Das Tor zur Bergpredigt
Predigt am 15. Januar 2017 zu Matthäus 5,1-12 (Teil I) – Predigtreihe Bergpredigt 1
1 Als Jesus aber das Volk sah, ging er auf einen Berg. Und er setzte sich, und seine Jünger traten zu ihm. 2 Und er tat seinen Mund auf, lehrte sie und sprach: 3 Selig sind, die da geistlich arm sind; denn ihrer ist das Himmelreich. 4 Selig sind, die da Leid tragen; denn sie sollen getröstet werden. 5 Selig sind die Sanftmütigen; denn sie werden das Erdreich besitzen. 6 Selig sind, die da hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit; denn sie sollen satt werden. 7 Selig sind die Barmherzigen; denn sie werden Barmherzigkeit erlangen. 8 Selig sind, die reinen Herzens sind; denn sie werden Gott schauen. 9 Selig sind, die Frieden stiften; denn sie werden Gottes Kinder heißen. 10 Selig sind, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden; denn ihrer ist das Himmelreich. 11 Selig seid ihr, wenn euch die Menschen um meinetwillen schmähen und verfolgen und allerlei Böses gegen euch reden und dabei lügen. 12 Seid fröhlich und jubelt; es wird euch im Himmel reichlich belohnt werden. Denn ebenso haben sie verfolgt die Propheten, die vor euch gewesen sind.
Manchmal geht ja das Gerücht um, die Bergpredigt sei unerfüllbar, und Jesus habe sie nur gehalten, um uns das zu zeigen: dass wir an der Bergpredigt nur scheitern können. Die Bergpredigt ist aber in erster Linie keine Zusammenstellung von Vorschriften, an die wir uns halten sollen, sondern sie ist ein Augenöffner: sie hilft uns, die Welt mit neuen Augen zu sehen.
Der Sinn der Seligpreisungen
Ganz besonders deutlich wird das hier am Anfang: Das sind die sogenannten Seligpreisungen, wo Jesus etwas darüber sagt, wer auf einem guten Weg ist im Leben. Wörtlich heißt es da immer wieder: glücklich sind die Trauernden, die Armen, die Sanftmütigen und so weiter. Also alles Leute, von denen wir nicht unbedingt erwarten würde, dass man sie zu ihrer Situation beglückwünschen würde. Aber genauso sagt es Jesus: denen kann man gratulieren, die haben sich den richtigen Weg ausgesucht, die sind gut dran, die waren klug.
Und man muss von vornherein sagen: das gibt nur Sinn, wenn man davon ausgeht, dass es eine verborgene Seite der Welt gibt, den Himmel, den Bereich, wo Gottes Wille jetzt schon geschieht. Wenn du meinst, dass die Welt nur das ist, was man sehen, messen und anfassen kann, dann macht die ganze Bergpredigt keinen Sinn. Weil natürlich längst nicht alle Trauernden getröstet werden, und die Sanftmütigen erben nicht unbedingt immer die Erde. Die Seligpreisungen machen Sinn unter der Voraussetzung, dass die Welt nur voll verstanden werden kann bei Berücksichtigung ihrer Tiefendimension: sie ist immer noch von Gott erfüllt, auch wenn wir es nicht wahrnehmen; sie funktioniert nach den Regeln, die Gott in sie hineingelegt hat, auch wenn wir uns nicht daran halten. Und wir müssen uns mit dieser verborgenen Wirklichkeit verbinden, sonst geht sie an uns vorbei.
Jesus beglückwünscht hier am Anfang Menschen, weil sie mit dieser verborgenen Wirklichkeit in Kontakt sind. Er sagt: darauf kommt es an, und ich sage euch, wie das geht. Wir schauen uns das mal im Einzelnen an:
Wer sind die »Armen im Geist«?
In der ersten Seligpreisung, sozusagen als Überschrift über alles Folgende, sagt Jesus: selig sind die Armen – und dann setzt er hinzu: die »geistlich Armen«, oder die »auf geistliche Weise Armen«, oder »die durch den Geist arm sind« – genauer kriegt man das nicht übersetzt, die Formulierung im ursprünglichen Text ist mehrdeutig.
Auf jeden Fall heißt es nicht: die Doofen kommen in den Himmel. »Geistlich arm« bedeutet nicht: lieb, aber ein bisschen beschränkt. Jesus hatte nichts gegen Intelligenz. Wenn man liest, was er gesagt hat, dann merkt man: der muss unter anderem auch enorm klug gewesen sein.
Mehr Klarheit kriegen wir, wenn wir fragen: was würde fehlen, wenn in diesem Satz der Heilige Geist nicht erwähnt wäre? Dann würde es einfach nur heißen: glücklich sind die Armen. Also die, die aus irgendeinem Grund wenig haben. Das kann ja schnell passieren, dass man in Armut gerät. Man liest dauernd in der Zeitung von irgendwelchen Berühmtheiten, die am Ende ihres Lebens bettelarm waren. Und auch wir ganz normalen Leute – du musst nur für längere Zeit krank werden, oder irgend ein anderes Unglück trifft dich, schon kannst du ganz schnell ganz wenig haben. Oder wenn in deinem Land ein Krieg ausbricht, oder irgendeine andere Katastrophe – es kann sehr schnell gehen, dass du richtig arm wirst, dein Zuhause verlierst und dich in der Fremde wiederfindest.
Ohne Sicherheit, aber mit allem nötigen versorgt
Aber Jesus sagt hier nicht einfach zu Leuten, denen so was passiert ist: gratuliere, das ist ja toll für dich! Damit es da kein Missverständnis gibt, setzt er dieses »im Geist«, »durch den Geist« dazu. Es geht um Menschen, die ihr Armsein mit Gott in Verbindung bringen, und – jetzt kommt die Pointe – auch dann, wenn sie gut versorgt sind. Paulus beschreibt das mal an seinem eigenen Beispiel so (Philipper 4,12-13): »Ich weiß Entbehrungen zu ertragen, ich kann im Überfluss leben. In jedes und alles bin ich eingeweiht: in Sattsein und Hungern, Überfluss und Entbehrung. 13 Alles vermag ich durch Gott, der mir Kraft gibt.« Wie jeder freut sich Paulus, wenn er genug hat, aber für ihn bricht nicht alles zusammen, wenn es nicht reicht. Sein Selbstbewusstsein hängt nicht daran, dass sein Konto gefüllt ist. Er lebt nicht von Sicherheiten wie Status oder Vermögen, sondern seine Sicherheit kommt aus seinem Vertrauen in den Gott, der ihn stark macht und versorgt.
Ob man geistlich arm ist, das entscheidet sich daran, wie sehr man angewiesen ist auf greifbare Sicherheiten. Dazu gehören in erster Linie Geld und Macht, aber auch Status und Ansehen, Beliebtheit; der richtige Pass, die richtige Abstammung oder Kultur; auch die Familie, auf die man sich verlassen kann, das Wissen, das man hat, die Gesundheit, die noch ganz ok ist, die wertschätzenden Worte, die andere für einen finden – halt all die Dinge, die einem eine gewisse Sicherheit geben. Aber es sind auch alles Dinge, die man ganz schnell verlieren kann. Und geistlich arm zu sein bedeutet: das alles als Geschenk Gottes sehen, aber nicht davon ausgehen, dass es unser gutes Recht ist, auf das wir ein selbstverständliches Dauerabo haben.
Wenn man das realistisch in Rechnung stellt, dann kann sich unser Lebensgefühl nicht auf all das gründen. Jesus sagt, dass wir unser Vertrauen in die Welt nur auf Gott gründen sollen, und den können wir gerade nicht berechnen und kontrollieren. Unsere Stärke beruht gerade nicht auf dem, was uns gehört, sondern sie kommt von außerhalb, von Gott, den wir nicht in der Hand haben, aber von dem wir gehalten werden.
Ohne Garantie, aber voll Vertrauen
Da taucht sie wieder auf, die verborgene Seite der Welt, über die wir nicht verfügen können. Aber wenn wir das akzeptieren, dann bekommen wir aus dem Bereich Gottes alles, was wir brauchen. Jesus hat von dort die Kraft zu Wundern bekommen, er hat für sich und die anderen bei ihm von dort das tägliche Brot bekommen, so dass sie immer genug hatten, und so bekam er auch die Kraft, durch die er bis zum letzten Atemzug am Kreuz an seinem Weg festhalten konnte. Jesus hat das also nicht nur behauptet, sondern er hat so gelebt und hat immer wieder erfahren, dass Gott ihm gab, was er brauchte. Und in seiner Nachfolge dann ebenso Paulus und viele andere bekannte und unbekannte Christen.
Das ist geistliche Armut: wenn Gott unsere Lebensgrundlage ist, obwohl wir ihn nicht berechnen können und ihm nur vertrauen müssen, dass er uns hält und uns so weiterhilft, wie wir es brauchen.
Liebe macht verwundbar
Und was das heißt, das wird dann in all den anderen Seligpreisungen aus allen möglichen Richtungen weiter beleuchtet: »Selig sind die Trauernden, denn sie werden getröstet werden« heißt es als nächstes. Du kannst nur trauern, wenn du liebst. Und wenn du liebst, machst du dich verwundbar. Du kannst versuchen, sicher vor Schmerz zu werden, indem du nicht liebst, noch nicht mal ein Haustier oder ein Bild. Aber dann wird dein Herz versteinern und du wirst das Leben verlieren. Wenn du aber liebst, so wie Gott es tut, und das Risiko des Schmerzes auf dich nimmst, so wie Gott es tut, dann wird Gottes Trost zu dir finden, und am Ende wird Gott alle Tränen abwischen.
Sicherheit vor Schmerz ist eine gefährliche Illusion. In unserer Welt, wie sie jetzt ist, geht man immer das Risiko des Schmerzes ein, wenn man liebt. Es ist gerade der Wunsch, Schmerz um jeden Preis zu vermeiden, der unendlich viel Leid in die Welt bringt. Aller Streit und aller Krieg geht letztlich darum, wer die meiste Macht hat, und das heißt: die größte Möglichkeit, seinen Schmerz und seine Mühe anderen aufzubürden. Familien und ganze Gesellschaften zerbrechen daran, dass die einen nicht in den Schmerz und das Unglück der anderen hineingezogen werden wollen. Arm im Geist zu sein heißt auch: das Risiko des Schmerzes auf sich zu nehmen, im Vertrauen darauf, dass Gottes Trost zu uns kommt.
Eine sehr irdische Hoffnung
»Selig sind die Sanftmütigen, denn sie werden das Erdreich besitzen« heißt es als nächstes. Und das ist wirklich eine Hoffnung, die tollkühn wäre, solange man nicht von der verborgenen Seite der Welt her denkt. Denn durch die ganze Geschichte hindurch sind es die Gewalttätigen, die sich um das Land gestritten und es unter sich aufgeteilt haben: die Herrscher, die das Land und seine Menschen nur als Einkommensquelle gesehen haben, um Geld für ihre Kriege herauszupressen; die Baulöwen und Immobilienhaie, die alles mit Beton zupflastern; die Kapitalgesellschaften, die überall auf der Welt riesige Landstriche aufkaufen als Kapitalanlage.
Aber Jesus spricht von der Hoffnung, dass es anders sein wird – und eben nicht im Himmel, sondern auf dieser Erde, um die so viel gekämpft wird. Und diese Hoffnung nimmt immerhin Gestalt an im Recht, das in Ländern wie unserem den Bodenbesitz ein ganzes Stück weit schützt. Man kann Menschen nicht einfach das Land wegnehmen, von dem oder auf dem sie leben. Und die Hoffnung nimmt Gestalt an in ländlichen, bäuerlichen Kooperativen überall auf der Welt, wo Menschen sich zusammenschließen, um gemeinsam ihr Land zu bebauen und zu verteidigen. Und das geht nur, wenn sie selbst untereinander dem Geist der Gewalt widerstehen. Wenn sie sich schützen wollen, müssen sie solidarisch sein. Die Erde ist dafür geschaffen, von der Menschheit gemeinsam in Solidarität bewirtschaftet zu werden. Und das alles gehört zu einer noch größeren Hoffnung, die wir im nächsten Vers hören:
Die wahre Natur der Welt verstehen
»Selig sind, die da hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit; denn sie sollen satt werden.« Gott wird Gerechtigkeit schaffen. Danach zu hungern und zu dürsten, dass es eine Lebensordnung gibt, in der jeder seinen Platz hat und jeder genug hat, das ist kein schöner Traum von irgendwelchen weltfremden Idealisten. Das ist eine Hoffnung Gottes, und Realist ist, wer diese Hoffnung teilt. Um Jesus herum haben sich schon solche Zonen der Gerechtigkeit gebildet. Gemeinden sind keine Einrichtungen zur Freizeitgestaltung, sondern mindestens teilweise befreite Gebiete, in denen Gottes Gerechtigkeit manchmal schon zu erleben ist. Und eines Tages wird Gottes Gerechtigkeit die ganze Erde erfüllen. Gut dran sind alle, die sich jetzt schon darauf einstellen. Denn für alle anderen, für alle, die lieber auf Kosten Anderer leben, ist diese kommende Welt der Gerechtigkeit nur ein Alptraum.
Liebe Freunde, dies alles mutet uns zu, die Welt ernsthaft mit anderen Augen zu sehen. Die Welt, die wir kennen, ist eine Welt, die gegen ihre eigene Natur behandelt wird; so wie Schweine, Hühner, Rinder und andere Tiere gegen ihre Natur behandelt werden, wenn man sie zu einem Anhängsel einer Tierfabrik macht. Aber nicht nur Tiere werden so gegen ihre Natur versklavt. Auch wir Menschen leben unter Bedingungen, für die wir nicht geschaffen sind. So wie Schweine, deren Nasen Trüffel einen Meter unter der Erde riechen können, eingesperrt werden in stinkenden enge Boxen, so sind wir eingesperrt in einem Gehäuse, das aus Angst gebaut ist, aus Misstrauen und Gewalt, aus Habenwollen und Kampf gegeneinander.
Ein tierischer Vergleich
Und dann kommt Jesus und redet von Gottes Welt, und – verzeiht mir diesen schweinischen Vergleich – so wie Schweine, die ihr Leben lang in engen Boxen eingesperrt waren und jetzt zum ersten Mal einen richtigen Wald kennenlernen mit leckeren Eicheln und Bucheckern und Schlammgruben, in denen man baden kann, so macht er uns eine Tür auf in die Welt Gottes, in der Gerechtigkeit herrscht, und es kommt uns fremd und merkwürdig vor, weil wir von Kindesbeinen an eine ganz andere Welt gewohnt sind. Und wir denken, dass das Leben doch bestimmt nicht so sein kann, und dass es ein unwirklicher Traum ist. Aber je länger wir uns damit vertraut machen, um so größer wird die Freude, dass es tatsächlich einen Weg ins Freie gibt, raus aus dem stinkenden Stall. Jesus hat diesen Weg gebahnt.
Aber wir müssen erst lange über dieses neue Leben nachdenken, bis wir uns einigermaßen darin zurecht finden. Deshalb meditieren wir in diesem Jahr die Bergpredigt. Wie ihr seht bin ich noch nicht mal durch alle Seligpreisungen durchgekommen. Aber in zwei Wochen geht es weiter.