Der Mensch hinter allen Dingen
Predigt am 21. Mai 2009 (Christi Himmelfahrt) zu Lukas 24,44-53
44 Jesus sprach zu seinen Jüngern: »Nun ist in Erfüllung gegangen, wovon ich sprach, als ich noch bei euch war; ich sagte: ›Alles, was im Gesetz des Mose, bei den Propheten und in den Psalmen über mich geschrieben ist, muss sich erfüllen.‹« 45 Und er öffnete ihnen das Verständnis für die Schrift, sodass sie sie verstehen konnten, 46 und sagte zu ihnen: »So steht es doch in der Schrift: Der Messias muss leiden und sterben, und drei Tage danach wird er von den Toten auferstehen. 47 Und in seinem Namen sollen alle Völker zur Umkehr aufgerufen werden, damit sie Vergebung ihrer Sünden empfangen. In Jerusalem soll damit begonnen werden. 48 Ihr seid Zeugen für das alles. 49 Ich aber werde die Kraft aus der Höhe auf euch herabsenden, wie mein Vater es versprochen hat. Bleibt hier in der Stadt, bis ihr damit ausgerüstet werdet.«
50 Jesus führte die Jünger aus der Stadt hinaus bis in die Nähe von Betanien. Dort erhob er die Hände, um sie zu segnen. 51 Und während er sie segnete, wurde er von ihnen weggenommen und zum Himmel emporgehoben. 52 Die Jünger warfen sich nieder und beteten ihn an. Dann kehrten sie nach Jerusalem zurück, von großer Freude erfüllt. 53 Und sie waren von da an ständig im Tempel und priesen Gott.
Wir haben in diesem Gottesdienst schon einige ganz ähnliche Verse aus dem Matthäusevangelium gehört, vorhin bei der Taufe. Immer ging es um den Abschied des auferstandenen Jesus von der begrenzten Weise, in der er für einige Jahrzehnte als Mensch unter Menschen gelebt hat. Gut 30 Jahre hat er mit seinem Leben als Mensch unter Menschen gezeigt, wie Gott ist. Und jetzt geht er zurück zum Vater im Himmel, und übernimmt die Herrschaft über die ganze Welt, und hier auf der Erde beauftragt er seine Gemeinde, der ganzen Menschheit das Evangelium zu bringen.
Zu Himmelfahrt konzentrieren wir uns dabei auf die Herrschaft über den Kosmos, die Jesus anvertraut worden ist. Worum geht es dabei? Uns ist das ja viele Jahre hindurch abgewöhnt worden, solche Fragen zu stellen. Deswegen verstehen wir kaum noch, was da eigentlich verhandelt wird.
Dabei kann man es eigentlich ganz einfach sagen. Albert Einstein, der Erfinder der Relativitätstheorie, dessen Entdeckungen unser ganzes Weltbild umgekrempelt haben, und dessen Berechnungen bis heute die Grundlagen der modernen Physik bilden, wurde einmal gefragt: »Welches ist die wichtigste Frage, die man sich im Leben stellen kann?« Und er antwortete: »Die wichtigste Frage ist folgende: Ist das Universum ein freundlicher Ort oder nicht?«
Das Geniale an dieser Antwort ist, wie Einstein da die diffizilsten Überlegungen zur Struktur des Universums zusammengebunden hat mit unserem ganz normalen Lebensgefühl, ob wir uns wohl fühlen in unserer Haut und an unserem Platz in der Welt. Ist das Universum ein Ort, an dem wir willkommen sind? Kann das unsere Heimat sein? Oder ist das eine kalte, gnadenlose oder gleichgültige Umgebung, in die wir durch einen merkwürdigen Irrtum hineingeraten sind, und wo wir uns irgendwie durchschlagen müssen?
Merken Sie, wie unser Lebensgefühl und unser Bild des Universums zusammenhängen? Ist das hier ein freundlicher Ort oder nicht? Das ist die wichtigste Frage. Und vor 2000 Jahren hat man das verhandelt unter dem Stichwort: »Sind die Engel, also die kosmischen Mächte, Freunde oder Feinde?«. Man hat damals noch keine Teilchenbeschleuniger und andere riesige Maschinen gehabt, um die kosmischen Energien zu analysieren, aber man hat damals natürlich gewusst, dass in diesem Weltall Kräfte walten, denen gegenüber wir winzig wie Staubkörnchen sind. Man hat sie Engel, Herrschaften, Archonten, Gewalten usw. genannt. Und dann wollten die Menschen wissen: wie sind wir mit denen dran? Sind die uns freundlich gesinnt, sind wir ihnen gleichgültig, oder wollen sie uns vielleicht sogar ins Verderben stürzen?
Es war die Frage Albert Einsteins, nur im Rahmen eines anderen Weltbildes formuliert: Ist das Universum ein freundlicher Ort oder nicht? Sind die Engel, die kosmischen Mächte, Freunde oder Feinde?
Auf diese Frage hatten die ersten Christen eine klare Antwort: Die Engel, die kosmischen Mächte, schalten und walten nicht frei in der gegend herum, sondern sie haben ein Oberhaupt, Jesus Christus. Und dieses Oberhaupt des ganzen Weltalls, dieser Herr über alles, der ist das freundliche Gesicht Gottes, er steht für das Wohlwollen des Universums und all seiner Kräfte, egal ob wir uns die als unsichtbare Engel oder als die Struktur der Raumzeit vorstellen. Jesus Christus macht aus der Welt eine Heimat. »Jesus Christus ist der Herr der Welt«, das heißt: hinter allem, was ist, regieren nicht seelenlose Naturgesetze und tote Materie, sondern eine Person, einer, den wir kennen von dem her, was er in seinen dreißig Lebensjahren gesagt und getan hat auf: den staubigen Straßen Galiläas und in den einfachen Häusern des vorderen Orients, in den Synagogen und am Ufer des Sees Genezareth. Und der lebt jetzt in einer Sphäre, die für uns genauso fremd ist wie das, was vor dem Urknall war, aber er ist kein anderer geworden, er ist immer noch und erst recht der, von dem die Jünger nicht aufhören konnten zu erzählen. Er ist das Geheimnis des Universums, er ist der Mensch hinter allen Dingen.
Ich möchte Ihnen diese Lebensanschauung zeigen in den Bildern einer sehr alten Evangelienhandschrift. Sie ist vor beinahe 1500 Jahren entstanden, im Jahr 586 ist sie vollendet worden im Kloster Beth Zagba in Mesopotamien. Damals lag die Zeit Jesu auch schon 550 Jahre zurück, aber die Menschen waren noch näher dran an dem Lebensgefühl dieser alten Zeit.
Und wenn wir uns noch etwas mehr auf Jesus konzentrieren, dann sehen wir, wie er dort aus so einem dunkelblauen Oval heraustritt. Wenn Sie öfter mal Zukunftsfilme sehen, dann erinnert Sie das vielleicht an so ein Stargate, ein Sternentor, durch das man sich mit einem Schritt in ferne Welten versetzt, man geht hindurch und ist ganz woanders.
Merken Sie, wie nahe uns die Menschen waren, die das vor 1500 Jahren gezeichnet haben? Wie lebendig das alles gestaltet ist? Wieviel Dynamik in diesem Bild ist, wo Jesus schon den Fuß hebt, um zu kommen und diese Welt zu erneuern, damit sie nicht müde ihrem Ende entgegengeht, sondern mit der Jugend der neuen Schöpfung beschenkt wird.
Und auch wenn wir auf die Menschen am Boden schauen, wie lebendig und individuell sind die dargestellt! Wie sie sich gegenseitig aufmerksam machen und diskutieren darüber, was sie da sehen. Man merkt deutlich die unterschiedlichen Meinungen, wie es ja auch in den Geschichten in einem kleinen Satz heißt: etliche aber zweifelten. 1500 Jahre alt sind diese Federstriche, aber man könnte sich gut vorstellen, wie diese Personen alle das Bild verlassen und zu leben beginnen.
Sehen Sie, so lebendig ist für uns noch nach 1500 Jahren einer, der dieses Evangelium weitergeben wollte: dass Jesus uns das Universum wieder neu zur Heimat macht. Es ist unsere Heimat, weil Jesus sich aufgemacht hat und vom Himmel her überallhin kommt. In alle großen und kleinen Bereiche des Lebens, in die dunklen und hellen. Er kommt. Und die Welt bekommt wieder ein Angesicht, die Welt bekommt ihr Geheimnis zurück. Sie ist nicht mehr zu berechnen und vorherzusagen, weil ihr Geheimnis der lebendige Christus ist.
Albert Einstein war ja mit seinen Berechnungen und Theorien der erste, der am Thron dieses alten Weltbildes gesägt hat, das uns hier in der Neuzeit eine Zeit lang gefangen gehalten hat. Eine Zeitlang gab es bei uns dieses Weltbild, dass alles abschließend zu erforschen und in wissenschaftliche Gesetzmäßigkeiten zu fassen sei. Eine Zeitlang dachten viele Menschen, es gäbe nur das, was man sehen, anfassen und berechnen kann. Man stellte sich das Universum wie eine große Maschine vor. Und dann bauten Menschen auch Maschinen. Und im Lärm der menschlichen Maschinen erstickte das Wissen um das Geheimnis der Welt. Erst wurde die Welt zur Maschine, dann wurde sie banal, dann wurde sie zur Müllkippe. Und wir leben in einer betonierten, zugemüllten Schöpfung, in der immer weniger Raum zum Atmen ist, immer weniger Raum für Schönheit, immer weniger Raum für Vielfalt, eine Welt, die immer lebensfeindlicher geworden ist durch die Tyrannei eines Weltbildes, das Menschen dazu bringt, wie die Axt im Walde durch das Ökosystem unseres Planeten zu trampeln.
Er lässt sich noch nicht einmal davon abhalten, die Weiten des Weltraums als sein Eigentum zu beanspruchen, all die Unendlichkeiten, wo noch nie zuvor ein Mensch gewesen ist. Er kommt und holt dieses ganze Universum zurück, dass es wie der verlorene Sohn zurückkehrt ins Vaterhaus, und dieses Vaterhaus ist so viel größer und weiter als alle Unendlichkeiten des Weltalls.