Glaube und Leistung? Passt prima zusammen!
Predigt am 31. Januar 2010 zu 1. Korinther 9,24-27
24 Wisst ihr nicht, dass die, die in der Kampfbahn laufen, die laufen alle, aber einer empfängt den Siegespreis? Lauft so, dass ihr ihn erlangt. 25 Jeder aber, der kämpft, enthält sich aller Dinge; jene nun, damit sie einen vergänglichen Kranz empfangen, wir aber einen unvergänglichen. 26 Ich aber laufe nicht wie aufs Ungewisse; ich kämpfe mit der Faust, nicht wie einer, der in die Luft schlägt, 27 sondern ich bezwinge meinen Leib und zähme ihn, damit ich nicht andern predige und selbst verwerflich werde.
Von manchen Leuten erwarten wir Höchstleistungen, von anderen eher nicht. Im Sport ist es anscheinend seit den Zeiten von Paulus so, dass man da von den Profis erwartet, dass sie sich richtig reinhängen. Wenn die Fans das Gefühl haben, dass die hoch bezahlten Spieler es sich ein bisschen bequem machen, dann sind sie sauer. Man könnte sich nicht vorstellen, dass ein Spieler im Interview sagt: im letzten Monat fühlte ich mich nicht so, ich hatte ein paar mal Kopfschmerzen, da dachte ich, ich könnte es beim Training erstmal ruhiger angehen lassen. Ich bin dann öfter auf der Couch geblieben, statt auf den Platz zu gehen. Ein Trainer, der das durchgehen lässt, wird wahrscheinlich bald ausgewechselt.
Oder stellen Sie sich vor, Sie warten gerade auf die Narkose für eine größere Operation, und da kommt der Chirurg mit grauem Gesicht vorbei und sagt: Hallo, es ist bei mir gestern später geworden, meine Frau hatte Geburtstag, Sie verstehen das sicher, ich hatte keine Zeit mehr, mir Ihre Unterlagen gründlich anzuschauen, was war das bei Ihnen nochmal? die Niere? oder der Herzkatheder? egal, wir schneiden Sie erstmal auf, und dann sehen wir weiter, ist das o.k. für sie?
Irgendwie hätten wir dabei das Gefühl, dass der Mann seiner Rolle nicht wirklich gerecht geworden ist. Es gibt Bereiche, wo wir einfach eine gute Leistung erwarten. In anderen Bereichen sind wir nicht so streng. Wer sich z.B. einfach nur so für die Fitness ein bisschen Bewegung verschafft, der sagt schon eher mal: ach nee, heute ist so ein stressiger Tag, ich glaube, da lass ich fünfe gerade sein und tu mir das nicht auch noch an.
Und die Frage, um die es in dem Abschnitt aus dem 1. Korintherbrief geht, ist: in welchen Bereich gehört der christliche Glaube? Ist das so ein Hochleistungsbereich wie der Profisport, oder ist das ein Bereich, in dem es nicht so drauf ankommt?
Paulus sagt sehr entschieden: wenn irgendetwas ein Hochleistungsbereich ist, dann ist es der christliche Glaube. Wenn im Sport schon Menschen ihr ganzes Leben umstellen und sich einem Trainingsplan unterwerfen und ihre Ernährung auf das Training abstimmen und manchmal weite Wege in Kauf nehmen, nur um am Ende auf dem Treppchen zu stehen und eine Urkunde oder eine Medaille zu bekommen, dann haben wir doch wohl etwas, das mindestens so wichtig ist. Medaillen und Urkunden landen in der entsprechenden Vitrine, und wenn wir mal tot sind, auf dem Flohmarkt oder in der Wertstoffsammlung. Und wenn bei der Trauerfeier noch mal von den Verdiensten des Verstorbenen geredet wird, dann weiß der schon längst, dass jetzt ganz andere Dinge zählen.
Bei uns dagegen, sagt Paulus, geht es um ein Ergebnis, das bleibt, eine unvergängliche Siegestrophäe, die ihren vollen Glanz erst in der neuen Welt Gottes bekommen wird. Was du ins Reich Gottes investiert hast, das verblasst nicht, sondern das wird in der Zukunft immer mehr leuchten und Früchte tragen.
Es gibt tatsächlich eine ganze Menge Parallelen zwischen Hochleistungssport und christlichem Glauben. Paulus führt diesen Vergleich hier ziemlich breit auf. Beide Male ist Übung etwas entscheidendes. Tatsächlich hat man herausgefunden, dass man erst dann bei irgendetwas richtig gut wird, wenn man etwa 10.000 Stunden Übung hinter sich hat. Vorher kann man die Sachen natürlich auch schon ganz ordentlich machen, aber in die Liga der richtigen Könner steigt man erst nach 10.000 Stunden auf, egal ob es da um Torschüsse geht oder um ein Musikinstrument oder ums Kochen oder um Operationen oder um Video-Ballerspiele oder was auch immer. Vielleicht sind es nicht in jedem Fall genau 10.000 Stunden, und natürlich machen wir vorher nicht einfach nur Murks, aber die Botschaft ist: wenn du in deinem Handwerk richtig gut sein willst, wenn du so souverän sein willst, dass du echte Meisterleistungen bringst, dann heißt das : Üben, Üben, Üben. Übrigens hört das nie auf – gerade Meister auf ihrem Gebiet wissen, dass sie nie sagen können: jetzt ist es genug, jetzt habe ich’s endgültig drauf.
Wie wäre es, wenn wir diese allgemeine Lebensregel für den christlichen Glauben durchdenken? Warum sollte sie da nicht gelten? Nehmen wir z.B. Paulus: der war natürlich eine Ausnahmebegabung, und dann hat ihn Gott auch noch durch einen tiefgreifenden Umwandlungsprozess geschickt. Aber dann hat er immer wieder anderen das Evangelium erklärt: mal nur ein paar Leuten, mal großen Menschenmengen, skeptischen Leuten genauso wie begeisterten oder feindlich gesinnten, auf der Straße, im Haus, in Sälen, unter freiem Himmel, vor Hafenarbeitern genauso wie vor Professoren. Immer und immer wieder. Die 10.000 Stunden hat er bestimmt erreicht.
Er war gewohnt, sich in andere hineinzuversetzen und dann die richtigen Worte zu finden. Seine beeindruckenden Briefe, die in die Bibel aufgenommen wurden und schon so viel Bewegung in die Menschheitsgeschichte gebracht haben, die hat er schreiben können, weil er in all den Jahren immer und immer wieder neu das Evangelium erklärt hat. Aus täglicher Übung über viele Jahre sind am Ende solche Meisterwerke geworden. Natürlich war das auch Inspiration durch den Heiligen Geist, aber Inspiration ist kein Gegensatz zu Fleiß und Ausdauer. Der Heilige Geist, unsere besten Fähigkeiten und unser ganzer Einsatz, das ist eine wunderbare Kombination.
Wir sind sicher nicht solche Meister wie Paulus und werden ihm auch nie Konkurrenz machen können, aber diese Grundhaltung, aus der er schreibt, die ist auch für uns. Diese Grundhaltung, alles einzusetzen, damit wir das Evangelium so gut wie möglich verkörpern und erklären und weitergeben können, diese Grundeinstellung ist auch für uns. Wir sollen etwas bewirken, es geht nicht um gut gemeint, sondern es geht um gut gemacht. Klar, Gott kann auch aus Gestümperten Großes machen, aber lieber arbeitet er mit unserem Fleiß und unserem Können zusammen. Schau dir Jesus an: hat der Stümper um sich versammelt? Nein, seine Jünger konnten was in ihrem Beruf, als Fischer z.B., schon längst bevor sie zu Jesus stießen.
Jetzt muss man natürlich eins sagen: wir leben in der Zeit nach Martin Luther. Und Martin Luther war sein Leben lang von der Erfahrung geprägt, dass er früher geglaubt hatte, er würde sich nur mit Höchstleistungen einen Platz im Himmel verdienen. Und als er dann die Freundlichkeit Gottes entdeckte und merkte, dass er durch die Gnade Gottes gerettet wird, da war das für ihn eine riesige Befreiung. Und er blieb sein Lebtag lang ganz misstrauisch gegenüber allem, was nach Leistung klang, weil er da überall diesen Druck witterte: da könnte einer vielleicht im Geheimen ja hoffen, sich durch Leistung den Himmel verdienen zu müssen. Wobei Luther selbst immer ein ganz enormes Arbeitspensum bewältigt hat und richtig gut war als Prediger und Autor. Aber in der lutherischen Tradition ist dann im Lauf der Zeit so eine Haltung draus geworden: wenn du sicher sein willst, dass du nicht vielleicht doch auf deine Werke vertraust, dann bring bloß keine Höchstleistungen. Bleib lieber beim Mittelmaß, das bewahrt dich vor falschen Einstellungen. Und bloß kein Leistungsdruck. Und dadurch strahlen Kirchenleute dann manchmal so ein solides Mittelmaß aus, womit man wenige begeistert, aber auch nicht in die Gefahr kommt, hochmütig zu werden.
Das Ganze liegt daran, dass Luther von seiner Kirche geschädigt war, die die Frage nach dem ewigen Seelenheil in den Mittelpunkt gestellt hat und versucht hat, die Menschen mit der Höllendrohung bei der Stange zu halten. Wenn aber im Mittelpunkt des Nachdenkens die Frage steht, wie man in den Himmel kommt, dann wird die Frage, ob man hier auf der Erde etwas bewirkt, drittrangig. Dann muss man nicht wie Paulus seine ganze Energie investieren, um es hier auf der Erde gut zu machen.
Wir müssen das erst wieder lernen, dass Glaube mit Einsatz zu tun hat, mit Hingabe, Fleiß, Arbeit und Übung. Die neue Welt, die Gott mit uns gemeinsam schaffen will, für die sollen wir mindestens so viel Engagement aufbringen, wie Sportprofis das für ihren Job tun. Schon deswegen, damit wir nicht signalisieren, das wäre nicht so wichtig. Aber natürlich vor allem, weil wir selbst das meiste davon haben, wenn wir unsere Kraft für Gottes Sache auf der Erde einsetzen. Es ist doch eine tolle Erfahrung, zu merken: ich habe mich voll investiert, und das hat was gebracht, das hat die Welt verändert.
Paulus hat in den Versen vorher davon geschrieben, wie er dauernd daran arbeitet, sich in den Verständnishorizont anderer hinein zu begeben. Und das ist wirklich Arbeit. Jemandem, der so ist wie du selbst, etwas zu erklären, das ist einfach. Aber jemand zu überzeugen, der zu einer anderen Kultur gehört oder ein anderes Lebensalter hat oder auf einen ganz anderen Lebensweg zurückschaut, das ist mühsam. Da musst du immer wieder neu Versuche machen, du musst lernen, wie das im Kopf des anderen alles zusammenhängt, du musst dich auf seine Sicht einlassen, du musst möglicherweise viel Zeit in einem verräucherten Zimmer zubringen, um ihm zuzuhören, und der Erfolg ist unsicher.
Aber Paulus sagt: genau das ist unsere Aufgabe. Das müssen wir alle lernen, da müssen wir richtig gut drin werden. Nicht jeder hat das gleiche Potential, wir sind alle unterschiedlich, aber das Potential, was wir haben, das müssen wir entwickeln. Und das bedeutet auch unangenehme Erfahrungen. Das Leben ist kein Ponyhof, auch für Christen nicht. Manchmal fühlt man sich nicht, man hat eigentlich keine Lust, aber dann muss man sich zusammenreißen und auch mal was tun, wozu man nicht motiviert ist – meistens wird es ja besser, wenn man erstmal angefangen hat. Ich bezwinge meinen Leib und zähme ihn, sagt Paulus, und mit »Leib« meint er das, was wir heute den inneren Schweinehund nennen.
Auch das ist eine Erfahrung, die viele heute beim Sport machen: wenn ich erstmal losgelaufen bin, dann bin ich hinterher froh, dass ich es getan habe, sagen sie. Es ist für jeden Menschen wichtig, zu wissen, dass er etwas hinkriegt, dass er etwas leisten kann, dass er nicht seiner Bequemlichkeit ausgeliefert ist, sondern dass er sich einen Spielraum geschaffen hat, wo er der Herr im Haus seines Lebens ist. Viele alte Leute wollen sich deshalb so lange es geht selbst versorgen und den Garten machen und selbst rausgehen. Und dann sagen die Kinder: Mutter, lass es doch mal ruhig angehen, du hast genug gearbeitet in deinem Leben! Aber die Mutter weiß: so lange ich das noch mache, bin ich meinen Stimmungen nicht so ausgeliefert. Und aus dem gleichen Grund ist es schlimm, wenn Menschen keine Arbeit haben und dadurch nicht mehr Tag für Tag die Erfahrung machen: ich habe etwas geschafft.
In unserer Zeit gibt es viele Menschen, die sich viel zu viel zumuten und sich viel zu wenig Ruhe gönnen. Es gibt aber auch viel zu viele, die ihren inneren Schweinehund sehr nachsichtig behandeln und sich ruhig mal etwas mehr zumuten könnten. Jetzt kann ja jeder überlegen, wo er sich einordnen würde.
Das Problem ist, dass zwischen den beiden schlechten Möglichkeiten das vernünftige Zentrum ausdünnt. Wo kann man das Zentrum finden? Im Sabbatgebot. Im Sabbatgebot ist beides drin: du sollst den Feiertag heiligen und deine Arbeit getrost aus der Hand legen. Aber vorher heißt es: sechs Tage sollst du arbeiten und alle deine Werke tun. Arbeit mit ganzer Energie – und dann Pause von ganzem Herzen. Beides hat etwas mit Selbstdisziplin zu tun. Die ist immer nötig.
Glaube setzt nicht das Lebensgesetz außer Kraft, dass alles Gute und Große Arbeit und Hingabe erfordert. Aber der Glaube zeigt uns aber, wofür es sich wirklich lohnt, die ganze Kraft einzusetzen. An der neuen Welt Gottes mitzubauen, Samen zu säen, dessen Ertrag erst jenseits der Grenzen dieser Welt voll sichtbar werden wird, das ist unsere Berufung. Dafür lohnt es sich, unsere ganze Kraft einzusetzen und das eigene Potential immer wieder zu üben und weiterzuentwickeln.
Als Paulus geschildert hat, wie er sich abrackert, um Kulturgrenzen zu überwinden und jedem das Evangelium auf die passende Weise zu sagen, da schreibt er noch einen kleinen Schlusssatz. Warum tue ich das alles, warum tue ich mir das an? Weil ich selbst das meiste davon habe, sagt er. Weil ich selbst so das Evangelium immer besser verstehe. Alles, was ich für andere tue, das kommt zuallererst mir selbst zugute, sagt er. Es ist eine Situation, bei der alle gewinnen und ich selbst am meisten. Dafür lohnt es sich, mit ganzem Herzen dabei zu sein, mit allen Kräften, mit der ganzen Seele und von ganzem Gemüt.