Der geheime Raum in uns
Predigt am 31. Mai 2009 (Pfingsten I) zu Johannes 14,23-27
Jesus sprach zu seinen Jüngern: »Wenn jemand mich liebt, wird er sich nach meinem Wort richten. Mein Vater wird ihn lieben, und wir werden zu ihm kommen und bei ihm wohnen.24 Wer mich nicht liebt, richtet sich nicht nach meinen Worten. Und was ich euch sage, ist nicht mein Wort; ihr hört das Wort des Vaters, der mich gesandt hat. 25 Diese Dinge sage ich euch, solange ich noch bei euch bin. 26 Der Helfer, der Heilige Geist, den der Vater in meinem Namen senden wird, wird euch alles ´Weitere` lehren und euch an alles erinnern, was ich euch gesagt habe. 27 Was ich euch zurücklasse, ist Frieden: Ich gebe euch meinen Frieden – einen Frieden, wie ihn die Welt nicht geben kann. Lasst euch durch nichts ´in eurem Glauben` erschüttern, und lasst euch nicht entmutigen!«
Pfingsten denken wir zuerst an die Geschichte von dem ersten Kommen des Heiligen Geistes, mit sehr beeindruckenden Effekten, ein echter Durchbruch, wo Menschen in großer Zahl ihre Grundorientierung verändert haben, weil sie mit der Kraft des Heiligen Geistes in Berührung gekommen sind.
Hier bei Johannes ist das eher eine tiefgreifende Analyse, ein Innehalten und Fragen: was passiert da eigentlich? Worum geht es, wenn Menschen so etwas erleben? Was ist der Kern? Und die Antworten werden so umfassend formuliert, dass sie viele unterschiedlichen Erfahrungen zusammenfassen und für sie alle stimmen.
Jesus sagt: die Grunderfahrung des Glaubens ist es, dass ich (und damit dann auch Gott) in einem Menschen wohne. Was heißt das? Wie soll man das erklären? Sie kennen das vielleicht aus StarTrek, wenn Mr. Spock einen anderen am Kopf berührt und sein Bewusstsein mit dem anderen Bewusstsein verschmilzt. Der eine kann die Erinnerungen und Gedanken des anderen lesen. Ist das so etwas? Das Problem ist, dass man nicht so genau weiß, wie das bei Spock geht und wie sich das anfühlt. Es scheint ungefähr so zu sein, als ob zwei Computer auf die gleiche Festplatte zugreifen oder also ob zwei Menschen im gleichen Buch lesen und ihre Erinnerungen teilen. Aber wie fühlt sich das an? Und das funktioniert mit Freunden genauso wie mit Fremden oder auch mit Feinden.
Das, was Jesus hier beschreibt, funktioniert aber nur unter Freunden: »Wenn jemand mich liebt, wird er sich nach meinem Wort richten. Mein Vater wird ihn lieben, und wir werden zu ihm kommen und bei ihm wohnen«. Das heißt, da geht es nicht um einen Beobachter, der Inhalte eines anderen Geistes ausliest, sondern es ist eher ein so enges Verhältnis, dass man mit dem anderen eines Sinnes ist. Also müsste man mehr an Verliebte denken, die sich so nahe stehen, dass ihnen der andere immer präsent ist, so dass der immer in den Gedanken mit dabei ist. Das ist vielleicht doch eine andere Art als bei dem kühl-distanzierten Vulkanier Spock.
Aber egal, wie man sich das genau vorstellt, Jesus beschreibt hier die christliche Grunderfahrung, dass Gott in uns wohnt, und zwar so, dass es bemerkbar ist. Ganz viele Dinge in der Bibel kann man nur von dieser Voraussetzung her verstehen: Gott bleibt nicht außerhalb und gibt uns nur Regeln, an die wir uns gelegentlich auch halten, sondern er geht mit uns eine Verbindung ein, die so eng ist, dass einer im anderen wohnt. So pflanzt er in uns ein neues göttliches Leben ein. Seine Persönlichkeit, seine ganze Art geht auf uns über und verändert uns. Das ist gemeint, wenn vom Heiligen Geist gesprochen wird.
Und weil Gott sein ganzes Wesen, seine Persönlichkeit in einen Menschen übersetzt hat, nämlich in Jesus, deshalb kann man es auch so sagen: Jesus lebt in uns. Er prägt uns. Und zwar nicht so, dass unsere Persönlichkeit ausgelöscht würde, sondern unsere Individualität bleibt erhalten. Unsere ganz persönliche Art, Mensch zu sein, bleibt erhalten, aber in ihr spiegelt sich die Art Jesu wieder.
Die Bibel spricht dann auch vom Heiligen Geist, um deutlich zu machen, dass wir keine Klone werden, die ihre Individualität verlieren. Sie kennen das vielleicht von manchen Firmen, wo die Kundenkontaktleute alle die gleiche Schulung gemacht haben und alle die gleichen Sätze benutzen, wenn man mit ihnen spricht, und es ist der gleiche Tonfall und alle gucken ähnlich und manchmal lügen sie auch alle ähnlich. Du kriegst keinen Menschen zu packen, sondern eine antrainierte Fassade. Genau das ist nicht gemeint, wenn Jesus in uns wohnt. Wir bleiben die individuellen Personen, die wir sind, aber auf unsere ganz spezielle und einmalige Art spiegeln wir Jesus wieder.
Und das spielt sich ab in den Tiefenschichten der Persönlichkeit, über die wir nur eine sehr begrenzte Kontrolle haben. Die Berichte aus dem Neuen Testament zeigen z.B. Menschen, die durch den Heiligen Geist öffentlich reden können. Das ist für die meisten Menschen ein Horror, vor vielen Leuten reden zu müssen, aber da in Jerusalem konnten sie es auf einmal ohne Probleme. Wir müssten vielleicht einen langen Trainingsprozess durchstehen, bis wir das auch können, aber bei denen hat sich in der Tiefe etwas verschoben, und dann ist es kein Problem mehr.
Gott hat uns so geschaffen, dass da in unserem Innern ein Raum ist für ihn. Da ist ein Platz, der dafür vorgesehen ist, dass wir ihn dort finden können. Und wenn Menschen Gott so lieben, dass sie zu diesem Raum Zugang bekommen, dann ist das Maß ihrer Stärke nicht begrenzt, weil sie dort Zugang zu den Kräften Gottes haben. Sie können dann auf andere Reserven zugreifen als auf die, die sie normalerweise haben.
Genau das passiert in der Pfingstgeschichte. Da öffnet sich eine Tür in den Aposteln, und sie bekommen Zugang zu dem Raum in ihnen, von dem sie bis dahin nicht ahnten, dass es ihn gibt. Dort finden sie jede Menge Mut und Kraft und Überzeugungsfähigkeit. Sie lassen sich dort zeigen, was ihre Berufung ist. Sie finden dort ein Feuer, das Jesus in ihnen schon längst angezündet hat, aber jetzt brennt es mit heller Flamme. Und sie bekommen das Selbstvertrauen, um öffentlich dazu zu stehen. Es ist von nun ab egal, was die anderen denken oder ob die Jünger vielleicht sogar in Gefahr kommen.
Können Sie sich vorstellen, was das für eine Befreiung ist? Die Entdeckung eines Raumes, zu dem niemand Zutritt hat als Gott und die Menschen, die ihn lieben? Da kommen wir in Berührung mit unserer wahren Person. Wir kennen oft nur ein Bild von uns, das wir uns gemacht haben, oder das wir anderen vermitteln wollen, oder das andere uns aufgedrängt haben. Und dieses Bild spiegelt dann nur die Erwartungen anderer wider. Und dann werden wir mit diesem Bild unglücklich, weil es uns verbiegt oder unsere Kräfte raubt oder uns krank macht. Und wir merken, dass mit uns etwas nicht stimmt, aber es bleibt ein Rätsel für uns, und wir wissen nicht, was da mit uns passiert.
Aber wenn wir Zugang finden zu diesem Raum in uns, wo Gott und Jesus wohnen, wo der Heilige Geist zu uns spricht, dann fangen wir an zu spüren, wer wir wirklich sind, wozu wir berufen sind, wie Gott uns sieht. Und dann wird uns auch klar, wo wir gegen unsere Bestimmung leben. Und selbst wenn wir es nur kurz spüren oder nur ahnen, es bringt etwas in Bewegung und gibt uns neue Perspektiven und befreit uns von der Macht der Menschen und ihrer Erwartungen.
Deswegen sagt Jesus: Ich gebe euch meinen Frieden. Diesen Frieden kann euch niemand sonst geben. Es ist der Frieden, den ihr in diesem Raum in euch findet. Da seid ihr wirklich zu Hause. Das ist ein Zuhause, das man immer bei sich hat. Dahin könnt ihr immer wieder zurückkehren und euch neu mit Freiheit und Vertrauen beschenken lassen. Das ist nicht der Friede, der durch äußere Sicherheit kommt. Wir wissen alle, dass äußere Sicherheit sehr trügerisch sein kann. Aber wenn wir uns zurückrufen lassen zu unserem wahren Selbst, das in Gott geborgen ist und Anteil hat an der Auferstehung Jesu, dann gibt das mitten in Hektik und Konflikt einen Frieden, den uns keiner nehmen kann.
Den Mystikern aller Zeiten ist es um Wege gegangen, auf denen man immer wieder diesen Punkt findet, Wege, um in diesen Raum zu gelangen, diesen Fingerabdruck Gottes in unserem Herzen anzuschauen. Und sie haben gesagt: du musst still werden, du musst die Dinge, mit denen du so sehr beschäftigt bist, aus der Hand legen und bereit sein für Gott. Du musst etwas dafür opfern: deine Hingabe an die Hektik der Welt. So öffnest du dich Gott. Dann wird er dich führen.
Viel, viel später, am Anfang des 20 Jahrhunderts, gab es in Amerika die Pfingstbewegung, wo Menschen die Gegenwart des Heiligen Geistes gar nicht ruhig und still erfahren haben, sondern sehr heftig, beinahe chaotisch, mit Eingebungen und Prophetien, mit Kraftwirkungen und Wundern. Aber auch da mussten Menschen etwas aufgeben. Ich habe die Geschichte von einem der Leute gelesen, der von Anfang an im Zentrum dieses Aufbruchs dabei war. Der erzählt, wie sie damals, bevor es los ging, nach San Francisco kamen, weil sie hofften, dort Menschen zu finden, die ihre Sehnsucht nach Gott teilten. Die waren total arm. Ihr kleines Kind starb, und sie hatten kein Geld für einen Sarg oder auch nur ein ordentliches Begräbnis. Und dann erzählt er, wie er mit dem toten Kind in einem Pappkarton auf seinen Knien mit der Straßenbahn zum Friedhof gefahren ist. Ich habe diese Szene nie vergessen können.
Und als dann tatsächlich der Heilige Geist die Menschen massiv berührte, da war es ein Schwarzer, der ganz deutlich die Leitung hatte, aber für die Weißen, die dabei waren, war das kein Problem. Damals gab es in Amerika natürlich noch eine ganz starke gesellschaftliche Verachtung der Schwarzen, und wer da mit dabei sein wollte, wo Gott so deutlich am Wirken war, der musste seine Rassenvorurteile aufgeben, opfern.
Verstehen Sie, das meint Jesus, wenn er sagt: wer mich liebt, der wird mein Wort halten, und dann wird der Heilige Geist zu ihm kommen. Wirkliches Lieben ist immer etwas, was uns bewegt und verändert. Die Apostel mussten mit Jesus gehen und nach seiner Himmelfahrt noch einmal 10 Tage warten, einfach ins Blaue hinein, und sie wussten vorher nicht, dass das »nur« 10 Tage waren. Die Mystiker haben sich aus ihren Verwicklungen in den Alltag herausgezogen, um ihre ganze Aufmerksamkeit auf den Raum zu richten, wo Gott auf sie wartet. Die Leute der Pfingstbewegung haben ihre Rassenvorurteile aufgegeben, weil Gott ihnen wichtiger war. Es gibt keinen Einheitsweg zu Gott, aber Liebe bedeutet immer, dass man sich auf den Einen konzentriert und anderes lässt. Wir wissen nicht, was Gott mit uns für Pläne hat, und vielleicht ist es schon hart genug für uns, wenn wir merken, dass wir für Gott in unserem Terminkalender Platz frei machen sollen.
Aber in jedem von uns gibt es diesen Raum, in dem Gott auf ihn wartet, und wo er ihm zeigen will, wie der echte Friede aussieht. Die Bibel legt Wert darauf, dass der für jeden zugänglich ist, dass wir es überhaupt nicht weit dahin haben. Und trotzdem ist gerade manchmal das ein Hindernis, und wir finden den Weg manchmal erst nach langen Umwegen. Es gibt eine Geschichte von Martin Buber, die zeigt, wie nahe und unscheinbar das Wichtigste und Größte sein kann.
Es ist die Geschichte von dem Juden Jekel, Eisiks Sohn, aus Krakau. Dem war nach Jahren schwerer Not dreimal im Traum befohlen worden, er solle in Prag unter der Brücke, die zum Königsschloss führt, nach einem Schatz suchen. Also machte sich Eisik auf den Weg und wanderte nach Prag. Täglich ging er zur Brücke, aber er traute sich nicht, an der Brücke zu graben, weil sie bewacht war. Nach ein paar Tagen fiel er dem Hauptmann auf, weil er immer wieder kam. Er hatte gerade einen guten Tag und fragte Eisik freundlich, warum er denn immer wieder käme. Eisik fasste sich ein Herz und erzählte ihm seinen Traum. Da lachte der Hauptmann. »Wegen eines Traums bist du armer Kerl mit deinen zerfetzten Schuhen den ganzen Weg hierher gepilgert? Na weißt du, da hätte ich mich ja auch auf die Beine machen müssen, als mir einmal im Traum befohlen wurde, nach Krakau zu wandern und in der Stube eines Juden namens Eisik Sohn Jekels unterm Ofen nach einem Schatz zu graben!« Eisik verneigte sich, wanderte heim und grub den Schatz aus.
Der größte Schatz liegt im Verborgenen da, wo wir ihn nicht erwarten, ganz nahe, und trotzdem muss man manchmal erst einen weiten Weg machen, um ihn zu finden. Trotzdem braucht man andere, die einem helfen, ihn aufzuspüren, freiwillig oder unfreiwillig. Jesus zu lieben und sich darauf zu konzentrieren und sich helfen zu lassen, und nicht aufzugeben, das wird uns in Berührung mit dem Leben Gottes in uns bringen. Beim ersten Pfingstfest damals in Jerusalem wurde dieser Weg geöffnet. Er ist seitdem offen. Gehen müssen wir ihn selber.