Ein Immunsystem gegen Wölfe im Schafspelz
Predigt am 15. Oktober 2017 zu Matthäus 7,15-23 (Predigtreihe Bergpredigt 14)
15 Seht euch vor vor den falschen Propheten, die in Schafskleidern zu euch kommen, inwendig aber sind sie reißende Wölfe. 16 An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen. Kann man denn Trauben lesen von den Dornen oder Feigen von den Disteln?
17 So bringt jeder gute Baum gute Früchte; aber ein fauler Baum bringt schlechte Früchte. 18 Ein guter Baum kann nicht schlechte Früchte bringen und ein fauler Baum kann nicht gute Früchte bringen. 19 Jeder Baum, der nicht gute Früchte bringt, wird abgehauen und ins Feuer geworfen. 20 Darum, an ihren Früchten sollt ihr sie erkennen.
21 Es werden nicht alle, die zu mir sagen: Herr, Herr!, in das Himmelreich kommen, sondern die den Willen tun meines Vaters im Himmel. 22 Es werden viele zu mir sagen an jenem Tage: Herr, Herr, haben wir nicht in deinem Namen geweissagt? Haben wir nicht in deinem Namen Dämonen ausgetrieben? Haben wir nicht in deinem Namen viele Machttaten getan?
23 Dann werde ich ihnen bekennen: Ich habe euch nie gekannt; weicht von mir, die ihr das Gesetz übertretet!
Die Welt ist kompliziert. Menschen sind anders, als sie auf den ersten Blick erscheinen. Menschen bemühen sich, nach außen ein Bild von sich zu vermitteln, das vielleicht gar nicht stimmt. In so ziemlich jedem Krimi gibt es erst einen dringend Verdächtigen, dem man alles mögliche zutraut, und am Ende ist jemand ganz anderes der Mörder, irgendeine Randfigur, die man kaum beachtet hat, oder jemand, der anfangs ganz harmlos harmlos und freundlich wirkte. Und das ist nicht nur in Krimis so. Die Welt ist kein Ponyhof. Um sie zu verstehen, musst du gut hinschauen.
Das war zu Jesu Zeit nicht anders. Sonst müsste er nicht davon reden, dass es Menschen wie Wölfe gibt, die versuchen, sich nach außen mit einer harmlosen Verkleidung zu tarnen. Hier, fast am Ende der Bergpredigt, gibt Jesus einige abschließende Hinweise, und wir alle wissen, dass man am Ende noch einmal das sagt, was einem besonders am Herzen liegt.
Schaut genau hin!
Und sein Anliegen in diesen Versen ist: schaut genau hin! Zieht in Betracht, dass ihr es mit verkleideten Wölfen zu tun haben könntet, die rauben und fressen möchten, die sich von der Lebenskraft anderer ernähren. Denkt nicht: ach, unter uns macht das doch keiner, und man darf den Menschen doch nicht so was Böses zutrauen!
Da, wo ich ursprünglich herkomme, hatten wir eine kirchliche Jugendgruppe, und wie das in Jugendgruppen so ist: irgendwann gehen die Älteren weg, um woanders zu lernen oder zu arbeiten, und oft kommt dann kein Nachwuchs nach. Bei uns war das anders. Als die Gründergeneration ging, gab es eine neue, sehr engagierte zweite Generation. Weil ich auch zu den Älteren gehörte, habe ich das nicht mehr selbst erlebt, sondern nur erzählt bekommen. Jedenfalls fand sich ein überzeugender Leiter, der allen das Gefühl gab, bei einer enorm wichtigen Sache dabei zu sein. Jede Kirchengemeinde würde sich die Finger lecken nach so engagierten Jugendlichen.
Das Dumme war nur, dass sich irgendwann herausstellte, dass eins der Mädchen von ihm schwanger war. Und anschließend kam heraus, dass er nicht nur mit diesem Mädchen, sondern mit so ziemlich allen Mädchen aus der Gruppe heimlich Beziehungen gehabt hatte.
Schutz vor Schädigung
Das ist natürlich ein besonders krasses Beispiel, aber solche Sachen gibt es. Manchmal stehen sie in der Zeitung, weil Prominente beteiligt sind, manchmal passieren sie zwischen ganz normalen Leuten. Vor allem sind sie auch nicht immer so klar, wie in dem Fall, den ich erzählt habe. Nicht jedes Mal wird jemand schwanger, weil ein Wolf im Schafspelz sich in einer Gruppe, einer Klasse, einem Betrieb oder einer Kirchengemeinde Opfer sucht. Manchmal werden Menschen davon einfach nur deprimiert oder entmutigt, manchmal kann eine Organisation einfach nur ihre Aufgabe nicht gut erfüllen, weil es zu viel internen Streit und Ärger gibt. Manchmal führt das zu katastrophalen Entwicklungen in der Politik, manchmal vergiftet es einfach nur das Klima in einer Familie oder in der Nachbarschaft. Aber das ist schlimm genug. Menschen können für ihr Leben geschädigt werden, wenn sie ahnungslos in die Gewalt eines menschlichen Raubtiers fallen und nicht gelernt haben, sich zu wehren.
Jesus fordert uns deshalb auf, eine Art Immunsystem zu entwickeln, das uns vor so etwas schützt. Eine Kultur, die Menschen hilft, rechtzeitig aufmerksam zu werden, wenn jemand auf Kosten anderer lebt. Ein Frühwarnsystem. Ein Gespür dafür, dass da etwas nicht stimmt. Und die Bereitschaft, auf das eigene komische Gefühl zu hören und ihm nachzugehen, ob es berechtigt ist oder ein falscher Eindruck. Das Dumme ist ja eben, dass die Bösen nicht daran zu erkennen sind, dass sie grimmig gucken oder einen ungepflegten Eindruck machen.
Niemandem bleibt es erspart zu urteilen
Deswegen ist es die dümmste Art zu urteilen, wenn man sich an äußerlich Merkmalen orientiert und Menschen danach beurteilt, ob sie gepflegt oder ungepflegt sind, alt oder jung, Männer oder Frauen, Einheimische oder Ausländer, Bayern oder Ostfriesen, und sie danach bewertet. Jesus sagt stattdessen: schaut euch ihre Früchte an. Was ist um sie herum? Blühen um ihn herum Menschen auf? Werden Menschen mutig, frei und zuversichtlich? Was fördert jemand in anderen: ihre besten Seiten, oder ihre problematischen Seiten? Schmeichelt einer seinen Mitmenschen, redet er doppelzüngig? Hat er stabile, lebendige Beziehungen, die lange halten, oder wechslt er dauernd seine besten Freunde und produziert dauernd Krach und Ärger um sich herum? Hilft jemand nur, um andere von sich abhängig zu machen? Kann er Frustrationen ertragen? Wie reagiert sie in Krisensituationen?
Ich könnte noch viele solcher Fragen nennen, und Ihnen würden bestimmt auch noch ganz andere einfallen. Manchmal liegt die problematische Seite eines Menschen sehr offen zu Tage, aber manchmal hat er auch gelernt, sie gut zu tarnen. Der Schafspelz eben. Es gibt nicht den einen Punkt, an dem man ablesen kann, wes Geistes Kind jemand ist. Gut, oft sagt der Umgang mit Sex und Geld schon eine ganze Menge. Aber es gibt auch Wölfe, die da eine ganz weiße Weste haben. Es hilft nichts: du musst gut hinschauen und dir am Ende ein Urteil bilden. Du musst es riskieren, vielleicht falsch zu liegen und jemand vielleicht sogar Unrecht zu tun. Aber das ist besser, als wenn wir gar kein Immunsystem haben, das uns beschützt.
Nicht wegsehen
Deswegen sagt Jesus: achtet darauf! Glaubt nicht, dass alle in eurer Umgebung anständige Leute sind, unter denen so etwas nicht vorkommt. Übt euer Urteilsvermögen. Wie bei allen Fähigkeiten lernt man auch hier nur durch Übung. Aber man muss das wollen. Und es ist nicht angenehm, wenn man zu dem Schluss kommt, dass ein angesehener Mensch ein Wolf im Schafspelz ist. Dann muss man nämlich kämpfen, und das macht den meisten von uns keinen Spaß.
Jesus spitzt das noch einmal zu im Blick auf die Bewegung, die er gründet, und aus der dann die Kirche hervorgegangen ist. Er sagt: auch religiöse Verhaltensweisen sind keine Gewähr dafür, dass jemand vertrauenswürdig ist. Es kann jemand zu Jesus sagen »Du bist mein Herr! Mein Leben gehört dir!«, und trotzdem seine christlichen Brüder und Schwestern auf viele Arten runterziehen. Das heißt andersherum nicht, dass die Frommen alle Heuchler sind. Aber selbst wenn jemand erstaunlich Taten vollbringt und sogar Wunder im Namen Jesu tut, ist das keine Gewähr dafür, dass man ihm oder ihr blind vertrauen kann. Falsche Propheten sind Menschen, die scheinbar aus starker geistlicher Vollmacht reden, aber in Wirklichkeit Blender sind. Ja, die gibt es genauso wie echte Propheten, die im Namen Gottes Wahrheit reden.
Die Bibel simplifiziert nicht
Es wird langsam eintönig, aber ich komme immer wieder zum gleichen Punkt zurück: die Welt ist kompliziert, und wir brauchen ein geübtes Urteilsvermögen. Als Einzelne ebenso wie als Gemeinschaft. Ich finde gerade das Überzeugende an Jesus, aber überhaupt an der ganzen Bibel, dass er das Leben so kompliziert darstellt, wie es tatsächlich ist. Jesus hat gesagt: verurteilt niemanden, und er hat gesagt: bewahrt euch ein klares Urteil, nennt Wölfe auch Wölfe. Viele wollen nur eine Seite davon hören, die einen diese und die anderen jene. Aber Jesus sagt uns beides. Das ist kein Widerspruch. Bei Jesus kommen solche auf den ersten Blick widersprüchliche Worte aus einer einheitlichen Quelle. Denn je mehr jemand Anschluss an Gottes großes Leben hat, um so weniger muss er andere runtermachen, um sich selbst groß zu fühlen. Aber um so schneller merkt er es auch, wenn jemand auf Kosten anderer lebt. Und um so selbstverständlicher ist es dann für ihn, jede Art von Missbrauch oder Ausbeutung zu erkennen und zu stoppen.
Jesus hat uns ja Bilder gegeben, die uns helfen, diese Mechanismen zu verstehen. Ein Wolf frisst keinen Spinat, er will Blut. Blut ist in der Bibel der Träger der Lebenskraft. Ein menschlicher Wolf ist also jemand, der sich von der Lebenskraft anderer ernährt. Das ist genau das Gegenteil von Jesus, der sein Blut, also seine Lebensenergie, für andere gegeben hat.
Wie fließt die Lebensenergie?
Wenn wir nach Wölfen im Schafspelz Ausschau halten, dann müssen wir also die Energieflüsse prüfen. Ein bisschen ist das so wie im Krimi, wenn die Kommissare die Konten der Verdächtigen überprüfen. Geld ist ja in unserer Gesellschaft eins der wichtigsten Mittel, um Energie vom einen zum anderen zu übertragen. Aber es gibt noch viele andere Wege, wie Energie vom einen zum anderen fließt. Das kann passieren durch Anerkennung und Lob, aber auch durch Beschimpfen oder Ignorieren. Es geschieht durch Furcht ebenso wie durch Liebe, durch Freundlichkeit ebenso wie durch Lüge. Durch Gesetze und Verträge ebenso wie durch Wahlen und Medien. Durch Kunst ebenso wie durch Handelsgeschäfte. Durch Tun genauso wie durch Unterlassen. Immer tauschen wir Lebensenergie aus. Manche dieser Wege sind sehr transparent, und manche sind sehr verborgen. Meistens durchschauen auch die Beteiligten selbst nicht alle Einzelheiten.
Aber wir sollen lernen, das möglichst gut zu verstehen, weil hier der grundlegende Unterschied zu finden ist: Gott hat seine Schöpfung auf Geben und Schenken aufgebaut. Jeder Teil der Schöpfung dient allen anderen. Jeder Zerstörer handelt stattdessen nach dem Prinzip des Nehmens und Raubens. Geben und Schenken oder oder Nehmen und Rauben, das ist der entscheidende Punkt. Wölfe im Schafspelz tun so, als ob sie der Welt ganz viel geben würden, aber in Wirklichkeit behandeln sie die Welt und die Menschen als ihre Beute.
Wenn wir den schenkenden und segnenden Gott kennen, das ist die beste Voraussetzung, dass wir uns nicht von denen einlullen lassen, die rauben und Lebenskraft aussaugen. Und dann können wir auch zum Schutz für alle werden, die unter Missbrauch und Ausbeutung jeder Art leiden und denen sonst keiner helfen will.