkündigung von Gottes Botschaft einsetzen. Mit allem Nachdruck bezeugte er den Juden, dass Jesus der Messias ist. 6 Doch alles, was er dafür erntete, waren Anfeindungen und Beschimpfungen. Da schüttelte er den Staub von seinen Kleidern und erklärte: »Ihr habt es euch selbst zuzuschreiben, wenn das Gericht Gottes über euch hereinbricht! Mich trifft keine Schuld. Von jetzt ab wende ich mich an die Nichtjuden.«
7 Er verließ die Synagoge und verkündete das Evangelium von da an bei Titius Justus, ´einem Nichtjuden,` der an den Gott Israels glaubte und dessen Haus unmittelbar neben der Synagoge stand. 8 In der Folge kam ´kein Geringerer als` Krispus, der Vorsteher der Synagoge, zum Glauben an den Herrn – er und alle, die in seinem Haus lebten. Auch viele andere Korinther, die ´Gottes Botschaft` hörten, glaubten und ließen sich taufen. 9 In einer nächtlichen Vision sagte der Herr zu Paulus: »Du brauchst dich nicht zu fürchten! Verkünde ´das Evangelium`, und lass dich durch nichts zum Schweigen bringen! 10 Ich selbst bin bei dir, und niemand, der dich angreift, kann dir etwas anhaben. Denn mir gehört ein großes Volk in dieser Stadt.« 11 So kam es, dass Paulus eineinhalb Jahre ´in Korinth` blieb, und in dieser ganzen Zeit unterrichtete er die Menschen in der Botschaft Gottes.
Wie können ganz normale Menschen heute zu einem Licht werden, das erkennbar in der Gesellschaft leuchtet und Menschen hilft, ihr Leben mit Gott zu führen?
Wenn ich nochmal an der Episode aus der Apostelgeschichte entlangdenke, die wir vorhin als Lesung gehört haben, dann fällt mir auf, wie wichtig dort das »Haus« ist. Paulus verlässt die Synagoge, wo er immer unter Beschuss stand und geht nach nebenan ins Haus von Titius Justus. Das ist natürlich eine tolle Fügung, dass er nebenan in bester Lage sozusagen ein Konkurrenzunternehmen aufmachen kann. Das ist privater Bereich, da müssen die Leute, die ihn in der öffentlichen Synagoge dauernd unter Beschuss genommen haben, draußen bleiben. Aber jeder, der ihn hören will, kann das tun. Vorher konnte Paulus seine Botschaft nicht ungestört entfalten, die ließen ihn sozusagen gar nicht ausreden, jetzt kann er es endlich, und da kommt sogar der Vorsitzende des Synagogenvorstandes zum Glauben.
Aber das alles war nur möglich, weil dieser Titius Justus dafür sein Haus zur Verfügung gestellt hat. Das klingt so einfach. Aber können Sie sich vorstellen, was es darüber vielleicht für Diskussionen bei Familie Justus gegeben hat?
»Titius, wenn die Leute zu uns kommen, und es regnet, die bringen alle den ganzen Dreck ins Haus! Neulich hat sich sogar einer ins Schlafzimmer verirrt, und ich hatte noch nicht die Betten gemacht! Und letzte Woche war wieder der ganze Kühlschrank leer. Ich wollte Olivenauflauf machen, und alle Oliven waren weg.«
Und der oberste Haussklave kommt vielleicht und sagt: »Seit dieser Paulus hier ist, ist das ganze Wochenende Betrieb! Genau wenn meine Leute immer die Sportschau geguckt haben, müssen sie jetzt das Wohnzimmer für seine Vorträge herrichten! Und neulich hat der Paulus noch bis drei Uhr morgens hier gesessen und mit den Typen vom Hafen diskutiert. Die haben nach Fisch gestunken und waren so laut, dass im ganzen Haus keiner schlafen konnte. So geht das nicht.«
Und trotzdem – wo starker christlicher Glaube gewachsen ist, da haben Menschen dafür ihre Privatsphäre eingesetzt. Titius Justus konnte wahrscheinlich nicht so gut reden und diskutieren wie Paulus, aber er hat Paulus den Raum dafür zur Verfügung gestellt. Und so haben beide mit ihren Möglichkeiten zur Ausbreitung des Glaubens in Korinth beigetragen. Sie hatten nicht die Möglichkeit, ein Gemeindehaus zu nutzen, es ging nur, wenn Titius sein Wohnzimmer zur Verfügung stellte, also einen wichtigen Teil seines Lebens. Und das ist bis heute so geblieben: wo sich wirklich glaubensmäßig was bewegt, da ist es fast immer so, dass Menschen sagen: kommt doch zu mir, wir machen das in meinem Wohnzimmer.
So entstand ein Raum geistiger Auseinandersetzung, wo Tag für Tag über die wirklich wichtigen Fragen nachgedacht wurde. Eine Kultur des anspruchsvollen Nachdenkens – nicht für Professoren und Doktoren, sondern für ganz normale Leute, die in ihrem Beruf mit Textil und Leder arbeiten, aber denen das nicht reicht. Die verstehen möchten, wie die Welt von Gott her aussieht, was sein Wille ist und wie man leben soll. Dieses anspruchsvolle Nachdenken war schon in der jüdischen Kultur angelegt. Das Netz der Synagogen war so eine Zone, wo man anspruchsvoll über das Leben nachdachte. Das hat man nicht den Talkshows oder den Medien überlassen, sondern in die eigenen Hände genommen. So etwas gibt es bei uns fast überhaupt nicht. Aber es ist dort in Korinth entstanden,weil einer sein Haus zur Verfügung stellte.
Vielleicht erinnert sich mancher von uns daran, dass wir mit so einer Unbekümmertheit in unserer Jugend nicht so viel Probleme hatten. Natürlich haben da schon mal nach einer Party ein Haufen Leute im Keller oder sonst wo übernachtet. Jugendliche haben viel weniger Probleme damit, wenn auf einmal Gäste da sind, die Schlafsack und Isomatte dabei haben. Aber wenn wir älter werden, dann wird das alles viel schwieriger, dann kann man die Leute nicht einfach auf dem Sofa schlafen lassen, aber die Betten extra zu beziehen ist auch aufwändig, und wenn man nur an den Stau vor dem Badezimmer am Morgen denkt, dann vermeidet man solche Situationen lieber.
Aber genau diese Situationen gibt es dauernd, wenn man sich auf ein intensives Leben mit Jesus einlässt. Das bringt die Ordnung des Lebens durcheinander. Kernbereiche des Lebens bleiben nicht verschont, aber das empfinden diejenigen, die da mitten drin stecken, gar nicht als Problem.
Beispiel: das Ehepaar Priszilla und Aquila. Die gründen sozusagen mit Paulus gemeinsam ein Unternehmen, damit er ein Dach über dem Kopf hat und sich da in Korinth finanzieren kann. Also, könnte man sich das vorstellen, dass Christen zusammen schnell mal ein Unternehmen gründen, damit es eine wirtschaftliche Basis für die Mission gibt? Als früher die Missionare aus Herrnhut und Hermannsburg in die Welt gezogen sind, haben sie genau so ihren Lebensunterhalt verdient in Afrika oder Grönland. Aber hier in Europa? In Deutschland? Wir?
Und dann kommen Silas und Timotheus nach, und sie sagen Paulus: von jetzt ab übernehmen wir für dich das Geldverdienen, und du kannst auch vormittags bei Titius im Wohnzimmer sitzen und diskutieren. Man spürt: da ist ein Kreis von ganz eng verbundenen Freunden, die alle am gleichen Strang ziehen, die sind sich einig, und deshalb können so ein paar Leute enorm viel erreichen.
Gestern hat mir eine junge Frau von einer Gemeinde erzählt, wo sie ganz viele Kleingruppen haben, und die geben da alle 10 Prozent ihres Einkommens für die Gemeindearbeit. Das machen auch manche andere Gemeinden, aber dort kommt das nicht in eine gemeinsame Kasse, die dann zentral verwaltet wird, sondern jede Kleingruppe überlegt, was sie mit ihrem Geld macht. Ein bisschen geben sie für die Kosten der Gesamtgemeinde, aber das meiste bleibt direkt in der Gruppe. Und die Gruppen suchen sich Menschen, für die sie Verantwortung übernehmen, z.B. ein Kinderheim. Und sie kümmern sich um die Kinder da, sie investieren Zeit, damit das Leben anderer Menschen positiver verläuft. Aber sie haben auch Geld zur Verfügung. Wenn die alle in der Gruppe 10 Prozent ihres Einkommens geben, dann haben die vielleicht 1000 Euro im Monat zur Verfügung. Damit kann man schon was bewegen! Und die Verantwortung bleibt in der Gruppe derer, die das Geld aufbringen. Können Sie sich vorstellen, dass das ein ganz anderes Feeling ist, wenn man regelmäßig miteinander klärt, was man mit ein paar Tausend Euro macht? Dass das ein ganz anderer Ernst ist?
Versteht ihr, dass intensive christliche Gemeinschaft nur so wachsen kann, dass Menschen wichtige Teile ihres Lebens Jesus zur Verfügung stellen? Ihr Haus, ihre Zeit, ihr Geld, ihre professionellen Fähigkeiten und anderes, und diese Dinge sind dann nicht mehr unter unserer Kontrolle, sondern mit ihnen baut Jesus sein Reich, er verbindet uns mit anderen zu einer christlichen Gemeinschaft, er arbeitet an einem Gewebe von Menschen unter Verwendung der Mittel und Möglichkeiten, die wir ihm zur Verfügung stellen.
Diese Wendung, dass man »Jesus sein Leben übergibt« ist dann weniger eine fromme Formel, sondern das heißt konkret: ich organisiere mein Leben um die Sache Jesu herum, und ich mache das mit anderen gemeinsam, wie damals Priszilla, Aquila, Timotheus, Paulus, Titius Justus und all die anderen.
Liebe Freunde, das wirkliche Problem beim Bau einer christlichen Gemeinschaft ist nicht die Frage: wie mache ich das? Welche Idee ist die beste? Es gibt viele gute Ideen für christliche Gemeinschaft. Wir schrecken nur vor ihnen zurück, weil wir ahnen, dass sie den Schwerpunkt unseres Lebens verschieben würden. Der entscheidende Knackpunkt ist, ob ich bereit bin, mein ganzes Leben um diese christliche Gemeinschaft herum zu organisieren. Und um das noch mal zu illustrieren, habe ich da den Tisch hingestellt.
Hier ist ein Glas, das ungefähr zu 2/3 mit Steinen gefüllt ist. Und hier habe ich einen großen Stein, der eigentlich auch noch hinein gehen müsste. Aber wenn ich es versuche – das geht nicht. Ich kann drücken wie ich will, ich mache eher das Glas kaputt, als ihn da rein zu kriegen. Wie kriegt man diesen Stein da rein?
Klare Sache: ich muss die ganzen kleinen Steine wieder raus kippen und zuerst den großen Stein rein tun, und anschließend die kleinen Steine um ihn herum schütten. So kriege ich das alles in das Glas, aber nicht ganz. Ein paar von den kleinen Steinen passen nicht.
Versteht ihr, wie wir das normalerweise mit dem Reich Gottes machen? Wir schauen unser Leben an und sagen: da ist schon eine Menge drin, wenn Jesus jetzt so viel von mir verlangt, dann passt er da nicht mehr rein. Tut mir leid, es geht einfach nicht. Und dann haben wir ein Leben, dass einerseits mit lauter Kleinkram gefüllt ist, und das andererseits irgendwie leer ist.
Erst wenn wir mit Jesus anfangen und alles andere um Jesus herum organisieren, dann wird ein Schuh draus. Denkt an Priszilla und Aquila! Die hatten ein Geschäft, die hatten wahrscheinlich Kinder, die hatten bestimmt genug zu tun, aber sie haben ihr Leben um die christliche Gemeinschaft herum organisiert. Und dann ging es irgendwie. Jesus hat gesagt: trachtet zuerst nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, dann bekommt ihr den Rest auch noch dazu. Sorgt ihr euch um Gottes Sache, dann sorgt Gott sich um eure Sachen. Ja, und manches passt dann auch wirklich nicht mehr rein. Von manchem muss man sich auch verabschieden.
Aber man bekommt Besseres dafür. Priszilla und Aquila z.B. stammten vom Schwarzen Meer, sie waren nach Rom ausgewandert und hatten wahrscheinlich dort das Evangelium kennengelernt. Dann hat Kaiser Klaudius alle Juden aus Rom vertrieben, die Kaiser hatten manchmal solche Ideen. Stell dir vor, das wäre dir passiert! Du hast den Sprung in ein fremdes Land gewagt, hast dir dort mühsam eine Existenz aufgebaut, und dann musst du Hals über Kopf alles stehen lassen, weil so ein Kaiser es einfach beschließt! Würde man es Aquila und Priszilla verdenken, wenn sie jetzt sagen: wir müssen dieses Trauma der verlorenen Heimat überwinden, wir gründen einen Verein der römischen Heimatvertriebenen und erzählen uns gegenseitig jeden Samstag, wie schön es in Rom war?
Stattdessen gründen sie einfach ein neues Geschäft und stellen die Basis für das Evangelium in Korinth. Kein Selbstmitleid, kein Blick zurück, sondern ganz lebenstüchtig nach vorn schauen. Warum konnten sie das? Weil die Frage »Rom oder Korinth« für sie gar keine entscheidende Frage war. Das war nicht der rote Faden ihres Lebens. Der rote Faden ihres Lebens war ihre Arbeit am Evangelium und die vielen Menschen, denen sie zur Klarheit verholfen haben. Das war der dicke Stein, den sie zuerst in ihr Leben hineingetan haben, die wirkliche Geschichte ihres Lebens.
Und diese Entscheidung führt dazu, dass wir viel weniger verletzlich werden. Andere Lebensfäden sind viel anfälliger. Der Beruf? den muss man irgendwann aufgeben. Die Familie? Aber was ist, wenn die Enkelkinder eines Tages keine Zeit mehr haben, einen zu besuchen. Und die Heimat kann man schneller verlieren als man glaubt.
Aber wenn der rote Faden in unserem Leben Jesus ist, dann treffen uns all diese Unwägbarkeiten gar nicht mehr so zentral. Dann leben wir eine Geschichte, die durch alle Probleme und durch den Tod hindurch weiter läuft bis in die neue Welt Gottes.
Und schon damals, als man zu Fuß oder mit Segelschiffen reiste, hatten die einen internationalen Horizont. Ein bisschen später haben sie mit Paulus abgesprochen: wir kommen mit dir nach Ephesus, und wenn du dann weiter nach Jerusalem reist, dann halten wir für dich die Stellung in Ephesus. Ganz selbstverständlich teilen sie sich die Verantwortung für ganze Landstriche auf. Was ist das für ein weites, internationales Denken!
Die junge Frau, die mir von dieser Gemeinde mit den Kleingruppen erzählte, die ist da übrigens einfach mal für 14 Tage hingefahren, um das kennenzulernen. Die Gemeinde ist in der Schweiz. Wenn Jesus der rote Faden in unserem Leben wird, dann bringt das auch geografisch so eine Weite mit sich.
Wenn der dicke Stein zuerst im Glas ist und das andere darum herum organisiert wird, dann wird gleich viel mehr möglich. Und diese Erfahrung ist die Grundlage aller christlichen Gemeinschaft. Menschen, die Gott viel Raum geben in ihrem Leben und miteinander einen Raum öffnen, wo Gott die Welt erneuert. Und die diese Erneuerung auch am eigenen Leibe erleben.