Mit Gott reden
Predigt am 2. August 2009 zu Markus 1,35-39 (Predigtreihe Beten 3)
35 Früh am Morgen, als es noch völlig dunkel war, stand Jesus auf, verließ ´das Haus` und ging an einen einsamen Ort, um dort zu beten. 36 Simon und die, die bei ihm waren, eilten ihm nach, 37 und als sie ihn gefunden hatten, sagten sie zu ihm: »Alle fragen nach dir.« 38 Er aber erwiderte: »Lasst uns von hier weggehen in die umliegenden Ortschaften, damit ich auch dort ´die Botschaft vom Reich Gottes` verkünden kann; denn dazu bin ich gekommen.« 39 So zog er durch ganz Galiläa, verkündete ´die Botschaft vom Reich Gottes` in den Synagogen und trieb die Dämonen aus.
Am Ende finden Sie eine geistliche Übung, mit der die Predigt abschloss.
Wenn wir heute über das Beten als Gespräch mit Gott nachdenken, dann orientieren wir uns an der Art, wie Jesus gebetet hat. Wir wissen genug darüber, um von ihm zu lernen, auch wenn wir nur sehr begrenzt in den inneren Kern seines Verhältnisses zu Gott hineinschauen können. Ganz früh morgens geht Jesus raus, aus der Stadt – irgendwo in die Berge, wo er ganz allein ist, um zu beten. Der Tag vorher war voll mit neuen Erlebnissen: Jesus hat einen bösen Geist ausgetrieben, er hat angefangen Kranke zu heilen, und deswegen standen auf einmal jede Menge Leute vor dem Haus. Bis in die Nacht hinein hat er sich um sie gekümmert. Können Sie sich vorstellen, wie man sich fühlt, wenn man das alles an einem Tag erlebt? Ich bin mir ziemlich sicher, ich könnte nicht einschlafen und würde die Nacht über dauernd darüber nachdenken. Ich halte es sogar für möglich, dass es auch Jesus so ging, und dass er dann frühmorgens gedacht hat: wenn ich sowieso nicht schlafe, kann ich auch rausgehen. Die andere Variante wäre, dass Jesus am Abend gesagt hat: Lieber Vater, darüber müssen wir unbedingt reden, aber jetzt bin ich schrecklich müde und möchte schlafen. Und die Antwort war: gut, dann bis morgen früh! Und dann hat er tief und fest geschlafen und ist rechtzeitig zur vereinbarten Zeit aufgewacht.
Wie auch immer, das Thema des Gesprächs war natürlich: wie geht es jetzt weiter? Und an dieser Stelle sind wir auf Vermutungen abgewiesen, wie das wohl für Jesus war, mit Gott zu reden. Wie er das erlebt hat. Das können wir vielleicht manchmal gerade ein bisschen so ahnen. Ich stelle mir vor, dass Jesus wieder neu darin bestätigt wurde, die Welt mit Gottes Augen zu sehen. Und spätestens da hat er sich daran erinnert, dass er einen Auftrag hatte, der viel weiter ging, als nur Menschen gesund zu machen. Das gehörte dazu, aber wenn er jetzt solange weitermachen würde, bis es keine Kranken mehr gab in Kapernaum und Umgebung, dann hätte er sich den Rest seiner Mission gleich sparen können. Sich um Menschen zu kümmern, das ist eine Aufgabe, mit der man nie fertig wird. Aber Jesus wollte Menschen ja letztlich nicht betreuen, sondern er wollte sie in Bewegung bringen. Daran hat ihn Gott erinnert. Und als Petrus und die anderen aufgeregt ankommen und vorwurfsvoll fragen: wie kannst du jetzt beten, wenn alle was von dir wollen?, da sagt er ein einfach nur: wir gehen woanders hin. In Kapernaum bin ich erstmal fertig.
Wenn einer so auf Gott gehört hat, wie Jesus das tat, dann macht ihn das unabhängig. Dann guckt er nicht, was die Leute sagen, sondern dann weiß er, was er tut.
Wir sehen an dieser Geschichte, dass Beten zuerst Kommunikation mit Gott ist und nicht das Rezitieren religiöser Texte. Und es ist auch nicht in erster Linie ein Bitten um Hilfe oder dass man das nächste Spiel gewinnt. Das Problem ist, dass unser Reden mit Gott zu oft Einbahnkommunikation ist. Sie kennen das sicher auch von Menschen: da redet einer heftig am Telefon und legt den Hörer auf, bevor man antworten kann. Er wollte nur was loswerden, aber er wollte keine Antwort hören. So gehen wir auch manchmal mit Gott um. Wir schießen einen Haufen Bitten ab, aber Gott bekommt keine Chance, mit uns darüber zu reden. Trotzdem lässt er sich oft auf unsere Bitten ein, weil das wenigstens ein Anfang ist.
Als ich klein war, da hatte ich irgendwo mal aufgeschnappt, dass man am Ende des Gebets »Amen« sagen muss, sonst wäre es kein richtiges Gebet. Und ich dachte: ach, so ist das, das probiere ich mal aus. Ich weiß nicht mehr, worum ich dann gebetet habe, es war jedenfalls nichts Kleines. Am Ende habe ich sehr deutlich »Amen« gesagt. Und wissen Sie, was passierte? Es hat geklappt. Was auch immer es war, worum ich gebetet hatte, ich habe es bekommen. Und ich dachte: wow, so läuft der Hase also! Das nächste Mal habe ich es wieder ausprobiert, mit deutlichem Amen am Schluss. Und wissen Sie, was passierte? Es hat wieder geklappt. Ich kam mir vor, als ob ich das große Los gezogen hätte. Die Lösung für alle Probleme. Ich habe es gleich noch mal probiert. Und wissen Sie, was passierte? Es hat nicht funktioniert.
Denken Sie mal: ich habe heute nicht mehr die geringste Ahnung, worum ich damals gebetet habe, aus meiner heutigen Sicht wäre das wahrscheinlich gar nicht mehr erwähnenswert, aber dieses Erlebnis mit zweimal »wow« und einmal »schade«, daran kann ich mich bis heute erinnern. Gott hat mich zum Nachdenken über ihn gebracht. Ich musste mir einen Reim machen auf diese komische Erfahrung. Und ich glaube, dass viele unserer uneindeutigen Gebetserfahrungen damit zu tun haben, dass Gott uns vor allem aufmerksam machen möchte. Er bringt uns in uneindeutige Situationen, damit wir merken, dass unsere Gedanken über ihn nicht mit der Realität zusammenpassen. Er möchte unsere spontanen Meinungen über ihn verunsichern, er möchte uns öffnen, damit es wirkliche Kommunikation geben kann.
Denn es gibt niemanden, über den so viele Vorurteile im Umlauf sind wie Gott. Ich dachte damals, Gott wäre so ein Wunsch-Automat: oben schmeißt man ein Amen rein und unten kommt der Wunsch raus. Ich meinte das gar nicht böse, aber ich dachte einfach, darum ginge es bei Gott. So wie man sich als Kind auch die Eltern als Wunsch-Automaten vorstellt, und man muss erst langsam lernen, dass das eine falsche Erwartung ist.
Wie lernen wir über Gott? Dazu haben wir seine gesammelten Offenbarung und die entsprechende Erfahrung von Menschen, wie sie in der Bibel konzentriert sind. Und es gibt viele Bücher, die das erklären möchten, es gibt Menschen, die man darüber fragen kann, es gibt Predigten wie diese hier. Aber wir wissen alle, dass man am besten nicht aus Büchern und Vorträgen allein lernt. Sondern das geht so: man probiert rum, so wie ich damals mit dem Amen, und dann gibt es uneindeutige Ergebnisse gibt, und dann hat man eine echte Frage, für die man eine Antwort sucht. Auch Jesus an dem Morgen in Kapernaum hatte eine echte Frage: Wie soll es jetzt weitergehen? Am besten lernt man, wenn man eine echte Frage hat.
Und da liegt das zweite Problem. Wir haben nicht nur viele Vorurteile über Gott, wir kennen auch uns selbst nicht gut. Wenn Sie plötzlich gefragt werden: Hallo, wie geht’s dir? Haben Sie dann gleich eine richtige Antwort zur Hand? Deswegen sagen dann viele »geht so«. Vielleicht war ja auch die Frage gar nicht so tiefgehend gemeint. Aber wenn mich einer so fragt, dann denke ich: ach du meine Güte, wie geht es mir eigentlich? Da müsste ich eigentlich erst mal drüber nachdenken. Wir sind so vielschichtige Wesen, dass man das gar nicht so schnell sagen kann. Oder wir verzichten lieber darauf, allzu tief nachzudenken und sprechen über unseren Gesundheitszustand. Mindestens ab einem bestimmten Alter hat man da immer etwas zu erzählen.
Aber sagt denn unser Gesundheitszustand das Entscheidende darüber, wie es uns geht? Gehört da nicht viel, viel mehr dazu? Haben wir nicht auch noch ganz andere Dinge, die uns beschäftigen, Aufgaben, Sorgen, Hoffnungen, Ängste, Planungen, Süchte, Fragen? Und ist nicht Gott die ganze Zeit damit beschäftigt, uns zu dem Menschen zu machen, den er in uns gesehen hat, als er uns schuf? Auch wenn wir davon gar nichts wissen: das spiegelt sich irgendwie in allen Dingen wider, die uns beschäftigen. Und ist das nicht die wichtigste Sache von allen?
Wir sind oft so beschäftigt mit dem Tagesgeschäft, dass wir an der Oberfläche bleiben und übersehen, was eigentlich im Hintergrund mit uns passiert. Wir übersehen uns selbst. Und gerade die, die immer nur an sich selbst denken, übersehen sich selbst am gründlichsten. Aber deswegen haben die Abläufe im Hintergrund trotzdem ihren Einfluss. Dadurch, das wir sie nicht beachten, verschwindet ihr Einfluss ja nicht.
Nehmen wir an, wir möchten mit Gott wirklich über die wichtigen und echten Dinge sprechen, und wir nehmen uns auch Zeit dafür. Und wir nehmen auf einmal ein dumpfes Unbehagen wahr, und es wird uns klar, dass uns das schon eine ganze Zeit begleitet und auf die Stimmung drückt. Und wenn wir dem nachspüren, dann merken wir, dass das mit einem Konflikt zusammenhängt, ja!, mit einem Telefonat, das wir gestern hatten. Und wenn wir uns darauf einlassen, dieses Telefonat noch einmal anzusehen, dann merken wir, dass das eine hässliche Situation war, die wir nicht noch einmal erleben möchten. Und dann können wir weiter überlegen und uns fragen, was es eigentlich war, was uns da geschmerzt hat, warum wir da so empfindlich sind. Und auf einmal spüren wir eine große Wut und Ärger, und wir wussten vorher gar nicht, was wir da mit uns tragen. Vielleicht fragen wir uns, ob das eigentlich in ein Gebet hineingehört. Aber dann können wir uns erinnern, was einer in den Psalmen gebetet hat:·
Mutwillig tut ihr Unrecht im Lande, und eure Hände treiben Frevel. 4 Die Gottlosen sind abtrünnig vom Mutterschoß an, die Lügner gehen irre von Mutterleib an. … 7 Gott, zerbrich ihnen die Zähne im Maul! (Psalm 58,3-4.7)
Und wir merken, dass es in Ordnung ist, wenn wir das, was wir wirklich denken, auch in das Gespräch mit Gott einbringen. Vielleicht ist er ja sogar der Einzige, dem wir das so sagen können, weil alle anderen sofort sagen: so darfst du das doch nicht sehen! Und vielleicht ändert sich noch gar nichts an der Sache selbst, aber wir wissen jedenfalls, was uns da belastet hat, und weil es einen Namen bekommen hat und ins Licht Gottes gebracht worden ist, deshalb kann es uns nicht mehr als dumpfes Unbehagen den Tag verdüstern. Aber dann stoßen wir eines Tages vielleicht auch auf Psalm 4:
Du erfreust mein Herz, ob jene auch viel Wein und Korn haben. 9 Ich liege und schlafe ganz in Frieden, denn allein du Herr, hilfst mir, dass ich sicher wohne. (Psalm 4,8-9)
Und aus einem alten Text wird vielleicht unser eigenes Gebet, wenn wir sagen können: ja, Gott, ich weiß zwar nicht, wie es genau geht, aber durch dich wird mir leicht ums Herz, und das ist besser als Reichtum, weil man den mit einem verkrampften Herzen gar nicht richtig genießen kann. Und jetzt kann ich auch mit einem ungelösten Konflikt ruhig und erquickend schlafen.
Verstehen Sie, so deckt das Gespräch mit Gott immer wieder die tieferen Schichten auf, und alles, was mit Gott zusammengebracht wird, ist auf dem Weg zur Heilung. Das ist eine stetige Reinigung unseres Denkens, eine Entgiftung der Seele. Immer wieder in der Nähe Gottes zu sein tut gut. Und das setzt die gesunden Regungen in uns frei.
Denn im Gespräch mit Gott muss es ja gar nicht immer um etwas Problematisches gehen. Vielleicht merke ich da ja auch, dass es mir gut geht und dass ich eigentlich Freude am Leben habe, aber vor lauter Beschäftigung ist mir das gar nicht klar gewesen, und ich habe die Freude gar nicht richtig erlebt. Und wenn ich dann sage: danke für diesen Tag und danke für den blauen Himmel und danke, dass ich mich so lebendig fühle, dann kommt das alles erst richtig zum Leuchten. Und das funktioniert auch, wenn es mal gar nicht so toll aussieht. Von der Natur z.B. kommt immer wieder ganz viel Lebensfreude zu uns. Das geht so weit, dass man in einer Studie herausgefunden hat, dass Schüler bessere Leistungen bringen, wenn ihre Klassenräume Ausblick ins Gründe haben. Es gibt eine ganz starke, unbändige Freude, die vom Leben selbst ausgeht. Letztlich ist das ein Widerhall der Freude Gottes, der das alles geschaffen hat. Und auch diese Energie nehmen wir im Gespräch mit Gott bewusst wahr, und wenn wir uns daran gewöhnen, ihm dafür zu danken, dann bleibt dieser Kanal auch in trüben Zeiten offen. Danken geht eigentlich irgendwie immer.
Auch dafür könnte ich jetzt noch Psalmen zitieren, aber ich möchte lieber am Ende der Predigt mit ihnen noch eine Übung zum Gespräch mit Gott machen. Sie können sich darauf innerlich einlassen, Sie können aber auch, wenn Sie möchten, nur beobachten. Es ist eine Übung, die es uns leichter macht, in dieses Gespräch mit Gott einzutreten.
Denn wenn wir innerlich unruhig sind und nicht mit unserem Herzen in Kontakt sind und genauso auch mit Gott nicht im Gespräch, dann liegt das möglicherweise auch daran, dass wir dauernd mit viel zu hoher Umdrehungszahl durch den Tag toben. Die Hektik ist vom Teufel, manche sagen sogar, sie sei der Teufel. Durch Hektik und Geschäftigkeit wird auch unser Körper innerlich angespannt und auf die Dauer überlastet.
Wenn wir aber unseren Körper zur Ruhe bringen und auch das dauernde Verkehrschaos in unserem Kopf beruhigen, dann ist es leichter, in so ein Gespräch mit Gott einzutreten. In unserem Kopf sieht es ja oft aus wie auf der A2 am ersten Feriensamstag. Für Gott brauchen wir aber Stille.
Wir werden diese Übung nur im Kurzdurchgang machen, und das ist in Ordnung, weil wir durch den ganzen Gottesdienst schon ruhiger geworden sind. Die Übung ist eigentlich dafür da, dass man sie täglich an einem sicheren Ort macht, wo einen Telefon und Klingel und andere nicht erreichen können.
Setzen Sie sich bequem hin, die Wirbelsäule schön gerade, ein Wirbel über dem anderen. Das entlastet die Muskeln. Wenn Sie mögen, schließen Sie die Augen. Spüren Sie Ihr Gewicht. Das merken wir normalerweise gar nicht. Geben Sie die Muskeln im Rücken frei. Vielleicht merken Sie jetzt erst, wie angespannt Ihre Rückenmuskeln waren. Geben Sie ihnen eine Pause. Es gibt jetzt nichts zu tun. Vielleicht merken Sie jetzt aber auch erst, wie angespannt Ihr Rücken ist.
Lassen Sie auch die Anspannung aus den Schultern und aus dem Hals. Achten Sie auch auf die Muskeln im Gesicht, den Unterkiefer, die Wangen, die Augen, die Stirn, die Kopfhaut. Lassen Sie die alle ausruhen.
Spüren Sie Ihren Körper: das sind Sie. Gott hat Sie geschaffen und gewollt, mit Körper, Seele und Geist. Wir danken ihm für das Geschenk unseres Lebens. Spüren Sie, wie das Herz schlägt und das Blut uns mit Leben versorgt? Spüren Sie, wie Sie atmen? Gott blies dem Menschen den Atem des Lebens in seine Nase. Gott hat sein Leben in uns hineingelegt. Spüren Sie es, wie es in Ihnen pulsiert. Wir danken Gott für seinen Lebensatem.
Schauen Sie, was Ihnen in den Sinn kommt. Welcher Gedanke in Ihnen lebendig ist, er sei hell oder dunkel. Und wenn stattdessen Chaos ist, dann schauen Sie es sich in Ruhe an und sagen: ja, so bin ich. Und mit diesem Gedanken oder mit diesem Chaos komme ich zu dir und bringe mich mit, so wie ich bin.
Stille
Herr unser Gott,
hier sind wir vor dir. Wir kommen mit der Echtheit, die uns möglich ist und mit der Ruhe oder Unruhe, die in uns wohnen, und wir wollen Menschen vor dir sein, deine Menschen im Hohen und im Tiefen. Tag für Tag deine Menschen, die dich suchen und auf dich hören und von dir geheilt und gereinigt werden.
Dir, du Vater des Lebens, vertrauen wir uns an.
Amen.