Was nicht funktionalisiert werden darf
Predigt am 28. Mai 2017 zu Matthäus 6,1-6 (Predigtreihe Bergpredigt 7)
Jesus sprach: 1 Hütet euch, eure Frömmigkeit vor den Menschen zur Schau zu stellen! Sonst habt ihr von eurem Vater im Himmel keinen Lohn mehr zu erwarten.
2 Wenn du zum Beispiel den Armen etwas gibst, lass es nicht vor dir her mit Posaunen ankündigen, wie es die Heuchler in den Synagogen und auf den Gassen tun, um von den Leuten geehrt zu werden. Ich sage euch: Sie haben ihren Lohn damit schon erhalten. 3 Wenn du den Armen etwas gibst, soll deine linke Hand nicht wissen, was die rechte tut. 4 Was du gibst, soll verborgen bleiben. Dann wird dein Vater, der ins Verborgene sieht, dich belohnen.
5 Und wenn ihr betet, macht es nicht wie die Heuchler, die sich zum Gebet gern in die Synagogen und an die Straßenecken stellen, um von den Leuten gesehen zu werden. Ich sage euch: Sie haben ihren Lohn damit schon erhalten. 6 Wenn du beten willst, geh in dein Zimmer, schließ die Tür, und dann bete zu deinem Vater, der ´auch` im Verborgenen ´gegenwärtig` ist; und dein Vater, der ins Verborgene sieht, wird dich belohnen.
Dieser Abschnitt der Bergpredigt hat leider in der Neuzeit eine durchaus problematische Wirkung entfaltet. Jesus hat diese Worte in einer Gesellschaft gesprochen, wo die Menschen ganz selbstverständlich religiöse Handlungen vorgenommen haben: sie haben gebetet, sie haben aus religiösen Gründen Arme unterstützt, und sie haben gefastet, wovon Jesus auch noch sprechen wird. Und auch Jesus hat das getan, ganz selbstverständlich, auch öffentlich in der Synagoge oder im Tempel.
Modernes Missverständnis
Wir leben jetzt aber in der modernen Zeit, wo alles Religiöse überhaupt nicht selbstverständlich ist, und da hat ausgerechnet diese Stelle in der Bergpredigt dazu beigetragen, dass jede Art von Frömmigkeit automatisch unter dem Generalverdacht der Heuchelei steht. Und wenn man da herausliest, dass man eigentlich nur im stillen Kämmerlein was mit Gott zu tun haben dürfte, dann sorgt das für die Verbannung Gottes aus der Öffentlichkeit und spielt denen in die Hände, die ein dringendes Interesse daran haben, dass Gott sich aus ihren Geschäften heraushält und sie nicht stört. Dabei kannst du heute eh keinen Blumentopf mehr damit gewinnen, wenn du sonntags zur Kirche gehst – und das sieht auch keiner, weil da die meisten sowieso noch schlafen oder gerade erst aufwachen.
Also, diese Verse sollen nicht dazu beitragen, dass Menschen in ihrer religiösen Praxis noch mehr verunsichert werden. Sie sollen dazu beitragen, dass unser Verhältnis zu Gott der Kern unserer Person bleibt und nicht in Randbereiche abgedrängt wird. Gerade weil es so wichtig ist.
Alles, was uns mit Gott verbindet, das soll auch wirklich dieser Aufgabe dienen und keinen anderen Zweck haben. Die Übersetzung, die ich vorgelesen habe, beginnt mit dem Satz »Hütet euch davor, eure Frömmigkeit zur Schau zu stellen«. Wörtlich steht im Original aber nicht »Frömmigkeit«, sondern »Gerechtigkeit«: »Achtet auf eure Gerechtigkeit, dass ihr sie nicht tut vor den Menschen, um von ihnen gesehen zu werden!« Gerechtigkeit bedeutet aber in der Bibel zuerst: die Verbindung mit Gott zu halten. Dem Bund mit ihm treu zu bleiben. Zu beten und den Armen zu geben, das sind Mittel, um dieses Verhältnis zu Gott lebendig zu halten. Das soll so geschützt bleiben, dass andere da nicht mitreden können.
Raum, um Mensch vor Gott zu sein
Das war ziemlich schwierig in einer Gesellschaft, wo man die meiste Zeit mit anderen zusammen war, und wo Menschen gewohnt waren, dem Familienoberhaupt das Denken zu überlassen. Aber Jesus wollte, dass jeder Mensch seinen eigenen verborgenen Raum hat, wo er mit Gott allein ist – auch die letzte Sklavin, die das Geschirr spült und Kartoffeln schält. Dafür sind die religiösen Übungen da: dass bei uns ein Raum entsteht und gestärkt wird, in dem wir mit Gott allein sind, ohne dass die Erwartungen anderer eine Rolle spielen, ohne dass andere auch nur indirekt mitreden. Der Raum, wo du nicht überlegen musst: was denken die von mir, wenn ich so bete? Kann ich das sagen, ohne dass es Probleme gibt? Finden die mich toll mit meinen berührenden Formulierungen? Nur vor Gott können wir wirklich ganz so reden, wie uns der Schnabel gewachsen ist.
Bei uns heute ist es wahrscheinlich die Wohltätigkeit, die am meisten für Öffentlichkeitswirkung missbraucht wird. Jeden Tag steht in der Zeitung, wie Firmen, Gemeinschaften oder Einzelne für irgendeinen guten Zweck spenden. Und oft ist das auch der Hauptzweck der Spende: wieder mal in die Zeitung zu kommen. Das ist nicht verboten, und die meisten würden ja auch gar nicht sagen, dass sie das für Gott tun, aber das ist dann tatsächlich ein Feld, auf dem Menschen auch wenig Erfahrungen mit Gott machen können, weil es ganz offensichtlich um andere Dinge geht. Vermutlich erleben sie es trotzdem, dass es etwas Gutes ist, anderen zu helfen, und dass das irgendwie auch zu einem zurückkommt. Aber je wichtiger die Öffentlichkeitswirkung ist, um so schwerer haben es die eigentlichen Segnungen von guten Taten.
Erfahrungen mit Gott und Geld
Denn tatsächlich ist das Geben und Schenken einer der Bereiche, wo man wichtige Erfahrungen machen kann, die das Vertrauen in Gott ungemein stärken. Nur ist es gar nicht so einfach, darüber im größeren Kreis zu reden; gerade, wenn man es richtig gemacht hat, kann man es nicht ausposaunen. Ich glaube aber, dass ich heute davon erzählen kann, wie es uns als Gemeinde damit mal gegangen ist.
Wir hatten ja im vergangenen Jahrzehnt das Kirchenasyl, das insgesamt sechs Jahre gedauert hat. Hätten wir vorher gewusst, dass das so lange dauern würde, ich glaube, wir hätten uns da nicht rangetraut. Aber zum Glück weiß man das ja vorher meistens nicht. Und wir haben vorher auch nicht geahnt, wieviel Geld das kosten würde, den Unterhalt einer fünfköpfigen Familie so lange aufzubringen. Aber das Geld ist zusammengekommen. Das ist schon mal eine wichtige Sache, die wir gelernt haben, dass Gott und seine Leute einiges aufbringen, wenn es darauf ankommt. Im Ernstfall. Wenn man Christsein bloß als Freizeitbeschäftigung begreift, macht man solche Erfahrungen nicht. Dafür muss man sich schon auf solche Ernstfälle einlassen und Gott etwas zutrauen.
Ein unerwartetes Geschenk
Was mich aber am meisten beeindruckt hat, war Folgendes: als das Kirchenasyl schließlich sein glückliches Ende gefunden hatte, überlegten wir, wie es mit dem Raum weitergehen sollte, in dem die kurdische Familie so lange gelebt hatte. Wir haben im Kirchenvorstand eine Zeitlang überlegt, und am Ende ist das der Gartenraum geworden, der nach meinem Eindruck heute der schönste Raum im Gemeindehaus ist. Der Umbau war nicht einfach, er zog sich hin, er war teuer, und wir konnten es auch nur machen, weil wir das Geld dafür vom Kirchenkreis bekamen. Und als ich am Ende zusammenzählte, da sah ich, dass das Ganze etwa genau so viel Geld gekostet hatte wie die sechs Jahre Kirchenasyl.
Und ich habe gedacht: ja, Gott redet auch durch Geld. Er schenkt uns einfach etwas als Zeichen, dass es gut war, dass wir dieses Risiko eingegangen sind und diesen Einsatz gezeigt haben. Das wäre auch ohne das Geld für den Gartenraum richtig gewesen, und ich glaube, dass alle, die das mitgetragen haben, dafür gesegnet worden sind, aber Gott hat uns eben auch auf diese Weise gezeigt, dass er sich über uns gefreut hat.
So, und nun ist es aber auch wieder genug damit. Selbst nach beinahe 10 Jahren muss man aufpassen, dass man so etwas nicht zu laut rausposaunt. Das ist eben keine Methode, die immer klappt. Nicht jeder, der Geld für Gott einsetzt, bekommt es auch immer zurück. Und durch zu viel Reden kann man Segen auch kaputt machen. Aber wer im Gartenraum ist, sollte auch die Geschichte dahinter kennen. Und so eine Geschichte ist ein Zeichen, dass Gott auch durch Geld reden kann und es nicht selten tut.
Paulus kannte das Problem auch
Paulus, von dem wir vorhin in der Lesung (2. Korinther 12,1-7) gehört haben, hatte ein vergleichbares Problem: in der Gemeinde von Korinth gab es Leute, die mit geistlichen Erfahrungen mächtig angegeben und sich in den Mittelpunkt gedrängt haben. Und Paulus musste ihnen irgendwie zu verstehen geben: Liebe Freunde, das ist doch eigentlich ziemlich mickerig, wovon ihr da so groß rumerzählt. Ich könnte noch von ganz anderen Erfahrungen erzählen. Ich bin in den dritten Himmel entrückt worden.
Aber indem er davon redet, riskiert er es, genau diese Erfahrungen kaputt machen, auch nach 14 Jahren noch. Und man merkt, wie er nur unter größten Bedenken davon redet, weil es um der Gemeinde willen sein muss, damit die nicht auf diese aufgeplusterten Wichtigtuer reinfällt. Aber eigentlich ist so ein Wettbewerb »Wer hat die tollsten geistlichen Erfahrungen?« völlig daneben, und das sagt Paulus auch: Ihr zwingt mich dazu, etwas völlig Bescheuertes zu tun, nämlich meine tiefsten geistlichen Momente vor euch zu enthüllen. Hättet ihr nur ein bisschen geistliches Gespür, dann würden solche Prahlhanseln bei euch nie einen Fuß in die Tür bekommen, auch ohne dass ich dafür dermaßen ans Eingemachte gehen muss.
Ein kostbarer Raum
Man sieht an Paulus: es gibt gelegentlich Momente, da muss man anderen einen Blick in den Innenraum der eigenen Beziehung zu Gott geben, aber das sind riskante Momente, und nur die Leute ohne viel Ahnung drängen sich danach. Und auch dann muss man gut aufpassen, was man sagt und wie man es sagt. Alle Prediger des Evangeliums sind in Gefahr, das Leben dauernd darauf abzuscannen, was sich gut als Geschichte in der nächsten Predigt verwenden lässt. Einer hat mal bekannt, dass er kurz davor war, den Kindern zu sagen: los, stellt mal was an, damit ich Sonntag was Neues zu erzählen habe! Und auch das geistliche Leben kann man natürlich immer darauf hin anschauen, ob es als gute Geschichte verwertbar ist.
Aber für all das gilt: man muss sich entscheiden, von wem man die Belohnung haben will. Ja, Gott belohnt, Gott antwortet auf unsere gerechten Taten und Worte, aber erstens ist das nicht vorhersagbar oder gar berechenbar, und zweitens schweigt Gott, wenn wir uns schon woanders unsere Belohnung abgeholt haben. Dieser innere Raum, wo wir mit Gott allein sind, diese Quelle der Autonomie und Würde, wo Menschen – auch historisch gesehen übrigens – gelernt haben, dass sie ein eigenes Gesicht haben, einen Namen, mit dem Gott sie anredet, eine eigene Geschichte mit ihm: dieser Raum darf nicht kontaminiert werden, indem er in den Dienst von Statuserhöhung oder Selbstbestätigung gestellt wird. Es ist ein geschützter Raum, der sich schnell wieder schließt, wenn wir ihn in den Dienst anderer Ziele stellen.
Vorsichtige Zeichen
Dieser Raum selbst ist der eigentliche Lohn, den wir erhalten, wenn wir geben und schenken, wenn wir mit Gott reden oder andere geistliche Übungen vollziehen. Gott ist aber so großzügig, dass er uns dazu meistens auch noch andere Segnungen gibt, und wir sollen die nicht gering schätzen. Aber sein zentrales Geschenk ist der Bund, durch den wir unabhängig werden von der Anerkennung anderer Menschen, unabhängig vom Schielen auf Gottes Segnungen, unabhängig von besonderen geistlichen Erlebnissen.
Paulus und erst recht Jesus haben aus diesem Bund gelebt, sie hatten diesen Raum in sich, und sie haben uns nur vorsichtig und indirekt etwas darüber mitgeteilt. Je weiter wir auf unserem Weg vorankommen, um so besser werden wir diese Hinweise entdecken und verstehen. In der Bergpredigt hat Jesus die vielleicht deutlichsten Spuren gelegt, so deutlich, wie es nur irgend ging. Sie ist ein Leitfaden in eine neue Welt, die man nicht vom grünen Tisch aus erkunden kann, sondern nur, wenn man sich in echt auf den Weg macht.