Freundschaft von Geist und Materie
Predigt im Segnungsgottesdienst am 23. September 2018 mit Markus 8,22-26
22 Sie kamen nach Betsaida. Dort brachte man einen Blinden zu Jesus und bat ihn, den Mann anzurühren.
23 Jesus nahm den Blinden bei der Hand und führte ihn aus dem Ort hinaus. Er benetzte ihm die Augen mit Speichel, legte ihm die Hände auf und fragte ihn: »Siehst du etwas?« 24 Der Mann blickte auf und erwiderte: »Ich sehe Menschen; sie gehen umher, aber sie sehen aus wie Bäume.«
25 Da legte Jesus ihm noch einmal die Hände auf die Augen; nun konnte er deutlich sehen. Er war geheilt und konnte alles klar erkennen.
26 »Geh nicht in den Ort ´zu den Leuten`«, sagte Jesus und schickte ihn nach Hause.
Wir haben heute einen Segnungsgottesdienst. Was ist das Besondere daran? Wir haben nachher Gelegenheit, hier zu einzelnen Stationen zu gehen, wo man gesegnet wird oder eine Kerze anzündet oder eine Karte mit einem Bibelvers bekommen kann. Was ist der Unterschied zu anderen Gottesdiensten? Unser Körper ist mehr beteiligt als sonst.
Das Besondere ist also heute gerade nicht, dass wir besondere geistige Höhen oder Tiefen erklimmen, sondern es ist so, dass wir hier mehr an materieller, körperlicher Wirklichkeit dabei haben. Christliche Spiritualität hat ganz bewusst viel mit unserem Körper zu tun. Wenn wir auf dieser Spur weiter denken, dann können wir noch auf andere Dinge stoßen. Auch die Taufe ist ein Augenblick, wo sich Materielles und Gedankliches ganz eng berühren: da kommen ein menschlicher Körper und Wasser mit Gedanken und Worten zusammen. Und genauso beim Abendmahl: es geht um Erinnerungen an Jesus, die sich mit handfester Nahrung, mit Brot und Wein verbinden. Und beim Segen werden Hände aufgelegt, damit man versteht: du bist es, genau du, dem dieser Segenszuspruch gilt.
Und wir haben eine Jesusgeschichte gehört, die das noch mal zuspitzt: Jesus wird mit einem blinden Mann konfrontiert, und er fasst den Blinden an der Hand, er zieht ihn mit sich und bringt ihn weg aus dem Brennpunkt der Aufmerksamkeit, wo sie alle schon die Handys gezückt haben, um den entscheidenden Moment festzuhalten und zu teilen. Stellen Sie sich mal vor, was das gäbe, wenn sich das Bild ausbreitet, wie Jesus mit seiner Spucke die blinden Augen berührt! Wie viele Leute dann kommentiert hätten: »Voll eklig!« Wir haben in uns eine ganz große Hemmung vor der ganzen Körperlichkeit, und wenn es dann auch noch so was Feuchtes wie Spucke ist, dann ist das noch mal eine Stufe unheimlicher.
Aber wir haben von Jesus eine ganze Menge Geschichten, wo er überhaupt keine Angst vor Körperkontakt hat. Menschen sind nun mal nicht als reine Geistwesen geschaffen, sondern wir stehen auf der Grenze zwischen der materiellen und der geistigen Welt, und das ist gut so. Wir schweben nicht ziellos hin und her, sondern wir haben einen Ort in der Welt, wo wir hingehören, unseren Körper. So wollte Gott uns. Und das Ziel ist nicht, dass wir das Irdische und Materielle hinter uns lassen, sondern dass genau an dem Ort, an den wir gehören, Geist und Materie in Freundschaft zusammenfinden. Und der gute Geist Gottes soll an diesem Ort Heilung, Versöhnung und Erneuerung bringen.
Wenn christliche Spiritualität gut ist, dann verbindet sie uns fester mit unserer körperlichen Realität und macht die Verheißung sichtbar, die mit diesem materiellen Ort verbunden ist: auch da, wo wir sind, soll der Himmel zur Erde kommen. Dieses Stück Welt soll gesegnet werden, es ist berufen, zur neuen Welt Gottes zu gehören. Das Stück Welt, das unseren Namen trägt, soll vom Segen Gottes berührt und vielleicht sogar erfüllt werden.
Das Evangelium holt uns also nicht weg aus der materiellen, körperlichen Welt, sondern es bestätigt uns gerade an unserem Ort und sagt: nimm es als deinen Auftrag an, an diesem Punkt der Welt für ein freundschaftliches Miteinander von Materie und Geist zu sorgen! Du stehst in der Gemeinschaft der Menschheit, die als Ganze den Auftrag hat, Gott in seiner Schöpfung zu vertreten. Sei also auch du ein Weg, auf dem Gottes Geist in diese Schöpfung kommen und sie bewohnen kann. Gottes Herrlichkeit ist eine von seinem Glanz erfüllte Schöpfung, und Gottes Ruhm ist ein freier Mensch, der sich an seinem Ort für Gott öffnet und dadurch ein guter Verwalter wird, der diesen Teil der Schöpfung mit Weisheit und Sorgfalt bebaut und bewahrt.
Also lasst uns nicht gering denken von der materiellen Seite der Welt. Sie soll vom Geist berührt werden, damit sich Geist und Materie nicht mehr fremd oder gar feindlich gegenüber stehen, sondern damit sie gemeinsam die Herrlichkeit von Gottes Schöpfung sichtbar machen. Die sichtbare und die unsichtbare Seite der Schöpfung, Materie und Geist, Himmel und Erde, beide sind allein zu wenig, aber gemeinsam loben sie Gottes großes Werk.