Taufe: Neue Vergangenheit, neue Zukunft
Predigt am 2. April 2017 zu Apostelgeschichte 8,26-39
In diesem Gottesdienst wurden zwei Erwachsene und zwei Kinder aus drei unterschiedlichen Ländern getauft.
Das ist eine von den unglaublichen Begegnungen, wo zwei Menschen zusammen kommen, die aus völlig verschiedenen Welten stammen. Philippus, der Jude, der ein Jesusanhänger geworden ist, und der Finanzminister der äthiopischen Königin. Manchmal sorgt der Heilige Geist für solche Begegnungen und verbindet auf eine tiefe Weise zwei Menschen, die sich normalerweise völlig fremd wären. Und in diesem Fall ist möglicherweise diese Begegnung zum ersten Ursprung des Christentums in Äthiopien geworden.
Eine Reise zur Wahrheit
Der Mann aus Äthiopien hat eine weite Reise hinter sich: erst durch das äthiopische Hochland bis zum Nil, dann den ganzen Nil herab bis zum Mittelmeer, und schließlich noch der Landweg am Mittelmeer entlang durch die Wüste zwischen Ägypten und Israel. Warum nimmt er das auf sich? Weil er die Wahrheit sucht. Wir leben heute in einem geistigen Klima, wo das ziemlich seltsam erscheint, dass ein Menschen das alles auf sich nimmt, nur um die Wahrheit zu finden. Ist das nicht überflüssiger Luxus? Gibt es nicht wichtigere Dinge? Gibt es überhaupt so etwas wie Wahrheit? Aber in jedem Menschen lebt irgendwo diese Sehnsucht danach, mit der Wahrheit in Verbindung zu sein, so zu leben, dass man nicht nur satt ist und ein Dach über dem Kopf hat und Dinge besitzt, sondern das man selbst – wahr ist, richtig ist, richtig lebt.
Jesus hat das so beschrieben: »Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von einem jeden Wort, das aus Gottes Mund kommt (Matthäus 4,4).« Wir brauchen das Wort der Wahrheit, sonst sterben wir den Tod am Brot allein. Oft ist diese Sehnsucht nach Wahrheit verschüttet, begraben unter den 1000 Verpflichtungen des Alltags, an den Rand gedrängt von anscheinend viel näher liegenden Wünschen. Aber sie ist da, und der Mann aus Äthiopien hat sich auf die weite und gefährliche Reise gemacht, weil er hoffte im Tempel zu Jerusalem die Wahrheit zu finden.
Wie viele andere damals zog ihn die Klarheit des Einen Gottes und die tiefe Weisheit seiner Überlieferung an. Hier war mehr an Wahrheit zu spüren, als in der bunten Götterwelt der Antike mit ihren oft abstoßenden Praktiken.
Einer, der wusste, was er wollte
Bei ihm bleibt das aber keine unklare Sehnsucht, sondern er nimmt die Sache in die Hand und macht sich auf den Weg. Anscheinend war er einer, der wusste, was er wollte, und das dann auch umzusetzen wusste. Er hat sich nicht gefürchtet, sondern er hat sich zugetraut, auch in der unbekannten Fremde zurecht zu kommen.
Viele Übersetzungen verschleiern schamhaft, dass der Mann ein Eunuch war, d.h., man hatte seine Geschlechtsteile auf grausame, entsetzlich schmerzhafte Weise zerstört. Das war an manchen Königshöfen so Sitte. Fünfmal kommt das Wort in der Geschichte vor – es ist also keine Nebeninformation, sondern es muss dem Verfasser sehr wichtig gewesen sein. Man konnte als Eunuch in hohe Positionen kommen, man konnte reich und mächtig werden, aber man bezahlte zuerst einen fürchterlichen Preis dafür. Der Mann hatte eine schreckliche Vergangenheit. Und er konnte keine Nachkommen haben – damals hieß das: er hat keine Zukunft. Er konnte auch kein Jude werden. Er gehörte nirgendwo hin.
Eine dunkle Bibelstelle
Und nun hat der Äthiopier in Jerusalem eine Bibel gekauft, oder mindestens die Jesaja-Schriftrolle und liest sie auf der Rückfahrt. Und er bleibt hängen bei Jesajas Beschreibung des Knechtes Gottes: die rätselhafte Skizze eines Menschen, der unschuldig zum gewaltsamen Tod geführt wird und der das freiwillig erträgt, der sterben muss, aber Gott steht auf seiner Seite, und es heißt von ihm: wer kann seine Nachkommen zählen? Genau durch diesen Menschen würde Gott Rettung für die Welt bringen, durch sein geduldig und willig ertragenes Leiden und Sterben. Das war eine dunkle Ahnung, die schon damals schwer zu verstehen war. Erst den Christen ging ein Licht auf, und sie verstanden: das ist doch das Muster, nach dem Jesus gelebt hat und gestorben ist!
Und so erklärt Philippus dem Äthiopier diese dunkle Stelle: Jesus hat die Last der Welt getragen, ihre Grausamkeit und ihren Schmerz, er ist darunter gestorben, aber so hat er einen neuen Frieden gebracht. Er hat den Riss geheilt, er hat für die unabsehbare Menge an Leid in der Welt einen Ausweg gefunden. Und Gott hat sich zu ihm gestellt und diesen Weg bestätigt: er hat Jesus von den Toten auferweckt. Und jetzt lebt er und hat Nachkommen, Nachfolgerinnen und Nachfolger, die keiner mehr zählen kann.
Ein schneller Entschluss
Und der Mann versteht, dass Jesus auch mit seinem schrecklichen Schicksal mitgelitten hat, dass er auch seine fürchterliche Vergangenheit getragen hat, und dass es auch für ihn eine Zukunft geben kann. Jesus kann die Schmerzen der Vergangenheit heilen, und er kann Zukunft schenken. Und da sagt der Äthiopier: da will ich dabei sein. Mit diesem neuen Weg will ich verbunden sein. Wir kommen gerade an einer Wasserstelle vorbei – kannst du mich taufen? Und sie halten an und steigen hinab ins Wasser, und als der Mann unter Wasser taucht, da stirbt seine Vergangenheit, die ganze Last und die Schmerzen und die ungelösten Fragen, und er taucht auf als neuer Mensch, der seinen Platz gefunden hat und der vielleicht wirklich der Ursprung der äthiopischen Christenheit geworden ist, der Stammvater eines Volkes, das niemand zählen kann. Der erste Nichtjude, der zum Glauben kommt und getauft wird, ist ein schwarzer Afrikaner. Die Christenheit war von Anfang an weltumspannend, kulturübergreifend, sie brachte Menschen quer zu allen Einteilungen zusammen. Gott hat uns das in die Gene eingeschrieben.
Als der Mann aus dem Wasser auftaucht, ist Philippus schon nicht mehr da, aber das macht nichts. Jetzt kommt der Mann aus Äthiopien allein zurecht. Der ist ja kein Dummkopf, sondern nach allem, was wir von ihm wissen, ist er kein Stümper, sondern einer, der die Dinge selbständig in die Hand nehmen kann. Er hat die Wahrheit, die er suchte, gefunden, besser: die Wahrheit hat ihn gefunden, und nun wird er schon herausfinden, was er tun muss. Und er setzt fröhlich seinen Heimweg fort. Kein Grübeln mehr, kein Zweifeln mehr: er hat gefunden, was er gesucht hat. Das allerletzte Wort, das wir von ihm hören, ist: fröhlich, voll Freude.
Neue Vergangenheit, neue Zukunft
Die Taufe verbindet ihn und uns zur Gemeinschaft der Menschen, die verstanden haben, wie die Welt erlöst werden kann: indem jemand ihre Schmerzen und Leiden auf sich nimmt, einer, der all das Dunkel nicht weitergibt an irgendeinen Schwächeren, der sich nicht wehren kann. Und das ist jetzt keine rätselhafte Hoffnung mehr, sondern das ist geschehen, als Jesus seinen Weg unbeirrt bis zum Ende ging, bis zum letzten Atemzug am Kreuz.
In der Taufe wird das Dunkel der Vergangenheit durchgestrichen, nicht nur unser persönliches Leid und unsere Verwirrung, sondern auch der Anteil an der Last der ganzen Menschheit, der jedem von uns zugefallen ist, und von dem auch ein kleines Kind schon seinen Anteil geerbt hat.
Aber wenn wir getauft werden, werden wir verbunden mit der neuen Welt, die in Jesus schon begonnen hat, und die nicht mehr bedrückt ist von der Last der Vergangenheit. Wir gehen zu auf die neue Schöpfung, in der kein Tod mehr sein wird und keine Tränen, keine schmerzhaften Abschiede und kein Dunkel. Wir sind schon diese neue Schöpfung. Mit unzähligen Menschen aus allen Zeiten und aus der ganzen Welt sind wir verbunden in der Erkenntnis der neuen Welt, die endlich so sein wird, wie Gott das schon immer gewollt hat. Tatsächlich ist sie schon präsent, verbindet Menschen, die sich sonst völlig fremd wären, versöhnt über Grenzen hinweg, schenkt Menschen eine neue Heimat und lässt sie fröhlich ihres Weges gehen.