Eine Geschichte, die an uns arbeitet
Predigt am 15. Februar 2009 zu Lukas 8,1-8
1 In der nun folgenden Zeit zog Jesus von Stadt zu Stadt und von Dorf zu Dorf. Überall verkündete er die Botschaft vom Reich Gottes. Dabei begleiteten ihn die Zwölf 2 sowie einige Frauen, die von bösen Geistern und von Krankheiten ´geplagt gewesen waren und` durch ihn Heilung gefunden hatten: Maria aus Magdala, aus der er sieben Dämonen ausgetrieben hatte, 3 Johanna, die Frau des Chuzas, eines Beamten des Herodes, sowie Susanna und viele andere. Alle diese Frauen dienten Jesus und seinen Jüngern mit dem, was sie besaßen.
4 Die Menschen scharten sich in großer Zahl um Jesus, und von Ort zu Ort wurden es mehr, die mit ihm gingen. Da erzählte er ihnen folgendes Gleichnis: 5 »Ein Bauer ging aufs Feld, um zu säen. Beim Ausstreuen der Saat fiel einiges auf den Weg, wo es zertreten und von den Vögeln aufgepickt wurde. 6 Einiges fiel auf felsigen Boden. Die Saat ging zwar auf, verdorrte aber bald, weil die nötige Feuchtigkeit fehlte. 7 Einiges fiel mitten ins Dornengestrüpp. Die Dornbüsche wuchsen mit der Saat in die Höhe und erstickten sie. 8 Und einiges fiel auf guten Boden, ging auf und brachte hundertfache Frucht. Jesus schloss mit dem Ausruf: »Wer Ohren hat und hören kann, der höre!«
Es war eine ungewöhnliche Gesellschaft, die sich um Jesus herum bildete: die Jünger, also der engste Kreis seiner Vertrauten, junge tatkräftige Leute aus relativ gesicherten Verhältnissen, die sich auf ein Wanderleben mit Jesus eingelassen haben. Dazu einige Frauen, teilweise aus der Oberschicht oder jedenfalls doch materiell gut gestellt, die mit ihnen gehen: anscheinend sind die reich genug, um den Lebensunterhalt für alle aufzubringen. Und dazu ein Haufen Leute, die mitgegangen sind, weil bei Jesus was passiert und sie dabei sein wollen.
Das ist ziemlich unkonventionell, dass Erben eines Familienbetriebes wie Johannes und Jakobus die Boote liegenlassen und mit Jesus mitgehen. Und erst recht, dass Frauen aus dem Umfeld des königlichen Hofes mitkommen. Aber das muss für die eine große Befreiung gewesen sein, der Enge und den Intrigen am Hof entkommen zu sein. Es ist kein Zufall, dass ausgerechnet bei den Frauen von Heilungen und Dämonenaustreibungen durch Jesus berichtet wird. Die Frauen waren am wehrlosesten, bei ihnen landeten die Widersprüche der ganzen Gesellschaft und zerstörten ihre Person. Und andererseits hatten sie selbst erlebt, dass Jesus sie befreit und gesund macht. Und dann hatten sie sich offenbar gesagt: es reicht mir nicht, einfach nur gesund geworden zu sein, ich will auch in Zukunft mit dieser heilenden Kraft in Verbindung bleiben, ich will mit dem Menschen in Verbindung bleiben, der diese unerwartete Perspektive in mein Leben gebracht hat. Und diese Frauen waren anscheinend unabhängig und gebildet genug, um sich durchzusetzen und tatsächlich mit einer Gruppe von Männern durch das Land zu ziehen. Das war damals sehr ungewöhnlich Es war wirklich ein Affront in einer patriarchalischen Gesellschaft.
Und dann ein Haufen von anderen Leuten mit sehr gemischten Motiven, die sich der Kerngruppe anschließen und man weiß noch nicht, was daraus werden wird. Ist das Neugier? Oberflächliche Begeisterung? Oder wird da mehr draus werden?
Wir wissen, dass nach Tod und Auferstehung Jesu etwa 120 seiner Anhänger in Jerusalem zusammen blieben. Dazu kamen sicherlich noch viele in Galiläa, die nicht nach Jerusalem mitgekommen waren. Trotzdem war das nicht viel für jemanden, der zeitweise über 5000 Menschen um sich versammelt hat. Und so hat Jesus Recht, wenn er in einem Gleichnis eher mit skeptischen Tönen über die Menschen spricht, die ihm folgen.
Er erzählt von einem Bauern, der Samen auf sein Feld streut. Und natürlich ist Jesus dieser Sämann. Mit dem, was er sagt und lebt, streut er den Samen der neuen Welt Gottes aus: da lassen Menschen alte, beengende Verhältnisse hinter sich und wenden sich einer neuen Art zu leben zu. Sie erleben Gott nicht mehr als drohenden Aufseher, der sie einschüchtert und über ihre Schuld Buch führt, sondern als jemanden, der sie herausholt aus den heillosen Bindungen, von denen ihr Leben bis dahin geprägt war. Die Welt und das Leben wird wenigstens bei Jesus wieder so, wie Gott sie gewollt hat.
Was Jesus gemeinsam mit den 12 Jüngern, den Frauen und den anderen Begleitern macht, das ist ein Samen, der in die Welt gestreut wird, und er wird in Menschen Wurzeln schlagen und wachsen. Aber es wird sehr unterschiedlich sein, was dabei herauskommt. Der Input ist immer der gleiche, aber was daraus wird, das hängt von den Menschen ab.
Und so redet Jesus auch zu den Menschen in Bildern, aus denen jeder das heraushören kann, was zu ihm passt. Das ist bis heute so bei Predigten, dass jeder was anderes heraushört, je nachdem, wie er ist. Jesus legt ein Bild in die Menschen hinein, und sie können sich, wenn sie wollen, darin wiederfinden:
Ein Teil der Saat, die der Bauer aussät, fällt auf den Trampelpfad am Feld. Da haben die Samen keine Chance. Sie dringen keinen Zentimeter ein, sie bleiben einfach liegen und werden zertreten oder von den Vögeln gefressen. Und so gibt es Menschen, bei denen das Evangelium einfach abprallt. Sie wissen schon längst, dass das ja sowieso Unsinn ist. Sie sind so gefangen in Vorurteilen und allgemeinen Meinungen, dass sie sich noch nicht mal die Frage stellen, ob das nicht was für sie sein könnte. Es gibt einen Menschentyp, der so wenig Tiefe hat, oder der nie gelernt hat, die eigenen Tiefe zu entdecken, aus dem sprechen eigentlich nur die gesellschaftlichen Konventionen, solche Menschen sagen nur, was alle sagen, da hat das Evangelium wenig Chancen. Oft sagen solche Menschen nicht »Ich«, sondern sagen stattdessen »man« oder sprechen im Passiv: »Man muss ja zufrieden sein.« »Dann wurde geheiratet.«
Solche Menschen haben eine Chance, wenn sie in Konflikte und Zerreißproben geraten. Das beutelt sie so sehr, bis sie wirklich überlegen müssen, was denn wirklich gelten soll. Wenn sich in ihrer Welt etwas so sehr verändert, dass sie es nicht mehr ignorieren können und sich damit auseinandersetzen müssen, das ist wie ein Pflug, der den Trampelpfad aufbricht und den Samenkörnern erst eine Chance zum Überleben gibt.
Und so waren wahrscheinlich viele von denen, die sich Jesus für längere oder kürzere Zeit anschlossen, Menschen, die krank waren und bei sich oder anderen der heilenden Kraft Jesu begegneten. Da haben sie etwas erlebt, was sie nicht mehr übersehen konnten. Und das Evangelium ist in sie eingedrungen und konnte Wurzeln schlagen.
Aber das reicht noch nicht. Auch eine Pflanze, die Gelegenheit zum Keimen hatte, ist noch sehr verwundbar. Es gibt Boden, wo nur eine dünne Erdschicht den massiven Fels bedeckt. Da keimt der Same zuerst sogar recht gut, weil er von unten gewärmt wird, so wie Wein besonders gut gedeiht, wenn der Untergrund die Sonnenwärme speichert. Aber nach ein paar Zentimetern ist Schluss: die Wurzel stößt auf Granit, die Pflanze bekommt keine Feuchtigkeit von unten und verdorrt.
Das ist wieder so ein Fall von mangelnder Tiefe, nur dass hier das Evangelium nicht gleich an der Oberfläche abprallt, sondern ein paar Zentimeter in den Menschen hineinkommt. Das sind Menschen, die oberflächlich christianisiert sind, die vielleicht die richtigen Glaubensbekenntnisse sprechen können und manchmal sogar in kirchlichen oder freikirchlichen Traditionen leben, die sich das aber nie wirklich angeeignet haben. Sie haben sich nicht in der Tiefe damit auseinandergesetzt, was Leben mit Jesus bedeutet, sie haben nicht ihr Leben von da aus durchgearbeitet, und wenn es zu Konflikten mit den gesellschaftlichen Regeln kommt, dann machen sie einen Rückzieher.
In unserem Land ist das z.B. in der nationalsozialistischen Zeit geschehen. Da hat man bald sehen können, bei wem christlicher Glaube tief ging, und wer bei Widerstand die oberflächlichen Traditionen einfach abgestreift hat. Und dann noch einmal in der ehemaligen DDR, wo die kirchliche Bindung der Menschen über Jahrzehnte beharrlich untergraben worden ist und ein oberflächlicher Glaube keine Chance hatte zu überleben. Und so haben auch in der ersten Zeit des Christentums die Verfolgungen dazu geführt, dass die Menschen immer wieder vor der Frage standen, wie tief denn ihr Glaube ging. Und dabeigeblieben sind nur die, bei denen das Evangelium ihr Leben und Denken wirklich durchdrungen hat. Man hat nur das wirklich begriffen, was man umsetzt und ins Leben aufnimmt. Lehre, Ideologie, Religion und ähnliches bleibt an der Oberfläche. Aber wenn man eine lebensverändernde Begegnung mit Jesus hat und von da aus weiterdenkt, wie es bei den Jüngern und bei den Frauen der Fall war, dann kann man davon nicht so schnell wieder weg.
Dann gibt es die Saatkörner, die von Unkraut überwuchert werden. Ich glaube, das ist der Fall, den wir heute ganz häufig erleben: Menschen, die etwas verstanden haben vom Evangelium, denen es gut getan hat in einem Gottesdienst oder in einer schwierigen Situation, die wirklich etwas von Jesus gehabt haben und das auch gemerkt haben, und die es trotzdem nicht schaffen, in ihrem Leben Prioritäten zu setzen. Menschen, die ihre ganzen Verpflichtungen nicht relativieren können, die nichts versäumen wollen im Leben und darüber das Beste und Wichtigste versäumen. Menschen, die ab und zu einen Platz für Jesus im Terminkalender finden, wenn gerade mal nichts Wichtigeres los ist. Und so hat Jesus nicht den Raum und die Zeit, um sie zu durchdringen und zu erneuern.
In den früheren Zeiten hat sich das Schicksal des Glaubens meistens daran entschieden, ob Menschen sich gegen gesellschaftlichen Druck behaupten konnten, ob sie in Verfolgungen standhaft blieben. Heute, wo bei uns ja Religionsfreiheit herrscht und inzwischen Religion noch nicht einmal mehr so richtig bäh ist, entscheidet sich das Schicksal des Evangeliums in einem Menschen meistens daran, ob er seine Termine mit Jesus verteidigt. Wir müssen als Christen heute nicht mehr Angst haben, in einer Arena den Löwen zum Fraß vorgeworfen zu werden. Aber im Terminkalender klare Prioritäten zu setzen und einiges einfach wegzulassen, ist für manchen fast genauso schlimm.
Aber da sind ja auch noch diejenigen, bei denen das Evangelium Wurzeln schlägt und der Same aufgeht und am Ende gibt es eine reiche Ernte. Aus einem Samenkorn werden Hundert. Jesus nimmt die ganzen Verluste in Kauf, weil er weiß: trotzdem wird das Evangelium Früchte bringen. Die Menschen, in denen es gedeiht, die werden die Welt verändern. Mit aufrichtigem und bereitwilligem Herzen hören sie das Wort; sie halten daran fest, lassen sich nicht entmutigen und bringen Frucht. Solche Menschen sind der Anfang der neuen Schöpfung, und ein einziger davon kann mehr erreichen als viele andere, die einfach im Strom mitschwimmen. Nur 120 Menschen hatte Jesus am Ende seiner Tätigkeit wirklich gewonnen, aber sie haben den Lauf der Geschichte und das Gesicht der Erde verändert.
Man muss sich das vor Augen halten, dass selbst Jesus am Ende nur 120 Menschen wirklich gewonnen hat. Aber das war genug. Das war ein Same, der viele Früchte getragen hat. Wir sind nicht Jesus und wir spiegeln ihn nur sehr vorläufig und begrenzt wieder. Kein Wunder, dass bei uns alles noch wackeliger ist. Aber man sieht an Jesus: das reicht. Hauptsache, die Wurzeln gehen in die Tiefe. Hauptsache, das Evangelium kann in uns weiterwachsen und sich entfalten. Hauptsache, Gott beißt bei uns nicht irgendwann auf Granit. Hauptsache, wir halten daran fest, dass Jesus auf Platz 1 im Terminkalender gehört.
Ich weiß nicht, ob Sie sich inzwischen schon in eine dieser Schubladen einsortiert haben. Jesus erzählt solche Geschichten, damit sie an uns arbeiten, damit sie uns einen klaren Blick auf die Wirklichkeit geben. Diese Geschichten sind seine Werkzeuge: sie sollen mit uns etwas machen. Jesus sagt zu niemandem: du bist ein harter Boden, so dass der dann antworten könnte: unerhört, das muss ich mir nicht bieten lassen, willst du mir etwa meinen Glauben absprechen?
Stattdessen sagt er: hier ist eine Geschichte. Schau sie dir an, was sie dir sagt. Schau dir an, ob du dich darin wiedererkennst. Es geht nicht darum, jemand anders in die richtige Schublade zu sortieren. Es geht darum, Menschen Lust darauf zu machen, ein fruchtbares Leben zu führen. Ein Leben, das nicht irgendwann vorbei und vergessen ist, sondern das Anteil hat an Gottes großer Geschichte mit dieser Welt. Solche Geschichte sind dafür da, dass bei uns rechtzeitig die Warnlampen angehen, wenn der Same des Evangeliums in uns gefährdet ist.
Und was für ein Boden wir am Ende sind, das entscheidet sich daran, wie wir auf diese und andere Geschichten reagieren.