Das Schwert des Wortes
Predigt am 19. Juni 2016 zu Offenbarung 19,11-21 (Predigtreihe Offenbarung 33)
11 Und ich sah den Himmel aufgetan; und siehe, ein weißes Pferd. Und der darauf saß, hieß: Treu und Wahrhaftig, und er richtet und kämpft mit Gerechtigkeit. 12 Und seine Augen sind wie eine Feuerflamme, und auf seinem Haupt sind viele Kronen; und er trug einen Namen geschrieben, den niemand kannte als er selbst. 13 Und er war angetan mit einem Gewand, das mit Blut getränkt war, und sein Name ist: Das Wort Gottes.
14 Und ihm folgte das Heer des Himmels auf weißen Pferden, angetan mit weißem, reinem Leinen. 15 Und aus seinem Munde ging ein scharfes Schwert, dass er damit die Völker schlage; und er wird sie regieren mit eisernem Stabe; und er tritt die Kelter, voll vom Wein des grimmigen Zornes Gottes, des Allmächtigen, 16 und trägt einen Namen geschrieben auf seinem Gewand und auf seiner Hüfte: König aller Könige und Herr aller Herren.
17 Und ich sah einen Engel in der Sonne stehen und er rief mit großer Stimme allen Vögeln zu, die hoch am Himmel fliegen: Kommt, versammelt euch zu dem großen Mahl Gottes 18 und esst das Fleisch der Könige und der Hauptleute und das Fleisch der Starken und der Pferde und derer, die darauf sitzen, und das Fleisch aller Freien und Sklaven, der Kleinen und der Großen!
19 Und ich sah das Tier und die Könige auf Erden und ihre Heere versammelt, Krieg zu führen mit dem, der auf dem Pferd saß, und mit seinem Heer. 20 Und das Tier wurde ergriffen und mit ihm der falsche Prophet, der vor seinen Augen die Zeichen getan hatte, durch welche er die verführte, die das Zeichen des Tieres angenommen und das Bild des Tieres angebetet hatten. Lebendig wurden diese beiden in den feurigen Pfuhl geworfen, der mit Schwefel brannte. 21 Und die andern wurden erschlagen mit dem Schwert, das aus dem Munde dessen ging, der auf dem Pferd saß. Und alle Vögel wurden satt von ihrem Fleisch.
Wenn jemand unbedingt einen Text finden möchte, um zu beweisen, dass der christlichen Glauben brutal und gewalttätig ist, dann wäre dieser Abschnitt für ihn bestimmt genau das Richtige: Jesus an der Spitze eines himmlischen Heeres, das die Feinde Gottes in Grund und Boden stampft; am Ende fressen die Geier, was von den Machthabern der Erde und ihren Bütteln übriggeblieben ist, und das Tier (also das Gewaltsystem) und der falsche Prophet (also der Propagandaapparat der Macht) fahren zur Hölle. Es ist natürlich schon ganz befreiend, sich vorzustellen, dass endlich mal die Richtigen dran glauben müssen und nicht nur immer wieder die Schwachen und Schutzlosen. Aber man fragt sich schon, ob das denn wirklich der Jesus ist, den wir sonst kennen: der bei aller Entschiedenheit und Klarheit doch Erbarmen hat und vor allem nicht mit Gewalt arbeitet.
Ein Schwert aus dem Mund?
Deswegen lohnt es sich, noch mal genauer hinzuschauen. Johannes hat in diesen Versen genug Spuren ausgelegt, um uns darauf zu stoßen, worum es hier geht. Das Schwert des siegreichen Heerführers etwa kommt ausgerechnet aus seinem Mund, und sein Name lautet »Das Wort Gottes«. Und das heißt: auch dieser siegreiche Jesus in der Zukunft wirkt nicht anders als der, den wir aus den Evangelien, aus dem Neuen Testament kennen: mit dem Wort, mit der Bedeutung, mit den Signalen, die er aussendet. Mit der Wahrheit. Die Wahrheit wird am Ende einen ungehinderten Siegeszug durch die ganze Welt antreten. Also ist dies ein Bild, das gerade nicht Jesu Bekehrung zum Militärischen beschreibt. Sondern es drückt aus, dass die ganz besondere Macht Jesu, seine Wahrheit, am Ende weltweit alle Feinde überwinden wird.
Wir haben vorhin in der Lesung ja schon von einem anderen Bild gehört, das Jesus sogar selbst inszeniert hat (Markus 11,1-10): er zieht wie ein König in Jerusalem ein, Volksmassen jubeln ihm zu, aber er biegt dieses Symbol um, indem er nicht auf einem Pferd reitet – was militärische Macht signalisiert hätte – sondern er reitet auf einem Esel: einem Reittier, das sich nun wirklich nicht als Schlachtross eignet. Beide Male, dort und hier in der Offenbarung, geht es darum, etwas scheinbar Unvereinbares auszudrücken: Jesus übt effektiv Macht aus wie ein König oder Feldherr, aber er tut das auf seine ungewöhnliche Weise, von der man nicht annehmen würde, dass das tatsächlich funktioniert.
Auch im 2. Thessalonicherbrief (2,8) gibt es eine ganz ähnliche Formulierung, die schon aus dem Alten Testament (Jesaja 11,4; Hiob 15,30) stammt: der Herr Jesus wird den Bösen am Ende »durch den Hauch seines Mundes« töten. Auch da setzt sich Jesus nicht mit Kanonen und Gewehren durch, sondern mit dem Mund, mit Worten. Was ist damit gemeint?
Die Wirkung von Worten
Man muss sich daran erinnern, wie Jesus in Streitgesprächen mit allen möglichen Leuten die immer wieder ziemlich alt aussehen lässt. Die kommen an und stellen Jesus eine Falle, und am Ende haben sie sich selbst enttarnt und stehen blamiert da, man könnte sagen: vernichtend blamiert. Diese Formulierung »vernichtend blamiert« zeigt, dass das nicht einfach nette Diskussionsübungen sind, sondern da geht es um Sein oder Nichtsein. Wer in so einem Gespräch verliert, der hat eine echte Niederlage erlitten. Hätte Jesus verloren, dann wäre sein Weg richtig gestoppt worden, die Leute hätten sich von ihm abgewandt, und über kurz oder lang wäre er auch äußerlich am Ende gewesen.
Wem das jetzt zu abstrakt und übertrieben vorkommt, dass man mit Worten und Bedeutungen so existenzbedrohend kämpfen kann, der muss nur an dass denken, was in den letzten Monaten mit VW passiert ist: eine riesige Firma, an der das Schicksal von Hunderttausenden von Menschen hängt, ist ins Trudeln gekommen – nicht, weil Terroristen die Werkshallen kaputt gebombt hätten; nicht, weil Konkurrenten irgendwelche fiesen Zombiehorden nach Wolfsburg geschickt hätten; nein, einfach durch Worte: weil ein paar Leute die Wahrheit aufgedeckt haben über gefälschte Abgastests. Ein paar Worte, Bedeutungen, bringen einen Weltkonzern in größere Schwierigkeiten, als die schlimmsten Terroristen es je könnten.
Wenn wir aber schon bei Terroristen sind: das sind ja auch Menschen, die durch Worte angetrieben sind. Worte, gefährliche, destruktive Worte, Worte voll Verbitterung und Feindschaft, haben sich in ihnen festgesetzt und steuern jetzt ihr Denken so, dass am Ende Menschen sterben. Und leider verstehen viele Verantwortliche nicht, dass man Terror dann in erster Linie auch mit Worten bekämpfen muss: mit wahren und richtigen Worten, die die destruktiven Gedanken vertreiben. Gut, aktuell braucht man auch Überwachungskameras und Polizeipräsenz. Aber entscheidend bekämpft man Terror mit guten Worten, und leider ist es viel leichter, mehr Überwachung zu fordern als bessere, klarere, wahrere, stärkere Worte. Worte erscheinen uns schnell als leere, hilflose Worte; viele sagen: Wir wollen endlich Taten sehen und keine Worte hören! Aber in Wirklichkeit haben Worte Macht. Sie bringen harte Wirklichkeit hervor.
Menschliche Schutzschilde für überpersonale Bedeutungskonglomerationen (was für ein Wort!)
Durch Worte werden Machtzusammenballungen erzeugt, Worte organisieren Menschen, im Guten wie im Bösen. Mit Worten wird gekämpft: in der Öffentlichkeit, bei Talkshows, vor Gericht, in den Werbeblöcken, bei Elternabenden, im Internet, auf internationalen Konferenzen und am Abendbrottisch. Zum Glück werden heute in unserem Land die allermeisten Kämpfe nicht mit Fäusten, Messern und Gewehren ausgetragen, sondern mit Worten. Bedeutungen, Sinnzusammenhänge kämpfen miteinander um Einfluss auf die Köpfe und Herzen der Menschen. Es ist ein riesiger Fortschritt, dass wir dabei meistens kein Blut mehr vergießen, aber das heißt nicht, dass diese Konflikte deshalb weniger heftig wären. Es wird so nur deutlicher, dass die eigentlichen Kämpfe nicht zwischen Personen stattfinden, sondern zwischen Bedeutungskonglomerationen, Gedankenbündeln, Geistesmächten, Sinnzusammenhängen, Deutungsmustern, oder wie immer man das nennen mag.
Und wenn man sich mit dieser Brille unseren Textabschnitt ansieht, dann merkt man: die Gegner Jesu, die am Ende zur Hölle fahren, sind gar keine konkreten Lebewesen, sondern es sind so etwas wie überpersonale Mächte: der römische Militarismus ist als Tier, als Monster beschrieben, und der dazugehörige Propagandaapparat als falscher Prophet. Und die ganze Offenbarung beschreibt, wie im Laufe eines langen Prozesses diese überpersonalen Mächte immer deutlicher erkennbar werden und sich nicht mehr ununterscheidbar in die Welt hineinflechten können. Sie werden Schritt für Schritt enttarnt, sie werden vor allem von den Menschen getrennt, und jetzt, wo sie isoliert dastehen, wo sie keine menschlichen Schutzschilde mehr haben, auf die Gott Rücksicht nimmt, jetzt müssen sie endlich in der Hölle braten.
… als ob es sie nie gegeben hätte
Unser Text unterscheidet hier genau zwischen den Monstern und den Menschen. Es gibt tatsächlich auch Menschen, die sterben, wenn es den Monstern an den Kragen geht. Die Menschen kommen nicht in die Hölle, aber von ihnen bleibt nichts übrig. Das Bild ist drastisch: die Vögel fressen ihr Fleisch. Sie verschwinden, ohne Friedhof, ohne Gedenkstein. Es ist, als ob es sie nie gegeben hätte. Was bedeutet das?
Es gibt anscheinend Menschen, die sich den Monstern so restlos verschrieben haben, dass von ihnen nichts mehr übrig bleibt, wenn es mit den Monstern zu Ende geht. An ihnen ist nichts Menschliches mehr, was dann noch übrig wäre. Wer den »Herrn der Ringe« kennt: das ist wie mit den schwarzen Reitern, die ursprünglich Könige waren, aber der Dienst des Dunklen Herrschers hat sie innerlich aufgefressen, und jetzt ist nur noch die äußere Hülle da. Und als ihr Herr besiegt ist, da verschwinden sie spurlos.
Für alle, die das Buch nicht kennen: denkt an das Ende der nationalsozialistischen Herrschaft, wie sich da viele Funktionsträger des Systems kurz vor Kriegsende noch selbst getötet haben. Nicht nur, weil sie Angst vor der Bestrafung hatten, sondern weil ihre ganze Welt zusammengebrochen war. Sie hatten das Ende von all dem vor Augen, wofür sie gelebt und womit sie gerechnet hatten. Sie hatten von Nazi-Deutschland gelebt, sie hatten dafür gelebt, und als es stürzte, da waren sie nichts mehr, sie hatten nichts mehr, sie waren innerlich aufgefressen und ausgesaugt vom Monster, und deshalb konnten sie allein nicht weiterleben.
Momente der Wahrheit
Das war damals nicht nur irgendein Sieg in einem von den vielen Kriegen, sondern ein historischer Moment, in dem die Wahrheit ziemlich deutlich ans Licht gekommen ist, klarer als es sonst normalerweise passiert. Unter dem Eindruck dieser Wahrheit ist dann nach dem Krieg in Deutschland ein demokratisches Gemeinwesen entstanden, in dem wir gut und in Frieden gelebt haben, und für lange Zeit schien es, als ob die Monster das nicht überleben würden. Zur Zeit erleben wir, wie sie sich wieder melden. Es war eben noch nicht das endgültige Ende.
Trotzdem kann man sich an diesem beispielhaften Moment der Niederlage Nazi-Deutschlands klarmachen, wie das gemeint sein könnte mit Jesus auf dem weißen Pferd, der kommt, um die dunklen Mächte endgültig aus der Welt zu schaffen. Jesus wird mit den Namen »treu« und »wahrhaftig« gekennzeichnet, d.h., er bleibt sich selbst treu, er hält seine Versprechen, und er ist in der Wahrheit verankert. Und so wie die deutsche Niederlage 1945 eine Stunde der Wahrheit war, wo alle gesehen haben, was für ein Monster hier besiegt worden ist, so wird es eines Tages für die ganze Welt den Moment geben, wo die Wahrheit über das das Gewaltsystem und seine Propagandisten ganz offensichtlich ist. Und davon wird es sich endgültig nicht mehr erholen.
Zutrauen zur Wahrheit
Die Wahrheit ist eine starke Waffe. Die Offenbarung will in uns das Zutrauen in diese Waffe festigen. Es ist überhaupt nicht so, dass Jesus am Ende merkt, dass man es ganz ohne Gewalt doch nicht schafft. Im Gegenteil, die Wahrheit ist und bleibt seine einzige Waffe. Denn man kann die Wahrheit nicht heute mal benutzen und sie morgen im Schrank lassen und wieder mit schmutzigen Tricks kämpfen. Mit der Wahrheit kämpfen kannst du nur, wenn du in ihr verankert bist und aus ihr lebst. Wenn du gelernt hast, dich nicht von ihr trennen zu lassen. Wenn du gelernt hast, sie in der jeweiligen Situation jeweils neu zu erkennen und auszusprechen, sie von der Lüge zu unterscheiden. Dafür muss man ein Leben lang im Training bleiben. Und so gut wie Jesus kriegen wir das nie hin. Deswegen kommt er ja schließlich und führt den entscheidenden Schlag.
Aber er ist nicht so dumm, dass er am Ende doch noch zu echten Waffen greift. Die militärischen Bilder werden bloß benutzt, um uns begriffsstutzigen Leuten die Augen dafür zu öffnen, was Wahrheit wirklich bewirkt. Und wer meint, er könnte hier herauslesen, dass Jesus oder gar wir am Ende doch noch Gewalt anwenden, der hat die Logik des Textes nicht verstanden. Egal, ob einer das gut findet oder nicht: es geht nicht um christliches Draufhauen und Säbelrasseln. Es geht darum, dass die Methode Jesus, das Vertrauen auf Gottes Wahrheit, sich am Ende tatsächlich als wirksam und siegreich erweisen wird.