Hör auf zu sorgen

Predigt am 06. September 2009 zu Matthäus 6,25-34

Jesus sprach: Darum sage ich euch: Sorgt nicht um euer Leben, was ihr essen und trinken werdet; auch nicht um euren Leib, was ihr anziehen werdet. Ist nicht das Leben mehr als die Nahrung und der Leib mehr als die Kleidung?
26 Seht die Vögel unter dem Himmel an: sie säen nicht, sie ernten nicht, sie sammeln nicht in die Scheunen; und euer himmlischer Vater ernährt sie doch. Seid ihr denn nicht viel mehr als sie? 27 Wer ist unter euch, der seines Lebens Länge eine Spanne zusetzen könnte, wie sehr er sich auch darum sorgt? 28 Und warum sorgt ihr euch um die Kleidung? Schaut die Lilien auf dem Feld an, wie sie wachsen: sie arbeiten nicht, auch spinnen sie nicht. 29 Ich sage euch, dass auch Salomo in aller seiner Herrlichkeit nicht gekleidet gewesen ist wie eine von ihnen. 30 Wenn nun Gott das Gras auf dem Feld so kleidet, das doch heute steht und morgen in den Ofen geworfen wird: sollte er das nicht viel mehr für euch tun, ihr Kleingläubigen? 31 Darum sollt ihr nicht sorgen und sagen: Was werden wir essen? Was werden wir trinken? Womit werden wir uns kleiden? 32 Nach dem allen trachten die Heiden. Denn euer himmlischer Vater weiß, dass ihr all dessen bedürft.
33 Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, so wird euch das alles zufallen. 34 Darum sorgt nicht für morgen, denn der morgige Tag wird für das Seine sorgen. Es ist genug, dass jeder Tag seine eigene Plage hat.

Jesus hat in der Bergpredigt ein Leben beschrieben, das anknüpft an die ursprüngliche Welt Gottes, bevor Menschen sich von Gott abwandten und ihre eigenen Wege gingen. Menschen wollten selbst sein wie Gott – und wenn ein Mensch das versucht, dann holt er sich die Sorgen ins Haus. Wenn ein Mensch versucht, Gottes Rolle auszufüllen und für alles in der Welt zuständig zu sein, dann bekommt er Terminprobleme. Wir haben immer zu wenig Zeit, um uns um all die wichtige Dinge zu kümmern, um die man sich eigentlich kümmern müsste. Wir können nie alle Gefahren vorausschauend ausschließen. Und wer sich dann auch noch Sorgen deswegen macht, der schafft es noch nicht mal, genug zu schlafen, um für die Aufgaben des nächsten Tages fit zu sein.

Jesus sagt dagegen: hör einfach auf mit den Sorgen. Sie nützen sowieso nichts, sie kosten Kraft, und es gibt einen viel besseren Weg, mit den Gefahren des Lebens umzugehen: orientiere dich an dem neuen großen Leben, das Gott bringt, dann wird er sich um all die Sachen kümmern, die du nicht beeinflussen kannst.

Denn das Problem, das dazu führt, dass Menschen sich Sorgen machen, ist die Unkontrollierbarkeit der Welt. Es gibt so viele Dinge, die einem zustoßen können, man kann sich gar nicht gegen alles schützen. Aber wenn wir wenigstens darüber nachdenken, was alles passieren könnte, dann haben wir den Eindruck, wir hätten die Dinge unter Kontrolle. Aber das ist natürlich Unsinn. Schon Erich Kästner hat geschrieben:

»Wird’s besser? Wird’s schlimmer?“
fragt man alljährlich.
Seien wir ehrlich: Leben ist immer
lebensgefährlich.«

Leben ist tatsächlich lebensgefährlich. Es gibt viele schlimme Dinge, und sie passieren tatsächlich. Du kannst dich nicht gegen alles absichern. Aber sich das klar zu machen ist gar nicht so leicht. In jedem Wahlkampf zieht irgendwer das Versprechen aus der Tasche: wir bieten Sicherheit! Und die uralte Masche zieht immer noch.

Unser Leben ist heute mit so viel Knautschzonen und Sicherheitshinweisen ausgestattet, dass man denken sollte, es könnte nichts mehr passieren. Aber irgendwann verlieren wir dann die Fähigkeit, mit Problemen umzugehen. Wenn ich dran denke, auf was für Bäume wir als Kinder geklettert sind, das darf man heute gar nicht mehr erzählen. Vor ein paar Monaten waren wir mit den Vorkonfirmanden im Garten, um das Gemeindefest vorzubereiten, und auf einmal sitzen die alle oben in der Linde hinter der Kirche. Ich habe da überhaupt erst gesehen, wie hoch die inzwischen ist. Und ich schreie natürlich gleich: was fällt euch ein, kommt da runter, das ist gefährlich! Und dann denke ich: was machst du da eigentlich? Herrje, jetzt gönn den Kindern doch mal das Vergnügen, wer weiß, wie selten die dazu noch kommen, wo überall die Bäume nur noch das handliche Vorgarten-Format haben und sie in ihrer Freizeit von einer wohlorganisierten Aktivität zum nächsten Kurs gefahren werden. Was wäre das denn für eine Kindheit, wo man vielleicht eher an der Bio-AG teilnimmt, als einfach mal ganz ohne pädagogische Anleitung auf einen Baum zu klettern?

Aber die sind schon ganz automatisch wieder runtergeklettert, und mir war natürlich auch wohler, weil ich ja in Teufels Küche gekommen wäre, wenn da einer runtergefallen wäre. Aber das ist die Schattenseite, wenn wir alle Risiken aus der Welt der Kinder verbannen wollen: dass sie dann auch viel weniger gewohnt sind, mit gefährlichen oder schwierigen Situationen umzugehen, dass sie ängstlicher werden und weniger von dieser selbstverständlichen Sicherheit gewinnen, die man sich ganz nebenbei aneignet, wenn man öfter mal die Erde aus fünf Meter Höhe sieht.

Jesus zeigt uns, dass man vor lauter Versuchen, das Leben abzusichern, am Leben vorbeileben kann. Genau das, was du mit aller Gewalt festhalten willst, zerrinnt dir dann zwischen den Fingern. Jesus sagt, dass es viel wichtiger ist, sich auf das Leben zu orientieren, als sich gegen Gefahren abzusichern. Positiv im Leben verankert zu sein ist viel besser, als sich auf Gefahren und Probleme zu fixieren.

Das eigentliche Problem ist dadurch in die Welt gekommen, dass Menschen nicht mehr einfach ihren Platz in der Welt eingenommen haben, sondern sein wollten wie Gott, die Welt aus der Perspektive Gottes sehen wollten. Es ist in Ordnung, Probleme zu lösen, wenn sie da sind, die tägliche Arbeit zu tun, andern in Problemen zur Seite zu stehen. Aber immer in der Begrenzung, dass wir nicht die Übersicht haben über sämtliche Zusammenhänge des Lebens, dass wir nicht alle Risiken ausschließen können, und dass wir uns doch vorn und hinten darauf verlassen müssen, dass Gott die Welt in der Hand hält und uns seinen Lebensatem gibt, damit wir uns regen können. Wir können viel erreichen, nur Sicherheit bleibt eine Illusion.

Ich habe mal ein Buch gelesen mit dem schönen Titel »Das Leben als letzte Gelegenheit«. Der Autor behauptet, bei einer der großen Pestepidemien des Mittelalters hätten die Menschen so ein Grauen vor dem allgegenwärtigen Tod erlebt, dass sie von da an alles daran gesetzt hätten, so viel wie möglich aus dem Leben herauszuholen und das Leben so sicher wie möglich zu machen, und daraus sei die moderne Welt entstanden. Ich weiß nicht, ob dieser Zusammenhang wirklich stimmt, aber unsere moderne Welt ist ja tatsächlich so eingerichtet, dass wir vor den Gefahren und Unbilden des Lebens so weit wie möglich geschützt sind. Noch nie hatten Menschen so eine hohe Lebenserwartung wie heute in den reichen Ländern der Erde.

Aber gleichzeitig bringt dieser realisierte Wunsch nach Vorsorge den ganzen Stoffwechsel der Erde durcheinander. Noch nie hatten Waffen eine so zerstörerische Wirkung wie heute. Und man kann nicht unbedingt sagen, dass Menschen heute zufriedener sind als die Generationen vor uns.

Jesus geht die Sache genau andersherum an. »Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, dann wird euch das andere alles dazugegeben werden.« Das ist eine Strategie des Umwegs, die für uns ungewohnt ist. Es ist ein Kalkül, das ganz praktisch damit rechnet, dass Gott auch jetzt noch der entscheidende Faktor ist. Die Logik dahinter ist: Kümmere du dich um Gottes Sache, und er kümmert sich um deine Probleme. Das ist ein Weg, der im Leben der Leute Jesu dauernd funktioniert hat. Wenn du im Auftrag Gottes etwas tust, dann sorgt er dafür, dass du versorgt wirst. Manche haben damit schon richtige Wunder erlebt, aber in vielen Fällen sind das ganz nachvollziehbare Zusammenhänge, die dann aktiviert werden, wenn jemand sich mit Liebe und Leidenschaft für Gottes neue Welt hier unter uns einsetzt. Wenn jemand mit Engagement und Überzeugung sich um Kinder kümmert oder Schutzlosen hilft oder von der Freiheit und Liebe Gottes erzählt, dann weckt das in vielen Menschen eine Erinnerung daran, dass sie das eigentlich auch gut finden; vielleicht haben sie es sich selbst schon längst abgeschminkt, vielleicht haben sie selbst längst resigniert und sich in das Leben gefügt, wie es nun mal ist, aber wenn sie erleben, wie jemand sich traut, eine mutige und starke Sache zu machen, dann wacht bei ihnen diese Sehnsucht wieder auf, und sie beteiligen sich auch, wenigstens finanziell, und vielleicht steigen sie selbst mit ein, weil sie sehen: da geht es ja. Ich könnte eine ganze Menge Beispiele erzählen, wo das hier auch bei uns in der Gemeinde funktioniert hat.

Aber man kann solche Zusammenhänge nicht vorher kalkulieren. Man weiß vorher nicht, wie es kommt, man kriegt das nicht in den Griff. Man wird das Risiko nicht los. Aber wenn jemand mit Leidenschaft für Gottes Leben in dieser Welt lebt, dann ebnen sich für ihn viele Wege. Dann passt vieles zusammen, dann fühlt sich die Welt gleich viel vertrauter an, sie ist mehr eine Heimat als ein gefährlicher Dschungel.

Was tun nicht alles Menschen mit Rücksicht darauf, was andere von ihnen denken. In unserem Kopf reden immer alle möglichen anderen mit, was die wohl zu dem sagen werden, was wir tun. Wie stehe ich bloß in den Augen von XY da, wenn das passiert? Und das kostet enorm viel Kraft und auch enorm viel Zeit, wenn wir darauf immer Rücksicht nehmen und keine Erwartung enttäuschen wollen. Wenn einer aber dazu durchgebrochen ist, dass er sagt: mir kommt es in erster Linie darauf an, wie ich in den Augen Gottes dastehe, dann ist das eine ganz große Entlastung des Lebens. Ein großer Haufen Sorgen ist damit auf eine Schlag einfach weg, und – o Wunder – wir stehen dann in den Augen vieler Menschen sogar besser da, einfach weil wir stimmiger und klarer sind, mehr in Übereinstimmung mit uns selbst.

Oder denken wir an die Zeit, die ja heute bei so vielen Menschen das knappste Gut von allen ist. Eines der ersten Gebote Gottes betrifft die Zeit: du sollst den Ruhetag halten! Man muss sich mal vorstellen, was das für ein Umschwung war in einer Zeit, wo du Menschen Tag für Tag gearbeitet haben. Und da machten dann Menschen auf einmal jeden siebten Tag einfach Pause, legten alles aus der Hand und sagten: morgen ist auch noch ein Tag. Und das auch noch auf Anweisung Gottes! Und sie verhungerten nicht dabei.

Klar, man kann das auch erklären, dass Menschen einfach mehr schaffen, wenn sie sich zwischendurch mal regenerieren können. Und es ist emotional wichtig, rauszutreten aus dem täglichen Trott und durchzuatmen und das Ganze mal aus einer anderen Perspektive zu sehen. Aber das alles zeigt ja einfach nur, für welches Leben wir tatsächlich geschaffen sind. Für mich ist das jedenfalls eine großartige Entdeckung gewesen, dass Gott diesen Punkt gesetzt hat, wo es heißt: jetzt ist genug gearbeitet. Egal, was morgen noch dran ist, jetzt ist Pause. Lass die Sachen leigen und tu einfach was Schönes.

Und Jesus breitet das sozusagen aus ins ganze Leben und sagt: mach dir nicht Gedanken um Morgen! Morgen wird sich finden. Tu das, was heute dran ist, tu das mit Energie und Kraft und Konzentration, und achte vor allem darauf, dass du den Kontakt zum großen neuen Leben Gottes nicht verlierst. Da ist die wirkliche Quelle deiner Kraft. Und wenn dein Leben so voll gestopft ist mit Aufgaben, und dein Kopf so ausgefüllt ist mit sorgenvollen Gedanken, dass du gar keinen Platz mehr hast für Gott und keine Zeit mehr hast, auf ihn zu achten und ihn zu suchen, und gar nicht weißt, wo du mit ihm zusammenarbeitest, dann stimmt was nicht, und du musst unbedingt was rausschmeißen von all den vielen Dingen, die du da in deinem Leben hast. Es gibt so viel Möglichkeiten, das Leben zu vereinfachen, bloß wir stecken so drin, dass wir das gar nicht sehen und denken, es ginge nicht anders. Aber wenn wir dann eines Tages ausfallen, weil alles zusammenklappt, dann muss es anders gehen, und dann geht es auch. Gerade in solchen ungewöhnlichen Zeiten merken Menschen oft, dass tatsächlich das Leben auch anders funktionieren könnte. Aber schön ist das meistens nicht.

Wenn wir überlegen, wie wir am besten durch diese gefährliche Welt kommen, dann gibt es grundsätzlich zwei Wege: der eine besteht darin, so wie Gott sein zu wollen und alles unter Kontrolle zu bekommen. Dieser Weg zerstört Leben. Er macht das Leben klein und mühsam und uns selbst furchtsam.

Der andere Weg besteht darin, sich zu erinnern: wir haben einen Vater im Himmel. Er hat diese Welt gemacht und uns einen Platz dort gegeben. Sich auf ihn und sein Leben zu orientieren ist die beste Vorsorge gegen Probleme und Gefahren. Dieser Weg setzt bei uns und anderen Leben frei, er macht uns mutig und klar.

Die meisten Menschen haben diesen Weg nie völlig vergessen, aber sie trauen ihm auch nicht völlig. Sie pendeln zwischen beiden Wegen hin und her. Und das belastet manchmal doppelt.

Wer sich diese Alternative klar macht und überall, wo es eine Gelegenheit gibt, mit etwas Mut den Weg des Lebens wählt, der wird da Stück für Stück hineinwachsen. Christen werden immer mutiger, je weiter sie sich darauf eingelassen haben. Nicht Leichtsinn, aber ein gewisser Wagemut sollte schon das Zeichen der Christen sein. Wir können mehr riskieren als andere. Jesus ist auf diesem Weg vorangegangen, damit wir sehen, dass es kein Holzweg ist.