Die klärende Kraft der Wüste
Predigt am 01. März 2009 zu Matthäus 4,1-11
1 Danach wurde Jesus vom Geist ´Gottes` in die Wüste geführt, weil er dort vom Teufel versucht werden sollte. 2 Nachdem er vierzig Tage und Nächte gefastet hatte, war er sehr hungrig. 3 Da trat der Versucher an ihn heran und sagte: »Wenn du Gottes Sohn bist, dann befiehl, dass diese Steine hier zu Brot werden!« 4 Aber Jesus gab ihm zur Antwort: »Es heißt in der Schrift: ›Der Mensch lebt nicht nur von Brot, sondern von jedem Wort, das aus Gottes Mund kommt.‹« 5 Daraufhin ging der Teufel mit ihm in die Heilige Stadt, stellte ihn auf einen Vorsprung des Tempeldaches 6 und sagte: »Wenn du Gottes Sohn bist, dann stürz dich hinab! Denn es heißt in der Schrift: ›Er wird dir seine Engel schicken; sie werden dich auf ihren Händen tragen, damit du mit deinem Fuß nicht an einen Stein stößt.‹« 7 Jesus entgegnete: »In der Schrift heißt es aber auch: ›Du sollst den Herrn, deinen Gott, nicht herausfordern!‹« 8 Schließlich ging der Teufel mit ihm auf einen sehr hohen Berg, zeigte ihm alle Reiche der Welt mit ihrer Herrlichkeit 9 und sagte: »Das alles will ich dir geben, wenn du dich vor mir niederwirfst und mich anbetest.« 10 Darauf sagte Jesus zu ihm: »Weg mit dir, Satan! Denn es heißt in der Schrift: ›Den Herrn, deinen Gott, sollst du anbeten; ihm allein sollst du dienen.‹« 11 Da ließ der Teufel von ihm ab. Und Engel kamen zu ihm und dienten ihm.
Ich weiß nicht, was Ihnen von dem Film vorhin besonders in Erinnerung geblieben ist. Mir hat er vor allem deutlich gemacht, was sich alles in diesem kurzen Satz versteckt, dass Jesus vierzig Tage in der Wüste war und dann großen Hunger hatte. Aus diesem Satz hat der Illustrator ja eine ganze Geschichte herausgesponnen, und ich glaube, er hat es richtig gemacht. Man merkt da, wie Jesus da in 40 Tagen noch einmal die ganzen Facetten des Menschseins durchlebt: erst die Freude an der Schöpfung mit Sonnenuntergang und Mond, dann die Begegnung mit den Tieren, aber auch die Mühe mit den Dornen, in denen sich die Kleider verfangen und schließlich der Hunger, der ihn immer an seine Grenze bringt. Das alles gehört zu den wesentlichen Dingen im menschlichen Leben.
Es ist wohl so, dass ein Aufenthalt in der Wüste im Lauf der Zeit Menschen sehr zu den elementaren Grundlagen des Menschseins bringt. Es ist kein Zufall, dass Menschen auf der Suche nach Gott oder sich selbst immer wieder in die Wüste gegangen sind: da gibt es keine Ablenkungen, und man ist ohne Schutz mit sich selbst und dem Leben konfrontiert. Und wenn man dann auch noch fastet, dann kann einen noch nicht einmal das wohlige Gefühl eines vollen Magens und der Genuss leckeren Essens von der Realität des Lebens abschirmen.
Unser Leben ist normalerweise völlig vollgestopft mit Dingen und Terminen und Ablenkungen und dem ganzen Tüttelkram, den wir so den Tag über machen, und deswegen bewegen wir uns die meiste Zeit unseres Lebens nur an der Oberfläche und begegnen nur ganz selten den wesentlichen und tiefen Dimensionen des Lebens. Wir fragen uns selten oder nie: wovon lebe ich eigentlich? sondern wir sind mit Essenmachen beschäftigt. Wir fragen uns selten oder nie: wer bin ich eigentlich wirklich? sondern wir sind damit beschäftigt, uns anderen möglichst gut zu verkaufen. Wir fragen uns selten oder nie: wo sind meine Grenzen? sondern wir sind damit beschäftigt, den Gartenzaun zu reparieren. Diese tiefere Ebene, wo es um die bleibenden Fragen geht, die berühren wir nur in seltenen Ausnahmesituationen, und dann sind wir nicht gewohnt, damit umzugehen.
Es gibt ja im Leben durchaus diese Wüstensituationen, wo wir mit den Grundlagen konfrontiert sind, mit den Basics unseres Lebens: schwere Krankheiten gehören dazu, auch Zeiten, in denen wir wenig Ablenkungsmöglichkeiten haben. Ich las neulich von einem Mann, der durch den zweiten Weltkrieg weit weg von seiner Heimat gekommen war und in einem Lager lebte, bevor er wieder zurück konnte. Es ging ihm im Rahmen der damaligen Verhältnisse recht gut, er hatte genug zu essen und eine sichere Unterkunft, und es war deutlich, dass er irgendwann nach Hause kommen würde, aber bis dahin hatte er nichts zu tun. Nichts anderes als zu warten. So hat er dann über Monate jeden Tag einen großen Spaziergang gemacht und hat gelernt, die Natur zu beobachten und auf Gott zu hören, und es wurde ein großer Segen für ihn, weil er der Tiefe begegnet ist, ohne Ablenkungsmöglichkeit. Aber in der Tiefe begegnen wir auch unseren Abgründen, und deshalb zieht es uns da normalerweise nicht hin.
Normalerweise sorgen wir dafür, dass wir nicht solche leeren Zeiten haben. Wir sind immer beschäftigt. Sie kennen das Wort von dem Rentnerstress, und das beschreibt, dass diese freie Zeit, die man auf einmal hat, weil man nicht mehr arbeitet, dass die blitzschnell wieder gefüllt ist, und sei es mit Fernsehen. »Mutter musste immer etwas um die Hand haben« sagen die Kinder im Rückblick. Wir ertragen kein Vakuum in unserem Leben. Wir haben viele Weg, um nicht mit uns selbst konfrontiert zu werden.
Aber in genau diese Situation kommt Jesus, und es ist ausgerechnet der Heilige Geist, der dafür sorgt. Jesus wurde vom Heiligen Geist in die Wüste geführt. Und warum? Sollte er dort tiefe Gotteserlebnisse haben? Ich glaube, dass er die dort hatte, und der Film vorhin hat das ein paar mal angedeutet, aber der eigentliche Zweck war: er sollte vom Satan geprüft werden. Gerade ist Jesus getauft worden, er hat den Heiligen Geist empfangen, und sofort schickt ihn Gott in die Konfrontation mit dem Feind.
Warum? Muss man gleich mit dem Unangenehmen anfangen? Hätte Jesus nicht noch ein bisschen Zeit haben können, um sich besser auf diese Begegnung vorbereiten zu können? Nein! Denn in Wirklichkeit begegnen wir dem Versucher sowieso dauernd, nur wir merken es nicht. Die echten Realitäten unseres Lebens nehmen wir normalerweise gar nicht wahr, aber deshalb sind sie trotzdem Realität. Und zu diesen Realitäten gehört, dass Gott schon immer in unserem Leben drin ist, genauso wie seine Engel – erinnern Sie sich, wie im Film die Engel immer unsichtbar dabei sind und für Jesus bangen und hoffen? – aber genauso ist Realität, dass der Satan schon immer drin ist in unserem Leben. Bloß normalerweise verschließen wir die Augen vor beidem: vor der Präsenz Gottes genauso wie vor der Realität des Bösen.
Wir muckeln so vor uns hin, lesen die Zeitung und gehen zur Arbeit und machen ein bisschen Sport und besuchen die Verwandten und Freunde, wir feiern einen runden Geburtstag und erzählen aus der Schule, und in all dem kriegen wir gar nicht mit, dass wir wir ein Schlachtfeld sind, auf dem Gott und sein Feind darum kämpfen, wem wir dienen. Nur manchmal wird der Vorhang für einen Moment zurückgezogen und wir merken etwas davon, dass es um Tod und Leben geht – und dann versuchen die meisten Menschen schnell wegzuschauen, weil sie davon eigentlich nichts wissen wollen, und sie fliehen zurück in diese harmlose Lebnswelt, wo man vor dieser Wirklichkeit die Augen verschließen kann.
Sagen wir es so herum: Jesus wäre wie jeder Mensch vom Versucher auf die Probe gestellt worden, aber bei ihm sollte es offen und nicht verdeckt geschehen. Wir werden auch alle auf die Probe gestellt, egal, ob wir es wahrhaben wollen oder nicht. Aber bei uns verstecken sich diese Entscheidungen normalerweise, sie verstecken sich z.B. in solchen Fragen: mit welchen Menschen wir zusammen sind, wie wir unsere Zeit einteilen, wie wir mit Unbehagen und Schmerzen umgehen, wofür wir unser Geld ausgeben und wie wir auf schwierige Menschen reagieren. Die lebensentscheidenden Fragen verstecken sich normalerweise unter einem wilden Gewirr von unübersichtlichen Verhältnissen, die wir kaum durchblicken. Aber entscheiden tun wir sie trotzdem, auch ohne es richtig wahrzunehmen.
Unser Leben ist oft so ermüdend, weil wir diese Realität ignorieren, und dann wundern wir uns, wieso es auf einmal so ungemütlich wird, und warum uns auf einmal Lebenstrümmer um die Ohren fliegen, und warum es überhaupt in der Welt so brutal zugeht. Und die Leute sagen: ich verstehe das alles nicht, die Welt könnte doch so einfach sein, wenn alle sich ein bisschen Mühe geben, wieso ist es immer nur so schwierig? Und wieso klappt das immer nicht so, wie ich es mir vorgestellt habe?
Klare Antwort: wir leben auf einem Schlachtfeld, und da sausen uns die Geschosse um die Ohren. Die Welt ist ein Schlachtfeld zwischen Gott und seinem Feind. Und wer mitten auf einem Schlachtfeld seinen Schrebergarten pflegt, der darf sich nicht wundern, wenn da öfter mal eine Bombe hochgeht.
Die Reaktion der meisten Menschen auf diese raue Realität des Lebens funktioniert nach einer ganz einfachen Regel: Augen zu und durch! Bloß nicht darüber nachdenken, sondern hoffen, dass die großen, gefährlichen Bomben woanders hochgehen. Und manchmal hat man Glück, und man kommt so einigermaßen durch.
Ich weiß nicht, ob Jesus real in Gefahr war, es so zu machen, aber auf jeden Fall hat ihn der Heilige Geist, der es gut mit ihm meinte, auf einen anderen Weg geführt. Jesus ist nicht den scheinbar schlauen Weg des Durchwurstelns gegangen, sondern direkt in die Konfrontation. Erinnern Sie sich, die Wüste erlaubt kein Ausweichen. Und deswegen danken Sie Gott für all die Situationen, in denen Sie nicht ausweichen können, wo sie mit der Realität konfrontiert werden, wo Sie gezwungen sind, darüber nachzudenken, auf welcher Seite Sie in dieser Schlacht stehen. Wer Sie sind, wo Sie hinwollen, was Ihnen wichtig ist. Danken Sie Gott für all die Krisen und Wüstenzeiten, in denen Sie merken, dass die Welt nicht harmlos ist, danken Sie Gott für alle Gelegenheiten, in denen Sie klar sagen müssen, wo Sie stehen.
Denn unser Leben ist ja oft deswegen so ermüdend, weil wir endlos hin und hergerissen sind. Wer seinen Platz gefunden hat, für den ist es oft leichter. Wer sich alle Möglichkeiten offenhalten will, der kommt nicht heraus aus all den vielen Entscheidungen, die an uns zerren. Es war Gottes Gnade, dass er dafür gesorgt hat, dass Jesus der Alternative deutlich begegnete, und es war der Gehorsam Jesu, dass er dieser Konfrontation nicht aus dem Weg gegangen ist.
Der englische Schriftsteller C. S. Lewis hat einmal geschrieben, wir sollen doch bitte nicht vergessen, dass jeder Mensch, dem wir begegnen, eines Tages entweder eine göttliche Gestalt sein wird, ehrfurchtgebietend und beeindruckend, oder ein schreckliches Monster, das einem das Herz im Leibe stillstehen lässt vor Furcht. Bitte lassen Sie sich einen Augenblick auf diesen ungewöhnlichen Gedanken ein. Wenn Gott vorhat, uns wiederherzustellen, damit wir werden, wie er uns gewollt hat, dann arbeitet er darauf hin, dass wir eine Größe bekommen, die wir jetzt im Grunde noch nicht mal ahnen können. Und wenn der Satan uns zu einem seiner Diener machen will und es würde ihm gelingen, dann würden wir am Ende seine ganze Scheußlichkeit und Bosheit widerspiegeln. Wir kennen das ja schon in diesem Leben, dass ein Mensch im Laufe seines Lebens bis zur Kenntlichkeit entstellt wird. Je älter ein Mensch wird, desto deutlicher tritt hervor, wer er ist. Wer schon immer Unsinn geredet, wird auf seine alten Tage ein unerträglicher Schwätzer. Und wer seine Erfahrungen gründlich durchdacht hat, wird zu einem weisen alten Menschen, auf den andere gerne hören. Aber das ist natürlich diesseits des Himmels immer noch sehr undeutlich.
Wenn wir uns aber vorstellen, dass dieser Prozess der Klärung und des Deutlichwerdens hier in dieser alten Welt erst angefangen hat, und dass Gott dafür sorgen wird, dass wir nach unserem Tod diesen Weg ganz zu Ende gehen, dann kommen wir darauf, dass wir tatsächlich nur zwei Möglichkeiten haben: wir enden entweder als vergöttlichte Menschen, die nur ein wenig unter Gott stehen, oder als schreckliche Monster, aus denen alle Liebe und alles Leben verschwunden ist und die sich im Dunkel ihrer eigenen Bosheit auflösen. Und auf welchen Weg wir unsere Füße setzen, das entscheidet sich hier in unserer Lebenszeit auf der Erde.
Es entscheidet sich daran, wie wir die Fragen beantworten, die der Feind hier Jesus in aller Klarheit stellt: die Frage nach Reichtum, die Frage nach der Religion, und die Frage nach der Macht.
Mach aus Steinen Brot! Sagt der Satan zu Jesus. Wer über das Brot verfügen kann, der kontrolliert die Menschen. Wenn einer den Eindruck erweckt, dass er Arbeitsplätze schaffen kann, dann liegen ihm alle zu Füßen. Ohne Brot dazustehen, ohne Arbeit und Einkommen, das ist ein Horror, und deswegen suchen Menschen jemanden, der ihnen das garantieren kann. Und Jesus antwortet dem Teufel: der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von einem jeglichen Wort, das aus Gottes Mund geht. Wir wissen alle, dass Brot wichtig ist, aber viel wichtiger ist das Wort, das Menschen im Herzen erreicht, das sie im Denken und Fühlen erreicht und erneuert. Es gibt so viele Menschen, denen können Sie mit Brot, mit Geld gar nicht helfen, weil die ihr Unglück im Herzen mit sich tragen, und erst wenn ihr Denken und Fühlen sich verändert hat, kann es besser werden. Ein Mensch, in dessen Herzen das Unglück wohnt, der bleibt auch mit einem Haufen Geld unglücklich. Jeder Blick in die Klatschspalten der Zeitungen mit den Eskapaden und Reichen und Schönen zeigt einem das. Man sollte Menschen trotzdem Brot geben, bevor sie verhungern, aber vor allem brauchen sie das Wort.
Die zweite Herausforderung des Teufels: gestalte dir deine Religion nach deinen Wünschen. Mach dir einen Gott zurecht, wie du ihn möchtest. z.B. einen Gott, der dir immer hilft und zur Seite steht, selbst wenn du so blöd bist, vom Dach des Tempels zu springen. Erfinde dir einen Gott, der die Rechnung für all deine Dummheiten bezahlt und der dir noch dankbar sein muss, wenn du ihn ab und zu in der Kirche besuchst. Und der Teufel benutzt dafür sogar Bibelworte. Die Bibel ist überhaupt keine Garantie dafür, dass man am Ende kein Monster wird. Einige der größten Verbrechen der Geschichte sind mit Bibelsprüchen untermauert worden. Die Bibel ist die zentrale Quelle all unseres Wissens über Gott, sie ist ein zentrales Werkzeug, mit dem Gott an uns arbeitet, aber wer unbedingt will, der kann sich daraus auch eine Religion basteln, die ihn auf dem Weg zum Monster einen großen Schritt voran bringt.
Und schließlich das Angebot der Macht: die ganze Welt mit ihrem Reichtum zu beherrschen, das ist der Weg der römischen Kaiser gewesen. Und es ist ein teuflischer Weg. Er hätte Jesus gerade um seine wirkliche Macht gebracht, um die Macht Gottes, die sich in menschlicher Schwachheit entfaltet. Viel zu oft hat die Kirche dieser Versuchung nicht widerstanden und hat auf weltliche Macht gesetzt, manchmal sogar aus guten Motiven, und es ist immer schiefgegangen, weil dahinter ein Misstrauen in die eigentliche Macht Gottes und seiner Gemeinde verborgen ist.
Jesus hat diesen drei Versuchungen widerstanden: dem Vertrauen auf das Brot, der Versuchung, sich einen Gott nach eigenem Gutdünken zurechtzubasteln, und der Versuchung der Macht, die aus den Gewehrläufen kommt. Und der Satan rannte weg, weil ihn das bedrohte wie nichts sonst: wenn ein Mensch seinen Verlockungen widerstehen kann. Aber denken Sie daran, wie Jesus in dem Film anschließend völlig erschöpft auf der Erde liegt. In dieser Welt kostet es einen hohen Preis, durchzuhalten im Vertrauen auf die Macht Gottes und all die anderen Wege zu verweigern. Am Ende muss Jesus sterben, weil er seinem Weg treu bleibt. Aber er setzt darauf, dass es in dieser Welt nur besser werden kann, wenn einer all diese Versuchungen zurückweist und es wagt, auf die Macht Gottes allein zu vertrauen, auf die Macht, die die Ohnmächtigen groß macht und die Toten zum Leben erweckt.
Wie ein Toter liegt Jesus in der vorletzten Szene des Films auf dem Boden. Aber da sind auch die Engel, und jetzt greifen sie ein und tragen ihn nach Hause. Wenn wir den Weg der falschen Sicherheiten nicht gehen, dann ist Gott da mit seinen ganzen Möglichkeiten. Dann ist die Macht der Auferstehung präsent.