Stadt des Lichts
Predigt am 4. September 2016 zu Offenbarung 21,22-27 (Predigtreihe Offenbarung 37)
22 Und ich sah keinen Tempel in der Stadt; denn der Herr, der allmächtige Gott, ist ihr Tempel, er und das Lamm. 23 Und die Stadt bedarf keiner Sonne noch des Mondes, dass sie ihr scheinen; denn die Herrlichkeit Gottes erleuchtet sie, und ihre Leuchte ist das Lamm. 24 Und die Völker werden wandeln in ihrem Licht; und die Könige auf Erden werden ihre Herrlichkeit in sie bringen. 25 Und ihre Tore werden nicht verschlossen am Tage; denn da wird keine Nacht sein. 26 Und man wird die Pracht und den Reichtum der Völker in sie bringen. 27 Und nichts Unreines wird hineinkommen und keiner, der Gräuel tut und Lüge, sondern allein, die geschrieben stehen in dem Lebensbuch des Lammes.
Die neue Welt Gottes, die hier beschrieben wird, ist kein Einheitsbrei, wo alles gleichförmig ist. Sie hat Strukturen. Sie hat ein Zentrum, nämlich das neue Jerusalem. Diese ganze Stadt hat die Funktion des Tempels: sie ist der Ort, wo Gott wohnt. Es gibt dort keinen extra Tempel mehr, weil Gottes Herrlichkeit sowieso die ganze Stadt erfüllt.
Sonne und Mond sind überflüssig – Gott und das Lamm (also Jesus) erleuchten die Stadt. Das heißt: selbst die ursprüngliche Schöpfung, so großartig und majestätisch, wie sie war, stellt sich heraus als Vorbote von etwas viel Größerem. In der Schöpfungsgeschichte erschafft Gott ja erst das Licht und später dann Sonne, Mond und Sterne. Jetzt sind die nicht mehr nötig, weil Gottes Lichtglanz selbst in der Stadt wohnt.
Endlich ist das Missverständnis gebannt, das man die irdischen Hinweise auf Gott mit Gott selbst verwechselt. Also beispielsweise die Sonne repräsentiert Gottes strahlende Herrlichkeit, und prompt haben Menschen den Sonnengott erfunden. Oder sie haben gedacht, sie hätten Gott unter Kontrolle, wenn sie seinen Tempel unter Kontrolle hätten. Jetzt ist der Himmel auf die Erde gekommen, und deshalb ist Gott nicht mehr fern und fremd, so dass man ihn nur vom Hörensagen kennt, durch Mittelsmänner oder Priester. Gottes Gegenwart erfüllt die Stadt, und von der Stadt her strahlt es aus in die ganze Welt.
Das Zentrum entscheidet
Auch in der neuen Welt Gottes ist Gott nicht überall gleich gegenwärtig. Er prägt und regiert die Welt vom Zentrum aus, von der Stadt des Lichts, in der er wohnt. Das ist für uns zunächst einmal ein ungewohnter Gedanke – wieso macht Gott Unterschiede? Aber wenn man darüber nachdenkt, dann merkt man, dass das genau die Weise ist, wie sogar jetzt schon das Leben funktioniert. Es gibt überall Zentren, einzelne Menschen oder Gruppen von Menschen, die in ihre Umgebung ausstrahlen und sie beeinflussen. Wenn du zum Beispiel einen Verein hast, dann sind es vielleicht nur ein paar Leute im Vorstand, die für den ganzen Verein dir Richtung angeben. Klar, die können nicht gegen ihre Mitglieder regieren, die können auch nicht aus einem Sportverein einen Taubenzüchterverein machen. Aber wie man in dem Verein miteinander umgeht, ob da was passiert, oder ob das Ganze nur irgendwie vor sich hin dümpelt, das entscheidet sich in der Regel im Zentrum.
Genauso ist es bei Firmen oder Verwaltungen. Du hast eine Spitze, die die Richtung vorgibt, und die anderen arbeiten innerhalb des Rahmens, der da gesetzt wird. Die Routine funktioniert von allein, aber bei echten Entscheidungen, für die es kein Muster gibt, da sagen die Sachbearbeiter: ich muss erst meinen Chef fragen. Und auch da kann der Bürgermeister die Stadtverwaltung nicht in eine Eisfabrik umbauen, er ist an die Gemeindeordnung gebunden und er kann nicht gegen seine Mitarbeiter regieren, weil die sich sonst irgendwie wehren würden. Aber in diesem Rahmen sind es ein paar Leute an der Verwaltungsspitze, die den Stil für die ganze Organisation setzen. Und so eine Organisation strahlt dann aus, sie prägt das Leben in ihrem Umfeld, in ihrem Beziehungsraum.
Und genauso läuft das auf den höheren Ebenen: es gibt immer strategische Schlüsselpositionen, von denen her ein ganzes Land geprägt wird oder sogar die ganze Welt. Aber die können alle nicht nach Belieben schalten und walten. Es gibt auch immer noch andere Zentren und Schlüsselpositionen, mit denen sie sich abstimmen müssen. Leute, die das nicht verstehen, die können sich das nur mit Verschwörungstheorien erklären, dass irgendwo ein geheimes Kommandozentrum steckt, das die Welt regiert, die Vereinten Nationen, die Juden oder irgendwelche Aliens. Aber das ist Unsinn. Es ist ein Geflecht von Zentren, die sich alle gegenseitig beeinflussen, sich bekämpfen und zusammenarbeiten, stärkere und schwächere, und deswegen muss man dauernd verhandeln und sich abstimmen und telefonieren, und ein großer Teil der Arbeit in unserer Gesellschaft besteht heute gar nicht mehr darin, mit Dingen zu arbeiten – also Brot zu backen, Bleche zu biegen oder Lokomotiven zu steuern, sondern die Hauptarbeit besteht inzwischen darin, diese ganze komplizierte Kommunikation zu managen.
Ein Knotenpunkt guter Kommunikation
Man könnte auch sagen: unsere Welt funktioniert als hochkompliziertes Beziehungsgeflecht von Menschen, die sich immer wieder neu miteinander verbinden und abstimmen, und es gibt dabei strategische Positionen mit mehr und mit weniger Einfluss. Und jede Stadt ist ein Knotenpunkt in diesem Geflecht, wo sich die Beziehungen beinahe unentwirrbar bündeln und überschneiden.
Und so ist die Stadt Gottes in der Mitte seiner neuen Welt auch so ein lebendiges Zentrum von unzähligen Beziehungen, eine geschäftige Gemeinschaft, wo Menschen auf viele Arten zusammenarbeiten, zusammen lernen, zusammen nachdenken, zusammen feiern und ihre Umgebung beeinflussen.
Aber da ist ein Unterschied: in dieser Stadt des Lichts gibt es nicht mehr die ganzen Missverständnisse und Konflikte, die die Abstimmung und Koordination sonst so mühsam machen. Wir wissen doch alle, wie schwierig es manchmal schon sein kann, ganz einfache Dinge geregelt zu kriegen. Du rufst bei der Telefonfirma an, weil der Tarifwechsel nicht geklappt hat, du landest in der Warteschleife, du wirst von einem zum anderen weiterverbunden, und die erzählen dir alle was vom Pferd. Keiner ist zuständig, der entscheidende Sachbearbeiter ist gerade im Urlaub, und der wichtige Techniker hat sein Handy abgeschaltet. Du musst dich tagelang damit rumärgern, bis endlich dein Telefon so funktioniert, wie sie es versprochen haben.
Und auf den oberen Ebenen von Regierungen und Konzernen geht es im Prinzip genauso zu. Missverständnisse, gekränkte Eitelkeiten und echte Interessenkonflikte verknäulen sich fast unentwirrbar. Manchmal müssen dann die Gerichte ran, und manchmal gibt es sogar Krieg.
Aber in der Stadt Gottes läuft es anders. Die Kommunikation ist nicht mühsam und nervig, sondern da ist es hell von Gottes Licht, da ist kein Platz für Lügen und Ausreden. Du kriegst keine Mails mehr, in denen dir ein Tagesverdienst von 5000 Euro versprochen wird oder wo die tollste Frau der Welt jetzt sofort ein Treffen mit dir will. Die Zusammenarbeit macht Freude, alle ziehen an einem Strang, und es gibt nicht mehr diese ganzen Reibungsverluste, die einen an den Rand des Nervenzusammenbruchs bringen können. Es ist ganz schwierig, das zu beschreiben, weil wir es ja leider nur anders kennen. Wir können uns gar nicht vorstellen, wie eine Welt aussieht, wo es nicht überall knirscht und rumpelt, knallt und rumst. Eine Welt, in der es nur Freude macht, mit anderen zusammen zu sein.
Ausstrahlung bis an die Enden der Erde
Als Johannes seine Offenbarung niederschrieb, da wussten sie natürlich schon, dass eine Stadt ein sehr kompliziertes Gebilde ist. Aber sie hatten keine Ahnung von der Komplexität unserer heutigen Welt, sie hätten sich das noch nicht einmal vorstellen können. Und klugerweise versucht Johannes das auch nicht zu erraten, das würde daneben gehen, sondern er sagt es in diesem Bild: die Stadt wird erleuchtet sein von der Herrlichkeit Gottes. Die Stadt wird eine Stadt des Lichts sein, in der das Leben schön ist, erfüllt von Festlichkeit und Glanz. Sie ist kein Denkmal, wo die Menschen auf Besichtigungstour kommen, um die goldenen Straßen und die Tore aus Perlen zu bestaunen. Die Stadt ist eine lebendige Gemeinschaft, es geht geschäftig zu auf ihren Straßen, sie brummt vor Aktivität, aber sie ist nicht stressig. Und sie hat eine großartige Ausstrahlung.
Von dieser Stadt aus wird die ganze Welt erleuchtet, geprägt und gestaltet. Die Völker, die in der Bibel so oft als feindliche Umwelt erscheinen, als barbarische Angreifer, die Gottes Volk bedrohen, sie werden von dem Licht geleitet, das vom neuen Jerusalem ausgeht. Das ist so überzeugend, dass sie sich gerne an diesem Vorbild orientieren. Sie werden sogar freiwillig kostbare Geschenke bringen, um die Stadt zu stärken und immer schöner zu gestalten. Man kann sagen, dass dann eigentlich erst die richtige Geschichte der Menschheit beginnt. Das ist kein langweiliges Harfengeklimpere auf Wolken, sondern da wird die Menschheit überhaupt erst ihr volles Potential entdecken. Vielleicht besiedeln wir das ganze Universum, aber vor allem leben wir in Freundschaft und Solidarität miteinander. Was wir als Fortschritt kennen, mit all den Zerstörungen, die der auch bringt, das ist eine kümmerliche Imitation dieser großen Geschichte der Menschheit, die noch auf uns wartet.
Es wird kein nervenaufreibendes Gezerre zwischen all den verschiedenen Machtzentren mehr geben, sondern die »Könige der Erde«, also die Repräsentanten der verschiedenen Zentren, arbeiten einmütig daran, dieses Projekt zu unterstützen.
Das neue Jerusalem wird also nicht herrschen wie das imperiale Rom, das die Völker unterjocht, sondern es wird leiten durch den überzeugenden Einfluss, der von dieser Metropolstadt ausgeht. Und das wiederum ist möglich, weil dieses Zentrum von Gott geprägt, beeinflusst und erfüllt ist. Es ist eine Kette von Einflüssen, die von Gott über seine Stadt bis an die Enden der Erde reicht. Und so lebt diese ganze neue Welt aus dem Gegenüber zu Gott, der ihr hilft, ihren Weg zu finden und ihre ganzen Möglichkeiten zu entdecken.
Ein echtes Ebenbild
Das alles ist nicht der Plan B, den Gott schließlich entwickelt hat, als es im Paradies schief gelaufen ist mit Adam und Eva, sondern so war das von Anfang an gedacht: eine Menschheit, die im Gegenüber zu Gott immer mehr von ihrem großartigen Potential entdeckt und tatsächlich eines Tages ein volles Ebenbild Gottes ist. Aber sie hat sich das dann nicht gegen Gott erbeutet, mit all den Verwerfungen und Konflikten, mit Tod und Leid, die daraus folgen, sondern sie hat das im Licht Gottes entwickelt.
Und dieses Gegenüber zu Gott prägt alles. Wir wissen doch, dass es die Beziehungen sind, die wirklich unser Leben prägen und uns glücklich oder unglücklich machen. Wer wir sind, das entscheidet sich in unseren Beziehungen. Wir denken dabei zuerst an die Beziehungen zu Menschen, aber in all dem und hinter all dem ist es Gott, zu dem wir uns immer irgendwie verhalten, egal, ob wir das wissen oder nicht.
Von Gott beeinflusst
Wenn das neue Jerusalem sichtbar geworden ist, dann ist Gott nicht mehr verborgen, dann kommuniziert er mit uns nicht mehr indirekt durch anderes hindurch. Dann kennen wir ihn so, wie er wirklich ist. Und wir sehen uns dann auch nicht mehr als Menschen, die eben so oder so sind, sondern was wir sind, unsere Identität, die liegt außerhalb von uns. Weshalb diese Stadt so ist, wie sie ist, das liegt im Entscheidenden nicht in ihr, sondern das liegt an Gott, der sie erfüllt und beeinflusst. Ohne ihn und sein Leben würde sie nicht so funktionieren.
Uns werden diese Bilder beschrieben, damit wir wissen, wohin die Welt unterwegs ist. Sie sagen uns aber auch, wie es jetzt schon immer wieder zugehen soll: die Gemeinschaft der Christen hat ihre Identität in Gott, der sie prägt. Von ihm her wird sie gestaltet. Und von dort aus soll, wenn es gut geht, etwas ausstrahlen in die Welt, etwas Überzeugendes und Starkes, so dass wenigstens in manchen Momenten die Menschen verstehen, wie hilfreich es ist, im Gegenüber zu Gott zu leben und sich von ihm beeinflussen zu lassen. Noch ist die Stadt des Lichts verborgen, aber gelegentlich soll sich doch der Vorhang für einen Moment heben, so dass auch in einer Welt voll böser Mächte alle sehen können, wo Gott mit seiner Welt hin will.