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Scot McKnight hat mit dem Thema dieses Buches einen entscheidenden Punkt angesprochen. Dass im Leben, Sterben und Auferstehen Jesu mehr passiert ist, als dass ein großer Lehrer der Menschheit einen schlimmen Tod starb und trotzdem irgendwie weiterwirkt, das behauptet die Bibel sehr deutlich. Dass dies ein zentrales Anliegen des Neuen Testaments ist, das ist überall mit Händen zu greifen. Die bürgerlich liberale Theologie der Neuzeit hat damit trotzdem nie viel anfangen können und Jesus lieber auf eine moralische Figur reduziert (von national über innerlich oder revolutionär bis feministisch).
Aber auf der anderen Seite hat die stärker biblisch orientierte Theologie sich immer schwergetan, wenn sie darlegen sollte, was sich denn nun durch das Heilsgeschehen real ändert im Leben der Christen. Klar, die Frage, wo man die Ewigkeit zubringen würde, bekam eine Antwort. Aber was ist von einer Antwort zu halten, die über den Himmel Auskunft gibt und für die Erde nicht viel beisteuern kann? Die Auskünfte, die hier gegeben werden, dass die ewige Rettung ja für das irdische Verhalten Konsequenzen haben „muss“, „sollte“ oder „dass es nicht anders sein kann, als dass …“ zeugen eher von Hilflosigkeit. Diese Hilflosigkeit findet sich schon bei Luther, auf den ein großer Teil der evangelikalen Theologie aufsetzt. Das Problem: die empirischen Effekte der Sühne/Versöhnung sind in der Regel nicht im Kern der Theologie angesiedelt, sondern eher in den Konsequenzen; in der Kür, aber nicht in der Pflicht. Also können sie zur Not auch wegfallen.
McKnight gebührt das Verdienst, diese Frage gleich im ersten Kapitel zu thematisieren: Does Atonement Work? Was bewirkt das Heilsgeschehen im Leben der Christen? Dahinter darf die Diskussion nicht mehr zurück. Hat das Erlösungswerk Jesu reale Auswirkungen? Hier zeigt sich das hilfreiche Potential der postmodernen Frage danach, ob eine Theorie funktioniert (die die Frage nach der Wahrheit z.T. ersetzt – möge man das gut finden oder nicht).
Um an diesem Punkt nicht zu tiefe Gräben aufzureißen, benutzt McKnight die Golfbeutel-Metapher: es gibt nicht die richtige Theorie über Sühne/Versöhnung, sondern wie man beim Golfspiel je nach Situation verschiedene Schläger einsetzt, so gibt es auch verschiedene theologische Erklärungsmuster für das Heilswerk, die je nach Problemstellung sinnvoll sind.
Trotzdem zieht er schon in diesem ersten Teil deutliche Linien:
- „Das Problem ist das Problem“:
Wie man das Problem definiert, für das Sühne/Versöhnung die Antwort ist, legt schon die entsprechende Antwort nahe (wer also nach der Versöhnung des zornigen Gottes fragt, wird dafür eine Antwort bekommen – aber keine andere). - Mit Jesus anfangen:
Was das Problem ist, das muss von Jesu Zentralbotschaft des Reiches Gottes her entwickelt werden. - Gemeinschaft ist essentiell:
Eine Lehre über Sühne/Versöhnung, die nicht im Kern auf die Bildung einer Gemeinschaft zielt, in der Gottes Wille getan wird, verfehlt ihr Thema. - Reziprozität bzw. Analogie:
Das sühnend/versöhnende Werk Jesu setzt sich fort im Leben seiner Jünger. - Wiederherstellung der ursprünglichen Bestimmung:
Ziel des sühnend/versöhnenden Werkes Jesu ist die Restauration der ursprünglichen Bestimmung der Menschen, die seit 1. Mose 3 nur noch gebrochene Ebenbilder Gottes sind.
Auf dieser Linie müsste man tatsächlich zu einer Lehre von Sühne/Versöhnung gelangen, die die Begrenzungen des bürgerlich-liberalen wie des reformatorischen Modells hinter sich lässt. Menschliche Gemeinschaft, Praxis und die Welt diesseits des Himmels wären dann von vornherein in das Modell mit aufgenommen und müssten nicht nachträglich irgendwie angeklebt werden. Genauso wäre aber auch rein moralische Verflachung vermieden.
So eine Theologie hätte aber auch weitreichende Konsequenzen für die Gestalt von Gemeinden: Kirche als Heilsanstalt, in der jeder passiv sein Quantum Heil bekommt und nur die besonders Engagierten (bzw. Fanatischen, je nach Standpunkt) darüber hinaus aktiv werden, ist dann nicht mehr möglich.
Es bleibt spannend.
Noch eine Frage zum Schluss: mir ist immer noch nicht klar, wie man „atonement“ am besten übersetzt. Im Wörterbuch steht „Sühne“ oder „Opfer“, der „Große Versöhnungstag“ (3. Mose 16) heißt „day of atonement“ – das würde „Versöhnung“ nahelegen. Es sind aber beide Elemente gemeint, deshalb übersetze ich einstweilen „Sühne/Versöhnung“. Klingt nur nicht toll. „Versühnung“ könnte eigentlich ein Kompromiss sein, aber es gefällt mir sprachlich auch nicht besser. Was meint ihr? Oder hat einer einen anderen Vorschlag?
Hier wird es jetzt eine kurze Pause geben: es warten Trauerfeiern und die Gottesdienste am Sonntag, auch der Gemeindebrief will geschrieben werden. Was man als Landpastor so macht. Und Geburtstag habe ich dann auch noch. Danach geht es weiter mit Teil ZWEI.
Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag!!!