Lass dir nicht das Tun madig machen!
Predigt am 06. März 2011 zu Römer 3,5-8 (Predigtreihe Römerbrief 07)
Paulus hat den Römerbrief angefangen mit einem hellen Trompetenstoß: ich bringe das Evangelium von Gottes Sohn, der auferstanden ist! Er hat betont, dass das Evangelium vom auferstandenen Messias Jesus die Kraft zur Rettung aller ist. Er hat das Umfeld beschrieben, in dem diese Rettung zum Zuge kommen soll: eine Welt voller Verwirrung und Unrecht. Und er hat sich mit dem Weg von Gottes Volk auseinandergesetzt, dem Volk der Juden, das von Gott berufen wurde, eine Alternative zu sein, und das doch selbst zum Teil des Problems wurde. Und er hat betont: auch dieses vorläufige Scheitern hebt Gottes Plan nicht auf. Gott führt seinen Plan aus, auch durch menschliches Versagen hindurch. Gerade so zeigt er seine Treue und Verlässlichkeit, kurz: seine Gerechtigkeit.
So weit sind wir jetzt. Paulus wird in der zweiten Hälfte des Kapitels den Weg beschreiben, wie Gott trotz allem an seinem Plan festhält, nämlich durch Jesus. Aber erst muss er noch einen Einwand bearbeiten, der sich erhebt, wenn man so stark betont, dass Gott durch alles menschliche Versagen hindurch seinen Plan zum Ziel bringt:
5 Wenn aber unsere Ungerechtigkeit die Gerechtigkeit Gottes bestätigt, was sagen wir dann? Ist Gott – ich frage sehr menschlich – nicht ungerecht, wenn er seinen Zorn walten lässt? 6 Keineswegs! Denn wie könnte Gott die Welt sonst richten? 7 Wenn aber die Wahrheit Gottes sich durch meine Unwahrheit als noch größer erweist und so Gott verherrlicht wird, warum werde ich dann als Sünder gerichtet? 8 Gilt am Ende das, womit man uns verleumdet und was einige uns in den Mund legen: Lasst uns Böses tun, damit Gutes entsteht? Diese Leute werden mit Recht verurteilt.
Paulus hat sein Leben lang damit zu kämpfen gehabt, dass man ihm Sätze in den Mund gelegt hat, die er gar nicht gesagt hat. Andere haben seine Gedanken fehlerhaft weitergedacht und ihm dann diese falschen Gedanken unterstellt. So haben scheinbar welche gesagt: Wenn du meinst, es wäre großartig, dass Gott auch gegen menschliches Versagen hindurch seinen Plan voranbringt, dann dürfte er uns doch gar nicht böse sein, wenn wir ihm Gelegenheit geben, seine Größe zu zeigen.
So wie vielleicht ein Patient sagen könnte: Herr Doktor, mit meinem komplizierten Beinbruch habe ich Ihnen die Gelegenheit gegeben, ihr ganzes Können als Chirurg zu zeigen. Da könnten Sie doch eigentlich darauf verzichten, mir die Rechnung zu schicken, oder?
Oder wie ein Bankräuber zum Richter sagen könnte: durch mich konnte die Polizei zeigen, wie schnell und gut sie arbeitet, alle meine Kollegen waren davon so beeindruckt, dass sie ihren Job an den Nagel gehängt haben und ehrlich geworden sind. Da könnten Sie mich doch zur Belohnung einfach nur zu einer Geldstrafe verurteilen, oder zu gemeinnütziger Arbeit!
Und so haben wohl einige behauptet, Paulus hätte gesagt oder gemeint: nur zu, verstoßt gegen Gottes Gebote, dann kann er so richtig zeigen, wie er aus Bösem Gutes macht. Und es ist ja tatsächlich so, dass Gott auch aus dem Allerbösesten Gutes machen kann. Man sieht das am Tod Jesu, wie Gott den durch die Auferstehung gewendet hat, und aus der scheinbar endgültigen Niederlage wurde der entscheidende Sieg. Viele Menschen haben sich zu Recht damit getröstet, wenn sie Böses erleiden mussten. Man muss nur an Dietrich Bonhoeffer im Gestapo-Gefängnis denken, wie er sich das geradezu als Glaubenssatz aufgeschrieben hat:
Ich glaube, dass Gott aus allem, auch aus dem Bösesten, Gutes entstehen lassen kann und will. … Ich glaube, dass auch unsere Fehler und Irrtümer nicht vergeblich sind, und dass es Gott nicht schwerer ist, mit ihnen fertig zu werden, als mit unseren vermeintlichen Guttaten.
Das war für Bonhoeffer in seiner Zelle und in seinen ganzen Unsicherheiten der feste Halt, dass er geglaubt hat: Gott wird mit all dem fertig, mit Hitlers Bosheit und auch mit meinen Irrtümern. Aber man muss das nur ein klein wenig in die falsche Richtung weiterdenken, und dabei kommt heraus: dann hätte ich ja eigentlich gar nicht die Gefahr auf mich nehmen müssen, mich im Widerstand gegen Hitler zu engagieren. Gott wäre doch auch ohne mich fertig geworden. Warum nehme ich diese Gefahr eigentlich auf mich? Gott schafft es doch auch ohne mich!
Und tatsächlich hat es zu allen Zeiten Leute gegeben, die sagen: wieso kämpfst du so verbissen, warum machst du dir so viel Mühe und Unruhe, bleib ruhig, vertrau einfach auf Gott, der wird es schon richten. Auf uns kommt es doch gar nicht an.
Bemerkenswerter Weise waren aber Paulus und Bonhoeffer gerade Menschen, die sich mit voller Kraft für Gottes Sache eingesetzt haben. Die hatten überhaupt nicht diese scheinbar weise Haltung: ach, es kommt doch auf uns gar nicht an. Gott macht es schon. Man merkt Paulus an, wie erbittert er ist, dass man ausgerechnet ihm unterstellt, er würde so etwas behaupten. Er will aber hier in Römer 3 nicht weiter darauf eingehen, er schlägt nur kurz einen Pflock ein und sagt: das ist Unsinn, und wer mir so etwas unterstellt, den trifft Gottes Urteil zu Recht. Das wäre nun wirklich das Letzte, was ich sagen würde.
Trotzdem lohnt es sich, zu verstehen, warum es so grundfalsch ist, zu sagen: auf unseren menschlichen Beitrag kommt es nicht an, wir können gar nichts tun, Gott muss es machen. Dieses Denken ist gerade in unserer lutherischen Tradition verbreitet, weil Martin Luther bei allen menschlichen Aktivitäten immer schnell dachte: da will sich jemand die Gunst Gottes mit guten Taten verdienen. Bei Luthers Nachfolgern ist das dann oft noch schlimmer geworden, und so haben wir eine Tradition, in der alle menschlichen Aktivitäten mit großem Misstrauen betrachtet werden.
Wie weit das geht, das habe ich mal bei einem streng lutherischen Pfarrer erlebt, der eine Abendmahlsfeier leitete und uns vorher einschärfte, wir dürften die Oblate keinesfalls in die Hand nehmen, sondern er wolle sie uns unbedingt in den Mund stecken, damit ganz deutlich wird, dass wir die Gnade Gottes passiv empfangen und selbst nichts dazu tun. Mal abgesehen davon, dass er uns dann doch das Kauen und Schlucken nicht abnehmen konnte – das passt auch gar nicht damit zusammen, dass Jesus beim Abendmahl seinen Jüngern sagte: nehmt und esst! und also offenbar überhaupt kein Problem damit hatte, dass seine Jünger aktiv dabei waren. Und vorhin in der Lesung haben wir gehört, wie Jesus zu seinen Jüngern sagt: nehmt euer Kreuz auf euch und folgt mir nach! Jesus ging nach Jerusalem, um für die ganze Welt zu sterben, was wirklich nur er tun konnte, aber er hatte kein Problem damit, seine Jünger zur aktiven Nachfolge aufzufordern.
Ein großer Teil der Probleme in der Kirche heute kommt davon, dass über Generationen den Menschen das Tun madig gemacht worden ist. Und irgendwann verlieren sie dann das Zutrauen in die eigenen Möglichkeiten. Wie oft habe ich das erlebt, dass in dem Moment, wo es Probleme gibt und man sich ernsthaft Gedanken machen müsste, wie man die löst, irgendwer sagt: ach, wir verzetteln uns in so vielen Aktivitäten, das ist mir zu kompliziert, überlasst das doch lieber Gott, der kann das viel besser als wir, lasst uns einfach nur beten, da sind wir auf der sicheren Seite!
Was ist der Fehler dabei, aus welcher Wurzel kommen diese Gedanken? Es liegt daran, dass Gottes Taten und menschliche Aktivität gegeneinander gestellt werden: entweder macht Gott etwas – oder wir machen es. Wo Gott etwas tut (so ist der Gedanke dahinter), da ist kein Platz für menschliche Taten. Und wo Menschen etwas tun, da bleibt für Gott nichts zu tun, außer hinterher die Scherben aufzukehren. Also tun wir am besten gar nichts, dann ist für Gottes Handeln Raum.
Wenn das tatsächlich so wäre, dann wäre es wirklich am besten, wir würden gemütlich Kaffee trinken gehen und abwarten, dass in der Zwischenzeit Gott die Welt für uns in Ordnung bringt. Und wir würden dabei bequem, faul, fett, depressiv, dumm und kindisch werden. Denn Gott hat uns eigentlich als aktive Wesen geschaffen, nach seinem Bilde, und diese Bestimmung aus der Schöpfungsgeschichte wird durch Jesus nicht widerrufen, im Gegenteil! So wie Gott schöpferisch und aktiv ist, so sollen wir auch kreativ, aktiv, engagiert, mutig und klug sein. Und solche Eigenschaften fallen nicht irgendwie vom Himmel, sondern die wachsen durch Aktivität. So wie auch unsere Muskeln nicht dadurch stärker werden, dass wir sie schonen, sondern wie? Richtig – durch Gebrauch.
Gott hat uns geschaffen als aktive Wesen. Er wollte nicht das einzige schöpferische Wesen bleiben, sondern wir sollten Anteil haben an seiner Kreativität. Und das bleibt auch dann richtig, wenn Menschen diese Kreativität missbrauchen, wenn sie Gift und Bomben erfinden und mit ihrer kaputten Kreativität das Leben bedrohen. Das menschliche Tun pauschal madig zu machen, oder auch das menschliche Nachdenken und Planen madig zu machen, das ist keine Lösung, sondern das macht alles noch schlimmer.
Natürlich kann man sagen, dass der Mensch ein Werkzeug in Gottes Hand sein soll, aber dann bitte nicht so, wie ein Hammer Werkzeug ist (der ist wirklich passiv), sondern mindestens so, wie ein Bauer mit einem Pferd ein Feld pflügt: das ist überhaupt nicht passiv, sondern kann durchaus seinen sehr eigenen Willen haben.
Und eigentlich würden wir auch ein Tier nur im übertragenen Sinn ein »Werkzeug« nennen, und einen Menschen erst recht. Ein Mensch ist auf jeden Fall ein denkendes, aktives »Werkzeug«. Und deshalb gehen auch diese bekannten Glaubenssätze von Bonhoeffer über Gottes Kraft weiter. Er sagt nicht nur:
»Ich glaube, dass Gott aus allem, auch aus dem Bösesten, Gutes entstehen lassen kann und will.«
Sondern er fährt fort:
»Dafür braucht er Menschen, die sich alle Dinge zum Besten dienen lassen.«
Und etwas später sagt er:
»Ich glaube, dass Gott kein zeitloses Fatum ist, sondern dass er auf aufrichtige Gebete und verantwortliche Taten wartet und antwortet.«
Das ist die Lösung: Menschen und Gott nicht als Konkurrenten (wo einer etwas tut, hat der andere keinen Platz), sondern als Verbündete, die das gleiche Interesse haben und gemeinsam die Welt in Ordnung bringen. Ja, Gott wartet auf unsere Reaktionen, auf Gebete ebenso wie auf Taten. Der Heilige Geist verdrängt nicht den menschlichen Geist, sondern er arbeitet mit ihm zusammen, und man kann das überhaupt nicht sauber auseinander nehmen. Es ist nicht so, dass wir erst ganz normal unser Tagewerk machen, den Computer bedienen, die Wäsche bügeln, zur Schule gehen und den Hund ausführen, und auf einmal fallen wir in eine Art geistliche Trance, unser Alltagsbewusstsein schaltet ab und der Heilige Geist übernimmt das Kommando, lässt uns freundlich sein, beten, bringt uns in den Gottesdienst, und wir gehen fröhlich nach Hause. Aber da herrscht das Chaos, der Hund hat die Wäsche gefressen, und da klinkt sich der Heilige Geist schnell aus, und wir machen wieder weiter im Alltagsmodus und hauen erst mal kräftig auf den Putz.
Nein, der Heilige Geist schleicht sich irgendwie in unseren Alltagsmodus ein und steuert ihn behutsam um – wenn wir ihn lassen. Es ist ein von uns nicht durchschaubares Ineinander. Deshalb: wenn wir alle menschlichen Aktivitäten madig machen, dann machen wir damit auch das Werk des Heiligen Geistes in uns madig.
Wenn nun ein Mensch meint, er könne ja ruhig Gott Probleme bereiten, er könne sündigen, egal ob die Sünde nun Stolz, Habgier, Unmäßigkeit oder Faulheit ist, und er würde ja damit Gott eine prima Gelegenheit geben, seine Macht zu beweisen, indem er mit all diesen Sünden fertig wird – was zeigt ein Mensch damit? Er zeigt damit nur, dass er eben kein Verbündeter Gottes ist, dass er nicht für die Erneuerung und Heilung der Welt brennt, so wie Gott es tut, er zeigt damit nur seine Gleichgültigkeit gegenüber dem innersten Anliegen Gottes.
Wir sind aber nicht dazu berufen, gemütlich bei Kaffee und Torte zuzuschauen, wie Gott an der Arbeit ist, sondern wir sind berufen, als seine Verbündeten mit vollem Herzen dabei zu sein. Wir sollen nicht neunmalkluge Zuschauer auf der Tribüne sein, sondern aus vollem Herzen motivierte Spieler auf dem Feld. Dass wir dabei Fehler machen und Gott uns korrigieren muss, das ist klar, aber das ist dann tatsächlich das Problem, das wir Gott überlassen können. Unseren falschen Kurs kann er korrigieren. Aber man kann einen Kurs nur korrigieren, wenn das Schiff in Fahrt ist. Wenn es einfach nur daliegt, dann kannst du am Rad drehen, wie du willst, und es passiert nichts.
Wir aber sollen bewegt sein, wir sollen Gottes Last auf uns nehmen, wir sollen seine Leidenschaft für die Welt teilen, wir sollen dabei sein aus vollem Herzen, mit all unseren Kräften (einschließlich des Verstandes) und mit ganzer Seele. Dann kann Gott etwas mit uns anfangen. Das ist es, worauf er wartet.