… nicht vom Brot allein
Besonderer Gottesdienst am 24. April 2016 mit Predigt zu Matthäus 4,1-11
Das Bild zu unserem Gottesdienst zeigt eine große Weite: ein weites Land unter einem hohen Himmel. Wenig ist von Menschen zu sehen, außer dem Turm der Kirche hinter dem Wäldchen. Der Acker vorne wartet wohl darauf, eingesät zu werden. Und es soll ja um das Gedeihen gehen: wir denken an »wachsen und gedeihen«. Aber »…nicht vom Brot allein«: ein Zitat aus der Diskussion, die Jesus ganz am Anfang seines Weges mit dem Versucher führte. Und das war kein harmloser Meinungsaustausch, sondern ein Kampf mit Worten.
In diesem Zusammenhang hören wir dann den Satz: »Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von einem jeglichen Wort, das aus Gottes Mund kommt.« Der Versucher hat ihn aufgefordert: wenn du Gottes Sohn bist, dann mach diese Steine zu Brot! Das ist eine raffinierte Formulierung: es geht natürlich um die Versuchung, dem Hunger nachzugeben, und gleichzeitig transportiert diese Frage den Zweifel: bin ich wirklich Gottes Sohn? Stimmt das, was Gott mir bei der Taufe gesagt hat: »Du bist mein lieber Sohn, an dem ich Freude habe.« ? Wer sich und anderen erst beweisen muss, wer er ist, der hat schon verloren.
Jesu Antwort ist mindestens ebenso raffiniert: Jesus sagt nicht, dass das Brot nicht wichtig wäre wäre. Das würde nicht passen. Zu deutlich spürt er den Hunger. Er sieht das Brot aber nicht isoliert, auch jetzt nicht, wo er am Rande des Verhungerns steht. Denn Brot allein – und damit alle materiellen Güter überhaupt – Brot allein ist nicht genug. Brot hat wie alle Dinge eine Bedeutung, eine unsichtbare Seite, und die ist mindestens so wichtig wie die Kalorien, die mit dem Brot kommen. »Wort Gottes« nennt Jesus das. Wir leben von Bedeutung, von Worten, von Beziehung, von Sinn, wie auch immer man das nennen will. Man kann das nicht sehen, man kann das nicht messen, man kann es nicht kaufen, aber wir brauchen es, und das Brot, das Jesus sich auf Geheiß des Versuchers gezaubert hätte, das hätte auch eine Bedeutung getragen: das Misstrauen gegen Gott, gegen den Vater im Himmel, der Jesus kurz zuvor den Rücken gestärkt hat. Es gibt nichts Materielles, das nicht irgendwie mit Bedeutung und Beziehung verbunden wäre. Brot, das Jesus aus Steinen erschaffen hätte, wäre nur vordergründig einfach nur Brot. In sich trägt es eben gerade die Behauptung, dass Brot allein reicht.
Aber Jesus widersteht dem. Selbst am Rande des Verhungerns achtet er auf die Bedeutung, die das Brot trägt. Gedeihen geht nicht ohne Bedeutung. Niemals. Das gute Leben gedeiht nur in dieser Verbindung. Wir leben von der Bedeutung, die die Dinge in sich tragen. Von der Botschaft, die durch alle Güter der Erde zu uns kommt.
1 Da wurde Jesus vom Geist in die Wüste geführt, damit er von dem Teufel versucht würde. 2 Und da er vierzig Tage und vierzig Nächte gefastet hatte, hungerte ihn. 3 Und der Versucher trat zu ihm und sprach: Bist du Gottes Sohn, so sprich, dass diese Steine Brot werden. 4 Er aber antwortete und sprach: Es steht geschrieben (5.Mose 8,3): »Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von einem jeden Wort, das aus dem Mund Gottes geht.«
5 Da führte ihn der Teufel mit sich in die heilige Stadt und stellte ihn auf die Zinne des Tempels 6 und sprach zu ihm: Bist du Gottes Sohn, so wirf dich hinab; denn es steht geschrieben (Psalm 91,11-12): »Er wird seinen Engeln deinetwegen Befehl geben; und sie werden dich auf den Händen tragen, damit du deinen Fuß nicht an einen Stein stößt.« 7 Da sprach Jesus zu ihm: Wiederum steht auch geschrieben (5.Mose 6,16): »Du sollst den Herrn, deinen Gott, nicht versuchen.«
8 Darauf führte ihn der Teufel mit sich auf einen sehr hohen Berg und zeigte ihm alle Reiche der Welt und ihre Herrlichkeit 9 und sprach zu ihm: Das alles will ich dir geben, wenn du niederfällst und mich anbetest. 10 Da sprach Jesus zu ihm: Weg mit dir, Satan! Denn es steht geschrieben (5.Mose 6,13): »Du sollst anbeten den Herrn, deinen Gott, und ihm allein dienen.«
11 Da verließ ihn der Teufel. Und siehe, da traten Engel zu ihm und dienten ihm.
Wie kann Leben gedeihen? Das Wort »Gedeihen« finde ich gut, weil es so umfassend ist. Gedeihen bedeutet nicht nur Überleben, sondern es trägt in sich den Gedanken des umfassenden Wohlergehens. Wenn Hühner in Legebatterien funktionieren und jede Menge Eier ausstoßen, dann sind sie zwar ziemlich produktiv, aber wir würden das wahrscheinlich nicht als »Gedeihen« bezeichnen. Und auch die Hühner in der Eierfabrik sterben irgendwann den Tod am Brot allein – nach einem Jahr oder so sind sie nur noch Suppenhühner.
Erfahrungen mit Brot allein
So ähnlich kann es auch Menschen gehen. Brot allein ist nicht genug. Wir kennen die entsprechenden Klischees: die Eltern, die sich ratlos fragen: wir haben unserem Kind doch alles gegeben – warum ist er nicht zufrieden, warum benimmt sie sich so undankbar? Oder wenn das eigene Haus endlich fertig und eingerichtet und vielleicht auch schon abbezahlt ist, oder ein vergleichbares großes Ziel ist erreicht – und dann? Und natürlich die ganzen Erkenntnisse der Glücksforschung, dass oberhalb eines gewissen Wohlstandes ein weiterer Zuwachs an Geld das Glück nicht mehr deutlich vermehrt.
Und dann unsere Erfahrung, wie schnell man sich an etwas Neues gewöhnt: mehr Geld oder ein neues Gerät. Worauf man mal lange gewartet hat, was früher mal der neueste Stand der Technik oder der Mode war und Menschen echt begeistert hat, das landet ein paar Jahre später in der Schublade für alte Handys. Oder bei der Autoverwertung. Oder in der Altkleidersammlung.
»Alles Mühen des Menschen ist für seinen Mund, aber sein Verlangen bleibt ungestillt.« heißt es im Prediger Salomo (6,7), einem der Weisheitsbücher der Bibel. Auch hier, in anderen Worten, die Erkenntnis, dass der Mensch nicht vom Brot allein lebt. Eigentlich suchen wir Bedeutung, Sinn, Erfüllung, Glück, ganzheitliches Wohlsein, wie auch immer man das nennen will. Das verbindet sich durchaus mit materiellen Dingen, aber es ist nichts Materielles.
Dinge, die Bedeutung tragen
Es ist interessant, das mit den Sakramenten zu vergleichen, z.B. dem Abendmahl. Da sind einerseits handfeste Dinge des Alltags wie Brot und Wein – damals die alltäglichen Grundnahrungsmittel. Und dann werden sie durch die Worte Jesu mit Bedeutung belegt. Alltägliche Nahrungsmittel werden zu seinem Leib und Blut. Im Brot scheint etwas auf, was viel mehr ist als Nahrung. Es ist, als ob Brot und Wein eigentlich dafür da sind: diese Bedeutung zu tragen.
Wenn wir das an einem Punkt verstanden haben, dann leitet uns das an, die ganze Schöpfung so zu verstehen: als Sakrament, als etwas Materielles, das dafür geschaffen wurde, eine Bedeutung zu tragen, die viel größer ist als das, was wir sehen und messen können. Die Schöpfung ist die Botschaft von der Zuwendung Gottes zu seinen Geschöpfen, und wir verstehen sie erst dann richtig, wenn wir ihre Botschaft der Liebe verstehen. Die Welt wurde geschaffen, um diese Botschaft zu überbringen. Und wenn wir die Welt auf Materie reduzieren, dann werden wir mitten im Reichtum hungrig bleiben. Wenn wir nicht verstehen, dass wir leben von einem jeden Wort, das aus Gottes Mund geht, dann wird unser Verlangen ungestillt bleiben, wie der Prediger Salomo richtig beobachtet hat.
Eine Welt, zu klein für unser Verlangen
Und das führt am Ende dazu, dass auch unsere materielle Welt verdorben wird. Wenn wir irriger Weise davon ausgehen, dass unser unendliches Verlangen sich auf materielle Güter richtet und mit ihnen zu stillen wäre, dann bürden wir der Welt eine Last auf, die sie nicht tragen kann. Wir werden die Welt ausplündern und vergiften, wenn wir versuchen, aus ihr unser unendliches Verlangen zu stillen.
So betrachtet, ist der expansive Kapitalismus, in dem wir leben, nicht einfach eine Wirtschaftsweise, sondern er ist eine Behauptung über die Welt und den Menschen: dass es wichtig ist, immer mehr materielle Güter anzuhäufen. Dass das der Sinn unseres Lebens ist. Dass es sich lohnt, dafür jede Menge Zeit und Energie einzusetzen. Unsere ganze Gesellschaft ist auf dieser Grundlage aufgebaut. Diese Behauptung wird uns allen aufgezwungen.
Das hat eine innere Logik: wir leben mit einem Weltbild, das nur eine Welt kennt, die sichtbare Welt, die man berechnen und messen kann. Wir tragen in uns aber ein unendliches Verlangen, eine Sehnsucht, die größer ist als die Welt. Wenn wir diese unbegrenzte Sehnsucht auf eine begrenzte Welt richten, dann wird die verdorben. Wir zerstören dann auch das, was in dieser Welt unserer Sehnsucht entgegenkommt: Schönheit, Freude, Liebe.
Zeichen der verborgenen Welt
Schönheit, Freude und Liebe sind Zeichen der unsichtbaren Welt, die wir mitten in unserem sichtbaren Leben empfangen. Aber weil sie von der verborgenen Seite der Welt stammen, deswegen passen sie nicht wirklich in unsere Welt. Sie irritieren uns, sie erinnern uns daran, dass da noch irgendetwas ist, was auf unseren Landkarten der Welt nicht eingezeichnet ist. Aber genau dieses Ungreifbare macht aus dem Überleben das Gedeihen.
Dieses Gedeihen fehlt dem Kind, das alles bekommen hat, es fehlt dem Huhn in der Eierfabrik ebenso wie dem Menschen, der gepflegt wird nach den mehr oder eher weniger großzügigen Berechnungen der Pflegeversicherung. Da ist immer etwas dabei, was sich der Kalkulation entzieht und was eigentlich genau das Allerwichtigste ist.
Wir versuchen dann, dieses Ungreifbare irgendwie doch in die herrschende Sicht der Welt zu integrieren. Irgendwie muss das doch zu händeln sein. So wird aus der Schönheit ein angesagtes, überfülltes Urlaubsziel, das man buchen kann. Aus der unkalkulierbaren Freude wird Spaß, den man angeblich »haben« kann, so wie man Dinge besitzt. Und aus der Liebe, die ebenso wie die Freude ein Vogel ist, den man nicht greifen und festhalten kann, wird eine Beziehung, die man dann vielleicht doch »haben« kann.
Der Wunsch nach Kontrolle und Sicherheit
Immer wieder der Versuch, an die Stelle des Unkontrollierbaren etwas Berechenbares und Kontrollierbares zu setzen. Wenn aber in Wirklichkeit die Erde ein Geschenk der Liebe Gottes ist, dann ist genau das Wichtigste nicht kontrollierbar, und eigentlich wissen wir das alle auch. Trotzdem sind wir gefangen in diesem Gehäuse eines Weltbildes, das die verborgene Seite der Welt als Spinnerei und Aberglauben abtut.
Wenn man aber behauptet, dass die Welt ein Geschenk der Liebe Gottes ist, dann heißt das ja nicht, dass man unter Berufung auf eine altehrwürdige heilige Schrift die Erkenntnisse der modernen Kosmologie und Evolutionsbiologie ablehnt. Wer die Bibel und die Wissenschaft auf gleicher Ebene gegeneinander stellt, der ist vielleicht selbst gefangen in dem Bild einer einzigen sichtbaren Welt, die keine verborgene Seite hat.
Ein anderes Bild von der Welt
Die Welt als Geschenk Gottes zu sehen, als Schöpfung, das ist stattdessen eine bestimmte Art, sich zur Welt zu verhalten: sie als Botschaft zu verstehen anstatt als stumme Ansammlung von Materie und Energie. Das sehen übrigens alle Religionen so, nicht nur das Christentum. In irgendeiner Weise geben sie alle dem Gespür Ausdruck, dass die Welt eine verborgenen Dimension hat. Dass es ein unsichtbares Reich gibt, nicht als ein mysteriöses Ding irgendwo anders, sondern eine verborgene Wirklichkeit, die fundamental wichtig ist für das Gedeihen der für uns sichtbaren Wirklichkeit. Nur wenn wir in Übereinstimmung mit dieser verborgenen Realität leben, kann unser Leben gedeihen.
Wenn wir diese unsichtbare Seite des Gedeihens ausblenden und tabuisieren, dann werden Menschen auf ihrer Suche nach echtem Gedeihen immer wieder an den falschen Stellen suchen. Sie werden versuchen, es durch immer mehr vom Gleichen zu erreichen und mit ihrer Sucht nach Mehr die Erde zerstören. Sie werden versuchen, immer mehr an Zuwendung und Anerkennung aus ihren Mitmenschen herauszuholen, und wenn sie das nicht bekommen, wird es Unfrieden und Feindseligkeit geben. Menschen werden in ihrer Arbeit Befriedigung suchen oder in körperlicher Gesundheit und Kraft, in Kunst oder in Feingeistigkeit, aber das wird dann immer die Gaben zerstören, die wir ja tatsächlich haben.
Keine dieser Gaben ist dafür da, um aus sich selbst heraus Gedeihen zu schenken. Sie bekommen diese Segenskraft, weil sie zu den Gaben Gottes gehören. Letztlich ist es die Liebe Gottes und sein Segen, der das Leben gedeihen lässt. Wenn man das nicht so benennt, sondern Gott da heraushält, kommt man aufs falschen Gleis. Das Brot, das der Versucher Jesus anbot war nicht schlecht. Es wäre ja auch irgendwie von Gott gewesen. Aber Jesus hätte das verleugnet, wenn er einfach so aus Steinen Brot gemacht hätte. Es wäre kein Geschenk mehr gewesen.
Zweimal das Gleiche ganz anders
Und das ist ein fundamentaler Unterschied. Stell dir ein wunderbares Ding vor, ein schön gestaltetes Portemonnaie z.B., aus einem Leder, das du unbedingt fühlen möchtest, mit einem herrlichen Geruch und mit einer Gestaltung, die dich begeistert. Trotzdem ist es etwas anderes, ob du es in einem Laden in der Hand hältst und überlegst, ob du es kaufen willst, auch wenn es eigentlich zu teuer für dich ist. Oder ob du es als Geschenk eines Menschen in der Hand hältst, der dir viel bedeutet, und mit dem dich eine lange gemeinsame Geschichte verbindet. Ein Geschenk, das in Vollendung ausdrückt, wie kostbar euch beiden diese Verbindung ist.
Beide Male derselbe Gegenstand. Aber wenn man die unsichtbare Seite anschaut, geht es jedes Mal um eine ganz andere Realität. Und nur, wenn ihr beide das wisst, trägt dieses Geschenk in vollem Maß zum Gedeihen bei.
Solch ein Geschenk ist die Schöpfung. Jesus wollte es sich um keinen Preis verderben lassen. Wir alle gedeihen durch den unsichtbaren Segen, der die Verbindung zwischen Gott und uns schafft, und von dem wir wissen sollen.