Die Propheten-Imitatoren und das Wort Gottes
Predigt am 18. Juni 2017 zu Jeremia 23,16-29
16 So spricht der Herr der Heere: Hört nicht auf die Worte der Propheten, die euch weissagen. Sie betören euch nur; sie verkünden Visionen, die aus dem eigenen Herzen stammen, nicht aus dem Mund des Herrn. 17 Immerzu sagen sie denen, die das Wort des Herrn verachten: Das Heil ist euch sicher!; und jedem, der dem Trieb seines Herzens folgt, versprechen sie: Kein Unheil kommt über euch.
18 Doch wer hat an der Ratsversammlung des Herrn teilgenommen, hat ihn gesehen und sein Wort gehört? Wer hat sein Wort vernommen und kann es verkünden? 19 Hört, der Sturm des Herrn [sein Grimm] bricht los. Ein Wirbelsturm braust hinweg über die Köpfe der Frevler. 20 Der Zorn des Herrn hört nicht auf, bis er die Pläne seines Herzens ausgeführt und vollbracht hat. Am Ende der Tage werdet ihr es klar erkennen.
21 Ich habe diese Propheten nicht ausgesandt, dennoch laufen sie; ich habe nicht zu ihnen gesprochen, dennoch weissagen sie. 22 Hätten sie an meiner Ratsversammlung teilgenommen, so könnten sie meinem Volk meine Worte verkünden, damit es umkehrt von seinem schlechten Weg und von seinen bösen Taten.
23 Bin ich denn ein Gott aus der Nähe – Spruch des Herrn – und nicht vielmehr ein Gott aus der Ferne? 24 Kann sich einer in Schlupfwinkeln verstecken, sodass ich ihn nicht sähe? – Spruch des Herrn. Bin nicht ich es, der Himmel und Erde erfüllt? – Spruch des Herrn.
25 Ich habe gehört, was die Propheten reden, die in meinem Namen Lügen weissagen und sprechen: Einen Traum habe ich gehabt, einen Traum. 26 Wie lange noch? Haben sie denn wirklich etwas in sich, die Propheten, die Lügen weissagen und selbst erdachten Betrug? 27 Durch ihre Träume, die sie einander erzählen, möchten sie meinen Namen in Vergessenheit bringen bei meinem Volk, wie ihre Väter meinen Namen wegen des Baal vergessen haben. 28 Der Prophet, der einen Traum hat, erzählt nur einen Traum; wer aber mein Wort hat, der verkündet wahrhaftig mein Wort. Was hat das Stroh mit dem Korn zu tun? – Spruch des Herrn. 29 Ist nicht mein Wort wie Feuer – Spruch des Herrn – und wie ein Hammer, der Felsen zerschmettert?
Wenn Gott Propheten schickt, die vor einem Weg in den Abgrund warnen, dann gibt es genauso einen Haufen von Propheten-Imitatoren, die im Chor rufen: weiter so! Alles ist gut, Gott steht uns zur Seite, kein Grund zur Beunruhigung! Und der Chor dieser einlullenden Stimmen ist in der Regel viel lauter als die beunruhigende Stimme Gottes im Munde seiner echten Propheten.
Wer am letzten Sonntag hier war, der erinnert sich vielleicht noch, dass wir da auf Worte des Propheten Jesaja gehört haben. Jesaja warnte davor, die Großmacht aus dem Norden herauszufordern – das waren die Assyrer, mit denen nicht zu spaßen war. Jeremia lebte gut 100 Jahre später, und die Krise hatte sich immer mehr zugespitzt. Jetzt waren die Babylonier die benachbarte Großmacht, und auch die verstanden keinen Spaß, wenn man ihnen keinen Tribut bezahlte. Aber die Kriegspartei in Jerusalem glaubte, man könne ruhig mal die Muskeln spielen lassen. Schließlich stand in Jerusalem der Tempel des Herrn, man glaubte Gott auf seiner Seite zu haben, und für alle Fälle hatte Jerusalem ziemlich dicke Mauern und ließ sich gut verteidigen.
Propaganda geht auch ohne Religion
Wir leben heute in einer Zeit, wo das nur wenige sagen würden: Gott ist auf unserer Seite, deshalb wird uns nichts passieren. Heute kommt die »Weiter so«-Propaganda meistens ohne die Berufung auf Gott aus. Weil unser Denken weniger religiös geworden ist, deshalb werden Menschen jetzt meistens ohne Gott in Sicherheit gewiegt.
Was damals die Propheten-Imitatoren waren, das sind heute die Wirtschaftsweisen oder die Kommentatoren in den Medien, das sind die Spin-Doktoren: kluge Leute, die bei Stiftungen oder Parteien oder irgendwelchen Instituten angestellt sind, damit sie im Hintergrund Deutungsmuster ausspinnen, die wir dann später in Kommentaren oder Talkshows hören oder lesen, und die uns meistens sagen: ja, es wird schon zu machen sein, es ist schwierig, aber irgendwie kriegen wir das hin, keine Sorge! Ja, es gibt Probleme, wir brauchen Reformen, aber wir sind auf dem richtigen Weg.
Das Problem dabei ist damals wie heute, dass man erst im Nachhinein weiß, wer Recht gehabt hat. Im Rückblick ist klar, dass Jeremias Warnungen völlig berechtigt waren. Er hat es noch erlebt, wie die Katastrophe über Jerusalem hereingebrochen ist und das Volk in die Gefangenschaft in Babylon verschleppt wurde, genau so, wie er es immer wieder vorausgesagt hatte. Und große Teile der Bibel sind aus dieser Perspektive zusammengestellt worden, dass die Worte Jesajas, Jeremias und all der anderen Propheten sich als wahr erwiesen haben.
Augenblicke der Wahrheit
Vielleicht gibt es das ja auch bei uns eines Tages mal, dass im Rückblick geschaut wird: wer hat eigentlich immer den Klimawandel geleugnet oder verharmlost? Wer hat dafür gesorgt, dass immer mehr Lebensbereiche kommerzialisiert worden sind, dass das Kapital immer weniger kontrolliert wird?
England hat jetzt so einen Moment erlebt, bei diesem schrecklichen Hochhausbrand, dass Menschen ins Nachdenken kommen und sagen: kann es denn richtig sein, wenn wir alle stattlichen Kontrollen abschaffen und alles den Märkten überlassen? Kann man denn den Schutz vor Bränden vom Geldbeutel der Bewohner abhängig machen? Der Staat ist doch dafür da, um die Ärmsten zu schützen. Die Reichen kümmern sich schon selbst um ihre Gewinne.
Und jetzt ist die Frage: werden die Menschen bei diesem Moment der Wahrheit bleiben, werden sie weiterdenken, werden sie wach, ziehen sie Konsequenzen, wählen sie in Zukunft anders, oder lassen sie sich doch wieder ruhigstellen von einschläfernden Kommentaren und blödsinnigen Fernsehshows?
Zeiten der Unklarheit
Auch in Israels Geschichte hat es häufig solche Momente der Wahrheit gegeben, Warnungen, dass sie auf einem riskanten Weg sind. Aber immer wieder haben sie die Augen davor verschlossen, und die Propheten-Imitatoren haben kräftig dazu beigetragen. Und natürlich können Menschen die Warnsignale zur Seite schieben, und so schnell kommt die Katastrophe ja auch nicht. Von Jesaja über Jeremia bis zur endgültigen Katastrophe hat es über 100 Jahre gedauert, und zwischendurch ist es immer wieder noch mal gut gegangen. Wenn man aus dem 100. Stock eines Hochhauses fällt, dann ist nach 99 Stockwerken auch immer noch alles in Ordnung.
Im Rückblick ist alles immer viel klarer als vorher, wenn man mitten im verwirrenden Durcheinander von Stimmen steckt. Was da von Gott ist und was Propaganda ist, das ist nicht von vornherein klar zu erkennen. Und dann ist die Versuchung groß, zu sagen: da blicke ich sowieso nicht durch. Das ist alles viel zu kompliziert. Mein armer Kopf darf nicht so belastet werden. Lasst uns in den Zoo gehen oder grillen oder Katzenbilder posten oder Musik hören oder was auch immer.
Ein Buch, um durchzublicken
Aber die Bibel ist geschrieben worden, damit wir vor dem verwirrenden Durcheinander der vielen Botschaften nicht kapitulieren, sondern damit wir die Stimme Gottes da heraushören können. Wir sollen das Muster kennen, das sich in der beispielhaften Geschichte Israels als wahr erwiesen hat. Israel ist in die große Katastrophe geschlittert, damit wir davon lernen und uns so eine Katastrophe erspart bleibt. Man muss nicht immer wieder den gleichen Fehler machen. Man kann auch lernen. Gelegenheiten gibt es genug. Aber nicht alle nutzen sie.
Vorhin in der Evangelienlesung haben wir ja auch so eine Geschichte gehört (Lukas 16,19-31), mit dem reichen Mann, der den armen Lazarus vor seiner Tür verhungern lässt, so wie Europa Tausende Flüchtlinge an seinen Grenzen krepieren lässt, und Jesus sagt: wenn sie Mose und die Propheten nicht hören und sich davon nicht warnen lassen, dann werden sie sich auch nicht warnen lassen, wenn einer von den Toten aufersteht. Es gibt eine Verschlossenheit gegen Gott, die auch das ultimative Wunder nicht aufbrechen kann.
Man kann sich aber auch mit der Handschrift Gottes so vertraut machen, dass man sie überall wiedererkennt, dass man Gottes Stimme auch aus großem Lärm heraushören kann. Dazu sollen wir die Bibel lesen und studieren, damit wir nicht nur ein verwirrendes Durcheinander hören und ratlos davorstehen. Diese Fähigkeit, zu durchschauen und zu erkennen heißt im Neuen Testament die »Unterscheidung der Geister«. Es ist die Unterscheidung zwischen Wahrheit und Lüge, zwischen Gottes Ruf zur Freiheit und der Propaganda des Status Quo.
Erfinderische Propheten-Imitatoren
Die Schwierigkeit dabei ist, dass man nicht klare Inhalte angeben kann, was richtig ist und was falsch. Das ginge auch gar nicht, weil das dann ja über Tausende von Jahren immer gleich bleiben müsste. Aber Propheten-Imitatoren sind erfinderisch. Mal verteidigen sie die Ordnung, mal spielen sie den Rebellen. Mal machen sie den Leuten Angst, ein andermal wiegen sie sie in Sicherheit. Sie können als Moralapostel auftreten, sie können aber auch verkünden: tu, was dir gefällt. Auch falsche Propheten können zur Umkehr aufrufen, z.B. zur Rückkehr zu den alten Werten. Die wissen, wie man Nebelkerzen schmeißt. Du kannst sie nicht an bestimmten Formulierungen oder Vorlieben erkennen, die wechseln immer wieder mal.
Aber wenn du Gott kennst, wenn du mit Jesus vertraut bist, dann merkst du, dass da was nicht stimmt. Echte Liebe und Solidarität mit Menschen ist ganz schwer zu imitieren, obwohl es auch da viele Versuche gibt. Wenn du gut hinschaust, dann merkst du den Unterschied. Manchmal muss man auch nur ein bisschen warten, bis sich herausstellt, wes Geistes Kind einer ist.
Jeremia nennt als Kriterium, ob jemand »in Gottes Rat dabei gewesen« ist, ob er also mit Gottes Gedanken vertraut ist. Es ist wichtig zu wissen, ob jemand überhaupt selbst der Meinung ist, dass seine Worte von Gott sind, oder ob er einfach nur Stimmungen aus seinem Innern verbreitet. Wir erleben ja immer wieder Menschen, die aus ihrem Bauchgefühl heraus etwas ganz fest behaupten. Aber ein Bauchgefühl kann einen ziemlich in die Irre führen. Jedes Bauchgefühl ist von den Verstrickungen und Irrungen unseres Herzens beeinflusst; unser Verstand ist dagegen aber auch nicht immun.
Das kreative Wagnis des Urteilens
Liebe Freunde, es wäre alles einfacher, wenn Gott uns ein paar klare Punkte gegeben hätte und gesagt hätte: wenn einer das und das sagt, dann ist er ok, und wenn er das und das sagt, dann spricht der Verführer aus ihm. Aber so einfach funktioniert das eben nicht. Es gibt einen Haufen Kriterien, aber bei keinem davon sind wir automatisch auf der sicheren Seite. Prinzipiell kannst du immer falsch liegen. Unterscheidung der Geister ist und bleibt ein Wagnis, aber noch viel gefährlicher ist es, wenn wir aus lauter Bescheidenheit (oder Bequemlichkeit) gar nicht mehr den Mut zum verantwortlichen Urteil haben. Wenn wir nicht mehr urteilen, weil wir ja niemanden verurteilen wollen, dann sind wir jedem Propagandisten hilflos ausgeliefert.
Und es geht ja nicht um irgendwelche Geschmacksfragen. Ob das Volk und die Entscheidungsträger damals Jeremia geglaubt haben oder den Propheten-Imitatoren, das war eine politische Frage auf Leben und Tod. Das ist bis heute so.
Gottes Wahrheit setzt sich durch
Nachdem ich von den Schwierigkeiten gesprochen habe, muss ich nun aber auch sagen: so schlecht sieht es gar nicht aus. Wir wissen sehr viel über Gott. Jesus verkörpert Gottes Willen noch viel klarer, als man ihn bei den alten Propheten findet. Zusammen sind sie wirklich ausreichend, um sich nicht an der Nase rumführen zu lassen. Wir müssen uns nur darin üben, die Unterscheidung der Geister zu praktizieren. Das lernt man nicht im Schnellkurs. Aber die Wahrheit Gottes hat sich am Ende doch immer wieder behauptet gegen Nebelkerzen und Propaganda.
Gottes Wort ist wie ein Hammer, der Felsen zerschmettert, sagt Jesaja. Gottes Reden hat das Gewicht der Wahrheit. Es setzt sich durch. Es wird am Ende von der Realität bestätigt. Gottes Wort formt die Welt.
Aber die Frage ist, ob wir bereit sind, uns von ihm formen zu lassen, ob wir geübte Unterscheider werden wollen, ob das unser Ziel ist: Menschen sein, denen nichts anderes wichtig ist als der Wille Gottes, und die mit Gottes Gedanken so vertraut sind, dass sie für die Pseudo-Propheten nur ein müdes Lächeln übrig haben.