Eine neue Dimension
Predigt am 29. Januar 2017 zu Matthäus 5,1-12 (Teil II) – Predigtreihe Bergpredigt 2
1 Als Jesus aber das Volk sah, ging er auf einen Berg. Und er setzte sich, und seine Jünger traten zu ihm. 2 Und er tat seinen Mund auf, lehrte sie und sprach: 3 Selig sind, die da geistlich arm sind; denn ihrer ist das Himmelreich. 4 Selig sind, die da Leid tragen; denn sie sollen getröstet werden. 5 Selig sind die Sanftmütigen; denn sie werden das Erdreich besitzen. 6 Selig sind, die da hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit; denn sie sollen satt werden. 7 Selig sind die Barmherzigen; denn sie werden Barmherzigkeit erlangen. 8 Selig sind, die reinen Herzens sind; denn sie werden Gott schauen. 9 Selig sind, die Frieden stiften; denn sie werden Gottes Kinder heißen. 10 Selig sind, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden; denn ihrer ist das Himmelreich. 11 Selig seid ihr, wenn euch die Menschen um meinetwillen schmähen und verfolgen und allerlei Böses gegen euch reden und dabei lügen. 12 Seid fröhlich und jubelt; es wird euch im Himmel reichlich belohnt werden. Denn ebenso haben sie verfolgt die Propheten, die vor euch gewesen sind.
Im Star Trek – Film »Der erste Kontakt« schafft es ein Mensch im Jahre 2063 zum ersten Mal, mit einem Warp-Antrieb zu fliegen. Für alle, die sich da nicht so auskennen: Mit einem Warp-Antrieb kann man in den Star Trek – Filmen Überlichtgeschwindigkeit erreichen. Und dadurch kommen die Menschen zum ersten Mal mit anderen Weltraumbewohnern in Kontakt. Von da ab verändert sich alles. Vorher galten die Gesetze des normalen Universums, nach denen sich niemand schneller als das Licht fortbewegen kann. Mit dem ersten Warp-Flug stößt die Menschheit in eine neue Dimension vor, wo vorher kein Mensch war, wo andere Gesetze gelten, eine andere Physik, und auch für die, die nie bei so etwas mitfliegen, ist die Welt eine andere geworden.
Die Entdeckung einer neuen Welt
Ich finde das einen guten Vergleich für das, was Jesus in der Bergpredigt und gerade in den Seligpreisungen macht: er nimmt uns mit auf eine Reise in eine Dimension der Welt, in der noch nie zuvor jemand war. Ein Land, in dem die normalen Gesetzmäßigkeiten der Welt, wie wir sie kennen, nicht mehr gelten, wo es im Gegenteil manchmal genau andersherum zugeht. Deswegen ist für uns die Bergpredigt so fremd. Es ist eine Welt, in der Gottes Regeln gelten, die Physik von Gottes neuer Welt sozusagen, und wir tauchen gelegentlich da ein, bewegen uns in einer anderen Dimension, aber nach längerer oder kürzerer Zeit kommen wir zurück in unsere Welt. Aber jetzt wissen wir, dass es diese andere Welt gibt, und das hat Auswirkungen sogar für die, die selbst nie auf so eine Expedition ins Unbekannte gegangen sind.
Aber auf der anderen Seite sind diese beiden Welten nicht völlig getrennt, auch wenn da eine andere Physik gilt. Es gibt Übergänge: im Star Trek – Film baut ein genialer Erfinder den Warp-Antrieb mit den Mitteln unserer Welt, und in der Bibel schafft Jesus mit normalen Menschen um sich herum eine soziale Singularität, eine Zone, in der Menschen Zugang bekommen zu dieser neuen Dimension des Lebens. Aber von da aus wird auch die normale Welt neu gestaltet – und darum beten wir im Vaterunser, wenn wir sagen: »dein Reich komme«.
Ein verletzliches Herz
Wenn es in der Bergpredigt heißt: Selig sind die Barmherzigen, denn sie werden Barmherzigkeit erlangen, dann kommt uns das irgendwie bekannt vor, weil wir es ja manchmal durchaus erleben, dass unsere Taten zu uns zurückkommen. Wer gut und freundlich zu Menschen ist, der wird auch oft gut und freundlich behandelt. Aber es gibt genauso genug Gegenbeispiele, wo die Barmherzigen ausgenutzt und betrogen werden. Beides stimmt, und die Frage, was häufiger vorkommt, ist am Ende unentscheidbar. Auf jeden Fall geht es darum, dass man sich nicht gegen fremde Not verhärtet; dass man keine Mauern baut um das eigenen Herz herum, dass man sich nicht abschottet, um vor dem Schmerz anderer geschützt zu sein. Wer barmherzig ist, der lässt sich berühren von dem, was anderen zustößt. Er nimmt sich Gott zum Vorbild, der barmherzig ist, indem er den Schmerz der ganzen Schöpfung mitleidet.
Und wenn jetzt einer sagt, dass wir doch nicht den ganzen Schmerz der Welt auf unsere Schultern laden können, dann kann man nur antworten, dass es darum gar nicht geht. Wir sind nicht Gott, wir können auch nicht im Entferntesten erahnen, was für eine gewaltige Last von Schmerz auf der Schöpfung liegt, aber normalerweise können Menschen schon ihr Herz weiter öffnen. Und wir können darauf verzichten, uns mit dem üblichen Muster zu verhärten: dass die doch selbst schuld sind. Wenn Gott sich von allen abwenden würde, die an ihrem Leid irgendwie selbst schuld sind, dann würde nicht mehr viel übrig bleiben von seiner Barmherzigkeit.
Ein unkompliziertes Herz, das nichts zu verbergen hat
Wer sein Herz nicht auf diese Weise härtet, der bekommt ein reines Herz: es ist nicht kompliziert, nicht von vielen Konstruktionen und Abwehrmechanismen belastet, es ist einfach. Nicht im Sinn von »simpel«, sondern so, dass man nicht auf einen Haufen Empfindlichkeiten Rücksicht nehmen muss; dass die eigentlichen Ziele nicht hinter vielen anderen Vorwänden verborgen sind, dass ein Mensch nicht in Wirklichkeit ganz andere Ziele hat als er offiziell anstrebt. Menschen verbergen in der Regel ihre wirklichen Ziele; sie kaschieren ihre Bedürftigkeit und ihre Gier mit großen Gedankengebäuden. Und das macht es schwierig, weil diese Konstruktionen erst einmal Schicht für Schicht abgetragen werden müssen, bis das eigentliche Anliegen oder der eigentliche Schmerz sichtbar wird.
Weil wir uns aber so kompliziert gemacht haben, deshalb haben wir es schwer, mit Gott zu kommunizieren. Gott schaut das Herz an, er hat kein Interesse an Masken und Fassaden. Wer sich gegen andere Menschen abschottet, der verbaut sich auch den Zugang zu Gott. Bei geistlichen Übungen geht es immer darum, diese ganzen Sicherungsmethoden die Energie zu entziehen. Wer Psalmen singt oder auf seinen Atem achtet oder sich in die Betrachtung der Natur vertieft, der kann daneben nicht auch noch die ganzen Selbstrechtfertigungssätze sagen, die uns sonst erfüllen; sein Herz ist sozusagen schutzlos, und dann kann Gott uns begegnen, vorbei an den ganzen Gedankengebilden, die wir sonst unablässig im Herzen bewegen. Die haben dann keine Energie mehr.
Noch besser ist es natürlich, wenn wir auf diese Gedankenkonstruktionen ganz verzichten, dann müssen wir ihnen auch keine Energie mehr entziehen. Deswegen sagt Jesus: Selig sind, die reinen Herzens sind; denn sie werden Gott schauen. Wenn wir uns verletzlich machen und auf den ganzen Selbstschutz verzichten, dann bekommen wir Zugang zu Gott. Dann brauchen wir auch nicht mehr die ganzen inneren und äußeren Mauern, weil Gott unser allerbester Schutz ist.
Nicht in Feindschaft verstrickt
Und es sind auch all diese komplizierten Schutzmechanismen, aus denen immer wieder Kampf und Streit entsteht. Menschen fühlen sich bedroht oder verletzt, reagieren gekränkt oder stolz; fühlen sich nicht respektiert; haben das Gefühl, sie müssten ihre Ehre verteidigen; schießen mit dem freundlichsten Gesicht der Welt Giftpfeile ab; richten Tabus auf, was auf keinen Fall gesagt werden darf; sind schwer enttäuscht, wenn andere nicht so reagieren, wie sie doch eigentlich müssten. Menschen kämpfen gegen andere, weil sie sich selbst bedroht und angegriffen fühlen – oder weil sie Angst haben, dass das sonst kommen könnte.
Wenn Jesus das Herz von Menschen bewegt, dann ist keine Energie mehr da für diese ganzen komplizierten Wege, die doch immer von der Sorge getrieben sind, dass man zu kurz kommen könnte oder um seinen Platz gebracht werden könnte. Und deswegen sind die Leute Jesu die Richtigen, um Frieden zu schaffen. Sie schwingen nicht mit, wenn andere Menschen kämpfen wollen und werden da nicht hineingezogen. Deswegen sagt Jesus: Selig sind, die Frieden stiften; denn sie werden Gottes Kinder heißen.
Gottes Kinder sind die, die von Gottes Art sind; man erkennt sie daran, dass sie nicht noch Öl ins Feuer gießen, sondern die Wogen glätten.
Systembedingtes Fehlverständnis
Die Welt ist aber nicht unbedingt dankbar dafür; im Gegenteil, diese Art zu leben und zu denken ist so fremd, dass die anderen verunsichert sind und alles tun, um sie nicht wirklich zu verstehen. Deshalb werden die Leute Jesu verleumdet und verfolgt. Nicht immer; manchmal sind Menschen tatsächlich dankbar für Friedensstiften und Barmherzigkeit. Und nicht jeder, der sich verfolgt und verleumdet fühlt, ist deswegen auch gleich schon ein echter Jünger Jesu. Aber diese andere Art zu leben stellt andere in Frage; sie fühlen sich davon angegriffen und wollen sie gar nicht verstehen. Sie können es sich nicht anders vorstellen, dass das ein ganz besonders raffinierter Trick ist, um andere zu beherrschen oder zu unterdrücken. Das gehört dazu, und die Leute Jesu verzichten darauf, sich als Märtyrer zu präsentieren.
Schließlich hat Jesus ja gesagt: Selig seid ihr, wenn euch die Menschen um meinetwillen schmähen und verfolgen und allerlei Böses gegen euch reden und dabei lügen. 12 Seid fröhlich und jubelt; es wird euch im Himmel reichlich belohnt werden. Denn ebenso haben sie verfolgt die Propheten, die vor euch gewesen sind. Es klingt vielleicht merkwürdig, wenn wir aufgefordert werden, über Verfolgungen und Verleumdungen zu jubeln. Aber es kann tatsächlich ein gutes Zeichen sein, wenn die richtigen Leute uns verleumden und Schlechtes reden. Wenn es die richtigen sind, dann ist es gelegentlich wirklich ein Zeichen, dass man richtig liegt. Manchmal liegt es leider auch daran, dass Christen taktlos oder rechthaberisch sind. Aber dass die Leute Jesu verleumdet werden, gerade weil sie ihm ähnlich geworden sind, das gehört dazu, das ist eingebaut, das ist systembedingt, und man soll sich davon nicht erschrecken lassen.
Das war ein erstes Eintauchen in diese neue Dimension der Welt, die Jesus uns geöffnet hat. Die ganze Bergpredigt soll uns helfen, uns in diesem unbekannten Land zurecht zu finden.