Wenn wir bösen Menschen begegnen
Predigt am 15. Juni 2008 mit Römer 12,17-21
17 Vergeltet niemand Böses mit Bösem. Bemüht euch um ein vorbildliches Verhalten gegenüber jedermann.18 Wenn es möglich ist und soweit es an euch liegt, lebt mit allen Menschen in Frieden. 19 Rächt euch nicht selbst, liebe Freunde, sondern überlasst die Rache dem Zorn ´Gottes`. Denn es heißt in der Schrift: »´Das Unrecht` zu rächen ist meine Sache, sagt der Herr; ich werde Vergeltung üben.« 18 Mehr noch: »Wenn dein Feind hungrig ist, gib ihm zu essen, und wenn er Durst hat, gib ihm zu trinken. Ein solches Verhalten wird ihn zutiefst beschämen.« 21 Lass dich nicht vom Bösen besiegen, sondern besiege Böses mit Gutem.
Jesus bringt eine neue Art, das Leben anzupacken, und die Probe darauf, ob das funktioniert, das ist der Umgang mit schwierigen oder – ich nenne es einmal so – negativen Menschen. Also Menschen, die Probleme bereiten, Menschen, die zerstören, die regelmäßig Streit und Ärger verursachen, die schwierig sind im Umgang, die manchmal richtig gefährlich sind. Für jede Art zu leben ist das der Test: wie gut kann jemand auf Menschen reagieren, die ihm Böses tun? Wie wird er damit fertig?
Jesus begegnete solchen Menschen; er hatte richtige Feinde, wahrscheinlich mehr Feinde als jeder von uns. Und er musste eine Antwort finden, die nicht seine Sendung zerstörte. Denn Menschen, die uns Unrecht tun, die uns angreifen und schaden, gehören zu denen, die uns am meisten beeinflussen. Wir denken viel an sie, wir haben intensive Begegnungen mit ihnen; unsere Feinde haben einen großen Einfluss auf uns. Jesus musste darauf so reagieren, dass dieser Einfluss ihn nicht in seiner Sendung behinderte. Sondern, im Gegenteil, er wollte auch weiterhin die anderen beeinflussen und nicht umgekehrt.
Jesus hat dann in der Bergpredigt über den Umgang mit Feinden gesprochen – wir haben das vorhin in der Lesung gehört. Und hier im Römerbrief setzt es Paulus fort und gibt Verhaltensregeln für die Nachfolger Jesu, die ja in ähnliche Situationen kommen können wie Jesus. Was ist dann die richtige Reaktion?
Zuerst einmal denke ich, ist es ganz wichtig, dass Paulus und Jesus selbstverständlich damit rechnen, dass wir Feinde haben. Beide haben das ja oft genug am eignen Leibe erlebt. Sie teilen also nicht den modernen Irrglauben, dass die Menschen alle gut sind, dass Konflikte immer auf Missverständnissen beruhen und nicht auf Bosheit, und dass eigentlich immer beide Seiten irgendwie schuld sind. Das sind verheerende Gedanken, die einem große Probleme bereiten, wenn man tatsächlich einem bösen Menschen begegnet. Es ist schon schlimm genug, wenn man es mit jemandem zu tun hat, der einen dauernd angreift und fertig machen will. Wenn man sich dann aber noch nicht einmal traut, die Sache beim Namen zu nennen, ist man hilflos gegenüber diesem Verhalten.
Und wenn man dann noch der Meinung ist, dass ja beide Seiten irgendwie schuld sind, dann fängt man noch zusätzlich an, darüber nachzugrübeln, was man denn selbst falsch gemacht hat. Und so fangen dann misshandelte Kinder und geschlagene Ehepartner an, darüber nachzudenken, was sie denn falsch gemacht haben könnten, und was denn ihr Beitrag zu dieser Gewalt gewesen sein könnte. Sie legen sich Schuldgefühle zu statt die nahe liegende Antwort zu geben: ich bin in den Machtbereich eines bösen Menschen geraten und hatte nicht die Mittel, um mich zu schützen.
Gerade wenn man es mit Menschen zu tun hat, die Mobbing zum Opfer gefallen sind, fügt dieser Grundsatz, dass ja beide immer irgendwie Schuld sind, dem Opfer noch einmal großen Schaden zu und kann verhindern, dass es den nötigen Schutz bekommt.
Es gibt auch eine spezielle christliche Variante dieses Denkens, die unter Berufung auf die Feindesliebe davon ausgeht, dass Christen immer nachgeben müssen, immer alle Schuld auf sich nehmen und sich von jedem als Fußabtreter benutzen lassen müssen. Das ist aber einfach eine fromme Form von Konfliktscheu oder Feigheit. Und das Schlimme ist, dass dadurch die echte Feindesliebe in Verruf kommt. Die besteht aber nicht darin, dass zu allem lächelt, nett ist und hofft, dass der andere schon einsieht, dass er auch nett sein sollte.
Deswegen ist das erste, was wir hier von Paulus und Jesus lernen könne: ja, es gibt echte Feinde. Ja, es gibt böse Menschen. Sie sind es vielleicht nicht immer und in allen Beziehungen, aber es reicht ja, wenn sie sich in Bezug auf uns so verhalten. Sie sind natürlich oft arme Menschen, die nichts Besseres haben, aber das vermindert nicht den Schaden, den sie anrichten.
Zum Glück sind längst nicht alle Menschen so, aber es gibt sie: den Chef, mit dem zusammenzuarbeiten krank macht. Eltern, die ihre Kinder systematisch kaputtmachen. Es gibt Intriganten, um die herum immer nutzloser Ärger und überflüssige Konflikte entstehen. Es gibt die kleinen Angestellten, die ihre Macht nutzen, um andere zu schikanieren. Es gibt Betrüger, die hilflose Menschen über den Tisch ziehen. Es gibt Leute, die ihren Spaß daran haben, andere per Telefon in Angst und Schrecken zu versetzen. Es gibt Karrieristen, die über Leichen gehen. Es gibt noch viele andere. Bosheit beschränkt sich nicht auf Kinderschänder und Serienmörder. Und es hat keinen Zweck, das wegzudefinieren. Das Böse muss beim Namen genannt werden.
Das ist übrigens in der ganzen Bibel so: Menschen werden sehr differenziert beschrieben, mit Licht und Schattenseiten, aber es ist nie unklar, was gut und was böse ist, was richtig ist und falsch. Der erste Schritt, wie man mit bösen Menschen umgehen soll, besteht darin, der Sache einen Namen zu geben. Das ist die Voraussetzung für alles andere. Aber wenn das klar ist, dann ist die Frage: wie reagiert man auf solche Menschen?
Vielleicht ist es überraschend, was die wichtigste Antwort darauf ist: achte darauf, dass du nicht so wirst wie sie. Nimm dir an ihnen kein Beispiel. Vergelte nicht Böses mit Bösem. Reagiere nicht, sondern bleib bei deiner eigenen Sache. Das ist tatsächlich die größte Gefahr, wenn man angegriffen wird: dass über diesen intensiven Kontakt, der einen ja sehr beschäftigt und beeinflusst, dass da etwas von der Art des Angreifers in mich hineinkommt. Und die Folge ist, dass geschlagene Kinder oft, wenn sie älter werden, selbst zu Schlägern werden, erst auf der Straße und später in ihrer eigenen Familie. Oder dass angegriffene Menschen so reagieren, dass sie sich selbst damit ins Unrecht setzen. Da wird einer so lange wird Worten gedemütigt, bis er ausrastet und in seiner Hilflosigkeit schlägt, und dann ist er der Böse.
Oder, im Großen: Völker, die lange unterdrückt worden sind und dann irgendwann beschließen, sich mit Gewalt zur Wehr zu setzen. Und dann werden sie manchmal selbst mit der Gewalt ihrer Unterdrücker infiziert und lösen auch intern Konflikte gewaltsam.
Der Weg, um das alles zu verhindern, ist eine Grundentscheidung über dasselbe Verhalten zu allen Menschen: gegenüber allen sollen wir auf das Gute bedacht sein. Ein paar Verse vorher heißt es: segnet und verflucht nicht! Und Jesus stellt uns Gott als Vorbild hin, der es gleichmäßig regnen lässt auf Gute und Böse. Diese Grundhaltung, dass Menschen durch die Begegnung mit uns Gutes erfahren sollen, die gilt unabhängig davon, wie sie sich zu uns verhalten. Vielleicht könnte man es so formulieren: du wirst mich auch mit all dem Negativen, das du verbreitest, nicht davon abbringen, auf dein Wohl bedacht zu sein.
Diese Entscheidung hilft uns, gegenüber allen Menschen in eine aktive Grundhaltung hineinzukommen. Wir denken sowieso immer darüber nach, wie wir für andere zum Segen werden können. Manchmal klappt das, manchmal nicht. Aber wir gewöhnen uns einen Blick an, der die Menschen daraufhin ansieht, wie wir für sie zum Segen werden können.
Auf diese Weise reagieren wir nicht auf die Bosheit, sondern wir sind von vornherein aktiv, gegenüber allen. Im Grunde ist dieser freundliche Blick die einzige Methode, durch die bösen Menschen in ihrer Bedeutung relativiert werden. Wir müssen uns für sie im Prinzip gar nichts Neues ausdenken, sondern wir behandeln sie wie alle anderen. Wir segnen gewohnheitsmäßig. Und da sind dann eben auch die bösen Menschen keine Ausnahme. O.k, das kann dann trotzdem noch schwierig sein, das gebe ich ja zu, aber wir haben jedenfalls einen Grundansatz, in dem wir hoffentlich schon geübt sind, und dann fällt uns auch die Anwendung auf negative Menschen leichter.
Wobei man an Jesus und Paulus sehen kann, dass das keine Nachgiebigkeit bedeutet. Es bedeutet nicht, dass man Menschen Raum geben müsste, damit sie weiter Unheil anrichten können. Es bedeutet auch nicht, dass man es immer schafft, Menschen zu gewinnen. Jesus hat seine Feinde in Streitgesprächen regelmäßig alt aussehen lassen, das war für die sehr unangenehm, und sie waren jedesmal hinterher noch wütender als vorher. Oft ist es trotzdem das Beste für böse Menschen, wenn sie mit ihrem Verhalten konfrontiert werden, möglichst nicht zänkisch oder verletzend, sondern in der Kraft der Wahrheit. Manchmal gibt es aber auch eine Gelegenheit, ihnen etwas anderes Gutes zu tun. Manchmal kann man sie damit irritieren und ihr Weltbild durcheinanderbringen.
Es gibt aber keine Garantie, dass sie sich dann ändern. Wir müssen uns nicht die Verantwortung dafür aufbürden, aus bösen Menschen gute zu machen. Sogar Jesus hat das nur selten geschafft. Wichtig ist, dass wir uns nicht durch Feindschaft und Bosheit von unserem Weg abbringen lassen. Dafür haben wir die Verantwortung. Und wenn dann Menschen dadurch gebessert werden, um so schöner.
Wenn das aber nicht passiert, dann sollen wir dem Zorn Gottes Raum geben und die Vergeltung nicht in eigene Regie nehmen. Einmal, weil wir dieser Aufgabe nicht gewachsen sind: es ist schwer, in eigener Sache Richter zu sein, da bringt man nicht den nötigen Anstand auf. Vor allem aber scheint Gott zu sagen: wenn du aus Rache heraus handelst, dann kann ich mit diesem Menschen nicht mehr so umgehen, wie ich es möchte. Denn dann würden mein Zorn und deine Vergeltung zu einem unübersichtlichen Kuddelmuddel. Und es wird nur noch mehr Unfriede und Verwirrung entstehen. Lass also die Finger von ihm und überlass ihn mir!
Und ich habe im Lauf der Zeit schon Dinge erlebt und gesehen, wo ich gedacht habe: meine Güte, es kann ganz schön gefährlich sein, Gott in die Quere zu kommen! Man versteht Gott nicht immer, man fragt sich schon manchmal: warum greift er nicht ein? Warum kommt da einer scheinbar mit allem durch? Aber manchmal denkt man auch: Puh, ich glaube, ich möchte doch lieber anständig sein und nicht das Risiko eingehen, im anderen Fall Gott in die Finger zu geraten. Also, pfusch Gott nicht ins Handwerk und überlass ihm die Vergeltung.
Darum: wir tun dem Bösen das Schlimmste an, wenn wir unbeirrt im Guten verankert sind und uns davon auch nicht durch Angriffe und Anfeindungen abbringen lassen. Das Böse wird meist nicht in der direkten Konfrontation besiegt, sondern durch die bessere Alternative. Lass dich nicht vom Bösen besiegen, sondern besiege das Böse mit Gutem! Das ist die Generallinie. Aktionen, die sich direkt gegen das Böse richten, können manchmal nötig sein, manchmal nützen sie etwas, manchmal schaden sie auch, aber sie sind nicht der Weg, um das Böse nachhaltig zu besiegen. Wirklich besiegen tut man das Böse nur mit dem Guten, mit der Alternative. Gott selbst hat es so gemacht: er hat mitten in dieser Welt mit Jesus eine Alternative praktiziert. Mitten in der Welt des Todes hat er ewiges, göttliches Leben aufgerichtet, über das der Böse keine Gewalt bekommen hat. Das hat dem Teufel richtig weh getan, mehr als alles andere. Und für ihn gibt es nichts Schlimmeres als Nachfolger Jesu, die sich durch Angriffe nur kurz irritieren lassen, sich nicht aufregen, nicht Rachepläne schmieden, sondern einfach mit ihrer Sache weitermachen. Wenn wir uns schon rächen wollen, dann ist das die effektivste Form, dem Bösen weh zu tun.